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Nachrichten der Einstein Stiftung Berlin


#13: Günter Stock

Freiheit und Verantwortung

Foto von Günter Stock während der Podcast-Aufnahme mit Mikrofon

Für die in diesem Jahr letzte Folge von #AskDifferent haben wir mit dem Vorstandsvorsitzenden der Einstein Stiftung Günter Stock über Freiheit und Verantwortung in der Forschung gesprochen. Im Podcast blickt er auf die Entwicklung Berlins hin zur internationalen Wissenschaftsmetropole und das Erfolgsmodell Public-Private-Partnership in der Forschung. Zudem erläutert unser Gast am Beispiel vom Einstein Foundation Award, wie man gute Praxis in der Wissenschaft nachhaltig fördern kann.

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Intro: Was wir wirklich geschafft haben, ist Exzellenz in relativ wenigen Jahren auf wirklich hohem Niveau in Berlin zu produzieren. Und auch mithilfe der Einstein Stiftung gelingt es auch, internationale Kolleginnen und Kollegen nach Berlin zu bringen, entweder auf Dauer oder aber auf Zeit mit unseren Visiting-Fellow-Projekten, die wir haben. Berlin ist attraktiv geworden für viele Gebiete in der Wissenschaft, nicht nur in der Medizin, aber gerade auch in der Medizin. AskDifferent, der Podcast der Einstein Stiftung mit Leon Stebe.

Leon Stebe: Heute spreche ich mit Professor Günther Stock, dem Vorstandsvorsitzenden der Einstein Stiftung. Er hat Berlin als Ort der Wissenschaft in vielen Funktionen und Ämtern mitgeprägt. Er hat Medizin studiert, ist später in die Wirtschaft gegangen, war Mitglied des Vorstands der Schering AG, zuständig für Forschung und Entwicklung. Wir sprechen über Qualität in der Wissenschaft. Was zeichnet eigentlich gute Forschung aus? Und wir sprechen über die Frage, wie sich die Hauptstadtregion mit der Wissenschaft noch weiterentwickeln könnte. Willkommen im Podcast. Schönen guten Tag, Herr Professor Stock. 

Günter Stock: Danke, dass Sie mich empfangen. 

Stebe: Was macht für Sie in diesen Zeiten jetzt eine gute Wissenschaftlerin, einen guten Wissenschaftler aus? 

Stock: Wissen Sie, die Frau Koelbl hat ja jetzt einen wunderbaren Band mit unserer Hilfe herausgebracht, wo auch Wissenschaftlerporträts gemacht werden. Wenn man diese Porträts liest, kommt eigentlich raus, wovon ich immer überzeugt war: Ein guter Wissenschaftler ist derjenige, wie in anderen Berufen auch, der sich auszeichnet durch Hingabe, durch Sorgfalt und durch Anstand. Die Hingabe braucht man. Man muss fleißig sein, das gehört mit Sicherheit dazu, aber es gehört vor allem Ernsthaftigkeit dazu. Die Sorgfalt hat damit zu tun, dass man seine Themen so wählt, dass man auch die richtige Methodik findet und auch die Methodik sorgfältig anwendet und darüber sorgfältig berichtet. Und schließlich die Frage des Anstandes, klingt ein bisschen altertümlich, aber Anstand ist, wenn man andere Ergebnisse, die es schon gibt, ausreichend berücksichtigt und vor allem, wenn man seine eigenen Ergebnisse nicht überstrapaziert in der Interpretation. Das ist für mich letztlich ein guter Wissenschaftler. 

Stebe: Das heißt, ein Mensch in der Forschung muss auch mit Widersprüchen, mit Unsicherheiten umgehen. 

Stock: Ist ein zentrales Element, wenn man sich mit Wissenschaft beschäftigt, dass man zunächst einmal mit Irrtümern umgehen muss. Man muss immer wissen, dass selbst die Ergebnisse, die man für wahr hält, eigentlich Wahrheiten auf Zeit sind und dass sie immer auch ein Stück weit begrenzt sind. Dieses Wissen begleitet einen guten Wissenschaftler und damit ist es ganz wichtig, dass er in seinem gesamten Leben lernt, mit solchen Dingen umzugehen. Und je älter, erfahrener, erfolgreicher er wird, umso wichtiger ist, dass er sich daran erinnert. 

