Wie können Halogene zu einer nachhaltigeren Chemie beitragen?

Intro: Die Halogene haben mich schon immer fasziniert, weil sie zu den reaktivsten Elementen im Periodensystem gehören. Besonders das Flur reagiert mit fast allem und ist entsprechend auch schwierig zu zähmen. Und das ist so 'ne Herausforderung und eröffnet auch Möglichkeiten, tolle Chemie zu machen. AskDifferent, der Podcast der Einstein Stiftung. Warum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anders fragen.
Anton Stanislawski: Heute mit Anton Stanislawski. Schön, dass Sie dabei sind. Wir schauen heute auf eine Landkarte, die ich, um ehrlich zu sein, schon ziemlich lang nicht mehr in der Hand hatte. Sie ist übersät mit bunten Vierecken, alle fein säuberlich nummeriert und beschriftet. Es geht das Periodensystem der Elemente. Darin sammeln und ordnen wir alle bekannten chemischen Grundstoffe, also alle Stoffe, aus denen wir und unsere Umwelt bestehen. Ganz oben links Nummer eins, Wasserstoff, dann ist da auch Magnesium und Titan und Quecksilber und Xenon und und und. Und eingeteilt sind sie in Gruppen: in Halbmetalle, Metalle, Edelgase und oben rechts eine kleine Gruppe, die wir uns heute genauer anschauen, denn sie sind die wissenschaftliche Heimat unseres heutigen Gastes, die Gruppe der Halogene. Stoffe, die uns in Hightech begegnen und im Schwimmbad, die fest integriert sind in unseren Alltag und gleichzeitig keinen besonders guten Ruf haben. Sie gelten als aggressiv, als umweltschädlich und als gefährlich. Gut also, dass es Menschen gibt wie Professor Dr. Sebastian Hasenstab-Riedel, die sich damit beschäftigen. Hallo, schön, dass Sie da sind.
Sebastian Hasenstab-Riedel: Ja, freut mich, dass ich hier sein darf.
Stanislawski: Sie sind Professor für anorganische Chemie an der Freien Universität Berlin. Sie sind Einstein-Professor. Sie wurden für Ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet und Ihr Schwerpunkt ist eben die Halogenchemie.
Hasenstab-Riedel: Das ist richtig, ja.
Stanislawski: Wieso? Was ist für Sie das Faszinierende an den Halogen?
Hasenstab-Riedel: Die Halogene haben mich schon immer fasziniert, weil sie zu den reaktivsten Elementen im Periodensystem gehören. Besonders das Flur reagiert mit fast allem und ist entsprechend auch schwierig zu zähmen, ja, und das ist so 'ne Herausforderung und eröffnet auch Möglichkeiten, eine tolle Chemie zu machen.
Stanislawski: Also die Faszination ist das schwierige Zähmen?
Hasenstab-Riedel: Ja, nicht nur. Fluorchemie ist wichtig, weil wir unterschiedlichste Eigenschaften an Molekülen herauskitzeln können und natürlich Materialien und das hat schon eine gewisse Faszination für mich.
Stanislawski: Sie haben grad Fluor schon erwähnt, aber vielleicht noch mal ganz grundsätzlich, welche Elemente zählen denn zu den Halogenen und was macht die auch aus? Was fasst die zusammen?
Hasenstab-Riedel: Na ja, fasst sie erst mal zusammen, dass sie die reaktivsten Elemente im Periodensystem sind. Sie brauchen noch ein Elektron, um die Edelgaskonfiguration zu erreichen. Wenn Sie in der Schule aufgepasst haben, dann wissen Sie, was das ist. Zu den Elementen gehören Fluor, Chlor kennt jeder aus dem Schwimmbad und vom Kochsalz, Brom, Jod. Ja, und dann gibt's noch so Exoten wie Astat und Tenness.
Stanislawski: Astat und Tenness, das wollt ich grad sagen. Also es gibt welche, denen begegnen wir oft und dann Astat hab ich konnte ich gar nichts mit anfangen zum Beispiel.
Hasenstab-Riedel: Ja, das sind die ganz schweren Halogene. Und je schwerer wir unten im Periodensystem sozusagen werden, desto instabiler werden die. Und das ist genau das Problem. Wir können eigentlich nicht wirklich eine Astatchemie machen oder eine Chemie mit Tenness, denn die Atome sind so kurzlebig, dass es sehr schwer ist, damit eine Verbindung zu machen. Und wenn es gelingt, eine zu synthetisieren, dann zerfällt sie auch gleich wieder.
