#1: Surjo Soekadar
Ich war immer schon sehr technikaffin

Intro: Dann hatten wir eine Patientin, die hatte über 20 Jahre einen Schlaganfall schon mit schwersten Lähmungen, also konnte die Hand im Prinzip überhaupt nicht verwenden. Und mit dem Exoskelett ist es ihr dann gelungen, die Hand zu öffnen. Und wenn man das gesehen hat, man konnte es wirklich in dem ganzen Raum spüren, dass da etwas Besonderes für diese Person passiert ist. AskDifferent, der Podcast der Einstein Stiftung. Warum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anders fragen.
Nancy Fischer: Hallo, ich bin Nancy Fischer. Erinnern Sie sich noch an das Zitat „keine Arme, keine Schokolade“? Das war aus dem Film „Ziemlich beste Freunde“, wo der Pfleger Driss seinen querschnittsgelähmten Patienten Philippe Schokolade vors Gesicht hält und der nix machen kann. Heute, acht Jahre später, könnte Philippe zugreifen und das auch dank Surjo Soekadar. Er ist nämlich Einstein-Professor für Neurotechnologie hier an der Universitätsmedizin der Charité, wo wir gerade sind. Und er arbeitet unter anderem mit sogenannten Exoskeletten, mit deren Hilfe gelähmte Menschen nur ans Greifen nach Schokolade denken müssen und dann klappt das auch. Den Rest übernimmt die Maschine und ich bin sehr gespannt, wie man sowas entwickelt und freue mich, dass ich mich mit Surjo Soekadar heute unterhalten kann darüber. Schönen guten Tag.
Surjo Soekadar: Hallo.
Fischer: Keine Hände, trotzdem Schokolade. Ist das in etwa zusammengefasst das, woran Sie forschen?
Soekadar: Ja, also das kann man so sagen. Es geht darum, dass verlorengegangene Fähigkeiten wiederhergestellt werden durch Neurotechnologie. Und Neurotechnologie, das sind Technologien, die es vermögen, Hirnaktivität zu messen und dann, und das ist eben das Neue, in Echtzeit in Steuersignale von Systemen oder von Geräten, das können auch Alltagsgeräte sein, zu übersetzen.
Fischer: Mal ganz praktisch. Am Beispiel, zum Beispiel eines querschnittsgelähmten Menschen, wie funktioniert das?
Soekadar: Es ist so, dass man eigentlich schon seit vielen Jahrzehnten weiß, dass wenn Sie sich zum Beispiel vorstellen, Sie möchten mit Ihrer Hand etwas greifen, dass dann in bestimmten Arealen Ihres Gehirns die Ströme, die dort fließen, sich verändern in Ihrer Charakteristik. Und das konnte man eigentlich schon vor vielen Jahrzehnten messen über die Elektroenzephalographie, die jetzt mittlerweile auch schon über 100 Jahre alt ist. Das Problem war aber, dass man das Ganze ja in Echtzeit praktisch auslesen musste. Dafür brauchte man Computer. Und so war's dann auch, dass in den 90er Jahren erst im Prinzip diese Hirnströme analysiert werden konnten, automatisiert und erst in den letzten, sagen wir mal, 15, 20 Jahren das Ganze auch so eingesetzt werden konnte, dass das im Alltag überhaupt möglich wäre. Also wir sind jetzt mit unserer Forschung so weit, dass wir eben genau diese Neurotechnologie auch im Alltag einsetzen können. Das heißt, diese querschnittsgelähmten Patienten kriegen von uns eine Elektrodenkappe beziehungsweise ein Headset, das sie auf ihrem Kopf tragen. Und dieses Headset zeichnet die Hirnströme der Patienten auf. Diese werden dann in Echtzeit auf einem Tablettcomputer oder auf dem Smartphone analysiert und dann per kabelloser Verbindung an ein Exoskelett, wie das hier zum Beispiel auf dem Tisch liegt, weitergeschickt. Und mit diesem Exoskelett können Sie dann, wenn Sie daran denken, das Glas zu greifen, dann auch tatsächlich Ihre gelähmten Finger bewegen.