Stebe: Jetzt haben wir in der Coronakrise erlebt, dass ein Teil der Gesellschaft es kaum erträgt, wenn die Forschung Umwege macht, wenn sie nicht eindeutig sein kann, wenn sie sagen muss: Wir wissen es einfach noch nicht. Viele tun sich schwer, das zu verstehen.

Stock: Ich halte es für selbstverständlich, auch ich bin ungeduldig. Ich bin ungeduldig, was wissenschaftliche Ergebnisse anlangt. Ich bin ungeduldig, was politische Prozesse anlangt. Ich bin ungeduldig, wenn Mitarbeiter vielleicht nicht in der Geschwindigkeit liefern, wie ich das gerne hätte. Gleichwohl gehört es zum Prinzip des Arbeitens, dass man diese Ungeduld beherrscht und damit in einer vernünftigen Weise umgeht. Wer in den bestimmten Themen nicht sieht, wie schwierig, wie komplex dieses alles ist, der kommt zu dieser Ungeduld. Derjenige, der die Komplexität erfahren hat und weiß, dass es schwierig ist, dass es Umwege braucht, dass es manchmal völlig überraschende Ergebnisse gibt, die man gar nicht geplant hat. Der lernt, mit diesen Überraschungen und mit dieser Ungeduld umzugehen und ist damit auch ein Fachmann für Komplexität und für Ungeduld. Und ich habe deshalb großes Verständnis, wenn Menschen, die nicht gelernt haben, in dieser unmittelbaren Welt zu leben, dass sie manches Mal ungeduldig sind. Aber wie gesagt, ich bin auch ungeduldig.

Stebe: Aber ist es nicht auch ein Dilemma? Wissenschaft ist komplex, kann auch sehr abstrakt sein. Nicht alle können das nachvollziehen. Da wünschen sich viele einfache Antworten, die es so vielleicht gar nicht gibt. Haben wir da nicht einen Zielkonflikt?

Stock: Es gibt ganz wenige Gebiete in unserem Leben, bei denen es einfache Antworten gibt. Die Wissenschaft ist noch mal ein bisschen komplexer, weil wir sogar in bestimmten Fachdisziplinen eigene Sprachen haben. Und selbst, wenn wir das gleiche Wort benutzen, ist derjenige, der aus der Geistwissenschaft kommt, geht mit dieser Begrifflichkeit sehr viel sorgfältiger um als jemand, der aus der Biomedizin kommt, wie ich zum Beispiel. Das heißt also auch, die Inhaltsschwere von Begrifflichkeiten wird erstens unterschiedlich verstanden, selbst innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin, und wird dann auch unterschiedlich konnotiert. Und allein da beginnen schon die Missverständnisse. Und umso wichtiger ist es dann, die Brücke zu schlagen zu denen, die sich dieser verschiedenen Inhalte von Begrifflichkeiten nicht so bewusst sind. Deshalb müssen wir uns, wenn wir als Wissenschaftler etwas erklären, schon sehr gut überlegen, mit welcher Begriffs- und Wortwahl und mit welcher Konnotation wir dieses tun. 

Stebe: Weil Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch die Gesellschaft im Blick haben müssen. 

Stock: Ich fände es immer merkwürdig, wenn man so tut, als seien Wissenschaftler außerweltliche Lebewesen. Wir sind ja als Wissenschaftler Fachpersonen auf einem ganz bestimmten Gebiet. In allen anderen Gebieten sind wir interessierte Laien. Das heißt, wir haben eigentlich nur auf einem einzigen Gebiet einen Vorsprung. Ich glaube, dieses Wissen muss uns begleiten und darf uns auf gar keinen Fall überheblich machen. Das führt zurück auf das, was ich eingangs gesagt habe. Wir müssen uns ständig dessen bewusst sein, dass das, was wir produzieren an Wissen, erstens ein Wissen auf Zeit ist und dass es eben auch ein Stück begrenzt ist. 