Stanislawski: Ich hab den schlechten Ruf der Halogene anmoderiert, aggressiv und giftig und ätzend und umweltschädlich und auch eben, Sie sagen's ja, hochreaktiv. Sind die Halogene wirklich so schlimm wie Ihr Ruf? Ist das richtig so?
Hasenstab-Riedel: Es ist natürlich so, dass das Halogen, wenn es in elementarer Form vorkommt, so wie beim Fluor, dann ist die Bindung zwischen den zwei Fluoratomen so schwach, dass es mit allem anderen möglichst reagieren will, um sich Elektronen zu holen. Wenn wir's allerdings in Verbindungen eingebaut haben, dann sind diese Verbindungen wieder besonders stabil. Das nutzen wir zum Beispiel. Fluorierte Moleküle sind in unserem Alltag eigentlich gegenwärtig. Sie alle starten mit 'ner Fluorierungsreaktion in den Morgen, denn Sie putzen sich die Zähne. Ja. Und darin haben wir Fluorid und dann tun wir die OH-Gruppen in unserem Zahnschmelz austauschen gegen ein Fluorid und dann wird der Zahnschmelz besonders resistent. Aber andere Verbindungen nutzen wir auch. Denken Sie an Teflon in der Teflonpfanne, ne, damit nix anhaftet. Das wäre so ein Beispiel. Und weil sie aber so stabil sind und robust, ist es natürlich 'n Problem, wenn diese in die Umwelt gelangen. Das ist das nächste große Thema im Moment, nämlich dass wir viele fluorierte Verbindungen in die Natur eingetragen haben und es schwer ist für diese, die Moleküle, die fluoriert sind, eben wieder abzubauen.
Stanislawski: Wo kommen die her? Wieso werden die so viel in die Natur eingetragen?
Hasenstab-Riedel: Ja, über alle möglichen Dinge. Fluorierte Verbindungen wurden eingesetzt, zum Beispiel in Skiwachsen, ja, damit die Skier besser gleiten. Und natürlich gibt's 'n Abrieb davon und dann ist die fluorierte Verbindung eben in der Natur. Beschichtung immer dann, wenn's rutschig werden soll. Zahnseide ist ein Beispiel, wurde damit beschichtet. Teflon hab ich schon erwähnt. Outdoorjacken, die Goretex-Membran ist letztendlich auch fluoriert. Wir haben viele Consumables, wie man sagt, die tatsächlich fluorierte Verbindungen enthalten, auch zum Teil in Kosmetik. Und dadurch haben wir 'n kontinuierlichen Eintrag in die Natur gehabt, in die Umwelt, aber darauf basierend, dass die Kohlenstofffluorbindung so extrem stabil ist, hat's die Natur einfach schwierig, die aufzubrechen und die Substanzen zu mineralisieren.
Stanislawski: Können wir da irgendwie helfen der Natur? Können wir nachhelfen? Haben Sie Ideen oder wird daran geforscht?
Hasenstab-Riedel: Da dran wird geforscht. Also wir haben ja den Sonderforschungsbereich 13 49 in Berlin, der sich mit fluor-spezifischen Wechselwirkungen beschäftigt. Und hier gibt es unterschiedliche Forschungsprojekte auch, die sich zum einen mit der Analytik beschäftigen. Wie können wir diese fluorierten Verbindungen auch in der Umwelt nachweisen? Das ist nicht so ganz einfach. Es gibt Projekte, bei denen es darum geht, fluorierte Verbindungen wieder aus wässrigen Systemen zum Beispiel herauszufiltern. Auch das ist eine große Herausforderung. Und wir haben Projekte tatsächlich, wo wir versuchen, Ersatzstoffe zu entwickeln in allen möglichen Gebieten, um hier nicht mehr so stabile fluorierte Verbindungen zu haben, aber mit sehr gleichen Eigenschaften, die dann einfacher abzubauen sind.
Stanislawski: Ich hab gelesen, dass Sie gemeinsam mit der Industrie ein Projekt vorantreiben zu Schwefelhexafluorid. Worum geht's denn da?
