Mit Sicherheit unsicher

Finanzmärkte spielen eine zentrale Rolle im heutigen Wirtschaftsgeschehen. Die Mathematiker Peter Imkeller (Humboldt-Universität zu Berlin) und Peter Bank (Technische Universität Berlin) beschäftigen sich in dem Einstein-Forschungsvorhaben „Game options and markets with frictions“ mit Risiken auf dem Finanzmarkt und Möglichkeiten der Absicherung.

Herr Bank, was interessiert Sie als Mathematiker an den Finanzmärkten?

Bank: Auf den Finanzmärkten ist der Zufall unvermeidbar, geradezu gewollt. Ist es doch ihre Aufgabe, Risiken an diejenigen zu vermitteln, die diese tragen können und wollen, beispielsweise über den Handel mit Aktien von Unternehmen. Als Mathematiker kann ich dabei helfen, dass die Akteure beim Umgang mit diesen Risiken weniger Fehler machen. Das finde ich eine spannende Aufgabe. Gute Mathematik entsteht oft aus praktischen Anforderungen.

Wie kamen Sie zur Finanzmathematik, Herr Imkeller?

Imkeller: Als jemand, der auf dem Land aufgewachsen ist, habe ich von Kind auf eine stärkere Intuition für Wolken, Wetter und Klima als für ökonomische Dinge. Aber dann bin ich in meiner Berliner Zeit auf Finanzmarktprobleme aufmerksam geworden. Die fand ich als mathematische Herausforderungen spannend.

Wie kam es zu Ihrem gemeinsamen Einstein-Forschungsprojekt „Game options and markets with frictions“ und worum geht es?

Imkeller: Der Impuls dafür kam ursprünglich von Yuri Kifer, einem befreundeten israelischen Mathematiker von der Hebrew University, auf den das Konzept der „israelischen Optionen“ zurückgeht. Dabei handelt es sich um einen Finanzmarkt mit zwei Händlern, dem Käufer und dem Verkäufer. Der Vertrag, den sie schließen, berechtigt etwa den Käufer, seine Option auf den Kauf einer bestimmten Menge von Aktien zu einem vorher fest vereinbarten Preis zu einem von ihm gewählten Zeitpunkt auszuüben. Der Verkäufer kann gegen Zahlung einer Strafe zu einem von ihm gewählten Zeitpunkt den Vertrag auflösen. Man fragt sich dann beispielsweise: Gibt es ein Nashsches Gleichgewicht, also eine optimale Auswahl der beiden Ausübungszeitpunkte, bei der keiner der beiden Händler durch Abänderung des von ihm gewählten Zeitpunkts seinen Gewinn noch erhöhen kann?

Bank: Es geht in unserem Projekt „Game options and markets with frictions“ vor allem um zwei Aspekte: Wir wollen verstehen, wie Marktteilnehmer, die über unterschiedliche Informationen verfügen, miteinander handeln. Außerdem interessieren wir uns für Finanzmarktmodelle, bei denen Finanztransaktionen auch immer mit Kosten verbunden sind, also Reibungsverluste auftreten. Wie verhält sich beispielsweise ein Marktteilnehmer, wenn er den Marktpreis mit seinem Handeln aus seiner Sicht negativ beeinflusst, also beim Kauf höhere Preise zahlen muss, während beim Verkauf nur niedrigere Preise zu erzielen sind? Typischerweise ist dies der Fall, wenn es sich um einen kleinen Markt und einen großen Investor handelt. Mathematisch führt das zu Nichtlinearitäten. Das ist ein Augenblick, wo es schwierig, aber eben auch sehr interessant wird.

Mit Ihren Forschungen knüpfen Sie auch an das Black-Scholes-Modell an. Dafür gab es 1997 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Bank: Zu recht. Auf Finanzmärkten wollen Leute ja grundsätzlich Risiken verkaufen oder sich dagegen absichern. Fischer Black und Myron Scholes haben für häufig und generisch auftretende Situationen eine neue Theorie des Finanzrisikomanagements entwickelt. Sie erlaubt Finanzmarktteilnehmern eine Absicherung eines Risikos durch eine geschickte Wahl einer Reihe ganz anderer Geschäfte.   

Myron Scholes war aber auch im Direktorium des Hedgefonds Long-Term Capital Management, der 1998 wegen massiver Fehlspekulationen zusammenbrach und eine Krise an den Finanzmärkten verursachte. Hatte er sich verrechnet?

Bank: Auslöser war eine schwere Schuldenkrise in Russland. Deren Folgewirkungen hatte der Hedgefonds nicht vorhergesehen. Das hatte aber wohl weniger etwas mit der eigentlichen mathematischen Theorie als vielmehr mit der Strategie des Hedgefonds zu tun.  

Auf dem Finanzmarkt spielen Computer eine immer größere Rolle, oft handeln sie untereinander. Die Programme basieren auf finanzmathematischen Modellen. Verstehen Banker Ihrer Meinung nach die Risiken dieser Programme?

Imkeller: Ach, wissen Sie, ich bin der einzige in der Familie, der beruflich nichts mit Banken zu tun hat. Mein Vater war Banker. Zwei meiner Brüder sind Banker, einer in New York bei der Filiale einer deutschen Bank. Er ist Praktiker und hat mit der Mathematik wenig Berührung. Wir sind uns sehr nah, machen im Sommer oft mehrwöchige Radtouren und sprechen auch über Berufliches. Trotzdem habe ich es in 25 Jahren nicht geschafft, ihm klarzumachen, wo der Geltungsbereich eines mathematischen Modells endet. Wann also in welchen Szenarien die Anwendung sinnlos wird. Und dabei geht es noch nicht einmal um Computerprogramme. 