Stebe: Es ist auch deshalb wichtig, weil natürlich die Gesellschaft auch eine Rolle hat. Sie stellt auch die Mittel zur Verfügung. Für gute Forschung braucht es Geld. Geld ist notwendig. Welche Rolle spielt Geld in diesem Prozess?

Stock: Also ohne Geld können wir keine Wissenschaft machen. Das heißt, Wissenschaft ist auch, gerade wenn es um Naturwissenschaften geht, wenn es um medizinisch biologische Forschung geht, ist teuer. Deswegen, aber nicht nur deswegen, steht Wissenschaft auch unter einem ganz bestimmten Rechtfertigungsdruck. Wir haben ja Privilegien, wir dürfen arbeiten. Wissenschaft ist grundsätzlich frei. Wir dürfen unsere Themen in aller Regel selbst wählen. Und wie die Pandemie jetzt gerade zeigt, es gibt ja eine Reihe von Wissenschaftlern, die haben offensichtlich die Themen richtig gewählt, auch wenn die Gesellschaft das nicht von denen verlangt hat. Ich finde das, was in der Wissenschaft in Freiheit entwickelt wird, kann entweder dann unmittelbar zur Anwendung führen, das ist dann leicht zu argumentieren. Die großen Durchbrüche allerdings entstehen in der Wissenschaft völlig losgelöst in aller Regel von dem, wie es später angewendet werden kann. Die sogenannte zweckfreie Wissenschaft. Und gleichwohl, nach einigen Jahren, nach vielen Jahren stellt man plötzlich fest, dass dieses eine zentrale Bedeutung hat für Durchbrüche, für neue Denkweisen, für neue Technologien, für neue Anwendungen. Solange die Wissenschaft, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sorgfältig mit diesen Privilegien umgehen und sorgfältig kommunizieren, warum sie was tun, so lange, glaube ich, sollte es möglich sein, auch die notwendigen Gelder für die Forschung zu erhalten, wie wir sie brauchen. Und wir sind, das muss man sagen, in Berlin, in Deutschland in gewisser Weise privilegiert, weil die Forschung, die Wissenschaft eine große Unterstützung durch die Gesellschaft, durch die Politik erfährt und eigentlich fast jeden Tag neu erhält. 

Stebe: Das alles muss natürlich professional gemanagt werden, damit Geld richtig bereitgestellt wird. Welche Bedeutung hat dabei eine Stiftung, eine Stiftung wie die Einstein Stiftung?

Stock: Die Einstein Stiftung hat das Privileg, dass sie überall dort helfen kann, wo die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen vielleicht nicht in dem Maße ausgeprägt sind, wie sie die Forschung braucht. Wir betrachten ja das, was wir tun als Enabling. Das heißt, wir ermöglichen zum Beispiel Verbünde zwischen Wissenschaftlern, wofür es noch kein Geld gibt. Das heißt, wenn Sie die Exzellenzinitiative nehmen, dann war es schon so, dass mit dem Geld der Einstein Stiftung Wissenschaftler Kooperationen gemacht haben, für die es vielleicht anderweitig nicht so ohne Weiteres Geld gegeben hätte. Und mit dieser Anfangsfinanzierung war es dann möglich, im Exzellenzwettbewerb so erfolgreich zu sein, wie wir es sind. Es ist ja kein Geheimnis, noch vor zehn Jahren war die Frage der Kooperation, Kooperationswilligkeit zwischen den Universitäten nicht in dem Maße ausgeprägt, wie man sich dieses hätte wünschen können. Heute ist es ganz anders. Und ich glaube, dass eine Stiftung wie die Einstein Stiftung, die jetzt seit elf Jahren tätig ist, deren Ziel ja ist, die Kooperation zu fördern, dass die schon einen wesentlichen Beitrag dafür auch geleistet hat und geholfen hat, zu sehen, dass tatsächlich Kooperation, Integration möglich sind und zum Vorteil verhelfen in einer Wissenschaftslandschaft Berlin.

