Über 100 Jahre rätseln Wissenschaftler, wie die sogenannten Pyramidenzellen im Gehirn funktionieren. Seit kurzem arbeitet Michiel Remme an der Humboldt Universität zu Berlin daran, einen Teil dieses Geheimnisses zu entschlüsseln. Der holländische Neurowissenschaftler ist der erste International Postdoctoral Fellow, den die Einstein Stiftung Berlin fördert.
Viele Neurobiologen sind wie Elektriker: Sie interessieren sich in erster Linie für Schaltkreise. Während in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl von mathematischen Modellen zum Netzwerkverhalten von Gehirnzellen entwickelt wurden, weiß man immer noch wenig darüber, welche Rolle einzelne Neuronen bei der Signalverarbeitung im Gehirn genau spielen. „Netzwerkmodelle von Neuronen arbeiten meist mit Minimalmodellen der Zellen“, erklärt der holländische Neurobiologe Michiel Remme. „Obwohl wir viel von den Netzwerkmodellen gelernt haben, ist es fraglich, ob diese auch wirklich wiedergeben wie das Gehirn Information verarbeitet.“
Deshalb modelliert eine Gruppe von Biologen rund um Juniorprofessorin Susanne Schreiber von der Humboldt-Universität zu Berlin gezielt einzelne Typen von Neuronen und ihre Bestandteile am Computer. Seit kurzem unterstützt Michiel Remme die Forscher am Institut für Theoretische Biologie. Als erster Wissenschaftler erhielt er eine Förderung als International Postdoctoral Fellow der Einstein Stiftung Berlin. Das Programm „International Postdoctoral Fellow“ ermöglicht es Berliner Spitzenwissenschaftlern wie Susanne Schreiber, einen Postdoktoranden aus dem Ausland einzustellen.
Michiel Remme konzentriert sich auf die Computersimulation der Dendriten – kleine, astähnliche Fortsätze der Neuronen, die vom Zellkörper abgehen und elektrische Signale an ihn weiterleiten. Er untersucht, wie sich die räumliche Anordnung der Dendriten auf die Weitergabe von Signalen an die Pyramidenzelle auswirkt.
Grundlage für seine Arbeit ist eine Studie von Wissenschaftlern der Technischen Universität München. An Mäusen analysierten sie das Verhalten einzelner Pyramidenzellen, die für das Sehen mitverantwortlich sind. Als sie den Mäusen ein Blatt Papier aus verschiedenen Winkeln vor die Augen hielten, stellten sie fest, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Richtung des Sehreizes und der Lage der reagierenden Dendriten gibt. Das visuelle Signal verteilte sich immer zufällig über verschiedene Dendriten, egal in welche Richtung diese jeweils zeigten – eine spektakuläre Beobachtung, weil sie bestimmte bisherige Vermutungen zur neuronalen Signalverbreitung widerlegte.
Doch Michiel Remme hat eine Erklärung für das wunderliche Verhalten der Zellen parat: „Ich vermute, dass die Gehirnzellen sich auf diese Weise leichter verändern können. Das würde Lernprozesse auf neuronaler Ebene vereinfachen.“ Als International Postdoctoral Fellow will Michiel Remme diese These überprüfen und zugleich mehr über die Eigenschaften von Dendriten herausfinden.
Die Karriere des Postdoktoranden gleicht schon jetzt einer kleinen Weltreise: Nach seiner Promotion an der Universität Amsterdam verließ er die Niederlande, um zuerst in Paris und danach in New York zu forschen. „An Berlin reizte mich die beeindruckende Anzahl von renommierten Kollegen und Instituten, die hier angesiedelt sind“, sagt der Holländer. Einer dieser international angesehenen Kollegen ist Einstein Professor Dietmar Schmitz vom Exzellenzcluster NeuroCure an der Charité-Universitätsmedizin Berlin.