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Nachrichten der Einstein Stiftung Berlin


#30 - Tarik Abou-Chadi

Dem Wahlverhalten auf der Spur

Bundestagswahlen sind immer wie Geburtstag, findet der Politikwissenschaftler Tarik Abou-Chadi. Schon in jungen Jahren hat er eine steile Karriere bis zur Professur in Oxford hingelegt – auch dank seiner Fähigkeit, mit den richtigen Fragen Debatten anzustoßen. „Ist unsere Parteiendemokratie auch künftig das geeignete System, um große Herausforderungen wie den Klimawandel anzugehen?“, ist nur eine davon. In seiner Forschung untersucht er, warum sich die Menschen in Europa zunehmend für extrem rechte Parteien entscheiden und wie sich deren Erfolg auf die politische Landschaft auswirkt. Mit Nancy Fischer spricht er außerdem über die vielbeschworene „Protestwahl“ und verrät, wie Regierungen gegensteuern können. 

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Intro: Es ist immer wie Geburtstag einmal alle vier Jahre, wenn Bundestagswahl ist. Also das ist schon natürlich ein ganz anderer Prozess. Alle Leute sind ein bisschen mehr politisch interessiert und die Gespräche sind ganz anders. Und einfach zuzuhören, wie dann sich Leute entscheiden und warum, ist natürlich ein spannender Teil meines Berufs. AskDifferent, der Podcast der Einstein Stiftung, mit Nancy Fischer.

Nancy Fischer: Wenn die Deutschen in den 70er oder 80er Jahren den Bundestag gewählt haben, dann gab's bei der Stimmauszählung eigentlich immer nur zwei Balken: einen fetten schwarzen für die CDU und einen fetten roten für die SPD. Und irgendwo kleckerte noch ein bisschen gelb die FDP hinterher und das war's. Das waren die Zeiten der sogenannten Volksparteien, die heute schon lange vorbei sind. Heute sind die Balkendiagramme viel bunter. Die Linke, die Grünen, die AfD haben sich darunter gemischt und so ist es nicht nur in Deutschland, sondern in vielen europäischen Ländern. Warum Menschen sich für neue Parteien, zum Beispiel die Grünen oder die extreme Rechte entscheiden und andere, die Sozialdemokraten zum Beispiel, abwählen und was das für Demokratien bedeutet, damit beschäftigt sich Tarik Abou-Chadi. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Oxford, war vorher an der Humboldt-Uni zu Berlin und an der Universität Zürich und ist auch noch Einstein BUA/Oxford Visiting Fellow. Was kompliziert klingt, ist eigentlich so was wie eine Verzahnung zwischen Berlin und Oxford. Herzlich willkommen und hallo, Herr Abou-Chadi erst mal.

Tarik Abou-Chadi: Hallo, freut mich. 

Fischer: Bisschen komplizierter Titel, ne, aber im Prinzip forschen Sie dann letztlich auch in Berlin mit einer Arbeitsgruppe und Oxford parallel an den Themen, die wir gerade genannt haben und über die wir sprechen wollen. 

Abou-Chadi: Ganz genau so ist das. Also es gibt eine Kollaboration zwischen Oxford und Berlin und im Rahmen dieser Kollaboration habe ich jetzt eine Forschungsgruppe seit dem Sommer an der HU, also bin so ein bisschen zwischen Oxford und Berlin die ganze Zeit. 

Fischer: Und jetzt gerade in Amsterdam habe ich erfahren.

Abou-Chadi: Das stimmt. Ich bin gerade auch noch Fellow am Netherlands Institute for Advanced Studies in Amsterdam jetzt für dieses Semester, wo sich sehr gut gekümmert wird um uns und wir ich versuche ein Buch zu schreiben gerade. 

Fischer: Auch noch, wow, okay, da ist los bei Ihnen im Leben, da wollen wir auf jeden Fall auch noch drüber sprechen, was da alles passiert und was Sie alles erforschen. Aber mal so ein bisschen grundsätzlich anfangen mit Ihren Themen, also die extreme Rechte, auch die Grünen sind die Parteien, die Sie sich genauer angucken. Die AfD, die gibt's seit über zehn Jahren mittlerweile, die Grünen sogar schon seit den Achtzigern. Sind es nicht eigentlich längst etablierte Parteien? Also blöd gesagt, was gibt's denn da noch zu erforschen? 

