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Nachrichten der Einstein Stiftung Berlin


Die Einstein Stiftung und die Corona-Krise: Interview

Die Geschäftsführerin der Einstein Stiftung Marion Müller und der Vorstandsvorsitzende Günter Stock über die Auswirkungen der Corona-Krise auf neue Förderanträge, das Soforthilfeprogramm der Stiftung und die internationale Zusammenarbeit von Wissenschaft und Forschung
 

Frau Müller, Herr Stock, können Sie uns bitte kurz schildern, welche konkreten Auswirkungen die Corona-Krise auf die Fördertätigkeit der Stiftung hat? 

Müller: Uns erreichen derzeit viele Nachfragen von geförderten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die durch die Unischließungen bei der Durchführung ihrer Forschungsvorhaben in Verzug geraten und sich erkundigen, ob verlängerte Projektlaufzeiten möglich sind. Zudem mussten wir beispielsweise die große internationale Begutachtung eines Antrags auf ein Einstein-Zentrum, die Mitte März stattfinden sollte, aufgrund der Reisebeschränkungen absagen. 

Welche Regelungen hat die Einstein Stiftung zur Fortführung dieser Projekte getroffen?

Stock: Wir sind im Gespräch mit dem Land. Sollte es einen Rettungsschirm für die Wissenschaft geben, hoffen wir, dass die von der Einstein Stiftung geförderten Projekte bedarfsabhängig berücksichtigt werden. Wir werden uns in Abstimmung und Kooperation mit der Senatsverwaltung nach Kräften darum bemühen, dass die jeweiligen Projekte ihre Ziele erreichen können — allerdings wird das wohl ohne zusätzliche Mittel nicht gehen.

Gibt es Beschränkungen in Bezug auf neue Förderungen? Wie steht es um die Fristen zur Einreichung von Förderanträgen?

Müller: Wir hoffen sehr, dass wir nicht nur die nächste Frist, nämlich den 29. Mai 2020, für die Einreichung von Förderanträgen in den Programmen Einstein Junior Fellows, Einstein International Postdoctoral Fellows und Einstein-Zirkel halten können, sondern mit unseren Begutachtungs- und Entscheidungszyklen nicht allzu sehr aus dem Rhythmus kommen. Das bedeutet, dass wir wohl einige Sitzungen im Videokonferenzformat durchführen müssen. Aber wir sind zuversichtlich, dass das funktionieren kann.

Was müssen Geförderte ansonsten derzeit berücksichtigen?

Müller: Die Geschäftsstelle befindet sich ebenfalls im Notpräsenzmodus, das heißt bis auf drei Personen arbeitet das Team im Homeoffice. Bei Korrespondenz per Post kann es daher zu Verzögerungen kommen. Ansonsten sind wir telefonisch, per Email oder Videoschaltung für die Berliner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie immer erreichbar.

In Reaktion auf die Corona-Krise hat die Einstein Stiftung ein Soforthilfeprogramm initiiert. Könnten Sie das Programm bitte kurz erläutern? Wie sind die ersten Erfahrungen damit?

Müller: Das Programm soll der Charité ermöglichen, Medizinstudierende mit einschlägigen pflegerischen Vorerfahrungen in diversen Bereichen einzusetzen. Dafür stellt die Stiftung insgesamt 300.000 Euro zur Verfügung. Das Programm ist fulminant gut gestartet mit mehreren hundert Studierenden aus unterschiedlichen Bereichen, die sich gemeldet haben. Rund 100 Personen sind tatsächlich bereits im Einsatz.

Stock: Faszinierend war die hohe Kooperationsbereitschaft all unserer Gremien. Wir haben es geschafft, innerhalb von vier Tagen dieses Programm zu starten. Das Schöne daran ist, dass das Programm sehr flexibel ist, dass Studenten in diesem Programm die Freiheit haben, genau so viel in der Klinik zu arbeiten, wie es mit ihren übrigen Aufgaben vereinbar ist. Es gab vielfältige positive Reaktionen auf das Programm – bemerkenswert war das Echo in den sozialen Medien, aber auch das politische Interesse ist groß.

Sollte die Einstein Stiftung Sonderprogramme zu Forschungsbereichen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie auflegen?

Stock: Nein, die Einstein Stiftung sollte ihr Bottom-up-Prinzip beibehalten. Und wir haben ja mit unserem diversifizierten Programm-Portfolio alle Möglichkeiten. Natürlich könnte es sein, dass wir im Kontext der aktuellen Pandemie verstärkt aus dem Bereich der Gesundheitswissenschaften Anträge erhalten. Und wenn Berlin hier neue Forschungsschwerpunkte etablieren will, bietet sich das Programm der Einstein-Profil-Professuren besonders an, da wir dadurch wichtige Professuren außerhalb der Strukturpläne der Universitäten ermöglichen können.