Fischer: Dieses Exoskelett ist so eine weiße Plastikhand mit so verschiedenen Klettverschlüssen für die einzelnen Finger. Aber wie sehr ist sowas schon im Alltag angekommen?
Soekadar: Es dauert vor allem auch deswegen, weil wir ja Unternehmen finden müssen, die bereit sind, das Risiko auf sich zu nehmen, so etwas zertifizieren zu lassen, weiterzuentwickeln, zu testen, mit Patienten zu arbeiten. Das sind alles Dinge, die sehr lange dauern. Man muss sehr, sehr viele Dinge beachten, wenn man mit Patienten arbeitet. Vor allem, wenn sie das selbstständig zu Hause einsetzen sollen. Diese Zertifizierungsprozesse sind sehr aufwendig und deswegen können wir eigentlich sagen, das, was wir heute in der Forschung sehen, das wird noch mal fünf bis zehn Jahre dauern, bis Sie das wirklich, wenn Sie jetzt als Patient kommen, auch kaufen können.
Fischer: Was Sie dafür nutzen, haben Sie grad schon angesprochen, dass diese Gehirncomputerschnittstelle, die auch bei psychischen Erkrankungen hilft, also bei Depressionen zum Beispiel oder bei Suchterkrankungen. Dass ich jetzt hier denke, okay, greif zu, Arm, und er greift zu und ich trink das Wasser, das ist irgendwie logisch. Aber wie funktioniert das bei psychischen Erkrankungen?
Soekadar: Das ist jetzt die große Forschungsfrage, die ich in einem ERC Grant, also vom Europäischen Forschungsrat, adressieren möchte, also untersuchen möchte. Wir haben das für die Motorik sehr gut gezeigt. Es ist möglich, diese spezifischen Veränderungen der Hirnströme zu identifizieren, in Echtzeit zu übertragen in so ein Steuersignal eines Exoskeletts. Und jetzt ist es aber so, dass andere Hirnfunktionen, zum Beispiel Emotionsverarbeitung, kognitive Kontrolle, die sind natürlich auch mit irgendwelchen Hirnwellen, Hirnströmen verbunden. Da werden Netzwerke aktiviert im Hirn. Das Problem ist aber, dass wir das noch nicht so gut identifizieren konnten. Und das ist bei der Motorik sehr einfach, weil ich kann einfach fragen, ja, jetzt beweg mal deinen Arm und mit der Anweisung untersuche ich dann, was verändert sich im Hirn. Das ist bei den psychiatrischen Bereichen schwieriger, weil ich kann ja jetzt nicht Ihnen befehlen, sei jetzt mal traurig oder entwickele jetzt mal einen Zwangsgedanken. Die kommen ja einfach. Und das ist dann sehr, sehr schwierig, die zu identifizieren praktisch. Und da haben wir jetzt hier an der Charité die Strategie entwickelt, dass wir Hirnstimulation einsetzen, um, während jetzt ein Patient versucht, zum Beispiel Emotionskontrolle zu bekommen, das Hirn in einer bestimmten Art und Weise stimuliert, und wir dann natürlich schauen, gelingt es ihm oder gelingt es ihm nicht? Und über maschinelle Lernverfahren können wir dann praktisch das Netzwerk und auch die Aktivität, die dahintersteckt, identifizieren. Das ist der erste Schritt. Im zweiten Schritt passen wir die Hirnstimulation so an, dass wir diese Hirnaktivität gezielt verstärken.
Fischer: Sie sind noch mittendrin in der Forschung. Lassen Sie uns trotzdem mal versuchen, so zehn Jahre vorauszudenken. Wie stellen Sie sich vor, könnten Sie dann beispielsweise einem suchterkrankten Menschen helfen damit?