Stebe: Sie fördern Kooperation. Die Einstein Stiftung sitzt in Berlin. Die Forschung ist global. Die Menschen in der Forschung sind weltweit vernetzt und trotzdem ist das ja ein sehr besonderer Standort hier, Berlin. 

Stock: Zunächst einmal, Berlin ist ein wunderbarer Standort. Und wir haben es ja geschafft, tatsächlich mit München gleichzuziehen und in bestimmten Bereichen sogar weiterzukommen. Ich halte das auch für völlig in Ordnung für eine Hauptstadt eines Landes wie Deutschland. Es ist eher scherzhaft gemeint. Aber ich glaube, was wir wirklich geschafft haben, ist Exzellenz in relativ wenigen Jahren auf wirklich hohem Niveau in Berlin zu produzieren. Wir sind international anerkannt und auch mithilfe der Einstein Stiftung gelingt es auch, internationale Kolleginnen und Kollegen nach Berlin zu bringen, entweder auf Dauer oder aber auf Zeit mit unseren Visiting-Fellow-Projekten, die wir haben. Aber es gelingt eben auch, auf Dauer Menschen nach Berlin zu bekommen. Berlin ist attraktiv geworden für viele Gebiete in der Wissenschaft, nicht nur in der Medizin, aber gerade auch in der Medizin.

Stebe: Sie haben als Vorstandsvorsitzender der Einstein Stiftung einen Preis ins Leben gerufen, den Einstein Award for Promoting Quality in Research. Warum haben Sie das getan? Was ist das Ziel? 

Stock: Es gibt sehr viel Forschung. Nicht genug, wir brauchen auch viel Forschung, um Zukunft zu gestalten. Und aus dem vorher Gesagten geht ja hervor, dass die Qualität der Forschung ein zentrales Anliegen ist. Nicht nur, aber eben auch für die Einstein Stiftung. Forschung muss, wenn sie gut ist, neue Türen aufstoßen. Sie muss nicht nur gut an sich sein, sondern sie muss auch neue Optionen eröffnen, wie zum Beispiel jetzt der Nobelpreis für CRISPR vergeben wurde. Er öffnet völlig neue Therapiemöglichkeiten. Das ist exzellente Forschung. Exzellente Forschung muss sich exzellenter Methoden bedienen, muss aber auch transparent sein und wiederholbar, also robust sein. Nicht alles, was experimentell gemacht wird, nicht alles, was in den Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften gedacht, vielleicht auch empirisch erarbeitet wird, folgt immer den strikten Exzellenzkriterien. Und es gibt ein Anliegen dieses Preises, für die Robustheit und Qualitätsverbesserung der Forschung zu sorgen und gleichzeitig mit der Preisvergabe nicht nur Organisationen oder Individuen zu belohnen, die Ideen haben, wie wir das systematisch absichern können, sondern gleichzeitig auch der Öffentlichkeit zu zeigen, dass wir ständig dabei sind, die eigenen Qualitätsanforderungen permanent zu optimieren und die dann auch kenntlich zu machen. Und gerade wenn es Methoden geht, um die Robustheit zu erhöhen oder um die Wiederholbarkeit zu dokumentieren, in solchen Fällen ist es, glaube ich, wichtig, dass wir dieses auch innerhalb der Wissenschaft und außerhalb der Wissenschaft deutlich machen, dass wir dafür geradestehen.

Stebe: Wenn Sie von Robustheit sprechen, wie bemisst sich die Qualität in der Wissenschaft? 

Stock: Wissenschaft muss wiederholbar sein, Nummer eins. Wissenschaft muss, und das hab ich vorhin gesagt, neue Türen aufstoßen, neue Optionen ermöglichen. Wissenschaft muss transparent dokumentiert werden. Es muss nicht nur das Experiment muss nachvollziehbar sein, auch die Daten und die Interpretation muss nachvollziehbar sein. Und auch das würde ich gerne noch mal betonen: Man darf die Daten, die man erhoben hat, nicht überstrapazieren, denn sie sind in einem ganz bestimmten Kontext richtig, oftmals auch nur auf Zeit. Und der Wissenschaftler muss in der Lage sein, über diese Themen zu reflektieren. Und das gehört alles dann zur guten Wissenschaft dazu. 

