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Nachrichten der Einstein Stiftung Berlin


Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

Foto: EC Math

Berlin zählt derzeit international zu den wichtigsten Standorten in der Mathematik. Das ehemalige DFG-Forschungszentrum Matheon, die Graduiertenschule Berlin Mathematical School und das Deutschen Zentrum für Lehrerbildung Mathematik repräsentieren ein breites Spektrum zwischen anwendungsbezogener Forschung, Nachwuchsausbildung und Bildungsforschung. Seit Ende Mai wird diese Expertise im neuen Einstein-Zentrum für Mathematik (ECMath) gebündelt. Ein Blick hinter die Kulissen.

Mathematik hat Max von Kleist schon immer fasziniert. Wenn man ihn nach dem Warum fragt, antwortet der studierte Bioinformatiker und promovierte Mathematiker ohne Zögern: „Es ist ihre Klarheit und Nachweisbarkeit. Im Labor kann zum Beispiel ein Experiment im Ergebnis am Montag anders ausfallen als am Freitag. Die Mathematik dagegen ist im wahrsten Sinne des Wortes berechenbar. Und zudem extrem vielseitig.“ Max von Kleist leitet am Institut für Mathematik der Freien Universität Berlin die Nachwuchsgruppe „Systems Pharmacology & Disease Control“. Als Doktorand und Jungforscher ist er mit dem renommierten Forschungszentrum Matheon „groß“ geworden. Dieses virtuelle Zentrum, das zwölf Jahre lang von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wurde, steht mit den dort beheimateten Projekten ganz im Zeichen der „Mathematik für Schlüsseltechnologien“. Es führt das Wissen und die Wissenschaftler der Mathematik-Fachbereiche aller Berliner Universitäten, des Zuse-Instituts und des  wias – Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik – zusammen. Künftig wird sich das Matheon auf einer neu geschaffenen Plattform, dem Einstein-Zentrum ECMath, positionieren.

Gut vernetzt für den Mathematikstandort Berlin

Leistungsstärkere Turbinentechnik für Kraftwerke und Flugzeuge, wegweisende Entwicklungen in der Medizintechnik und Pharmakologie, neue Technologien für die Photonik und die Erneuerbaren Energien – hinter diesen Innovationen stecken nicht nur Ingenieure, Physiker oder Mediziner, sondern auch Mathematiker des Matheon wie Max von Kleist. Ohne deren Arbeit wären Forschung und Entwicklung in diesen Schlüsseltechnologien am Standort Berlin kaum denkbar. Berlin ist derzeit in Deutschland und auch international sicherlich einer der wichtigsten Orte, an dem hochschulübergreifende und anwendungsbezogene Grundlagenforschungsprojekte aus der Mathematik gedeihen und produktive Blüten treiben. Kaum mehr vorstellbar ist, dass die Stadt mit ihren drei Universitäten vor 25 Jahren in Sachen Mathematik noch den Status eines Entwicklungslandes hatte. Der Fachbereich Mathematik der Technischen Universität (TU) Berlin beispielsweise, der heute zu den drittmittelstärksten Mathe-Fachbereichen in Deutschland gehört, hat 1988 null D-Mark Drittmittel eingeworben. Damit sich die wissenschaftliche Exzellenz in Berlin auch nach dem Ende der begrenzten Förderdauer von großen Einrichtungen wie dem Matheon weiter entwickeln kann, ist zum 1. Juni 2014 das Einstein-Zentrum ECMath offiziell gestartet. Das von der Einstein Stiftung finanziell getragene Zentrum soll eine Plattform nicht nur für das Matheon, sondern auch für die derzeit noch im Rahmen der Exzellenzinitiative geförderte Graduiertenschule Berlin Mathematical School (BMS) und für das vor drei Jahren gegründete Deutsche Zentrum für Lehrerbildung Mathematik (DZLM) sein. Zugleich soll es den Austausch zwischen allen dreien verstärken. Die Entscheidungsgremien des ECMath sind paritätisch mit Vertretern dieser Einrichtungen besetzt. Gemeinsam decken Matheon und bms ein breites Spektrum der Forschung ab; mit dem DZLM kommt zudem der noch recht junge Forschungsbereich der Lehrerausbildung und -weiterbildung hinzu. 

