Ein deutsch-französisches Forscherteam hat unter der Leitung des ehemaligen Einstein Visiting Fellows und Alexander von Humboldt-Professors Michael Sieweke eine überraschende Eigenschaft der Blutstammzellen aufgedeckt: Sie können sich an frühere infektiöse Begegnungen erinnern. Durch dieses „Gedächtnis“ können die Blutstammzellen bei neuen Infektionen eine schnelle und effiziente Immunantwort geben. Dies ist etwa für die Entwicklung von Impfstoffen eine wichtige Erkenntnis.
Stammzellen haben in unserem Körper einerseits die Aufgabe, neue Stammzellen zu produzieren. Andererseits kann aus ihnen eine Vielzahl spezialisierter Zellen hervorgehen, die unsere Körperfunktionen stützen und für die Gewebeerneuerung verantwortlich sind. Diese „Blutstammzellen“ sind im Knochenmark eingebettet. Ihre Aufgabe ist es, den Vorrat an Blutzellen zu erneuern - darunter auch die Zellen des Immunsystems, die Infektionen bekämpfen und Krankheiten abwehren.
Welche Signale können die Blutstammzellen erkennen?
Bis vor zehn Jahren waren Wissenschaftler allgemein der Auffassung, dass es sich bei Blutstammzellen um unspezialisierte Zellen handelt, die blind für externe Signale wie beispielsweise Infektionen sind. Es wurde angenommen, nur ihre spezialisierten Tochterzellen würden diese Signale wahrnehmen und eine Immunantwort geben.
In den letzten Jahren aber haben Studien unter anderem aus dem Labor von Michael Sieweke diese Auffassung widerlegt. Sie zeigten, dass Blutstammzellen externe Faktoren wahrnehmen können, um bei Bedarf spezifische Immunzellen zur Bekämpfung einer Infektion zu produzieren. Offen blieb jedoch bisher die Frage, welche Funktion die Blutstammzellen bei der Reaktion auf wiederholte Infektionsschübe haben. Es ist bekannt, dass das Immunsystem über ein Gedächtnis verfügt, das es ihm erlaubt, besser auf zurückkehrende Infektionserreger zu reagieren. Die neue Studie belegt nun, dass Blutstammzellen eine zentrale Rolle für diese Gedächtnisfunktion spielen.
„Lesezeichen“ in der DNA
Die Forschungsgruppe brachte die Stammzellen in Kontakt mit einem bakteriellen Molekül, das eine Infektion nachahmt. „Die erste Konfrontation führt dazu, dass sich Markierungen auf der DNA der Stammzellen ablagern, und zwar genau um die Gene herum, die für eine Immunantwort wichtig sind. Ähnlich wie Lesezeichen sorgen die Markierungen auf der DNA dafür, dass diese Gene leicht zu finden sind und im Falle einer zweiten Infektion durch einen ähnlichen Erreger schnell für eine Immunreaktion aktiviert werden können“, erklärt Michael Sieweke den Versuch. Es zeigte sich, dass der Hauptakteur dieser Gedächtnisfunktion ist ein Protein ist, das an der Genregulierung beteiligt ist.
Die Studie am Zentrum für Regenerative Therapien der TU Dresden (CRTD) und dem Zentrum für Immunologie der Universität Marseille Luminy durchgeführte Studie wurde nun im renommierten Wisssenschaftsjournal Cell Stem Cell veröffentlicht. Von den Erkenntnissen erhoffen sich die Hämatologen neue Wege, um das Immunsystem zu stärken, wenn es zu schwach ist, oder zu bremsen, wenn es überreagiert.
2018 erhielt Michael Sieweke den höchstdotierten Forschungspreis Deutschlands, die Alexander von Humboldt-Professur. Von 2014-2019 war er als Einstein Visiting Fellow am Berlin Institut of Health. Die Forschungsgruppe von Michael Sieweke arbeitet an der Schnittstelle von Immunologie und Stammzellforschung. Sie konzentriert sich dabei auf die Erforschung von Blutstammzellen und Makrophagen, langlebigen Zellen des Immunsystems, die wichtige Aufgaben bei der Gewebeerneuerung übernehmen.
Quelle: Pressemitteilung der TU Dresden
Wissenschaftlicher Ansprechpartner: Prof. Michael Sieweke
Tel.: +49 351 458-82200
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