Abou-Chadi: Ja, das stimmt, dass beide Parteien etablierter geworden sind. Ich glaube, man muss die Grünen und die AfD da durchaus ein bisschen unterscheiden. Großer Unterschied ist natürlich, dass die Grünen in der Bundesregierung sind jetzt, in der Bundesregierung schon mal waren und auch in vielen Landesregierungen sitzen, Ministerpräsidenten haben. Das sind alles Schritte, die die AfD noch nicht erreicht hat. Trotzdem ist es so, dass der Erfolg dieser Parteien stellvertretend steht für eine große Veränderung, die wir eigentlich sehen in allen europäischen Demokratien. Man kann das mit dem Begriff Fragmentierung beschreiben, dass eben, wenn wir in Parlamente schauen, wenn wir uns Wahlverhalten anschauen, viel, viel mehr neue Parteien unterstützt werden von den Wähler:innen und die häufig nicht mehr so ein „broad tent“, wie wir sagen würden im Englischen, die versuchen über viele unterschiedliche Gruppen anzusprechen, sondern eher ein, zwei spezifische Themen setzen, mit denen sie Wählerinnen gewinnen. 

Fischer: Wenn wir uns jetzt beispielsweise die AfD mal anschauen, die liegt in aktuellen Umfragen bundesweit so bei 20 Prozent. In Brandenburg würde sie momentan sogar jeder dritte Wahlberechtigte wählen. Überraschen Sie solche Umfragewerte eigentlich noch? 

Abou-Chadi: Nein, eigentlich kann es einen leider nicht überraschen, wenn man ins europäische Ausland schaut. Dann ist es mittlerweile so, dass eigentlich in Europa in fast jedem Land eine etablierte radikal rechte Partei existiert, mittlerweile eigentlich in jedem Land im Parlament sitzt und es eben Länder gibt, wo diese Parteien in der Regierung sind und mittlerweile auch, wo sie Regierungen anführen. Also wo eigentlich - entweder Italien wäre so ein Beispiel, aber auch andere Länder -  wo die radikale Rechte die Mitte Rechtsparteien abgelöst hat als die Hauptkraft auf der Rechten, beispielsweise in Frankreich, wo das Rassemblement National mittlerweile die etabliertere Kraft auf der rechten Seite ist, wenn man es so sagen möchte. 

Fischer: Und wie viel Eigenanteil steckt denn im aktuellen Umfragehoch der Partei und wie viel ist aber auch Mangel an Alternativen für die Wählerschaft? Also sprich, die gute alte Protestwahl, die immer so genannt wird? 

Abou-Chadi: Genau. Ich versuche das gerne zu vermeiden, diesen Unterschied zwischen diesen holzschnittartigen Unterschied zwischen Protest und Überzeugung. Es ist ein bisschen komplizierter. Es ist einfach so, dass es einen Teil der Bevölkerung gibt, die haben überzeugt radikal rechte Positionen. Das sind auch Leute, die man nicht wieder wegbekommt von diesen Parteien. Da ist es so, wenn sich dieses Angebot einmal etabliert hat, dann werden diese Leute radikal rechts wählen. Und dann gibt es aber ganz viele andere Faktoren, die auch mit einer Konjunktur zu tun haben. Da geht's manchmal besser, da geht's manchmal schlechter. Generell kann man so sagen, wenn viel über diese Parteien geredet wird, dann ist das auch gut für diese Parteien und das sehen wir im Moment für die AfD.

Ein dritter Faktor, der glaube ich wichtig ist, ist so etwas wie eine Normalisierung, Legitimierung der radikal rechten Partei, in dem Fall der AfD und derer Positionen und Rhetorik. Und leider ist das auch etwas, was wir in Deutschland in den letzten Jahren relativ stark gesehen haben, dass also häufig gesprochen wird von den besorgten Bürgern, dass die Positionen, die Rhetorik normalisiert werden der AfD, und auch das hilft diesen Parteien. Also dass das Stigma langsam aufgeweicht wird und diese Parteien eine Partei wie jede andere wird. Was sie natürlich im Kern nicht sind, das sind im Kern antiliberale und antidemokratische Parteien, aber sie werden eben zunehmend zu normalen Parteien durch den Diskurs, durch das Verhalten von anderen Parteien, durch die Medien und so weiter. 