Soekadar: Also bei Suchterkrankungen gibt es unterschiedliche auch Hirnfunktionen, die betroffen sind. Ein großes Problem ist zum Beispiel das Craving. Das heißt, jemand ist praktisch auf eine Sucht und das entsprechende Verhalten konditioniert. Und hat dann dieses unglaubliche Verlangen, wieder Drogen zu konsumieren oder wieder Alkohol zu trinken. So, und in dieser Phase ist es wichtig, dass man dieses Craving praktisch kontrollieren kann. Und wir wissen, dass dafür bestimmte frontale Hirnareale auch mit zuständig sind, die da aktiv werden, um das Craving im Prinzip in Schach zu behalten, dass man nicht davon übermannt wird. Und jetzt wäre natürlich unsere Herangehensweise, dass wir gezielt diese Areale, die es einem ermöglichen, zu widerstehen, dass man diese Areale verstärkt in ihrer Funktion.
Fischer: Bei aller Hightech, über die wir hier sprechen, spielt auch immer die Künstliche Intelligenz eine große Rolle bei Ihrer Forschung. Also KI, dieser große schwammige Begriff, inwieweit hilft der Ihnen? Inwieweit nutzen Sie den?
Soekadar: Also wir haben verschiedene Schnittstellen zur sogenannten Künstlichen Intelligenz. Im Prinzip bedienen wir uns maschineller Lernverfahren in der Analyse für Hirnaktivität. Das ist der eine große Bereich, an dem wir auch, sagen wir mal, vermehrt jetzt forschen. Der andere Bereich, da sind wir jetzt wieder bei den Exoskeletten, der beschäftigt sich mit dem großen Problem: Wenn wir jetzt nicht invasiv Ihre Hirnaktivität aufzeichnen, um dieses Handexoskelett zu steuern, zum Beispiel um die Hand zu greifen, dann ist es ja so, dass Sie die Hand je nach Kontext, ob Sie in der Küche sind und ein Glas greifen oder ob Sie Ihre Zahnbürste greifen wollen im Bad, ganz unterschiedlich steuern. Und diese unterschiedliche Steuerung können wir nicht-invasiv aber nicht auslesen, weil wir ja nur Oberflächenelektroden haben. Dafür reicht die Präzision dann nicht. Wir können feststellen, Sie möchten etwas mit der Hand machen, Sie möchten greifen. Das funktioniert. Aber wir können nicht sehen, welche Finger möchten Sie in welchem Winkel einstellen. So, und da hilft uns jetzt die künstliche Intelligenz. Wir kombinieren diese Exoskelette mit entsprechenden Sensoren, die kontextsensitiv sind. Das heißt, die Sensoren verstehen, aha, die Person befindet sich in der Küche. Vor ihr steht eine Pfanne, ein Glas, eine Tasse.
Fischer: Woher wissen sie das?
Soekadar: Na ja, das kann man unter über unterschiedliche Verfahren praktisch einlesen. Da gibt es zum Beispiel die 3D-Objekterkennung, die sich eben auch der Künstlichen Intelligenz bedienen, die selber lernt, was für Objekte eigentlich vor einem liegen, zum Beispiel eine Schüssel mit Erdbeeren. Ich kann dann feststellen, hier ist Fruchtsalat mit Erdbeeren. Und jetzt würde es theoretisch reichen, dass der Proband sagt, ich möchte eine Erdbeere essen. So und gibt den Befehl, die Motorik zu starten. Jetzt würde die Prothese, das Exoskelett oder der Roboter verstehen, aha, der Proband möchte eine Erdbeere essen, und würde jetzt den besten Lösungsweg praktisch berechnen in dem spezifischen Kontext auf der Basis der Künstlichen Intelligenz, den Roboterarm so zu bewegen, dass eine Erdbeere praktisch aufgenommen wird und gegessen werden kann. Und da kommt praktisch die Künstliche Intelligenz ins Spiel. Und in den letzten zehn Jahren haben wir ja durch die Handytechnologie einen regelrechten Boom der Sensorik gesehen. Also wir sind eigentlich völlig umgeben von Sensoren, die uns komplett digitalisieren. Und auf diese Daten zuzugreifen, das ist praktisch jetzt das Ziel und das mit den Hirncomputerschnittstellen zu verbinden.
