Das Projekt "Boundaries of Cosmopolis" unter der Leitung von Einstein BUA/Oxford Visiting Fellow Prof. Stefano Evangelista (Trinity College, Oxford) veranstaltete am 15. März 2024 seinen ersten Workshop am Centre for British Studies. Die Veranstaltung brachte das Projektteam mit Forscher:innen aus Berlin, Oxford sowie der Université Libre und der Vrije Universiteit Brüssel zusammen. Ziel war es, die Rolle von Zeitschriften und Zeitungen bei der internationalen Verbreitung literarischer Kultur und ihren spezifischen Beitrag zur Herausbildung der Idee der Weltliteratur zu diskutieren. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte der zunehmende internationale Verkehr von Literatur und literarischen Nachrichten in der periodischen Presse die traditionellen Methoden der Kanonisierung von Autoren sowie die traditionellen Denkweisen über Sprache und nationale Identitäten vor neue Herausforderungen. Zeitschriften und Zeitungen sind daher besonders wichtige historische Quellen für die Untersuchung der Beziehung zwischen Literatur und den Ideen von "Weltbürgertum" und "Weltstadt", die das Projekt "Boundaries of Cosmopolis" zu erforschen versucht.
Der Workshop begann mit einer Seminardiskussion über kritische Texte aus den Bereichen Weltliteratur, Zeitschriftenforschung und Übersetzungssoziologie. Anschließend wurden konkrete Fallstudien zu den in Berlin erscheinenden Zeitschriften Der Querschnitt und Die literarische Welt vorgestellt. Im Laufe des Tages ergab sich ein differenziertes Bild: Auch wenn Zeitschriften nach außen hin international ausgerichtete Lesepraktiken fördern, etwa durch die Förderung von Übersetzungen, so betreiben sie gleichzeitig Praktiken der Domestizierung, die ausländische Autoren im nationalen literarischen Feld verankern. Dies verkompliziert unser Verständnis von Zeitschriften und Zeitungen als Vehikel der freien Zirkulation. Es veranlasst uns auch dazu, den oft unsichtbaren, aber entscheidenden Interventionen von Vermittlern wie Übersetzer:innen und Redakteur:innen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Diskussion konzentrierte sich auch auf die Notwendigkeit, die "weltbildende" Kraft der periodischen Presse - d. h. ihre Fähigkeit, die Art und Weise, wie wir uns die Welt durch Literatur vorstellen, zu gestalten - in enger Beziehung zu den sozialen Räumen zu verstehen, in denen periodische Literatur verbreitet und konsumiert wird. Indem wir die verkörperte, tatsächliche Erfahrung der Leser von Zeitschriften in den Vordergrund stellen, können wir uns ein differenzierteres Bild davon machen, wie die globalen Dimensionen der Literatur in unterschiedlichen Kontexten dargestellt und rezipiert werden.
Der Workshop stützte sich auf eine Reihe von kritischen Ansätzen aus der vergleichenden Literaturwissenschaft, der Zeitschriftenforschung und der Übersetzungswissenschaft und führte zu einer lebhaften Debatte über die Durchführbarkeit und Wirksamkeit verschiedener Forschungsmethoden. Insbesondere diskutierten die Teilnehmer verschiedene Möglichkeiten, quantitative Ansätze für Zeitschriften, die durch digitale Tools zur Erfassung großer Datenmengen ermöglicht werden, mit qualitativen, auf dem Inhalt basierenden Analysen zu kombinieren.
Das Projektteam von "Boundaries of Cosmopolis" blickt auf einen erfolgreichen ersten Workshop zurück, der sich mit den Herausforderungen befasste, die periodischen Veröffentlichungen als Materialquellen für die kritische Untersuchung der Weltliteratur darzustellen. Der Tag gab neue Impulse für interdisziplinäre Gespräche über die internationale Zirkulation von Literatur um die Jahrhundertwende. Für März 2025 ist eine zweite Veranstaltung geplant, die sich mit den Überschneidungen zwischen Weltliteratur, Migration und urbanen Räumen befasst. Sie wird den Dialog zwischen Forscher:innen aus Berlin und Oxford fortsetzen und auch Teilnehmer:innen aus den USA einbeziehen.
Der Rückblick wurde verfasst von Stefano Evangelista und Evi Heinz