Fischer: Was wäre denn ein Gegenmittel sozusagen? Also wenn man jetzt gut, die Konjunktur kann man nicht so wirklich ändern, die hart Überzeugten kann man auch vermutlich schwer vom Gegenteil wieder überzeugen, plötzlich grün zu wählen, aber diesen Aspekt, dass wir selber sozusagen in Anführungszeichen ein bisschen dran schuld sind als Medien, als Parteien, was würden Sie dann empfehlen?

Abou-Chadi: Es ist so, dass man sich, glaub ich, von der Idee verabschieden muss zu sagen, wir machen jetzt eine Sache oder zwei, drei Sachen und dann verschwinden die Parteien wieder. Das ist ganz klar, diese Parteien werden etablierter Teil unserer Parteiensysteme bleiben. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, wie man deren Macht eindämmen kann. Und da sind in der Vergangenheit und immer noch sehr viele Fehler passiert. Eine Sache, die habe ich schon erwähnt, ist diese Normalisierung, dass die Themen der radikalen Rechten aufgegriffen werden, dass sich auf die zu bewegt wird. Wir zeigen zum Beispiel in der Forschung, dass wenn etablierte Parteien stärker kritisch sich gegenüber Migration äußern, stärker Anti-Migrationspositionen einnehmen, dass das die radikale Rechte nur stärkt letztendlich, weil sie normalisiert wird und am Ende denken sich die Wähler:innen, na ja, dann wählen wir eben das das Original. Also das ist, glaube ich, einen Schritt, in dem man kurzfristig wirklich nicht diese Konjunktur der Parteien bedienen darf. 

Und dann muss es mittelfristige Strategien geben. Da geht's darum, Leute aus den Unsicherheiten der großen Transformationen, die wir gerade haben, rauszuziehen, sie in eine gewisse Form von Schutz und Sicherheit zu geben, aber auch immer wieder und aktiv gegen die Grundideen der radikalen Rechten zu argumentieren und sich damit auseinanderzusetzen und sie eben eigentlich nicht zu beschönigen. 

Fischer: Was kann denn beispielsweise eine SPD oder Sozialdemokraten, die Sie sich ja auch immer genauer für ihre Forschung angucken, können die denn eigentlich gerade so viel machen? Also sie machen was, es wird nicht so richtig gesehen, weil trotzdem alles teurer wird, und die AfD jubelt gleichzeitig. Also irgendwie wirkt das, als hätten die dann trotzdem die Hände gebunden, wie man so schön sagt.

Abou-Chadi: Ja, genau. Also Hände gebunden würde ich immer nicht sagen. Ich glaube, gerade als Politikwissenschaftler will ich natürlich auch dran glauben, dass Politik Gestaltungsraum hat und diese Sachen auch beeinflussen kann. Es kommen zwei Sachen zusammen. Ganz einfach gesagt, wenn die Regierung unbeliebt ist, dann wählen Menschen eben eher die Opposition. Und dann können wir uns die Opposition im Moment anschauen und dann ist es eben so, dass die CDU/CSU mit ihrer Rhetorik dazu beiträgt, dass es der AfD besser geht, also eben diese Idee von Kulturkampf fördert; dass DIE LINKE natürlich unglaublich mit sich selbst beschäftigt ist im Infighting. Und dadurch ist die AfD ja fast die einzige Partei, die in den Umfragen richtig gewonnen hat seit der letzten Bundestagswahl und dadurch profitieren die. 

Aber es gibt schon auch, man kann schon sagen, auch eine funktionierende, beliebtere Regierung, die irgendwie handlungsfähig erscheint, die diesem Anti-Eliten-Narrativ nicht ganz so viel Nahrung gibt, würde durchaus auch helfen. 

Fischer: Jetzt habe ich schon zehn Minuten über die deutsche Politik geredet, können ich noch eine halbe Stunde länger machen, aber ich habe ja auch ein bisschen was oder wir wollen auf jeden Fall ein bisschen was von Ihnen erfahren. Sie sind als Einstein Fellow gerade in Berlin, wollen hier eine Arbeitsgruppe aufbauen, Wahlpräferenzen im europäischen Vergleich zu untersuchen vor allem mit Blick auf sozialdemokratische, grüne und linke Parteien. Gibt's da Länder, wo Sie sagen, die finde ich besonders spannend, die will ich mir auf jeden Fall angucken und warum?