Fischer: Es muss ja für Menschen beispielsweise, die das vorher nicht konnten, die gelähmt sind, unfassbar sein, also dank Ihrer Technologie wieder greifen zu können. Erinnern Sie sich denn noch daran, als das zum ersten Mal passiert ist durch Ihre Hilfe?
Soekadar: Ja, das ist jetzt schon auch ein bisschen länger her und wir haben natürlich am Anfang nur mit gesunden Probanden das Ganze getestet. Das war noch in meinen Tübinger Zeiten und wir hatten dann damals die Idee, jetzt gehen wir mal auch zu den Schlaganfallpatienten über oder zu Menschen mit schweren Lähmungen, die ihre Hand nicht mehr öffnen können. Ja, dann hatten wir eine Patientin, die hatte über 20 Jahre einen Schlaganfall schon mit schwersten Lähmungen, also konnte die Hand im Prinzip überhaupt nicht verwenden. Und na ja, mit dem Exoskelett ist es ihr dann gelungen, die Hand zu öffnen. Und wenn man das gesehen hat, man konnte es wirklich in dem ganzen Raum spüren, dass da etwas Besonderes für diese Person passiert ist. Etwas völlig, sagen wir mal, Selbstverständliches für uns kann für solche Menschen ein wahnsinniges Glück bedeuten. Und allein die Tatsache, dass sie das wollte und es passiert ist, das war spürbar. Das war ein besonderer Moment für diese Frau. Und na ja, diese Dame, die begleitet uns immer noch, die ist sozusagen wirklich sehr, sehr treu, was die Forschung angeht. Also von Anfang an hat sie uns begleitet und ist auch immer noch immer gerne da, wenn wir neue Exoskelette entwickelt haben und die mal testen möchten, weil sie einfach so begeistert ist von dieser Technologie.
Fischer: Und wie war das für Sie?
Soekadar: Das dann zu beobachten, ist schon was Besonderes. Auf der anderen Seite beschäftigen wir uns ja tagtäglich damit. Also ich habe ja jahrelang praktisch dahin gearbeitet, dass diese Technologie am Ende auch funktioniert. Und ich sag mal so, für mich ist es dann besonders befriedigend, wenn ich sehe, dass wir diese Technologien nicht nur jetzt im Labor, in ganz sterilen Situationen eigentlich einsetzen können, sondern die anderen Schritte eben machen. Weil zu sehen, dass diese Patienten diese Möglichkeit haben, ist das eine. Das viel Wichtigere ist aber, dass sie das dann auch wirklich im Alltag einsetzen können und dass es ihnen wirklich Lebensqualität verbessert. Und das ist ein langer Weg an, auf den ich mich jetzt eingelassen habe. Also ich bin ja als Psychiater ein ziemlicher Exot mit dieser Form der Forschung, aber ich bin davon überzeugt, dass wir über diese Technologie lernen, wie wir auch psychische Erkrankungen besser behandeln können durch diese neurotechnologischen Verfahren. Und ich kann unglaublich viel lernen von diesen Patienten, die eben über Jahre und Jahrzehnte gelähmt sind und dann auch mit Technologie ganz neue praktisch Möglichkeiten entwickeln können. Das ja, ist dann schon, sagen wir mal, ein steiniger Weg, aber es gibt immer wieder Erlebnisse, die einen darin bestätigen, dass es doch weitergehen kann.
Fischer: Sie sagen steiniger Weg und Sie haben jetzt aber schon einen sehr langen Teil dieses Weges gegangen. Sie haben ja mittlerweile die erste Professur für Neurotechnologie überhaupt in Deutschland, was ja wahrscheinlich nicht so Ihr Traumberuf war, als Sie sechs oder sieben Jahre alt waren als kleines Kind. Also sprich, wie kamen Sie denn in diesen speziellen Bereich?
