Einstein-Fragebogen

Valentina Forini

 

Bitte schließen Sie kurz Ihre Augen und denken Sie an Ihr Forschungsprojekt. Was sehen Sie als Erstes?

Ich sehe Notizblöcke oder elektronische Notepads voller teils komplizierter Formeln; ich höre leidenschaftliche Diskussionen über Skype und stille Momente vor einer Kreidetafel. Schließlich wird eine einfache Beschreibung erkennbar, einige wenige elegante Gleichungen oder ein übersichtliches Schaubild eines bestimmten mathematischen Modells, das möglicherweise helfen kann, ein physikalisches Phänomen zu veranschaulichen.


Wie erklären Sie Ihr Forschungsprojekt einem Kind?

Ich würde ihr/ihm erklären, dass ich versuche zu verstehen, wie die Welt um uns herum funktioniert, indem ich auf einem Blatt Papier Berechnungen mit Summen und Multiplikationen und etwas komplizierteren mathematischen Operationen festhalte. Außerdem würde ich ihm erklären, dass wir heute sagen können, warum und wie ein Apfel vom Baum fällt oder die Erde um die Sonne kreist, wir aber gleichzeitig nicht wissen, wie groß das Universum mit der Erde, Sonne und den Sternen ist, oder welche Größe das kleinste existierende Ding hat. Wenn wir dies mithilfe schriftlicher Formeln verständlich machen können, können wir ausgehend von diesen Formeln Maschinen bauen, die möglicherweise unser Leben verbessern – Maschinen, um die mikroskopisch kleinen Details einer Krankheit zu verstehen oder Maschinen, um zu fremden Orten im Universum zu reisen, an denen wir möglicherweise mehr Nahrung und einen besseren Lebensraum finden.

Für diese Arbeit muss ich das lesen, was andere vor mir verfasst haben, aber auch neue Wege finden, um die vorhandene Mathematik anzuwenden, oder gar neue mathematische Wege einschlagen.


Was überrascht Menschen am meisten, wenn Sie von Ihrer Forschung erzählen?

Die theoretische Physik wird in der Öffentlichkeit als ein faszinierendes, aber technisch schwieriges Fachgebiet angesehen. Insofern kann schon die Tatsache, eine Person zu treffen, die sich täglich damit beschäftigt, überraschend sein. Aber am unerwartetsten ist wahrscheinlich, dass sich gerade eine Frau mit diesem Forschungsgebiet befasst, das weiterhin von Männern dominiert wird. Tatsächlich wird meine Arbeit weiterhin häufig als ein außerordentlich unfemininer Beruf – „A Singularly Unfeminine Profession“, um die theoretische Physikerin Mary Gaillard und ihre gleichnamige Autobiografie zu zitieren – angesehen.


Mit wem würden Sie gerne für einen Tag Ihren Arbeitsplatz tauschen und was würden Sie dann tun?

Für echte Abwechslung: mit einem Parlamentarier. Idealerweise, aber auch ein bisschen idealistisch, an dem Tag, an dem ich einen (mit einem großen Team im entsprechenden Ausschuss erarbeiteten) Gesetzesentwurf vorlegen würde, der, sofern er Gesetz wird, dazu betragen könnte, die Arbeitsbedingungen für einige noch stärker schutzbedürftige Bürger oder Zugewanderte zu verbessern.


Haben Sie irgendwelche ungewöhnlichen Hobbys oder Talente, die Sie uns verraten möchten?

Seit etwa zehn Jahren dirigiere ich in meiner Freizeit Laienchöre.


Was haben Sie erst durch Ihre Forschung über das Leben gelernt?

Viele Dinge, die jedoch nicht direkt mit meinem Forschungsgebiet zusammenhängen. Als Erstes fällt mir dazu ein, dass neue Ideen sowohl offen als auch mit guten Kenntnissen des aktuellen Wissensstands angegangen werden sollten; und zu den Methoden, dass Geduld und eine gute Planung selbst bei kreativen Zielvorgaben äußerst hilfreich sind.


Was wären Sie heute, wenn Sie nicht Wissenschaftler geworden wären?

Wahrscheinlich würde ich etwas im Bereich Journalismus machen.


Gibt es einen außergewöhnlichen Gegenstand, der Sie in Ihrem Arbeitsleben oder im Alltag begleitet?

Nichts Nennenswertes.


In welchem Berliner Bezirk, an welchem Ort, fühlen Sie sich besonders wohl und warum?

Das ist eine schwierige Frage, da es viele besondere Orte gibt. Einige sind besonders, weil sie die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts heraufbeschwören – das Gebiet direkt um das Brandenburger Tor und den davor liegenden Abschnitt der Straße des 17. Juni, aber auch der schöne, gentrifizierte Prenzlauer Berg mit seiner Rolle vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Andere Orte wiederum wegen ihrer Schönheit und Funktion, wie etwa die Staatsbibliothek zu Berlin am Potsdamer Platz und die naheliegende Philharmonie sowie der Berliner Hauptbahnhof und die große Freifläche vom Bahnhof bis zum Reichstag.


Womit hätten Sie in Berlin gar nicht gerechnet und was vermissen Sie? Was macht Berlin einzigartig für Ihre Forschung?

Ich habe vermutlich nicht damit gerechnet, dass hier so viele Italiener leben, einige davon ebenfalls Wissenschaftler, sodass ich meine Heimat nicht allzu sehr vermisse. In verschiedenen akademischen Forschungszweigen ist Berlin Spitzenklasse, und die Stadt spielte auch in der theoretischen Physik eine besondere Rolle: zum Beispiel Max Planck, Lise Meitner und Albert Einstein haben hier gearbeitet. In diesem Feld hat Berlin auch heute noch eine führende Position inne, insbesondere die Humboldt-Universität und das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam sind anerkannte Einrichtungen, an denen im Bereich der Stringtheorie geforscht wird.

 

August 2019