Hasenstab-Riedel: Ja, das ist ein Thema, was uns schon sehr, sehr lange beschäftigt. Vielleicht erst mal zur Verwendung. Schwefelhexafluorid verwendet man heute noch in elektronischen Schaltanlagen. Immer dann, wenn wir Hochenergie schalten müssen, sei es in Transformatoren, Umspannwerken, aber auch in Windrädern, haben wir das Problem, dass Sie einen Schalter umlegen müssen. Und wenn wir da jetzt hohe Potenziale anliegen haben und Sie zwei Metallteile nahe zusammenbringen, gibt es Gefahr, dass Sie einen Lichtbogen ziehen, dass sich der Strom einfach überschlägt, ja, wie so eine Art Blitz. Und das ist natürlich eine starke Materialbeeinflussung, die man möglichst verhindern will. Und wenn es dazu kommt, dass es tatsächlich passiert, dann würde man den ja auch gerne sofort löschen. Und deswegen nimmt man SF6, also Schwefelhexafluorid. Weil das ideale Isolier- als auch Quench-Eigenschaften hat. Das ist eigentlich ein Molekül, was, man könnte fast sagen, eine eierlegende Wollmilchsau ist. Es hat nur einen Nachteil tatsächlich: Schwefelhexafluorid hat ein hohes Global-Warming-Potential, also ein Treibhausgaspotenzial, was über 22.000 liegt. Das bedeutet, dass ein SF6-Molekül so viel Global-Warming-Potential hat wie 22.000 CO2-Moleküle. Das heißt, wenn das tatsächlich in die Atmosphäre kommt, ist es 'n Problem.
Stanislawski: Klingt so, klingt nach 'nem großen Problem. Ja, okay.
Hasenstab-Riedel: Genau. Wir forschen dran, dass wir Ersatzstoffe machen, die annähernd dieselben Isoliereigenschaften haben, Quensch-Eigenschaften, damit wir das SF6 sozusagen für Höchstspannungsanlagen, da wird es noch verwendet, eben ersetzen können.
Stanislawski: Ja, okay. Schauen wir uns mal eines der anderen Halogene noch 'n bisschen genauer an. Die Ordnungszahl 7 trägt es, wird Cl abgekürzt, Chlor. Und das ist ja eines der Elemente, die uns ganz viel im Alltag begegnen, würd ich sagen, im Schwimmbad. Wo noch, wo begegnet uns Chlor? In der Natur und vielleicht auch in der Industrie?
Hasenstab-Riedel: Chlorierte Verbindungen sind eigentlich omnipräsent. Meistens weiß man's nicht. Wenn wir alles hier aus dem Raum, aus diesem Studio rausräumen würden, was mit Chlor irgendwann in Verbindung gekommen wäre, dann hätten wir noch nicht mal mehr die Farbe an der Wand. Denn Chlor ist so eine Art idealer Synthesebaustein für den Chemiker. Man kann grob sagen, dass mehr als 55 Prozent aller chemischen Produkte, Polymere, Basischemikalien und so weiter über chlorchemische Prozesse hergestellt werden. Das Titandioxid in der weißen Farbe wird über einen chlorchemischen Prozess sozusagen gewonnen, aber enthält am Ende gar nicht mehr das Chlor, aber wir haben das Chlor verwendet, um diese Wandfarbe herzustellen.
Stanislawski: Das ist ja eine irre Zahl. Also ganz, ganz viel brauchen wir davon einfach als Grundstoff auch von Chlor. Ist das so in der Industrie?
Hasenstab-Riedel: Ja, weltweit produziert die chemische Industrie im Moment 100 Millionen Tonnen pro Jahr. Und das ist schon dann eine der wichtigsten Basischemikalien, für die wir auch extrem viel Energie aufwenden.
Stanislawski: Genau, ich wollt grad sagen, es ist nicht ganz unproblematisch das Ganze. Wieso nicht?