Soekadar: Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, was ich eigentlich mit sechs oder sieben Jahren werden wollte. Also ich hatte, glaub ich, lange Zeit auch die Idee, dass ich vielleicht mal Chemiker werde oder in diese Richtung gehe. Und das mit dem medizinischen Bereich kam dann ein bisschen später so Richtung Oberstufe, weil ich gesehen habe, dass man mit der Medizin eben unheimlich viele vielfältige Tätigkeitsfelder hat. Man kann als Arzt in den unterschiedlichsten Bereichen tätig sein. Und na ja, das fand ich irgendwie gut. Man gibt wenig Freiheit auf, wenn man sich dafür entscheidet, Arzt zu werden, weil man eben doch viele Optionen hat dann damit. Na ja, und dann hat sich das so herausgebildet. Ich war immer sehr technikaffin, würde ich schon sagen, aber eben auch sehr kritisch, ne? Mir war immer klar, die Technik ist kein Selbstzweck, sondern die Technik ist da, um die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Und diesen Abwägungsprozess, den erleben wir ja jetzt im Moment auch, nicht? Also die Technologie ist exponentiell in ihren Möglichkeiten. Sie umgibt uns und sie gefährdet aber auch teilweise unsere Selbstbestimmung. Und ich finde, in diesem Prozess, da bin ich jetzt an einem Bereich, den ich hochspannend finde, wo ich zumindest für den medizinischen Bereich dann auch ein paar Weichen stellen kann, dass das alles sich positiv entwickelt.
Fischer: Die Technologie, die Sie ansprechen, die ja im Prinzip jetzt schon in unserem Gehirn na ja, die einen sagen Gehirnströme misst, die anderen sagen vielleicht so was wie Gedanken liest in der weitesten Form, die kann natürlich auch zum Risiko werden. Wo würden Sie sagen, das geht mir jetzt zu weit, da kann ich nicht mehr mitmachen? Das kann ich nicht vertreten, forschungstechnisch?
Soekadar: Also alle Ansätze, wo praktisch Informationen ausgelesen werden ohne das Einverständnis oder das explizite Einverständnis und den Einblick der Menschen, das ist für mich völliges Tabu. Also wenn's unbewusste Prozesse geht, die dann eingesetzt werden, praktisch um Entscheidungen zu treffen für die Person, ja? Das sind alles Dinge, die sind für mich völlig klar jenseits von dem, was wir uns wünschen können. Technologie soll praktisch Entscheidungen erleichtern, aber die Entscheidungen müssen immer die Menschen treffen. Das ist ja im Prinzip das, was uns als Menschen ausmacht, dass wir entscheiden können. Und wenn wir uns jetzt vorstellen, wir sind von Technologie umgeben, die uns diese Entscheidungen abnimmt und das dann sozusagen durch die Hintertür, weil's bequemer wird. Das halte ich für eine ganz große Gefahr. Und da müssen wir auch gucken, dass wir die Leute, die damit groß werden jetzt, darin schulen, diese Gefahr zu erkennen und auch aktiv dagegen vorzugehen.
Fischer: Wenn man sich so Ihre Biografie anschaut, dann klingt das ein bisschen zu schön, um wahr zu sein, wenn man sich alle Etappen durchguckt, eine bislang einmalige Professur hier an der Charité. Unglaublich sinnstiftend ja auch Ihr Job. Also was Sie machen, macht ja total Sinn auch für die Zukunft. Dann Einstein Fellow natürlich kann man auch noch mit erwähnen. Gibt's irgendwas, das Sie an Ihrem Job überhaupt nicht mögen?