Abou-Chadi: Meine Forschung generell hat so einen breiteren, vergleichenden Fokus. Das heißt, wir versuchen möglichst viele Länder, Personen, Parteien einzubinden eigentlich immer, weil man aus dem Vergleich sehr viel gewinnen kann. Aber ich denke, dass es doch auch bestimmte Länder gibt, wo es gerade sehr interessante Vergleiche gibt. 

Also wie Sie schon gesagt haben, ich bin gerade in den Niederlanden. Hier passiert gerade sehr viel im Parteiensystem, es ist wirklich im Umbruch. Eine Sache, die hier passiert und die sehr spannend für unsere Forschung ist, ist, dass die Grünen und die sozialdemokratische Partei hier, die Partei von der Arbeit, gerade gemerged haben, also die gemeinsam antreten, zumindest mit einer gemeinsamen Liste für die Wahl im November. Und das ist eine sehr spannende Begebenheit, wo eben zwei Parteien, die so ein bisschen in den letzten Wahlen mit sehr schlechten Ergebnissen nicht mehr so richtig wahrgenommen wurden, jetzt gemeinsam antreten und mit Franz Timmermans eine sehr prominente Figur hier auch als Kandidat für den Premier haben. Aber auch andere Umbrüche. Ich glaube, wenn ich jetzt darüber reden würde, dann hätten wir 20 Minuten voll, aber hier ist sehr stark ein Parteiensystem im Umbruch gerade. 

Zweites Land vielleicht, dass ich erwähnen kann, auch für die Sozialdemokratie sehr spannend, ist Spanien, wo es Pedro Sanchez immer gegen alle Voraussagen schafft, weiter Premierminister zu bleiben. Und wie es gerade aussieht, er es nach dieser Wahl - wirklich auch gegen alle Umfragen und alles - scheinbar wieder schafft, Premierminister zu bleiben, was eine sehr spannende Frage ist. Was auch diese Rolle von Regierungsführung im Moment angeht, wo so ein Gefühl, mit dem wir arbeiten gerade oder eine Hypothese, mit der wir arbeiten, ist, dass gerade in dieser Poli-Krisenwelt durch diese Rolle des Premierministers, der Ministerpräsidentin sehr viel gebündelt werden kann und dass das am Ende zu sehr viel Unterstützung führt, weil da so eine Vertrauensperson da ist, den viele Leute dann doch wählen am Ende.

Fischer:  Also Parteien- und Wählerverhalten zu erforschen, ich stell's mir im ersten Moment ein bisschen trocken vor oder eben so, dass man sich die Ergebnisse, die Kandidaten oder auch Wahlprogramme anschaut, aber in dem Fall sind Sie ja auch vor Ort. Ist das was, was dann auch wichtig ist dafür oder wie muss man sich so einen Arbeitsalltag vorstellen? 

Abou-Chadi: Genau, ich muss jetzt natürlich stark sagen, dass das überhaupt nicht trocken ist und dass wir da alle ganz, ganz spannende, faszinierende Forschung machen. Gibt natürlich unterschiedliche Arten, das zu machen. Wie ich hauptsächlich arbeite, ist tatsächlich basierend auf quantitativen Daten. Das heißt, wir arbeiten sehr viel mit Umfragen beispielsweise, wir machen Experimente, und die geben einem natürlich die Möglichkeit, menschliches Verhalten anders zu verstehen. Vor allem ist der Unterschied, also menschliches Verhalten von Wähler:innen, aber auch von Politiker:innen. Der Unterschied ist, wir können menschliches Verhalten erklären, ohne dass uns Menschen selber ganz genau sagen, ich verhalte mich so und so aus diesem und diesem Grund. Wenn beispielsweise Leute sagen, das war der Grund, warum ich gewählt habe auf diese oder eine andere Art, ist es schwierig, dass das wirklich den kompletten Wahlprozess erklärt, weil Leute denken da oft gar nicht so aktiv drüber nach. Und wenn sie dann gefragt werden, dann ist so ein bisschen das erste Mal, dass sie versuchen, das zusammenzusetzen, diese Entscheidung nachzukonstruieren. Und das heißt, da passieren ganz viele Sachen, Leute erinnern sich häufig auch gar nicht so gut an diese Entscheidungen und können sehr expressiv und bauchgetrieben sein und so weiter. Und das heißt, was wir mit quantitativen Daten machen können, ist auch einfach basierend auf bestimmten Korrelationen zu sagen, wenn Menschen bestimmte Charakteristiken haben, ist es wahrscheinlicher, dass sie diese oder jene Partei wählen, wenn die Partei, wenn die ihre Positionen verschieben, kommen folgende Ergebnisse dabei raus. Das heißt, das ist eine sehr andere Art, den Prozess zu verstehen. 