Hasenstab-Riedel: Ja, also erst mal ist eigentlich, wir sprechen da von der Chloralkali-Elektrolyse, ist das ein super Prozess. Weil wir als Rohstoff Wasser verwenden und Kochsalz. Und jetzt tun wir diese Kochsalzlösung mittels elektrischen Stroms elektrolysieren. Und wenn jetzt im Prinzip diese elektrische Energie aus erneuerbaren Ressourcen kommen würde, wäre das ein super Prozess. Das ist aber leider noch nicht der Fall, denn wir haben ein Problem bei der ganzen Sache: Nachdem wir das Chlor produziert haben, und zwar in riesigen Mengen, müssen wir's gleich wieder verbrauchen in den entsprechenden nachgelagerten chemischen Prozessen. Und diese Prozesse können wir nicht hoch- und runterfahren. Die müssen kontinuierlich laufen. Jetzt könnte man sagen, na ja, aber dann tut man halt das Chlorgas speichern. Kann man machen. Die meisten Schwimmbäder haben eine Chlorgasflasche zur Desinfizierung. Aber wir reden da von zigtausend Tonnen Chlor, die am Tag umgesetzt werden. Und es ist ein Gas, es ist schwerer als Luft und man möchte das Risiko, wenn es hier zu einer Leckage kommt, möglichst reduzieren, weshalb man's höchstens puffert, aber nicht wirklich speichert. Und das führt dazu, dass wir sehr an dem Grundlaststrom noch hängen, weil wir 24/7 sozusagen Chlor produzieren müssen..
Stanislawski: Weil wir's nicht wirklich speichern können
Hasenstab-Riedel: Ja, wir können's puffern. Also man kann natürlich auch größere Mengen puffern, aber wir tun's jetzt nicht über Tage im Riesentausend-Tonnen Maßstab sozusagen speichern.
Stanislawski: Sie haben grade gesagt, da wird viel Strom verbraucht. Sie das irgendwie quantifizieren? Worüber reden wir da?
Hasenstab-Riedel: Ja, also Chloralkali-Elektrolyse braucht Strom und in Deutschland haben wir 18 Produktionsstandorte, die insgesamt tatsächlich an die 2,3 Prozent des elektrischen Stroms verbrauchen. Damit ist die Chloralkali-Elektrolyse der größte Stromverbraucher für einen einzelnen Prozess in Deutschland. Und wenn man jetzt sich vorstellen kann, dass wir Chlor speichern können, dann können wir da viel besser drauf reagieren. Wir könnten zum Beispiel die erneuerbaren Energien besser ins Stromnetz integrieren, weil wir Strom sozusagen nutzen, der über Sonnen- oder Windenergie erzeugt wurde und damit Chlor produzieren, Chlor einspeichern. Und wenn wir einen Mangel haben, zum Beispiel in der Nacht oder wir eine Dunkelflaute haben, dann können wir aus dem Speicher sozusagen Chlor verwenden und die Folgeprozesse weiter versorgen. Damit würden wir helfen, erneuerbare Energien besser in das Stromnetz zu integrieren, und wir würden für die Netzstabilität einen deutlichen Beitrag leisten können.
Stanislawski: Und genau daran forschen Sie. Also Möglichkeiten, diese Herstellung und Speicherung zu erleichtern. Wie sieht da Ihre Forschung aus?
Hasenstab-Riedel: Ja, wir sind über einen Umweg, einen sehr großen Umweg, kann man fast sagen, eigentlich zu Speichermaterialien für Chlor gekommen. Wir haben uns beschäftigt, wir haben ja schon über das Element Fluor geredet, mit fluorierten Verbindungen und haben dann absolut Grundlagen forschungsmäßig bei vier Kelvin eingefroren in Edelgasen Signaturen gefunden in unseren Spektren, die wir versucht haben zuzuordnen. Das ist uns damals vor 15 Jahren nicht gelungen. Wir hatten einfach Interpretationsprobleme, wir haben jede Menge quantenchemische Berechnungen, wie der Chemiker sagt, durchgeführt und es gab kein einheitliches Bild. Und dann haben wir angefangen und haben uns überlegt, okay, wenn wir's mit Fluoren nicht beschreiben können, vielleicht können wir's mit den schwereren Halogenen versuchen zu beschreiben und sind dabei auf eine Stoffklasse gekommen, sogenannte Polyhalogenide. Das sind Anionen, die nur aus Halogenen bestehen, also aus reinen Brommolekülen oder eben aus Chlor. Und dabei haben wir festgestellt, dass diese Polychloride, wie wir sie nennen, tolle Eigenschaften haben, sie sehr viel Chlor aufnehmen und wir das sogar in flüssiger Form bekommen können als ionische Flüssigkeiten.
