Editorial

Was könnte es Inspirierenderes geben als ein Heft über Ermöglichung und Beschleunigung? Denn genau das leistet Katalyse. Sie ermöglicht chemische Reaktionen und lässt sie schneller vonstattengehen. Darauf haben wir bedeutende Teile unseres Fortschritts aufgebaut. Die „große Beschleunigung” des Anthropozän, in vielen Fällen beruht sie auf chemischen, von Katalysatoren vermittelten Prozessen, wie der Wissenschaftshistoriker Benjamin Steininger in seinem Essay eindrucksvoll aufzeigt. Wo Katalyse mittlerweile überall mitmischt und wie sie unseren Alltag bis ins Kleinste durchdringt („Inventar der Dinge”), dürfte die meisten Menschen überraschen.

Doch wenn die Grenzen des Fortschritts zunehmend spürbar werden, mitunter gar schmerzlich, dann braucht es eine neue Generation chemischer Reaktionen. Umweltschutz kann es ohne Katalyse nicht geben. In einer beschleunigten Welt muss sie die Reaktionen vermitteln, die einen Fortschritt innerhalb der planetaren Grenzen ermöglichen. Hierfür braucht es eine Forschung, die sich der Beschleunigung auch mal entzieht, sich die Muße nimmt, innezuhalten und sich den existenziellen Fragen zu widmen.

In Berlin ist im letzten Jahrzehnt – und auch schon davor – eine Katalyseforschung entstanden, die sich diesen Herausforderungen der Zukunft stellt. Die Stadt hat sich zu einem weltweit beachteten Exzellenzzentrum grüner Chemie entwickelt. Engagierte Forscher*innen bringen hier die chemischen Grundlagen der Energiewende voran, die ohne Katalyse gar nicht denkbar wäre, wie es der Chemiker und Max-Planck-Direktor Robert Schlögl im Interview („Reaktionspotenzial”) mit der Physikerin Maria Andrea Mroginski formuliert. Beide suchen nach neuen Katalysatoren für eine nachhaltigere Energieversorgung. Mroginski geht dafür der Kraft natürlicher Biokatalysatoren nach und entwickelt virtuelle Modelle nach ihrem Vorbild. Doch die Natur, sagt sie, sei an Präzision bislang nicht zu übertreffen.

Wie Mroginski machen sich viele Katalyseforscher*innen die Strategien der Natur zunutze, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Einstein Visiting Fellow Anne-Frances Miller („Planetare Enzyme”) etwa analysiert Enzyme in Mikroben, um effiziente Katalysatoren zu entwerfen, die helfen sollen, verschmutztes Wasser zu reinigen oder Sonnenenergie zu speichern. Andere, wie Roderich Süßmuth und Christian Hackenberger („Glückspilz”), durchforsten Giftpilze und Pflanzenschädlinge, um wirksame molekulare Verbindungen für neue Medikamente zu identifizieren.

„Die Chemie wird eine wichtige Rolle dabei spielen, die Probleme zu lösen, die sie zum Teil selbst verursacht hat” – so formuliert es der Berliner Nobelpreisträger Gerhard Ertl, den wir für ein Interview („Geduld, Geld, Glück”) gewinnen konnten. In Berlin soll ein neues Start-up-Zentrum („Prinzip Kreislauf”) chemische Erfindungen für die nachhaltige Kreislaufwirtschaft zur Marktreife bringen und das von der Einstein Stiftung Berlin geförderte Einstein-Zentrum für Katalyse („Initialzündung”, „Kraftklub”) holt Nachwuchswissenschaftler*innen aus der ganzen Welt in die Stadt, aus der Physik, der Chemie und der Biologie, und katalysiert damit quasi Internationalität und Interdisziplinarität für die Berliner Katalyseforschung.

Wenn Wissenschaft Fortschritt ermöglicht, dann braucht es Kommunikation („Engagieren!”), um sie mit der Gesellschaft enger zu verzahnen, die Menschen mitzunehmen und Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Hoffen wir in diesem Sinne, dass auch das Albert-Journal als Katalysator wirken kann.

Hoffen wir aber auch, dass wir die richtigen Lehren aus der Zeit der Entschleunigung während der Pandemie ziehen können. Ich wünsche Ihnen viel Ruhe und Vergnügen bei der Lektüre!

 

Text: Günter Stock, Vorstandsvorsitzender der Einstein Stiftung Berlin

Stand: Dezember 2020