Stärken!

Wer unabhängige Medien schützt und fördert, garantiert eine offene Gesellschaft. Es braucht eine neue Wertschätzung für den Qualitätsjournalismus

Man stelle sich vor, man müsste an einem fremden Ort von A nach B finden und hätte weder Navi noch Landkarte dabei. Vielleicht orientiert man sich am Sonnenstand, an der Erinnerung oder an ein paar Wegmarken, man folgt dem Strom oder fragt sich durch. Aber das frisst Zeit und nur zu leicht kann man sich verirren. Ähnlich anspruchsvoll wäre es, müsste man durch sein Leben ohne unabhängig geprüfte Informationen navigieren. Man müsste selbst recherchieren, was wichtig ist, und fiele doch oft auf jene herein, die ihre eigene Agenda verfolgen. Als Bürger*in wäre man orientierungslos. 

Die Demokratie ist ohne Fakten undenkbar, und unabhängige Medien sind deren Lieferanten. Sie dienen als Navi der Demokratie. Und je vielfältiger die Medienlandschaft ist, desto mehr Orientierungspunkte gibt es. 

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, was den Menschen dieses Navi bedeutet. Auf der Suche nach verlässlichen Informationen wandten sich etliche wieder etablierten Medien zu, von denen sie sich mehr Aufklärung erhofften als von Politiker*innen, Freund*innen oder vermeintlichen Expert*innen in den sozialen Netzwerken. Das Vertrauen in den Journalismus stieg vielerorts deutlich. Das zeigen Studien wie der Digital News Report des Reuters Institute an der Universität Oxford, die weltweit größte fortlaufende Studie zum Medienkonsum, oder auch die Langzeitstudie Medienvertrauen der Universität Mainz.

Journalist*innen könnte das freuen. Schließlich riskieren viele von ihnen einiges, um zeitnah und akkurat zu informieren – im Extremfall ihr Leben. Doch auch wenn der Journalismus vielen Menschen lieb ist, den meisten ist er nicht teuer. In Deutschland zahlt nicht einmal jeder Zehnte für digitalen Journalismus. Während Google und Facebook das Gros der Anzeigenerlöse einfahren, ringen unabhängige Medien weltweit um ihre Existenz. Nachrichtenwüsten nennt man in den USA jene Landstriche, in denen es keinen Lokaljournalismus mehr gibt. Es sind Orte, an denen weniger Menschen zur Wahl gehen oder für politische Ämter kandidieren und wo Gemeindefinanzen lässiger gehandhabt werden – es schaut ja niemand hin. Wo unabhängiger Journalismus fehlt, da leidet die Demokratie. 

Vielen Politiker*innen ist das recht. Sie wenden sich lieber direkt an „das Volk“, ohne sich von unbequemen Rechercheur*innen be- und hinterfragen zu lassen. Debatten sind ihnen zu anstrengend, Widerspruch erst recht. In 130 Ländern haben Regierende die Pressefreiheit während der Pandemie eingeschränkt, berichtet Reporter ohne Grenzen. Die „Fake-News-Medien“-Rhetorik mancher Staatenlenker*in verfängt allerdings nur bei wenigen Menschen. Im Digital News Report 2020 gaben 40 Prozent der Befragten zu Protokoll, sie hielten Politiker*innen für die Hauptverbreitenden von „Fake News“. 

Wie nun lässt sich das Navi neu programmieren, damit starker Journalismus eine Zukunft hat? Zunächst einmal müssen Regierungen die Pressefreiheit in Wort und Tat sichern. Programme zur Innovationsförderung und Medienbildung gehören dazu; wer Medienvertreter*innen angreift, muss konsequent verfolgt werden. Je mehr Journalist*innen unbehelligt arbeiten können, umso besser können sich Bürger*innen und deren Repräsentant*innen eine Meinung bilden. Außerdem braucht starker Journalismus eine finanzielle Basis. Wer die Demokratie stützen will, sollte darin investieren. Das gilt für Stiftungen und Mäzene oder die mächtigen Plattformkonzerne, die von Qualitätsinformation profitieren und ein Interesse an freier, friedlicher Kommunikation haben müssten, ebenso wie für Konsument*innen. Die können Abos abschließen oder andere Angebote „ihrer“ Medienmarken nutzen. Aber auch die Medien selbst haben Hausaufgaben. Sie sollten die Bedürfnisse ihrer Nutzer*innen erforschen und sich auch denen nähern, die Nachrichten meiden. Journalismus muss Menschen miteinander ins Gespräch bringen. Das von ZEIT Online entwickelte und zum Exportschlager avancierte Format „Deutschland spricht“, das Menschen mit gegensätzlichen politischen Positionen ins Gespräch miteinander bringt, ist ein exzellentes Beispiel dafür. Wäre die Demokratie eine Stadt, sollte Journalismus auch dafür sorgen, dass sich ihre Bewohner*innen in ihr begegnen. 

Alexandra Borchardt ist Journalistin, Beraterin und leitet das Journalism Innovators Program an der Hamburg Media School. 2020 erschien ihr Buch „Mehr Wahrheit wagen. Warum die Demokratie einen starken Journalismus braucht“ im Dudenverlag.

Text: Alexandra Borchardt

Stand: Dezember 2021