Club der Visionäre

Berliner Chemie-Start-ups entwickeln schon jetzt mit viel Katalyse-Know-how und chemischer Raffinesse nachhaltige Verfahren für die Industrie. Sie helfen, Umweltgifte abzubauen, die Lebensdauer von Bauteilen zu erhöhen oder Medikamente schonender zu produzieren

Saubere Böden

Wenn in der omanischen Wüste eine Pipeline platzt oder aus dem Tank eines Güterzuges Diesel ins Gleisbett fließt, sind sie zur Stelle: Seit 2017 baut das international arbeitende Team des Berliner Start-ups Arva Greentech Umweltgifte ab und saniert kontaminierte Böden. In einem ausgeklügelten Reinigungsprozess wandelt das Unternehmen organische Verbindungen wie Mineralöle, Treibstoffe, Rückstände des Pflanzenschutzmittels Glyphosat und andere Umweltgifte in unbedenkliche Stoffe um. Das Verfahren beruht auf Superoxidation mithilfe eines speziellen Katalysators – also einem Prozess, bei dem Sauerstoffradikale Kohlenwasserstoffe angreifen und zersetzen. 

 

„Unsere Reinigungsmittel haben wir in mehrjähriger Arbeit entwickelt und patentieren lassen. Besonders stolz macht uns, dass der von uns verwendete Katalysator ebenso umweltneutral ist wie die Abbauprodukte“, sagt der promovierte Katalysechemiker William Menezes, der bei Arva Projektmanager für Reinigungstechnologien ist. „Wenn Böden, Gleisanlagen oder Oberflächen mit unseren Mitteln behandelt werden, bleiben fast nur Wasser, Sauerstoff, das Salz Natriumcarbonat und der für Ökosysteme ungiftige Katalysator zurück.“ Darüber hinaus verzichtet Arva Greentech auf organische Lösungsmittel und schädliche Inhaltsstoffe wie Chlor und Silikon. Auf den Markt gebracht hat Arva bislang drei katalytisch wirksame Reinigungsmittel, mit denen sich unter anderem Stein- und Holzoberflächen sowie Fliesen und Fugen per Superoxidation schnell und porentief säubern lassen. Das patentierte Verfahren des Unternehmens ist bereits in Israel, Österreich und im Oman zum Einsatz gekommen. „Im Oman reinigen wir gemeinsam mit der staatlichen Ölindustrie große Mengen an kontaminiertem Sand“, erläutert Menezes. 

 

Arva Greentech / Gründungsjahr 2017 / Mitarbeiterzahl 12


Robuste Paste

Sie fügen zusammen, was zusammengehört: Nano-Join heißt das 2015 gegründete Start-up von Battist Rábay und Adrian Stelzer, die beide im Bereich Katalysechemie promoviert haben. In ihrem Start-up wenden sie sich anderen Themen zu; sie haben sich auf die Entwicklung silberbasierter Sinterpasten spezialisiert – also darauf, verschiedene Stoffe mithilfe eines Verbindungsmaterials miteinander zu verschmelzen: „Die Atome der zu versinternden Bauteile liegen wie Bälle in einem Bällebad nebeneinander. Beim Sintern führt man Wärme zu, sodass die Bälle an der Grenzfläche schmelzen und die Hohlräume zwischen ihnen verschwinden“, erklärt Adrian Stelzer. So werden etwa die verschiedenen Elemente einer Laserdiode oder Stromrichter in Elektroautos und Windkraftanlagen mithilfe der Nano- Join-Pasten fest miteinander verbunden. Das Besondere: Die Sinterpasten des Berliner Unternehmens haben einen hohen Silberanteil und können daher besonders gut Wärme ableiten. Entscheidend ist das, wo empfindliche Hochleistungselemente auf kleinstem Raum verbaut werden und daher drohen zu überhitzen – in Elektroautos etwa oder in Lasern. „Gerade in Lasern entsteht sehr viel Wärme, die von der Laserdiode weggeleitet werden muss. Wenn das nicht passiert, verliert das Gerät an Leistung und geht schließlich kaputt.“ Dem wirken die besonderen Eigenschaften der Nano-Join-Pasten entgegen und erhöhen so Effizienz und Lebensdauer der mit ihnen versinterten Bauteile. Und das für die Herstellung der Paste benötigte Silber wird nachhaltig gewonnen: „Aus zu verschrottenden Modulen lässt sich Silber sehr leicht herausholen und recyceln.“ 

 