„Alle drei beteiligten Institutionen zusammen bringen Berlin als Mathematikstandort weiter, denn sie setzen neue Akzente. Beispielsweise durch das so wichtige Feld der Weiterbildung“, sagt Christoph Schneider, der als Berater für Wissenschaftsorganisationen und Stiftungen tätig ist und die Einstein Stiftung bei der Begutachtung des ECMath beraten hat. Das Konzept, sagt Schneider, habe die internationalen Gutachter nicht nur überzeugt, sondern begeistert. Die drei Einrichtungen werden in ausgewählten Projekten mit Stiftungsmitteln unterstützt, für die ersten fünf Jahre bis 2017 sind dies insgesamt 2,5 Millionen Euro pro Jahr. „Wir wollen Projekte fördern, die Neuland betreten. Die Fördermittel kommen dabei dem Nachwuchs, aber auch den etablierten Forschern zugute“, sagt Volker Mehrmann, Mathematikprofessor an der TU Berlin. Er ist Sprecher des Matheon und Chair des ECMath. 

Mit Mathematik Viren bekämpfen

Auch Max von Kleist profitiert vom neuen Einstein-Zentrum, denn mit ECMath-Mitteln kann er eine weitere Postdoc-Stelle in seinem Team einrichten. Grob umrissen, versucht seine Forschungsgruppe mit Hilfe von mathematischen Modellen und Methoden herauszufinden, wie sich beispielsweise die Gabe von Wirkstoffen an Patienten so verändern lässt, dass keine Wirkstoffresistenzen auftreten. Auf diese Weise könnten Infektionskrankheiten und Epidemien in Zukunft wirkungsvoller bekämpft werden. Ein Teilprojekt beschäftigte sich mit HIV-infizierten schwangeren Frauen in Afrika. „Gemeinsam mit dem Institut für Tropenmedizin in Berlin haben wir untersucht, wie und zu welchem Zeitpunkt der Wirkstoff Nevirapin verabreicht werden muss, um bei der Geburt eine Übertragung des Virus von der Mutter auf das Kind zu verhindern.“ Die Forscher fanden heraus, dass das Kind offensichtlich am besten vor einer Infektion geschützt werden kann, wenn die Mutter unmittelbar nach Einsetzen der Wehen den Wirkstoff einnimmt. „Dieser erreicht dann über die Nabelschnur das noch ungeborene Kind und schützt es während des Geburtsvorganges.“

Natürlich seien etwa im Fall des Matheon die Zuschüsse jetzt geringer als die Summe, mit der die DFG das Zentrum ausgestattet habe, räumt Volker Mehrmann ein. „Wir rechnen jedoch damit, dass das ECMath zum Katalysator für weitere Fördermöglichkeiten wird.“ Das Ziel ist klar: „Das Matheon ist ein Erfolgsmodell, das bereits internationale Nachahmer gefunden hat. Intensive Kontakte und stabile Netzwerke sind dadurch in den letzten Jahren beispielsweise mit Frankreich, Chile, Australien, den Niederlanden, Kanada oder Polen entstanden. Dieses Modell werden wir in die Zukunft tragen und in den kommenden Jahren um weitere Themenfelder erweitern.“

Die jüngsten ECMath-Forscher: Mit Holzbauklötzen in der Kita 

Auch Professor Jürg Kramer, Direktor des DZLM, erwartet viel vom ECMath: „Diese einmalige Konstellation bietet eine ideale Grundlage für die unmittelbare Interaktion zwischen Forschung, Ausbildung und Fortbildung entlang der gesamten Bildungskette im Fach Mathematik,“ sagt Kramer. Die am DZLM beteiligten Wissenschaftler entwickeln nicht nur bundesländerübergreifend Konzepte für die Fortbildungen von Multiplikatoren, Mathematik-Lehrkräften aller Schulstufen und von Elementarpädagogen. Sie forschen auch begleitend zum Thema. 

