Neuro-Tüftler

Revolutionäre Lichtschalter: Optogenetik

Der Chemiker Peter Hegemann von der Humboldt-Universität zu Berlin hat den Grundstein für die Optogenetik gelegt, die eine Revolution in den Neurowissenschaften in Gang gesetzt hat. Über lange Zeit mussten Hirnforscher sich mit dem Beobachten von Vorgängen in der Denkzentrale begnügen. Das änderte sich schlagartig 2002 mit einer Entdeckung des Chemikers Peter Hegemann. Gemeinsam mit Kollegen stieß Hegemann auf ein lichtempfindliches Protein einer Zelle in einer Grünalge. Die Entdeckung wurde schon kurze Zeit später begeistert von Neurowissenschaftlern aufgegriffen. Denn mithilfe von Viren lassen sich Bauanleitungen der Proteine in den genetischen Bauplan von Nervenzellen einschleusen. Einmal in die Zellmembran der Neuronen eingebaut, braucht nur noch Licht der richtigen Wellenlänge auf die Proteine zu fallen und schon lassen sie elektrisch geladene Teilchen ins Innere der Zelle strömen: Die Nervenzelle wird je nach Protein elektrisch erregt oder gehemmt. Die Optogenetik, eine Fusion von Optik und Genetik, war damit geboren und eine Revolution in den Neurowissenschaften in Gang gesetzt. Forscher können Neuronen seither so einfach und präzise wie nie zuvor beeinflussen. Beispielsweise kann man bei einem Fadenwurm für die Bewegungssteuerung zuständige Nervenzellen mit einem blauen Lichtblitz anregen und mit einem gelben hemmen. Unter blauem Licht zappelt der Fadenwurm munter herum, unter gelbem Licht erstarrt er. So lässt sich die Funktion der verantwortlichen Nervenzellen viel gezielter untersuchen als durch bloßes Beobachten. Die Gene für die molekularen „Lichtschalter”, die von Neurowissenschaftlern weltweit verwendet werden, kommen häufig von Peter Hegemann aus Berlin. Sein interdisziplinäres Team ist Teil des Forschungsverbunds „Protein-based photo-switches as optogenetic tools”. Gemeinsam mit einer Forschungsgruppe um den Chemiker Joachim Heberle von der Freien Universität Berlin studieren die Berliner Forscher die Struktur und Funktion ihrer „Lichtschalter” und erweitern beständig den optogenetischen Instrumentenkasten.

Schnappschuss im Eisfach: „Flash-and-freeze”–Elektronenmikroskopie

Der Neurowissenschaftler Christian Rosenmund von der Charité lässt Nervenzellen schockgefrieren, um so in Schnappschüssen ihre Funktionsweise studieren zu können. Das Labor von Christian Rosenmund birgt einen Fotoapparat der besonderen Art: Mit Licht aktivieren die Wissenschaftler zunächst eine Nervenzelle in der Petrischale. In einem zweiten Schritt schockgefriert ein Hochdruckgefriergerät die Nervenzelle unter hohem Druck und mithilfe von flüssigem Stickstoff. Die zellulären Strukturen und Prozesse erstarren innerhalb von Millisekunden. Das Ergebnis ist ein Schnappschuss, den die Forscher in aller Ruhe unter einem Elektronenmikroskop studieren können. Diese Kombination von Optogenetik und Schockgefrieren konnte man ursprünglich nur bei Zellen von Fadenwürmern anwenden.

Doch die Berliner Forscher um Christian Rosenmund haben die Technik weiterentwickelt. Nun können sie auch Synapsen von Säugetieren untersuchen, also die Kontaktstellen, über die Nervenzellen miteinander kommunizieren. „Die Technik ermöglichst es uns, Schnappschüsse von Synapsen mit Millisekundengenauigkeit zu machen, während sie Signale übertragen”, sagt Rosenmund. Sein Team konnte zeigen, dass die Verpackungseinheiten, über die Nervenzellen ihre Botenstoffe zur Kommunikation freisetzen, innerhalb von wenigen hundertstel Sekunden wiederverwendet werden – und damit viel schneller, als man zuvor vermutet hatte. Rosenmund hat weitreichende Pläne für die Zukunft. „Die Technik lässt sich auch in anderen Bereichen der Biologie einsetzen, in denen sich Strukturen dynamisch ändern, beispielsweise bei Muskelkontraktionen. Auch wollen wir die Zeitauflösung weiter verbessern, um noch schnellere Prozesse einfangen zu können.”

