I / X Das Berlin der Zukunft braucht …
… eine europäisierte Wissenschaft (Günter Stock)
Wir brauchen einen Aufbruch zu einem Europa der Wissenschaften. In den vergangenen Jahren wurden bereits große Erfolge bei der Ausgestaltung des europäischen Forschungsraums erzielt. Der European Research Council etwa stärkt exzellente europäische Forschung und ermöglicht Kooperationen innerhalb der europäischen Forschergemeinde. Sehr erfolgreich ist auch das Erasmus-Programm, das für viel mehr als für wissenschaftlichen Austausch steht: Es ist ein Instrument der sozialen Integration Europas. Könnte es bessere Beispiele für wahre Europäer geben als eine Million von Jean-Claude Juncker so bezeichnete „Erasmusbabys“?
Berlin ist ein Hotspot des Erasmus-Programms. Allein 2018 schwärmten knapp 2500 Berliner Erasmusstudenten aus, noch mehr kamen aus ganz Europa nach Berlin. Das verwundert nicht. Die Stadt ist attraktiv für ausländische Studierende und Forscher gleichermaßen. Hier finden sie Gestaltungswillen, Gestaltungsfreiheit und Experimentierfreudigkeit in Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft. Berlin ist einer der größten Forschungsstandorte Europas – und hat beste Voraussetzungen, sich zur europäischen Wissenschaftshauptstadt zu entwickeln.
Auf dem Weg zu einem Europa der Wissenschaften ist Berlin schon jetzt ein wichtiger Impulsgeber. Etwa wenn es um eine echte interdisziplinäre Zusammenarbeit mit substanzieller Einbeziehung der Geistes- und Sozialwissenschaften geht. Das wissenschaftliche Berlin lebt hier einen ausgeprägten Willen zur Kooperation vor, der auch auf europäischer Ebene dringend benötigt wird. Die Exzellenzcluster und Einstein-Zentren sind ein guter Beleg hierfür. Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die vor uns liegen, sind in ihrer Vielschichtigkeit auf andere Weise gar nicht zu bewältigen.
Eine wichtige Rolle kommt Berlin auch als Tor zu Ost- und Mitteleuropa zu. Europa braucht dringend Programme, die wissenschaftliche Institutionen in den Staaten, die nach 2004 der EU beigetreten sind, so unterstützen, dass sie gleichberechtigt am Wettbewerb um europäische Forschungsförderung teilnehmen können. Berlin sollte sich als Mittler und Unterstützer gerade für osteuropäische Einrichtungen besonders engagieren – und tut dies bereits aktiv.
Zudem braucht es wissenschaftliche Neugründungen genuin europäischer Ausrichtung. Beispiele wie das CERN dokumentieren, wie erfolgreich europäische Initiativen sein können. Berlin könnte hierbei in der Infektions- und Materialforschung, in der Medizin und im Bereich der Digitalisierung eine Vorreiterrolle einnehmen. Wenn die Europäische Kommission jährlich vier Europäische Universitäten gründen will, warum dann nicht auch eine in Berlin? Hierzu passen könnte die Gründung eines Instituts zur Stärkung des Vertrauens in die Wissenschaft, eine Art europäisches Institut für Wissenschaftskommunikation und Wissenstransfer.
Unsere Aufgabe ist es mitzuhelfen, die wissenschaftlichen Institutionen in Berlin noch stärker zu europäisieren, beispielsweise durch die Einführung europäischer Curricula, durch den Ausbau von Kooperationen und die Europäisierung des Lehr- und Forschungspersonals – etwa auf der Grundlage des Fellowship-Modells der Einstein Stiftung. Als zusätzlicher Baustein und ganz im Sinne des Erasmus-Programms.