Die Wissenschaft arbeitet weltweit mit Hochdruck gemeinsam an Lösungen rund um die Pandemie - man könnte meinen, die Krise hat sich zu einem Katalysator der weltweiten Zusammenarbeit, des Austausches von Informationen, Daten und Ergebnissen, von Open Access insgesamt entwickelt. Lassen sich hier Rückschlüsse für die Zeit nach Überwindung der Pandemie und für andere Wissenschaftsbereiche ziehen?

Müller: Die Wissenschaft ist per se international. Wissenschaftler kennen sich, sie treffen sich auf Kongressen, sie arbeiten zusammen jenseits von Landesgrenzen und Nationalitäten. Die eigentlichen Stolpersteine für die durch Drittmittel geförderte internationale Zusammenarbeit sind eher die Regularien, Fristen und Begutachtungsverfahren der Förderorganisationen.

Stock: Die derzeitig große internationale Kooperation ist nur möglich geworden, weil es vorher schon sehr gute Kontakte gegeben hat. Die Forschungsbereiche der Infektiologie, Virologie, Epidemiologie und Public Health gründen geradezu auf internationalen Kooperationen und ich bin mir sicher, dass wir hier langfristig eine noch stärkere Partnerschaft erhalten werden. Was in dieser Krise hingegen schmerzlich sichtbar wurde, sind die stark getrennten Gesundheitssysteme in Europa. Hier würde ich hoffen, dass wir künftig europäischer denken und handeln können.

Wie nachhaltig ist die gestiegene öffentliche Wertschätzung der Wissenschaft?

Müller: In dieser Krise ist es so deutlich wie selten zuvor geworden, wie wichtig Wissenschaft für die Lösung gesellschaftlicher Probleme ist. Oftmals wird wissenschaftliche Beratung ja gezielt auch genutzt, um politische Standpunkte zu konsolidieren. Hier wird Wissenschaft jedoch in ihrer Kontroversität und Offenheit an die Öffentlichkeit herangetragen – insofern ist es schon ein neuer, ein tieferer Einblick, den die Gesellschaft darüber erhält, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert.

Was können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dieser Situation in kommunikativer Hinsicht lernen?

Stock: In kommunikativer Hinsicht war insbesondere die Art und Weise, wie über das Nichtwissen gesprochen wurde, erfreulich. Das ist ein Punkt, der bei der Wissenschaftskommunikation oftmals etwas zu kurz kommt. Hier hat uns das Virus geholfen. Das Schöne an diesem Prozess war, dass man als Öffentlichkeit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beim Lernen zuschauen konnte und kann. Das ist meines Erachtens auch das Geheimnis der Glaubwürdigkeit. Zudem glaube ich, dass sich in der breiten Öffentlichkeit ein stärkeres Bewusstsein für Fakten und Fake herausbildet – gerade in den sozialen Medien.

Was wird die Krise für langfristige Konsequenzen haben, gerade für die Wissenschaft?

Müller: Derzeit ist die Wissenschaft präsenter denn je in der medialen, politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Ich denke, zukünftig wird noch mehr Menschen die Bedeutung von Wissenschaft auch für ihre eigene Existenz bewusst. Für viele war Wissenschaft ja oft etwas Unerreichbares, mit dem man im alltäglichen Leben vermeintlich nicht viel zu tun hat.

Stock: Ich erhoffe mir ein europäischeres, ein grenzüberschreitendes Denken und Handeln. Das betrifft übrigens auch die Fördermittelgeber, die vielleicht auch einmal darüber nachdenken sollten, bessere grenzübergreifende Förderformate zu erfinden.

Gibt es bei Ihnen, neben der Kontaktsperre, weitere einschneidende persönliche Änderungen oder geht das Leben eigentlich weiter wie bisher? 

Stock: Ich habe während der Arbeitstage, die ich sonst hatte, nie so viel Musik gehört wie zurzeit und unser Garten hat auch profitiert. (lacht)

Müller: Mein Arbeitsalltag hat sich nur insofern geändert, als dass ich mehr telefoniere und an Videokonferenzen teilnehme, und ich zuhause zusätzlich nun stärker als sonst in Schule und Lernbetreuung eingebunden bin. Das ist nicht immer ganz leicht, vor allem weil ein Kind ja erst einmal verstehen muss, dass schulfrei kein Synonym für Ferien ist. Und von den Eltern unterrichtet zu werden, ist wahrscheinlich für ein Kind auch nicht immer vergnüglich.

Liebe Frau Müller, lieber Herr Stock, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Interview: Christian Martin (April 2020)

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