Noch Fragen? Die Signaldeuter

Herr Gloveli, Sie haben bereits eine überraschende Entdeckung gemacht ... 
Das stimmt. Bisher galt die Informationsverarbeitung zwischen den Nervenzellen als Einbahnstraße. Eine Nervenzelle erhält über spezialisierte Kontaktstellen, den sogenannten Synapsen, Eingangssignale von vielen anderen Nervenzellen, die sie in ihrem Zellkörper verarbeitet. Als Ergebnis dieser Verarbeitung kann der Zellkörper eigene Signale – sogenannte Aktionspotentiale – erzeugen, die dann als elektrische Impulse über das Axon zu den synaptischen Ausgangsstellen geleitet werden. Wir haben bemerkt, dass es neben diesen klassischen, vom Zellkörper erzeugten Signalen auch noch andere Signale im Axon gibt. Bei Messungen stellte sich heraus: Das Axon kann eigenständig elektrische Signale erzeugen und senden. Das wurde in den Theorien zur neuronalen Informationsverarbeitung und –weiterleitung bisher nicht berücksichtigt.

Welchen Zweck könnten diese Signale erfüllen? 
Bisher haben wir diese zusätzlichen axonalen Signale am Hirnschnittpräparat bei den sogenannten Gammaoszillationen gemessen, einem neuronalen Aktivitätsmuster, dass bei Zuständen erhöhter Aufmerksamkeit auftritt und eine wichtige Rolle für das Lernen spielt. Wir vermuten aber, dass sie auch bei anderen neuronalen Aktivitätsmustern auftreten können und eventuell sogar an deren Erzeugung beteiligt sein könnten. Daher wollen wir den Vorgang nun im Gehirn lebender Mäuse oder Ratten beobachten. Das ist keine leichte Aufgabe, denn Axone sind weniger als zwei Mikrometer dünn, und wir müssen sie im Hippocampus – dem Tor zum Gedächtnis – mit der Ableitelektrode ohne visuelle Kontrolle treffen.

Könnten die Signale auch Schaden anrichten? 
Das ist eine Frage, der wir nachgehen. Denn bei manchen neurologischen Erkrankungen wie der Epilepsie wurden am Zellkörper der Neurone zusätzliche elektrische Signale registriert. Das könnte mit der Aktivität der Axone zusammenhängen. Grundsätzlich werden Signale, die im Axon erzeugt werden, vom Ort ihres Ursprungs in beide Richtungen geleitet. Daher treffen diese Signale nicht nur auf die synaptischen Ausgänge, sondern werden auch in Richtung Zellkörper geleitet, wodurch dieser zusätzlich aktiviert werden könnte. In früheren Arbeiten haben wir allerdings gezeigt, dass bei Gammaoszillationen diese axonalen Signale den Zellkörper nicht erreichen, da bestimmte Filterzellen – hemmende Neurone – die Rückleitung verhindern. Aber diese Filterzellen sind sehr empfindlich und sterben bei manchen neurologischen Erkrankungen leicht ab. Damit könnte sich die Signalübertragung pathologisch verändern.

Interview: Jana Schlüter