Nano-Join / Gründungsjahr 2015 / Mitarbeiter 2


Gedruckte Organe

Ob Krebs- und Diabetesforschung oder Impfstoffentwicklung – für Pharmafirmen und biomedizinische Forschungsgruppen sind Tierversuche bislang unverzichtbar. Dass es Alternativen gibt, stellt Cellbricks unter Beweis: Das 2015 gegründete Unternehmen entwickelt Biodrucker und Biotinten, mit deren Hilfe sich Organstrukturen nach Bedarf ausdrucken lassen. „Wir haben ein Verfahren entwickelt, mit dem wir lebendige Zellen direkt in Organform drucken können. Alternativ drucken wir Gerüste aus Biopolymeren, in die Zellen hineingesät werden können“, sagt Gründer Lutz Kloke. In beiden Modellen verhalten sich die Zellen wie in einem lebendigen Organismus und können daher für Testverfahren und zur Entwicklung von Arzneimitteln herangezogen werden. „Im Gegensatz zu Zellkulturen in Petrischalen behalten die Zellen in unseren 3D-Strukturen ihre natürliche Form und können daher gut miteinander interagieren. So lassen sich Prozesse im Körper lebensnah nachstellen“, erläutert die Biotechnologin und Cellbricks-Mitarbeiterin Melissa Freitag. „Der Druck geht sehr schnell, ist kostengünstig – und erspart eine Menge Tierleid.“ Bislang hat die Firma unter anderem funktionale Modelle der Leber und der Plazenta gedruckt. Ein weiterer Vorteil: Mithilfe von Biokatalysatoren können Forschende die Zellen aus den Bricks herauslösen und analysieren. Anders als bei der Extraktion mit rein chemischen Lösungsmitteln handelt es sich um einen schonenden Prozess, den die Zellen lebendig überstehen. Somit lassen sich im Anschluss die Reaktion der Zellen auf Impfstoffe oder andere Substanzen sowie die Regulierung bestimmter Enzyme untersuchen. Die Bricks helfen dabei, entscheidende Mechanismen und Reaktionswege in Zellen zu erforschen und für medizinische Anwendungen nutzbar zu machen. 

 

Cellbricks / Gründungsjahr 2015 / Mitarbeiterzahl 15


Dufte Methode

DexLeChem zählt zu den Pionieren unter den Berliner Katalyse-Start-ups: Bereits 2013 gegründet, entwickelt das Unternehmen maßgeschneiderte Synthesewege für Medikamente und Duftstoffe. Das Leitbild der interdisziplinär besetzten Hightech-GmbH: Sie orientiert sich an den Prinzipien der Grünen Chemie und macht Produktionsprozesse in der Pharmabranche nachhaltiger. „Bei der herkömmlichen Produktion komplexer Arzneimittel wie dem Schmerzmittel Pregabalin kommen edelmetallbasierte Katalysatoren zum Einsatz, die bis zu 400.000 Euro pro Kilogramm kosten,“ erläutert Gründerin Sonja Jost. „Die Katalysatoren werden am Ende der Produktion zerstört und können nicht wiederverwendet werden, zudem werden große Mengen umweltschädlicher Lösungsmittel benutzt.“ 

 

Davon, dass es einen besseren Weg geben müsse, war die Ingenieurin überzeugt – und entwickelte am Exzellenzcluster UniCat in jahrelanger Forschungsarbeit eine umweltschonende Alternative und gründete dann DexLeChem. Ihre patentierte Methode setzt auf Wasser statt auf erdölbasierte organische Lösungsmittel und sorgt dafür, dass die teuren Katalysatoren ihre Funktionalität behalten und somit mehrfach verwendet werden können. Der Clou: Josts Verfahren spart nicht nur fossile Rohstoffe ein und schont damit die Umwelt, es verringert zudem die Produktionskosten von Arzneimitteln um bis zu 30 Prozent. Ein Angebot, das die Pharmabranche nicht ausschlagen konnte. „Mittlerweile gibt es wahrscheinlich kein Unternehmen in Europa, das so viele Produktionsstätten und Entwicklungsabteilungen gesehen hat wie wir“, sagt Sonja Jost und lacht. Ende 2019 sind sie und ihre Mitstreiter*innen den nächsten Schritt gegangen und haben die Tochterfirma DuDeChem gegründet, ebenfalls in Berlin: Vom Know-how-Zulieferer für Pharmakonzerne wollen sie zum Produzenten avancieren und mithilfe ihrer eigenen Verfahren nachhaltig Feinchemikalien herstellen. 

 

DexLeChem / Gründungsjahr 2013 / Mitarbeiterzahl 12 dexlechem.com 


Text: Nora Lessing

Stand: Dezember 2020