 

Wo verläuft die Grenze?

Imkeller: Alle mathematischen Modelle gelten in den Grenzen ihrer charakteristischen Annahmen, die von Fall zu Fall variieren. Das ist eine besondere Schwierigkeit: „die“ Grenze gibt es gar nicht. Viele Modelle gehen beispielsweise davon aus, dass alle Händler unabhängig voneinander handeln. Kommt es in der Praxis aber zu Herdenverhalten unter den Händlern, fahren diese Modelle vor die Wand.

 

Trifft Mathematiker eine Mitschuld an der Finanzkrise? 

Bank: Ich spreche lieber von einem Missbrauch von Mathematik, der da betrieben worden ist. Man kann bei Michael Lewis in seinem Buch „The Big Short“ lesen, wie wenig diese Vorgänge mit Mathematik zu tun hatten. Schließlich ging es anfangs ja darum, wie es dazu kommen konnte, dass Millionen Amerikaner mit schlechter Bonität großzügige Kredite zum Kauf von Immobilien gewährt wurden. Trotzdem haben wir unter Wissenschaftlern heiß über die Folgen der Finanzkrise für uns diskutiert.

Mit welchem Ergebnis?

Bank: Manche Kollegen sagen, wir dürfen keine Mathematik für die Finanzmärkte mehr machen, weil die Ergebnisse missbraucht werden könnten. Andere, wie ich, sagen, wir müssen es halt besser machen. Wenn eine Brücke einstürzt, ist das schlimm. Man kann aber deswegen doch nicht auf den Bau von Brücken verzichten, sondern muss sie eben besser konstruieren.

Gab es Mathematiker, die vor der Krise vor den Gefahren von den üblichen Modellen gewarnt haben?
 
Bank: Ja. Nehmen Sie Paul Embrechts, einen Kollegen aus Zürich. Der warnte sechs, sieben Jahre bevor die Blasen platzten. Und er war damals bereits ein sehr anerkannter Forscher. Allerdings ist es selbst für einen auch praktisch so ausgewiesenen Experten wie Embrechts schwer, sich mit Warnungen durchzusetzen, wenn zugleich scheinbar üppige Gewinne erzielt werden.

Haben Sie aus der Finanzkrise etwas gelernt?

Bank: Die Quintessenz ist sicher: Viele haben sich zu sehr auf einfache mathematische Modelle verlassen und häufig nur auf ein einziges. Das war naiv und fahrlässig. Hätte man mehrere Modelle gleichzeitig genutzt, hätte man deren jeweiligen Schwächen besser ausgleichen und bestimmte Risiken erkennen können. Aber eines ist auch klar: Die Mathematik hat die Krise nicht verursacht, sie wird sie aber auch nicht alleine lösen.   

Stellen Banken seit der Krise mehr Mathematiker ein?

Bank: Viele unserer Absolventen gehen nach wie vor dorthin. Das ist ein gutes Zeichen. Wenn in der Finanzindustrie mehr Leute mit einer profunden und kritischen Ausbildung in Mathematik sitzen, sollte es helfen, die nächste Krise etwas unwahrscheinlicher zu machen.

Ein Restrisiko an den Finanzmärkten bleibt?

Bank: Sicher, aber das ist ja auch in Ordnung. Die Aufgabe der Banken in der Wirtschaft ist es ja, Risiken einzugehen. Sie sollten halt nur verstehen, was sie eigentlich an Risiken in ihrer Bilanz halten und wie zuverlässig sie diese absichern.

Träumen sie manchmal davon, ein tolles Modell zu entwickeln, um mit einer Anlagegesellschaft viel Geld zu verdienen?

Bank: Nein. Die Mathematik hilft einem ja auch nicht, Anlagestrategien zu entwickeln, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass man sagen könnte: Das ist genau die richtige Anlage. Natürlich hoffe ich, dass Leute unser Wissen anwenden und sehen, ist doch schick, funktioniert.

Setzen Sie bei Ihrer persönlichen Geldanlage auf mathematische Modelle?


Bank: Dafür habe ich gar kein Geld. Bei mir ist es einfach: Ich habe ein Haus gekauft und muss jetzt den Kredit abbezahlen.

Imkeller: Auch ich habe ein Haus in Berlin und eine Wohnung in München. Das reicht mir.
 
Bank: Meinen Studenten sage ich aber immer, Sie sollen privat unbedingt die Finger von komplexen Finanzprodukten lassen.

Könnten Mathematiker dabei helfen, die Finanzmärkte fairer zu machen?

Imkeller: Mit Sicherheit. Man kann beispielsweise in mathematischen Modellen die Gefahren des Hochgeschwindigkeitshandels, seiner Möglichkeiten risikofreier Gewinne, klar herausarbeiten. Man kann Marktmodelle entwerfen, in denen der ökonomische Sachverstand der Händler und nicht die Schnelligkeit der Kauforders über den Erfolg entscheidet. Damit könnte man mehr Fairness auf Finanzmärkten schaffen.

Interview: Caspar Dohmen