Stanislawski: Polychloride ist das Stichwort. Sie haben mehrere Patente und eines davon bezieht sich auf die Polychloride, richtig?
Hasenstab-Riedel: Ja, wir haben tatsächlich mehrere Patente dazu mittlerweile. Da geht's um Chlorspeicherung im Polychloriden. Es geht um die Freisetzung wieder von Chlor aus solchen Polychloriden. Wir haben uns auch damit beschäftigt, wie wir Basischemikalien neu synthetisieren können, einfacher über solche Polychloride. Wir haben mittlerweile Polymere entwickelt, die solche chlorierten Verbindungen auch aufnehmen können und so weiter und so weiter. Es eröffnet sich eine komplett neue Spielwiese für den Chemiker mit praktischer Anwendung.
Stanislawski: Lassen Sie uns versuchen, das wieder in den Alltag vielleicht auch zurückzuholen. Ich hab gelesen, es kann auch tatsächlich in Schwimmbädern das Chloren verändern in Zukunft.
Hasenstab-Riedel: Da dran arbeiten wir tatsächlich. Im Moment ist es, kommt aufs Schwimmbad drauf an, aber viele Schwimmbäder haben halt die klassische Chlorgasflasche noch, die dann angeschlossen wird. Bei der Chlorung des Wassers im Schwimmbad kommt's halt immer wieder aus diversen Gründen auch zur Freisetzung von Chlorgas. Und das ist natürlich nicht gut, dann muss evakuiert werden und so weiter.
Stanislawski: Weil Chlorgas eben ätzend ist, gefährlich ist.
Hasenstab-Riedel: Ja, es ist erst mal auch giftig, ne. Chlorgas war im Ersten Weltkrieg das erste Giftgas, ne. Ja. Es ist schwerer als Luft, tut sich ansammeln und ja, ist giftig. Wenn man jetzt sagen würde, wir haben diese ionische Flüssigkeit, die wir entwickelt haben, die können wir an Luft öffnen tatsächlich, kann man umfüllen, ohne dass sie sofort große Mengen Gas freisetzt. Und wenn wir die nutzen würden jetzt, um daraus wiederum Chlorgas freizusetzen in geringen Mengen, man braucht ja nicht viel für die Wasserdesinfektion, dann hat man einen sichereren Prozess sozusagen. Und daran arbeiten wir gerade.
Stanislawski: Ich find aber auch, an Chlor zeigt sich eben auch, wie vielseitig die Halogene sind. Also auf der einen Seite potenziell gefährlich, giftig und aber eben in Wasser gelöst, absolut toll einsetzbar für die Menschheit, eben antibakterielle Wirkung.
Hasenstab-Riedel: Ja, das stimmt. Wie gesagt, meistens sind die Halogene in ihrer elementaren Form halt besonders reaktionsfähig. Wenn wir sie aber in Moleküle einbauen, dann können wir die unterschiedlichsten Dinge mitmachen. Wir können Desinfektionsmittel darauf basierend erzeugen. Wir können superstabile Polymere synthetisieren. Denken wir an fluorierte Membranen zum Beispiel, die Nafion-Membran, die wir in der Brennstoffzelle verwenden. Also moderne Technologie auch, die wir hier nutzen.
Stanislawski: Okay, also wenn ich's richtig verstehe, ein Forschungsinteresse von Ihnen ist es eben, Alternativen zu suchen, damit Halogene umweltfreundlicher, weniger gefährlich und nachhaltiger auch eingesetzt werden können. Wie einfach funktioniert das? Das klingt nicht nach 'ner leichten Aufgabe.
Hasenstab-Riedel: Nee, das ist bei Weitem keine leichte Aufgabe. Wir hatten vorhin über Schwefelhexafluorid geredet. An dem Projekt arbeiten wir jetzt über seit über zehn Jahren. Wir haben jetzt tatsächlich auch eine Substanz, wo ich sagen würde, die lässt hoffen. Aber natürlich ist die Verbindung auch wieder fluoriert. Und wir haben ja grad eben schon drüber geredet, fluorierte Verbindungen in die Umwelt einzutragen, ist nicht so toll, weshalb es ja auch das sogenannte PFAS-Verbotsverfahren gibt, was die EU angestrengt hat. Und jetzt stecken wir in so einem Dilemma sozusagen, was ist jetzt wichtiger? Der Schutz oder Ersatzstoffe für Treibhausgaseffekte oder fluorierte Verbindungen?