Natürlich bin ich auch ein politischer Mensch und wir sind eingebettet in politische Prozesse, die um uns herum passieren, und deswegen ist es immer faszinierend, wenn Wahlen passieren, wenn man wo ist, wo eine Wahl passiert, und das ist immer wie Geburtstag einmal alle vier Jahre, wenn Bundestagswahl ist. Also das ist schon natürlich ein ganz anderer Prozess. Alle Leute sind ein bisschen mehr politisch interessiert und die Gespräche sind ganz anders und einfach zuzuhören, wie dann sich Leute entscheiden und warum, ist natürlich ein spannender Teil meines Berufs, der würde ich aber sagen, auch spannender Teil des, weiß ich nicht, demokratischen Bürgerinnenseins ist. 

Fischer: Wie kam das überhaupt? Also woher kam denn Ihr Interesse an politischen Parteien, an Wahlverhalten? 

Abou-Chadi: Ja, es ist eine gute Frage. Ich habe das eigentlich angefangen während meiner Dissertation. Also ich würde sagen, ich war schon immer politisch, politisch interessiert, engagiert als Jugendlicher schon, hab dann auch Sozialwissenschaften studiert, habe mich aber lange mehr eigentlich mit politischer Theorie beschäftigt und dann sehr viel mit Migrationspolitik. Also mein Weg eigentlich zu Parteien kommt darüber, dass ich mich während meines Masters und dann dem PhD mit Migrationspolitik beschäftigt habe und von der Migrationspolitik eigentlich zu den radikal rechten Parteien gekommen bin. Und das hat dann ein Interesse geweckt, indem ich mich eigentlich wegbewegt hab von vielem, was ich davor gemacht habe und wirklich sehr stark auf diese Fragen nach Wahlen und Parteien, wo ich auch gemerkt hab, dass mein, na ja, mein Bauchinteresse an Politik, das, was mich wirklich fasziniert ist, worüber ich gerne diskutiere, genauso diese Fragen, Wahlen, Parteien, ich dann umsetzen kann auch in meine Arbeit. Und das war dann ein sehr erfreuliches Zusammenkommen für mich, das mich wirklich motiviert hat, mehr Arbeit in die Richtung zu machen, und auch gleichzeitig gemerkt hab, dass das eine, dass mir das Spaß macht, das auch zu kommunizieren mit den entsprechenden Akteuren und einer Öffentlichkeit. Also zu sagen, das ist wirklich was, wo ich gern drüber rede mit Politiker:innen oder auch Journalist:innen, weil das die Berichterstattung und unsere Wahrnehmung von Politik ja so stark treibt und dadurch dieses Scharnier zwischen Politikwissenschaft und Interesse in der Öffentlichkeit auch irgendwie besser herzustellen. 

Fischer: Es ist schon mal ein Riesenglücksfall, wenn man wirklich das findet, was einen total motiviert und Spaß macht. Das hat geklappt bei Ihnen. Und dann haben Sie vor acht Jahren Ihren Doktor gemacht in Berlin, dann kam Zürich, jetzt sind Sie schon Professor in Oxford. Was hat Ihnen denn abgesehen von der Motivation, Ihrer eigenen, am meisten geholfen auf diesem Weg, also bei dieser Karriere?