Stebe: Es geht also nicht nur Inhalte und die Ergebnisse, sondern es geht auch darum, wie gearbeitet wird. 

Stock: Ja.

Stebe: Sie haben die Daten angesprochen. Wir leben in einer Welt voller Daten. Die kommen von überall her und da geht's ja auch das große Thema, wie in Anführungszeichen sauber sind diese Daten. Haben Sie da vielleicht die Sorge, dass da vielleicht auch etwas unter die Räder gerät, weil die Datenqualität vielleicht auch teilweise nicht so ist, wie man sich das vorstellt?

Stock: Wir reden von Big Data, wo enorme Datenmengen zusammenkommen. Und es ist schon wichtig, mit welcher Qualität die einzelnen Datenpunkte erhoben werden. Nun wird sich sicherlich in einer großen Zahl statistisch das eine oder andere verlieren und trotzdem wird es jetzt in der Lage, Trends auszuprägen oder Trends abzuschwächen. Von daher ist die Qualität der einzelnen Datenpunkte von zentraler Bedeutung. Schauen Sie, es ist ja jetzt sehr modern geworden, mehrere Studien zusammenzufassen in Metaanalysen. Und dann gibt es Ergebnisse x y. Die sind der Medizin modern, sind in Klimaforschung modern. Wenn wir nicht brutal und hart die Daten der einzelnen Studien sauber hinterfragen und sauber erarbeitet haben, nimmt automatisch die Qualität der Metaanalyse und der Konsequenzen, die wir ziehen aus den Metaanalysen. Denn Metaanalysen sind ja ein Hilfsmittel, weil in der einzelnen Studie nicht so viele Daten erarbeitet werden können. Umso wichtiger ist, dass die einzelnen Daten, die erhoben worden sind und dann Eingang finden in der Analyse, wirklich gesichert und robust sind und einer Überprüfung standhalten. Deshalb ist die Datenqualität so wichtig. 

Stebe: Und da sind wir dann wieder bei der Kommunikation, weil die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ja quasi kommunizieren müssen, mit welchen Daten sie gearbeitet haben. 

Stock: In der Regel sind ja die Daten, die wir erarbeiten, durchaus interessant und relevant. In der Medizin ist dieses leichter darzustellen als vielleicht in anderen Gebieten. Und trotzdem, auch in allen Gebieten geht es darum, dass diese Daten eine Bedeutung haben und für Menschen zur Kenntnis genommen werden. Daten werden ja auch wiederverwendet. Sie kommen in der Sekundärliteratur vor. Sie werden irgendwo zitiert. Sie werden verwendet, um Argumentationsstränge zu untermauern. Deswegen sollte es möglich sein, demjenigen, der es wirklich wissen will, diese Argumentationsstränge und Datenstränge nachzuverfolgen. Letztlich, wie wir sagen, bis zum Laborbuch. 

Stebe: Woher kommt eigentlich Ihre Leidenschaft zur Forschung, zur guten Forschung, zur sauberen Forschung? Woher kommt diese Lust?

Stock: Wir sind ja alle neugierig. Sie als Journalist befriedigen Ihre Neugier anders, als ich dieses tue. Sie haben auch ihre Methoden, wie sie an neue Erkenntnisse herankommen. Sie lesen auch nicht alles, sondern sie versuchen auch selber Dinge zu machen. Und ihre Methode ist eine andere als die, die ich verwende. Ich bin wirklich neugierig, ich bin wirklich neugierig. Ich bin neugierig auf Menschen. Und ich bin neugierig auf das, was Menschen treibt und was Menschen vorantreibt. Das war ja auch der Beginn letztlich meiner eigenen Forschung. Ich hab mich ja früher sehr intensiv beschäftigt der Frage, wie Emotionen entstehen. Es war vor allem bei den Tieren, was Tiere vorantreibt, natürlich in Analogie zu dem, was wir tun. Das hat mich schon immer fasziniert, eigentlich seit dem dritten Semester, als ich Medizin studiert habe.