So zum Beispiel Julia Bruns und Lars Eichen, beide wissenschaftliche Mitarbeiter an der Humboldt-Universität. Bunte Plastikkegel und allerlei anderes Kinderspielzeug weisen inhaltlich den Weg zu ihrem gemeinsamen Forschungsprojekt, das sie vor kurzem am dzlm begonnen haben. Beide kamen im vergangenen Jahr nach Berlin und teilen sich nun eine volle Stelle, die über Mittel des ECMath finanziert wird. Eine Ecke im sonst eher schlicht möblierten Büro am Hausvogteiplatz ist für Spiele und Holzbauklötze reserviert.„Das Material verwenden wir in der Kita, mit der wir zusammenarbeiten. Dort nehmen wir, als Vorarbeit für unsere eigentliche Forschungsarbeit, Videos von Spielsituationen auf, in denen die Kinder mathematische Erfahrungen sammeln“, erläutert Julia Bruns, 26 Jahre jung und derzeit in der Endphase ihrer Promotion als Erziehungswissenschaftlerin. Lars Eichen, 35 und ebenfalls Doktorand, fügt hinzu: „Bei der Erkundung ihrer Umwelt begegnen Kinder schon früh der Mathematik. Sie interessieren sich natürlicherweise für Muster und Strukturen, entwickeln ein erstes Bild von Zahlen, geometrischen Objekten und Größen und erleben Wahrscheinlichkeit und Zufall.“ Somit ist der Kindergarten oder die Kita der ideale Ort, um den Kindern spielerisch die Mathematik nahe zu bringen – und so ein positives Bild von dem Fach zu vermitteln, das später in der Schule sehr wichtig sein wird. Doch dafür braucht es motivierte Elementarpädagogen – dazu zählen die Erzieherinnen in den Kitas. Hier setzt das Projekt „EmMa - Erzieherinnen und Erzieher machen Mathematik“ an. 

Bruns und Eichen entwickeln Fortbildungen für diese Zielgruppe, die über die Website des dzlm angeboten werden – mit sofort im Kita-Alltag anwendbaren Handreichungen. Über ihre Erfahrungen damit können sich die Fortbildungsteilnehmer dann ein paar Wochen später, beim nächsten Präsenztag des Kurses, austauschen. „Doch zunächst wollen wir in Vortests herausfinden, auf welchem fachdidaktischen Stand Elementarpädagogen sind, über wie viel mathematisches Fachwissen sie schon verfügen und auch, welche Einstellung zum Fach Mathematik sie selbst haben“, erklärt Julia Bruns. 

Sechs Jahre Laufzeit: Zeit für wichtige Projekte

Die ersten Kurse werden im September in Berlin starten. Dann wird es spannend – denn Bruns und Eichen führen kursbegleitend und am Ende des Kurses weitere Befragungen durch, um herauszufinden, wie die Fortbildung inhaltlich wirkt und um gegebenenfalls das Konzept noch optimieren zu können. „Fortbildungen in Mathematik für den Elementarbereich gibt es zwar auch von anderen Anbietern. Das Besondere am DZLM-Ansatz ist jedoch, dass wir mit unserer begleitenden Forschung überprüfen, ob und in welcher Form durch die Fortbildungen eine Kompetenzentwicklung stattfindet“, sagt Lars Eichen. Zunächst geht es im aktuellen Projekt nur um die Wirkung auf die Kursteilnehmer. „Danach – das wäre ein mögliches neues, und sich logisch anschließendes Projekt – würden wir uns gerne damit beschäftigen, was von den Fortbildungen tatsächlich umgesetzt wird und welche Wirkung diese und die mathematischen Angebote auf die Bildungsprozesse der Kinder haben“, sagt Julia Bruns. Doch Kindergartenkinder zu befragen werde sicherlich kniffliger, „denn dabei spielen auch unvorhersehbare Variablen wie etwa das Elternhaus eine große Rolle.“ Die Förderung durch das ECMath gibt ihnen sechs Jahre Zeit. Genug, um wichtige Projekte in Angriff zu nehmen.

Text: Mareike Knoke

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