Abou-Chadi: Das ist das ist eine gute Frage. Ich glaube, man muss auch immer ein bisschen aufpassen, dass man das nicht verklärt im Nachhinein. Der Weg, den wir haben in der Wissenschaft, ist ein sehr schwieriger und es ist es gibt viele Hindernisse, Professor oder Professorin zu werden. Ich glaube, was mir in der Wissenschaft immer geholfen hat, ist eine gewisse Neugierde. Ich habe es aus irgendeinem Grund geschafft, Fragen zu stellen, die sehr gut funktionieren als wissenschaftliche Fragen, die dazu führen, dass es Debatten anstößt, sowohl in der Wissenschaft als auch in breiteren Debatten. Und ich glaube, das ist ja eine Sache, wenn man über Wissenschaft ein bisschen anders nachdenkt, dass wir mit unseren Veröffentlichungen innerhalb einer wissenschaftlichen Community zu Debatten beitragen und dass wir diese Debatten bereichern und die weiterführen und andere Leute uns dann rezipieren in einer immerwährenden Debatte. Und ich glaube, was ich geschafft habe, ist irgendwie Fragen zu stellen, die resoniert haben in dieser Debatte. Und das, glaub ich, war ein wichtiger Schritt dann in der Karriere. 

Fischer: Und woran sind Sie gescheitert vielleicht auch auf dem Weg? Also wenn wir über Verklären reden, wollen wir auch die negativen Seiten hören.

Abou-Chadi: Also ich glaube, Scheitern möchte ich gar nicht verwenden als Begriff, aber natürlich ist die wissenschaftliche Laufbahn eine, wo man irgendwie mit rejection, also Ablehnung wäre vielleicht eine starke Übersetzung, aber wo man damit leben muss, dass bestimmte Dinge nicht angenommen, hingenommen, gefördert werden. Das ist irgendwie das Alltägliche im Wissenschaftsprozess. Ein Artikel wird nicht angenommen, ein Projekt wird nicht angenommen. Man bekommt viel Kritik ständig, das ist ja auch gut. Also ich stelle da irgendwas vor, was ich mache und der Raum ist erst mal damit beschäftigt, das zu kritisieren. Das heißt, das ist ein ganz normaler Bestandteil des wissenschaftlichen Prozesses, aber ich glaube, das ist auch nicht immer einfach und ich denke, das ist kein Scheitern, aber aus dem Prozess wird man natürlich besser. 

Also am Ende einer Dissertation sollte man zurückschauen und sich denken, oh ja, was ich in den ersten sechs Monaten gemacht hab, na ja, da hat eine Entwicklung stattgefunden. Und ich glaube zu lernen, wann man auch mal sagt, das ist jetzt eine Sackgasse, ich leg das zur Seite, auch das ist eben kein Scheitern, sondern genau das Gegenteil eigentlich ein wichtiger Schritt im wissenschaftlichen Prozess. 

Fischer: Würden Sie denn jungen Leuten heutzutage grundsätzlich empfehlen, so eine universitäre Laufbahn ,speziell vielleicht auch in eine politikwissenschaftliche, einzuschlagen?

Abou-Chadi: Also ich liebe meinen Beruf. Ich finde auch, wenn ich vergleiche mit guten Freunden von mir oder so, die sagen wir mal mehr einen typischen Corporate Job haben. Ich geh lieber zur Arbeit als die. Ich kann das schon so sagen. Es ist ein unglaublich vielfältiger Beruf. Es gibt ganz viele tolle Sachen. Wir sitzen manchmal zwei, drei Tage alle zusammen und denken über irgendwelche Fragen nach und diskutieren die, das ist natürlich ein unglaubliches Privileg. Man muss aber auch gleichzeitig sagen, dass der Arbeitsmarkt als Wissenschaftler:in kein attraktiver Arbeitsmarkt ist in ganz vielen Bestandteilen, die es da gibt. Kommt darauf an natürlich, womit man es vergleicht. Aber ich glaube, es ist schon wichtig, dass wir in der Wissenschaft immer eine Tendenz haben, das so als den Goldweg irgendwie zu beschreiben, dass man sagt, also die, die am besten sind, die es am meisten aushalten, die am stärksten sind, die setzen sich dann durch und werden Professor:innen. Und ich glaube, da verklären wir, dass es auch ganz viele tolle Jobs außerhalb der Wissenschaft gibt und dass wir eigentlich als System mehr dafür sorgen müssen, dass diversere Wege und diversere Personen es auch letztendlich auf eine Professur schaffen und dass es natürlich mehr Stellen im Akademischen auch geben muss, die was anderes sind als eine Professur und mit denen man gut leben kann und irgendwie sicher leben kann. 

Fischer: Wie kann das denn gelingen? 