Stebe: Dabei wollten Sie, bevor Sie in die Forschung gegangen sind, eigentlich Landarzt werden. 

Stock: Richtig. Das war das große Ziel. Aber ich wollte ja viel. Ich habe immer sehr konkrete Pläne gehabt für mein Leben. Ich wollte Landarzt werden. 

Stebe: Und was hat Sie davon abgebracht? 

Stock: Ich saß in der Vorlesung für Physiologie. Es ging um Hirnforschung, es ging um Emotionen. Es ging um Kreislaufregulation, also was nun die Herztätigkeit, die Kreislauftätigkeit beeinflusst. Und ich war für den Landarzt verloren. Dann wollte ich in der Forschung bleiben in der Universität, weil ich glaubte, ich sei der geborene Hochschullehrer. Und dann kam ein sehr interessantes Angebot aus der Industrie. Und dann bin ich Industrie gegangen, habe dort Industrieforschung gemacht. Das war überhaupt nicht mein Lebensplan. Aber die Faszination, damals zur Industrie zu gehen, war, es war genau der Übergang von der klassischen Welt der Medizin, des Trial and Error, hinein in die naturwissenschaftlich geprägte Medizin, in die molekulare Medizin. Und genau diesen Umstieg, den durfte ich und musste ich gestalten. Und ich muss sagen, das war einer der aufregendsten Zeiten, die ich überhaupt hatte. Also immer scharf geplant, aber immer etwas anderes gemacht. 

Stebe: Dieser Schritt in die Wirtschaft, den haben Sie gerade beschrieben, dass das so eine wahnsinnig spannende, aufregende Zeit war. Warum war das so aufregend? 

Stock: Es war die aufkommende molekulare Medizin. Man konnte plötzlich sehr viel rationaler an neue Medikamente, an Wirkstoffe herankommen. Wir wussten plötzlich mehr als nur den Rezeptor auf der Oberfläche. Wir hatten plötzlich ganz andere Möglichkeiten, Prozesse in der Zelle zu verstehen, völlig neue Transmitter kennenzulernen und dieses experimentell a) nachvollziehen zu können und dann daraus Medikamente zu machen. Das war an sich dann das wirklich Aufregende. Es war eine sehr innovative Forschung, auch eine sehr mutige Forschung. Und wir haben ja damals als Firma haben wir auch das Thema Biotechnologie gemeinsam mit dem Senat von Berlin, ich sag mal, stark entwickelt mit einer Gründung eines eigenen Instituts, das genbiologische Institut. Weil wir schon damals, und davon war ich immer überzeugt, die Dinge nicht allein in der Firma machen können. Wir brauchen, wir brauchen die öffentliche Wissenschaft, wir brauchen die öffentliche Hand, wir brauchen Public Private Partnership. Und dieses Institut für Genbiologie, weil damals schon absehbar war, das wird ein so großes gigantisches Gebiet. Das kann ich gar nicht mit meinen wenigen Forschern handeln. Wir brauchen dort akademische, deutlich akademische Hilfe. Und dann dieses Institut war einerseits für uns als Schering damals eine zentrale Hilfe. Aber es war vor allem dann für die Entwicklung der Biotechnologie in Berlin und der Region, glaube ich, schon ein ganz wichtiger Impuls, den wir gemeinsam mit dem damaligen Senat gegangen sind.

Stebe: In welchem Verhältnis steht industrielle und wissenschaftliche, also öffentliche Forschung, sag ich mal? 