Soekadar: Also diese Frage habe ich mir eigentlich noch nie gestellt, weil ich sehe die Dinge als Herausforderung und es gibt sicher Dinge, die mich auch sehr anstrengen. Das gehört dazu. Das gehört auch zur Wissenschaft. Es ist ja so, dass wir in der Wissenschaft eher mit dem Scheitern praktisch zu tun haben als mit dem Erfolg. Und man sieht natürlich, wenn man dann zurückblickt, vor allem die Erfolge. Aber was nicht dokumentiert ist, sind natürlich die vielen Fehlschläge, die man durchlebt und auch Enttäuschungen, die man hat. Und na ja gut, insofern, das Leben als Wissenschaftler ist natürlich teilweise dann auch sehr glänzend, wenn man sagt, ja, da ist irgendetwas gelungen. Aber man sieht meistens nicht, was alles nicht gelungen ist. Und das sehe ich dann und sehe das auch mit großer Demut. Also ich würde sagen, viele Dinge, die wir angefangen haben, da war ich einfach auf dem falschen Dampfer, da habe ich praktisch falsche Annahmen gehabt und das ist aber unser täglich Brot, dass Dinge vor allem auch scheitern.
Fischer: Gibt's bestimmte Schritte, wo Sie sagen, das bereue ich?
Soekadar: Nein.
Fischer: So wie ich's verstehe, ist natürlich Wissenschaft auch ein Stück weit immer ein zeitaufwendiger Job. Wenn Sie sozusagen nach einem Tag nach Hause kommen, nach so einem Arbeitstag in der Forschung, vielleicht ist auch was nicht, hat nicht funktioniert, Sie sind irgendwo gescheitert. Wie entspannen Sie nach Ihrem Berufsalltag?
Soekadar: Na ja, also ich muss ja auch sagen, mittlerweile man gewöhnt sich ja auch ein bisschen ans Scheitern. Und das ist im Prinzip ja auch eine Art der Fehlerkultur, die man dann etabliert und das versuche ich auch in meiner Arbeitsgruppe so weiterzugeben. Dass Leute, die hier antreten und sollen dann innerhalb weniger Monate hier Weltspitzenforschung leisten mit hohem Anspruch. Ich versuche den Leuten immer zu sagen, lasst euch nicht dadrauf ein, zu glauben, ihr müsstet in irgendeiner Zeit irgendetwas Wahnsinniges leisten, sondern geht Schritt für Schritt und gewöhnt euch daran, dass Dinge einfach scheitern und dass viele Dinge nicht funktionieren. Und dann kommt aber doch immer ein Punkt, der funktioniert und das sind dann die großen Erfolge, die dann nach außen sichtbar sind. Aber lasst euch nicht davon zu sehr blenden, weil das Leben als Wissenschaftler ist eben steinig. Viel Scheitern und man muss auch so einen gewissen Spaß am Scheitern haben. Und deswegen ist für mich halt auch wichtig, dass in der Arbeitsgruppe so eine positive Kultur da ist. Dass man weiß, okay, ich habe jetzt zwei Monate in ein Experiment investiert, das nicht funktioniert hat, das gescheitert ist, wenn man so will. Es ist aber nicht schlimm. Ich habe daraus was gelernt und ich habe eine Arbeitsgruppe, in der ich dann auch irgendwo emotional aufgefangen werde, dass es jetzt nicht das Ende der Welt ist.
Fischer: Weil Sie meine Frage jetzt nicht beantwortet haben, schließe ich daraus, dass Sie gar nicht entspannen müssen nach dem Alltag, weil Sie im Job eigentlich auch entspannen sind.
Soekadar: Ja, also ja, ich versuch das so zu dosieren, dass die Dinge, die mich sehr anstrengen, dass da nicht zu viel wird, weil dann ist die Aufnahmefähigkeit nicht mehr da. Aber das lernt man dann mit der Zeit.
Fischer: Was ich über Sie gelesen hab, ist, dass Sie zum Beispiel sehr gern indonesisch kochen, weil Ihr Vater aus Indonesien ist. Wie wichtig ist denn dieses Land oder sozusagen dieser Teil Ihrer Heimat, wenn Sie das überhaupt so nennen wollen, heute für Sie?