Stanislawski: Und wie entscheiden Sie sich grade?
Hasenstab-Riedel: Das ist nicht meine Entscheidung. Das werden wir sehen, wie die Regularien aussehen und wie die Verbindungen eingestuft werden.
Stanislawski: Zum Abschluss noch eine Frage. Um ehrlich zu sein, beim Begriff Chemie denke ich immer auch an Giftstoffe, wir haben drüber gesprochen, an Umweltbelastung, an viel Energiebedarf auch. Wir haben jetzt 'n Eindruck, glaub ich, bekommen von Ihrer Forschung. Aber was denken Sie? Kann Chemie denn wirklich nachhaltig werden oder kann man sie nur etwas nachhaltiger gestalten?
Hasenstab-Riedel: Das ist genau die große Herausforderung. Also die chemische Industrie generell steht vor immensen Umbrüchen. Wir brauchen eine Transformation der chemischen Industrie weg vom fossilen Kohlenstoff sozusagen hin zu mehr grünem Kohlenstoff. Dass wir Biomasse verwenden zum Beispiel, um daraus Basischemikalien zu machen, die wir wieder in Materialien umwandeln können. Aber die Materialien, die müssen auch recycelt werden können. Dass wir viel mehr in Kreisläufen denken, Prozesse schließen, um möglichst wenig Abfallstoffe auch zu generieren. Und dabei müssen wir auch Prozesse weiter elektrifizieren, möglichst mit erneuerbarer Energie. Das läuft auch zum Teil, aber das ist ein Riesenforschungsbedarf und Entwicklungsbedarf im Moment, der ansteht. Deswegen kann ich jeden immer nur ermutigen, Chemie zu studieren, weil wir nur so gegen den Klimawandel auch wirklich vorgehen können. Also das ist meine feste Überzeugung. Wenn wir da große Beiträge haben wollen, dann hängt das sicherlich mit der Energieversorgung zusammen. Wir müssen aber auch sehen, dass wir chemische Prozesse umweltfreundlicher machen. Das ist auch der Grund, warum wir an der Freien Universität das Center for Sustainable Resources gerade gegründet haben, wo wir gemeinsam mit anderen Kollegen an neuartigen Prozessen arbeiten, um hier einen Beitrag zu leisten.
Stanislawski: Wo stehen wir denn da, wenn Sie sagen, wir haben da 'n Riesentransformationsprozess? Wo stehen wir 2025?
Hasenstab-Riedel: Ich würd sagen, es gibt viele Ideen, was man machen kann. Wir können viele Dinge im Labor an den Universitäten entwickeln, aber die Translation vom Labor in die Anwendung, dass da wirklich 'n industrieller Prozess draus wird, das ist extrem schwierig. Und an diesen Übersetzungen müssen wir arbeiten. Und das gelingt uns auch nur, wenn wir zusammen mit der Industrie da dran arbeiten.
Stanislawski: Das heißt, was würden Sie sich wünschen, damit der Prozess schneller geht oder effizienter geht?
Hasenstab-Riedel: Ich würd mir zum einen wünschen, dass dafür gewisse Gelder zur Verfügung gestellt werden, dass gerade solche Translationsprozesse gefördert werden. Und ich würd mir auch wünschen, dass die Industrie eventuell ein bisschen risikobereiter ist, wenn ich das jetzt mal so ins Mikro sagen darf.
Stanislawski: Die Halogene und wie wir sie umweltfreundlicher und ungefährlicher einsetzen können, daran forscht Professor Dr. Sebastian Hasenstab-Riedel. Vielen Dank Ihnen für die Einblicke.
Hasenstab-Riedel: Ja, vielen Dank, dass ich hier sein durfte.
Stanislawski: Und wie immer bedanke ich mich auch bei Ihnen für das Interesse, fürs Zuhören. Wir freuen uns natürlich über Abos und über Bewertungen und damit verabschiede ich mich für heute. Mein Name ist Anton Stanislawski. Bis zum nächsten Mal bei AskDifferent, der Podcast der Einstein Stiftung. Warum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anders fragen.