Stock: Sie haben sich Gott sei Dank verbessert. Exzellente Forschung gibt's auch in der Industrie. Nur sie ist privat zielorientierter, die öffentliche Forschung, aber die ist natürlich auch zielorientiert. Sie hat ein etwas anderes Ziel. Aber wenn Sie schauen, wie viele Mediziner heute auch daran arbeiten, neue therapeutische Möglichkeiten anzubieten, dann sind die Unterschiede vielleicht nicht ganz so groß, wie sie in der Öffentlichkeit immer noch fälschlicherweise verstanden werden. Deutschland gibt sehr viel Geld für Forschung aus. 70 Prozent bringt der private Sektor auf und nur 30 Prozent der Staat. Das kann ja nichts anderes bedeuten, als dass wir versuchen müssen, die Potenz, die in beiden Bereichen sitzt, dort, wo es möglich ist, zusammenzuführen, um gemeinsam noch bessere Ergebnisse, noch bessere Forschung zu machen. Public Private Partnership ist ein für mich zentrales Thema, weil das Silodenken, hier die Industrie, hier der öffentliche Forschungssektor, das heißt eigentlich, Chancen vertun, wenn man nicht lernt, zu kooperieren und nach Möglichkeit auch bestimmte Ziele gemeinsam abzusprechen. Wobei natürlich die Rechte, Pflichten, Anstand bei der Vertragsgestaltung zentrale Elemente sein müssen. 

Stebe: Jetzt sind wir wieder beim Begriff Anstand. Wie notwendig ist es, dass die Wissenschaft unabhängig agieren und arbeiten kann? 

Stock: Sie muss unabhängig agieren. 

Stebe: Wie stellt man das sicher? 

Stock: Ich will zu einem einfachen Beispiel machen. Wenn Sie mit einer Industrie zusammenarbeiten, dort wird ja immer die Frage thematisiert, wie kann dann unabhängige Forschung dieses gewährleisten, vertraglich? Es wird ganz eindeutig verabredet, dass alles, was geforscht wird, auch veröffentlicht wird. Natürlich kann man mal 14 Tage warten, um zu prüfen, ob es patentfähig ist oder nicht. Wenn es patentfähig ist, muss man fair die Patentrechte miteinander besprechen und verteilen. Das tut man am besten, bevor Patente da sind und nicht erst, wenn sie da sind. Das heißt, das kann man alles vertraglich machen. Es ist wichtig, wenn ich jetzt die staatliche Forschung allein betrachte, dass sie frei ist von staatlichem Zwang. Auch das ist ein Stück Freiheit. Wir sehen das ja heute in Ungarn, wie stark dort Wissenschaft auch thematisch eingeengt wird. Wir sehen es in anderen Ländern, wo Wissenschaft dadurch eingeengt wird, dass sie einfach kein Geld mehr geben, nicht? Wir haben in Deutschland die wunderbare Situation, dass die Geisteswissenschaften nach wie vor finanziell sehr gut versorgt werden. Das ist nicht in allen Ländern so. Es ist ja fast schon trivial zu sagen, aber das, was geistwissenschaftlich in der DDR geforscht wurde, hat relativ wenig Bestand gehabt, weil es ideologisch fixiert war. Die Kanzlerin hat noch mal drauf hingewiesen, sie ist Naturwissenschaftlerin geworden, weil die Lichtgeschwindigkeit und die Schwerkraft ideologisch nicht veränderbar sind. Geschichtswissenschaft, politische Wissenschaft ist ideologisch veränderbar. Das heißt, es gibt subtile Einflüsse auf die Forschungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit und es gibt brutale und massive und natürlich finanzielle. Das gehört zu den brutalen, wie ich finde. Also die Freiheit der Wissenschaft ist ein Thema. Wir leben auf einer Insel der Seligen. Es ist wunderbar in unserem Lande. Aber wir müssen jeden Tag aufpassen, dass dies auch so bleibt und sie ist nicht durch industrielle Kooperation bedroht. 

Stebe: Was fasziniert Sie am Wissenschaftsstandort Berlin? 