Soekadar: Also es hat ja ganz viele Ebenen. Und eine wichtige Ebene ist, dass ich als kleines Kind, ich glaub, ich war neun Jahre alt, zum ersten Mal nach Indonesien gereist bin und im Prinzip ja ein Entwicklungsland vor mir hatte, mit ganz vielen sehr, sehr armen Menschen, die auch sehr sichtbar waren. Also wir waren damals auch in Jakarta, damals schon eine große Millionenstadt mit Slums. Das hat mich damals sehr beeindruckt und ich bin ja dann in regelmäßigen Abständen auch immer nach Indonesien gereist und habe gesehen, was für ein immenser Fortschritt überhaupt möglich ist in relativ kurzer Zeit. Und natürlich, man kann an vielen Stellen sagen, dass Dinge nicht gut gelaufen sind, gerade wenn's um Ungleichheit geht, ne? Das sind ja Dinge, die uns hier auch beschäftigen. Wie schaffen wir es als Gesellschaft, möglichst alle mitzunehmen, dass es nicht zu große Diskrepanzen gibt. Wenn man jetzt sieht, wo diese Länder eigentlich standen vor 30 Jahren oder vor 40 Jahren, dann ist das Ganze enorm, was da geleistet wurde. Und das, ja, das stimmt mich eigentlich auch sehr positiv, dass es möglich ist, eben auch durch Technologie, durch das, was wir implementieren, die Lebensbedingungen wesentlich zu verbessern.
Fischer: Und dann engagieren Sie sich ja auch für beispielsweise Jugendgesundheitszentren in bestimmten asiatischen Ländern, in afrikanischen Ländern. Warum tun Sie das auch noch neben dem schon einem sehr aufwendigen Job, den Sie ja haben?
Soekadar: Na ja, ich habe die Angewohnheit, dass ich meistens nicht nein sagen kann. Und ich muss jetzt an der Stelle sagen, dieses Engagement, das ist etwas mehr in den Hintergrund geraten, weil ich jetzt tatsächlich mit vielen anderen Dingen beschäftigt bin. Aber wenn ich die Möglichkeit habe, meine Kontakte oder mein Wissen irgendwo einfließen zu lassen, wo ich an so einer Stelle auch helfen kann, dann mache ich das selbstverständlich, weil das eben doch auch eine Art Sinnstiftung ist. Und ich habe das oft erlebt, dass ich … Also damals bei den meisten dieser Zentren, um die ich mich da gekümmert habe, ging es primär auch um Kofinanzierung. Das heißt, dass in diesen Ländern der Bedarf festgestellt wurde, wir brauchen ein neues Krankenhaus zum Beispiel. Hier gibt es eine hohe Kindersterblichkeit, wie können wir die Situation verbessern? Und dass es dafür dann eben Kofinanzierungsmechanismen geben sollte, um die ich mich dann auch mit gekümmert habe, dass diese Länder praktisch ihren eigenen Teil beisteuern oder diese Kommunen und dann von Deutschland mit unterstützt werden, dass dann diese Krankenhäuser auch entstehen.
Fischer: Ich habe so viele Bereiche angesprochen, wo Sie quasi aktiv mitgestalten, also sei es jetzt in einer weitesten Form Entwicklungszusammenarbeit, sei es indonesisch Kochen oder natürlich hier Ihre Forschung. Gibt's irgendwas, wenn Sie so in die Zukunft gucken, in die nächsten zehn, 20 Jahre, wo Sie sagen, da hätte ich irgendwie auch noch mal Lust drauf, noch mal was ganz anderes zu machen?
Soekadar: Das ist eine gute Frage, aber ganz ehrlich, auf der anderen Seite stellt sie sich mir nicht, weil ich bin jetzt im Moment völlig darauf fokussiert, dass ich das, was ich hier angefangen habe, was natürlich ein langer Weg ist, ja, dass ich das jetzt auch voranbringe. Und das ist das, wofür ich mich entschieden habe. Und deswegen gibt es da keine Alternative wirklich zu. Also das ist das, was ich machen möchte. Und ich würde mal sagen, na gut, also mit Mitte 50 sieht es dann vielleicht wieder anders aus. Aber für mich ist klar, für die nächsten zehn Jahre ist das mein Programm.