Abou-Chadi: Da müssen wir noch mal den ganzen Podcast für mehrere Stunden machen, denke ich. Es gibt natürlich bestimmte Sachen im deutschen Wissenschaftssystem, mit denen geht's eigentlich nicht in die Zukunft. Also sagen wir mal vom Lehrstuhlsystem angefangen, von der unglaublichen Prekarisierung, die wir haben, eben aber auch von dieser in der momentanen Debatte immer wieder geäußerten Idee, nur die Besten schaffen es auf die Professur, und Leute, die irgendwie vier Jahre Postdoc sind, die sind dann gescheitert oder nicht aus dem richtigen Holz geschnitzt oder so. Also auch kulturell muss sich natürlich was ändern. Die Hierarchie, die wir im System haben, die dafür sorgt, dass nach wie vor nur 26 Prozent aller Professuren von Frauen besetzt sind, all solche Sachen, wo man auch eine Wissenschaftskultur natürlich ändern muss. 

Fischer: Tatsächlich ein Thema, was wir immer wieder besprechen und sich so viele Wissenschaftler:innen wünschen und ich hoffe auch, dass sich da einfach nach und nach langsam was tut. Das können wir heute wahrscheinlich nicht mehr lösen. Aber was ich gern noch mal am Ende wissen würde, wie malen Sie sich denn heute so eine Parteienlandschaft aus zur Bundestagswahl, guck mal so ganz weit in die Zukunft 2033 zum Beispiel? 

Abou-Chadi: Ja, gute Frage. 2033 ist ja noch gar nicht so weit in der Zukunft. Ich bin jetzt froh, dass ich nicht 2150 sagen muss. Also ich glaube, dass wir, sagen wir mal, in der in der näheren Zukunft wir schon eine Rekonfigurierung an einem, sagen wir mal, links-liberalen Pol und einem mehr rechts-nationalen Pol haben werden, dass sich das so ein bisschen legt. Dass sicherlich in zehn Jahren Wahlen auch noch ungefähr sich an diesem Pol orientieren werden, auch Identitäten sich darum herum bilden. Ja, also die die einen, die irgendwie als Kosmopoliten gedacht werden, versus die anderen, die irgendwie eher lokal national verwurzelt sind und so. Ich denke, dass das schon eine typische Parteienlandschaft ist, also 'n bisschen das, was wir jetzt haben in den in den nächsten zehn Jahren. 

Ich glaube, dass dann aber die großen Menschheitsherausforderungen, die wir haben, Klima allen voran, aber auch Fragen von Gesundheit, generell Fragen der menschlichen Biologie sehr, sehr stark eine Rolle spielen werden in den nächsten in den nächsten fünfzig Jahren. Fragen von, wie können wir unsere Körper verändern? Dann auch im Wechsel spielen wir natürlich dem, was irgendwie maschinelles Lernen macht. Und das sind natürlich alles Herausforderungen, wo man dann auch fragen muss, sind Parteiendemokratien, wie wir sie kennen, so als die Hauptausprägung von Demokratien im Moment, werden das noch die Systeme sein überhaupt, in denen diese Fragen behandelt werden. Also gar nicht mehr, was für Parteien gibt's, sondern gibt es noch Parteien in der der Art und Weise, wie wir sie verstehen? Und das würde ich, sagen wir mal für die nächsten 100 Jahre wär ich mir da nicht so sicher.

Fischer: Oh, jetzt freu ich mich schon auf Part 2, wenn wir in der nächsten Runde über die Zukunft der Parteien sprechen. Genau, ich melde mich dann 2123 wieder bei Tarik Abou-Chadi, mit dem haben wir nämlich heute gesprochen für diesen Podcast der Einstein Stiftung AskDifferent. Eine halbe Stunde geballte Wissenschaft mit dem Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Transformation der europäischen Demokratien an der Universität Oxford, Tarik Abou-Chadi. Und wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, dann schauen Sie sich doch gern auch mal die anderen an mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus allen möglichen Disziplinen, von Psychobiologie über Soziologie, Chemie bis hin zu Neurologie. All das zu finden auf den gängigen Plattformen und auf der Seite der Einstein Stiftung. Mein Name ist Nancy Fischer. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. Machen Sie's gut. Auch nach Amsterdam an Tarik Abou-Chadi. Vielen Dank. 

Abou-Chadi: Auch vielen Dank.