Stock: Die Vielfalt, die vielen Möglichkeiten, viele sehr exzellente Kollegen. Ich hab ja schon mal darauf hingewiesen, dass die Einstein Stiftung kräftig hilft, exzellente Persönlichkeiten nach Berlin zu bringen. Und was das besonders Schöne ist, dass man den Aufschwung zu einer Medizin- und Wissenschaftsmetropole in meiner Generation verfolgen konnte. In den Achtzigerjahren hätte man nicht unbedingt von einem Wissenschaftsmekka Berlin gesprochen. Aber wenn Sie schauen, was mit der Gründung, der Wiederbegründung der Humboldt Universität, mit der Wiederbegründung der Charité, wenn Sie sehen, wie viele außeruniversitäre Institutionen nach Berlin gekommen sind, wir sind neben München, glaube ich, der zweitgrößte Standort für Max-Planck-Institutionen. Wenn Sie dies alles sehen, dann wird auch die Ungeduld, die man von Zeit zu Zeit einmal hat, das könnte doch noch schneller, noch besser werden, wird dadurch durchaus relativiert, wenn man so wie ich bis auf die Neunzigerjahre wirklich zurückblicken kann, was uns gelungen ist. Es heißt also, es ist die Faszination der Vielfalt, aber es ist doch der Nachweis der Machbarkeit. Es lohnt sich, Zeit und Kraft zu investieren in diesen Medizin- und Wissenschaftsstandort Berlin. 

Stebe: Es lohnt sich. Was würden Sie dieser Stadt, diese Hauptstadtregion wünschen? Was wäre Ihre Vision für die Wissenschaftsregion?

Stock: Ich würde gern meine Vision ein bisschen weiterspannen, nicht nur auf Berlin. Ich würde mir natürlich wünschen, dass der Wissenschaftsgesundheitsstandort Berlin ein international noch sichtbarer und vielleicht einer der ersten in Europa wird. Dazu gehört allerdings auch, dass wir den Mut finden, noch stärker als bisher universitäre und nichtuniversitäre Wissenschaft zusammenzudenken. Es gehört dazu, dass wir vielleicht auch mal den Mut haben, den geistigen Raum Berlin-Brandenburg insgesamt stärker in den Blick zu nehmen. Ich würde mir wünschen, dass es uns gelingt mit unserem Beispiel, das ja ein Beispiel für Kooperation und Integration ist, so viel Strahlkraft zu entwickeln, dass dieses vielleicht auch dazu führt, dass der Forschungs- und Bildungsraum Europa lernt, dass dieses tatsächlich möglich ist und dass durch diese Vielfalt ganz neue Kräfte entstehen können. Also ich würde mir schon wünschen, eine Ausstrahlung, auch die europäische Dimension. Ich würde gern eine europäische Wissenschaftsregion sein, die noch stärker auch viele europäische Wissenschaftler nach Berlin anzieht. Und nicht nur die Kooperation mit Oxford, die wir ja schon haben. Ich könnte mir viele solche Kooperationen vorstellen. Wir könnten ein Hotspot europäischer Geisteswelt, ich sag's mal, wieder werden. 

Stebe: Und dabei kann man ja sagen, es tut sich ja schon so viel. Es gibt tolle Professuren in vielen Bereichen, tolle Institute. Es gibt viele Start-ups, viele Errungenschaften schon jetzt. Fußballer würden sagen, eigentlich ist das doch schon Champions League. Aber trotzdem sagen Sie, da geht noch mehr. 

Stock: Es gibt ein berühmtes Sprichwort, they’ll resume at the top.

Stebe: Danke, dass Sie sich dafür einsetzen. Spannend, wie Sie diese Region sehen. Anders sehen als Ort der Spitzenwissenschaft, die sich immer weiterentwickelt. Danke Ihnen sehr für das Gespräch. 

Stock: Danke Ihnen. 

Stebe: Professor Günther Stock, der Vorstandsvorsitzende der Einstein Stiftung. Und das war diese Folge von AskDifferent. Wir freuen uns sehr, wenn dieser Podcast abonniert wird bei Apple, bei Spotify und über alle anderen Apps. Mein Name ist Leon Stebe und ich sage tschüss, ciao und bis zum nächsten Mal.