Fischer: Heute stellen sich vielleicht trotzdem es für Sie so ein normaler Forschungsbereich seit so vielen Jahren ist, stellen sich vielleicht die meisten Menschen unter diesen Gehirn-Computerschnittstellen, Exoskeletten immer noch so ein bisschen Terminator-Szenen vor in dieser Form. Wie glauben Sie denn, denkt die Gesellschaft in 20, 30 Jahren darüber oder geht auch dann ganz praktisch damit um?
Soekadar: Also das ist für mich eben auch genau ein Teil der Arbeit, die Herausforderung zu zeigen, dass diese Technologie eigentlich ein menschliches Gesicht trägt. Es geht ja darum, dass wir diese Technologie, die von Menschen entwickelt wurde, für den Menschen einsetzen. Und diese Technologie soll auch gar nicht mehr groß sichtbar sein. Also wir sehen das ja zum Beispiel auch bei den Prothesen. Heutzutage gibt es Hörgeräte, Cochlea-Implantate, all diese Dinge sind völlig selbstverständlich. Und meine Vision von diesen Technologien ist eigentlich, dass sie völlig verschwinden. Also im Sinne von, sie sind gar nicht mehr sichtbar, sind ganz selbstverständlich bei Menschen, die jetzt zum Beispiel einen Schlaganfall hatten, dass sie diese Technologie bekommen, dass sie ein Teil ihres Alltags werden und gar nicht mehr groß auffallen damit.
Fischer: Weil die Elektronen am Kopf so klein sind, weil die Exoskelette keine riesigen Plastikschiffe mehr sind, sondern so Handschuhe zum Beispiel oder wie stellen Sie sich das vor?
Soekadar: Genau, also da gibt es sehr tolle Fortschritte mittlerweile, also auch in der Sensortechnologie. Wir arbeiten jetzt zum Beispiel an den sogenannten Quantensensoren. Das sind Sensoren, die in der Lage sind, ganz kleine Magnetfelder zu messen. Das heißt, man kann über diese Quantensensoren die räumliche Auflösung noch mal deutlich verbessern der Aufzeichnung von Hirnaktivität. Und das sind alles Dinge, die ich wahnsinnig spannend finde, wo ich hier auch in Berlin sehr gut aufgehoben bin. An der PTB wird an dieser Technologie seit langer Zeit geforscht.
Fischer: PTB?
Soekadar: Ist die Physikalisch-technische Bundesanstalt, mit der wir zusammenarbeiten genau in diesem Bereich der Quantensensoren. Und da wird im Moment extrem viel entwickelt, was für uns Neurowissenschaftler von großem Interesse ist und was ich natürlich mittelfristig auch hier für die Patienten der Charité dann einsetze.
Fischer: Haben Sie irgendeinen Wunsch, wenn Sie so an Ihre eigene Laufbahn noch in den nächsten Jahren auch denken, wo Sie sagen, das würde ich gern erreichen?
Soekadar: Das ist ja eine ganz schwierige Frage. Also ich glaube nicht, dass das Leben aus Dingen bestehen sollte, die man erreicht hat, sondern eigentlich aus den Dingen, wie man gelebt hat. Dass man im Prinzip in dem Moment, wo man Entscheidungen trifft, dass man diese Entscheidung immer im Einklang mit sich selber trifft. Und da ist, würde ich immer sagen, das Motto, der Weg ist das Ziel.
Fischer: Herzlichen Dank an Surjo Soekadar, Einstein-Professor für Neurotechnologie hier an der Charité in Berlin und der Erste, der diesen Titel in Deutschland überhaupt trägt. Er hilft zum Beispiel gelähmten Menschen, damit die wieder greifen können, und arbeitet da dran, dass depressive Menschen weniger Depressionen haben. Und er hat uns von dieser großartigen Forschung erzählt. Ganz herzlichen Dank. Und ich danke euch fürs Dranbleiben. Mein Name ist Nancy Fischer. Wir hören uns zur nächsten Folge von AskDifferent hoffentlich wieder, dem Podcast der Einstein Stiftung.