Blick in lebende Neuronen: In-vivo-Ganzzellableitungen

Der Neurobiologe Michael Brecht vom Bernstein Center for Computational Neuroscience Berlin hat eine Technik mitentwickelt, mit der sich einzelne Nervenzellen bei sich frei bewegenden Tieren belauschen lassen. Möchte man einen detaillierten Einblick in die elektrische Aktivität von Nervenzellen bekommen, muss man die Zelle selbst unter die Lupe nehmen. Dafür nähert man eine gläserne Messpipette vorsichtig an. Hat man eine stabile Verbindung zwischen Zelle und Pipette, saugt man diese an, sodass sich die Zellmembran an dieser Stelle etwas ausbeult. Infolge des Unterdrucks sitzt das Glas so fest auf der Membran, dass der kleine Membranabschnitt innerhalb der Pipette vom Rest der Membran elektrisch isoliert ist. Mit einem speziellen Messgerät lassen sich nun die elektrischen Ströme der Zelle messen. Solche klassischen Ganzzellableitungen waren bis 2006 nur an Hirnschnitten toter Tiere möglich. „Wir haben daraufhin die Ganzzellableitung erfolgreich auf Miniaturgröße gebracht”, sagt Brecht. „So können wir sie auch bei Tieren anwenden, die sich frei bewegen.”

Der Messaufbau befindet sich nun auf dem Kopf des lebenden Tiers. „Wir haben die Pipette mit schnell härtendem Kunststoff auf dem Schädel einzementiert, um sie relativ zur Zelle stabil zu halten.” Brecht ergründet in Berlin mit der Technik unter anderem die räumliche Gedächtnisbildung auf Zellebene. Sogenannte Platzzellen feuern immer dann, wenn sich ein Lebewesen an einem bestimmten Punkt im Raum befindet. „Mit unseren In-vivo-Ganzzellableitungen konnten wir zeigen, dass Platzzellen schon nach wenigen Sekunden in einer neuen Umgebung stabile räumliche Aktivitätsmuster zeigen. Das heißt, das Gehirn entwirft in Sekundenschnelle eine mentale Karte der Umwelt.” Brecht und seine Kollegen arbeiten stetig daran, ihre Technik weiterzuentwickeln. Ein Ziel des Teams: Die Platzzellen direkt nach der Messung anzufärben, um herauszufinden, wie die noch weitgehend unbekannten Zellen von ihrer Struktur her im Detail aussehen.

Impulse für Parkinson-Patienten: Tiefe Hirnstimulation

Die Neurologin Andrea Kühn von der Charité arbeitet daran, einen Hirnschrittmacher individuell auf Patienten mit Parkinson zuzuschneiden. Bewegungsstörungen wie Morbus Parkinson sind Netzwerkerkrankungen des Gehirns. Dabei ist der Informationsfluss zwischen verschiedenen Hirnregionen gestört, darunter die Basalganglien tief im Gehirn, die für Bewegungsabläufe eine wichtige Rolle spielen. Bei Parkinson etwa ist ein bestimmtes Gebiet der Basalganglien überaktiv. Es liegt wie ein bleiernes Gewicht auf der hirninternen Bremse, indem es Areale stimuliert, die hemmend auf Bewegungszentren wirken. So kommt es zur krankhaft verlangsamten Motorik der Parkinsonpatienten. Die tiefe Hirnstimulation ist bei Parkinsonpatienten als Therapie schon seit Jahrzehnten im Einsatz. Dem Patienten wird operativ eine dünne Elektrode ins Gehirn eingesetzt. Über einen Stimulator können dann elektrische Impulse vergleichbar mit einem Herzschrittmacher direkt in die Zielregion geleitet werden, um deren aus dem Gleichgewicht geratene Aktivität zu beeinflussen. Die elektrischen Impulse drosseln die überaktive Hirnstruktur, und die Betroffenen haben wie- der mehr Kontrolle über ihre Bewegungen. Die Neurologin Andrea Kühn, Leiterin der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation an der Berliner Charité, arbeitet seit Jahren daran, das gängige Verfahren zu verbessern. Das ist auch eines der Ziele des von der DFG und der Charité geförderten Forschungsverbunds „Tiefe Hirnstimulation”, dem Kühn vorsteht. Die Forscherin widmet sich vor allem der rhythmischen Aktivität von Neuronen, gewissermaßen dem Code, in dem Nervenzellen miteinander kommunizieren. „Wir möchten in Erfahrung bringen, welche Veränderungen in der Kommunikation bei Erkrankungen wie Parkinson auftreten und wie sie durch die Stimulation beeinflusst werden.” Das Ziel: „Einen Hirnstimulator zu entwickeln, der die neuronalen Signale aus der Tiefe des Gehirns des jeweiligen Patienten auswertet und sich daran anpasst.” Herkömmliche Geräte geben Impulse an die anvisierten Hirnregionen in den Basalganglien immer mit der gleichen Frequenz ab, unabhängig davon, wie es dem Patienten gerade geht. „Die Idee ist nun, diese Aktivität der Basalganglien kontinuierlich zu messen und immer, wenn sie zu stark ist, über die tiefe Hirnstimulation herunterzuregulieren.”

Text: Christian Wolf