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Nachrichten der Einstein Stiftung Berlin


Interview mit Helen Watanabe-O'Kelly

Foto: British Academy

Helen Watanabe-O'Kelly ist Mitglied in der Wissenschaftlichen Kommission der Einstein Stiftung. Im Interview spricht die Irin über ihr Engagement für den Wissenschaftsstandort Berlin, ihre Leidenschaft für literarische Texte und eine Organisation, die sie zur Förderung von Germanistinnen gegründet hat.

Warum engagieren Sie sich für die Einstein Stiftung?
Im Laufe meiner wissenschaftlichen Karriere habe ich viel Unterstützung aus Deutschland erhalten, für die ich sehr dankbar bin. So war ich zunächst Gaststipendiatin der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (1985), im Anschluss Humboldt-Stipendiatin in Wolfenbüttel (1986-1987) und Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin (2004-2005). Indem ich mich ehrenamtlich für das Forschungsmanagement in Deutschland engagiere, möchte ich heute einen kleinen Teil zurückgeben.


Für die Einstein Stiftung engagiere ich mich, weil ich sehr großes Potenzial in Berlin sehe und die Stiftung exzellente Wissenschaft in der Hauptstadt fördert. Ich kenne die Stadt schon lange und erinnere mich noch an die Zeit nach der Wende, in der man bemüht war, die wissenschaftlichen Institute neu auszurichten. Die heutige Kooperation der Berliner Universitäten ist nicht selbstverständlich und auch auf die Arbeit der Einstein Stiftung zurückzuführen. Denn die Stiftung hat oft wichtige Anschubfinanzierungen geleistet, hervorragende Individuen unterstützt und Programme entwickelt, die Wissenschaft und Forschung in Berlin fördern. Das ist eine tolle Initiative, die ich gerne unterstütze. 

Wie unterscheidet sich die Einstein Stiftung von anderen wissenschaftsfördernden Institutionen?
Das Besondere an der Einstein Stiftung ist ihr Fokus auf Berlin. Mit ihren Investitionen in den Wissenschaftsstandort Berlin hat die Stiftung einen wichtigen Beitrag geleistet. Bei der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder sind die Berliner Universitäten inzwischen sehr erfolgreich und können mit anderen renommierten Universitäten konkurrieren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Karrierestufen wollen heutzutage nach Berlin kommen, weil die Stadt exzellente Voraussetzungen für Forschende bietet und darüber hinaus ein vielseitiges, attraktives kulturelles Angebot bereithält. Auch ausländische Universitäten sind verstärkt an Kooperationen mit Berliner Universitäten interessiert, wie meine Heimatuniversität, die University of Oxford, die eine Partnerschaft mit Berlin pflegt.

Sie forschen zu europäischer höfischer Kultur der Frühen Neuzeit. Was fasziniert Sie an der Zeit zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert?
Es war ursprünglich die Sprache, die mich an dieser Zeit faszinierte. Während meines Bachelorstudiums in Cork wurde ich von einem Professor aus Zürich unterrichtet, der mit uns die deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts durchnahm. Wir lasen Andreas Gryphius. Das hat mich vollends begeistert! Daraufhin folgten Werke von Paul Fleming und Daniel Casper von Lohenstein – das sind großartige Texte mit einer faszinierenden Sprache! Über das Drama der Frühen Neuzeit bin ich zu den Hoffesten gekommen und von dort zur deutschen und europäischen Hofkultur. Derzeit schreibe ich an einem neuen Buch, das die Hofkultur des 19. Jahrhunderts behandelt.

Wer oder was hat Sie persönlich dazu inspiriert Wissenschaftlerin zu werden?
Ich komme aus einer Wissenschaftsfamilie, die mich sicherlich geprägt hat. Mein Vater war Professor für Ur- und Frühgeschichte, hat ständig ausgegraben und basierte seine Untersuchungen von vergangenen Kulturen auf der Materialkultur. So gehe ich auch teilweise vor, interessiere mich für Sprache, Texte und Ideen, aber auch für Architektur, Kostüme und Gemälde. Bereits mit zwölf Jahren wusste ich, dass ich Wissenschaftlerin werden wollte. Sprachen haben mich von Anfang an fasziniert. Die Schule, die ich besuchte, war sehr altmodisch. Wir wurden von Nonnen unterrichtet. Naturwissenschaftliche Fächer gab es schlichtweg nicht, was ich sehr bereue (lacht). Umso mehr Sprachen habe ich gelernt: Englisch, Gälisch, Latein, Spanisch und Französisch. Deutsch habe ich mir selbst beigebracht.

Wie ist ihre wissenschaftliche Karriere verlaufen?
Ich habe Germanistik und Hispanistik am University College Cork studiert und anschließend in Basel promoviert. Danach habe ich zufällig eine Stelle an der University of Reading in Großbritannien bekommen, was ich so nie geplant hatte. Unter Margaret Thatcher gab es dort über zehn Jahre einen absoluten Einstellungsstopp. 1989 bin ich dann nach Oxford gegangen. Ich komme also von außerhalb, bin inzwischen aber vermutlich schon sehr „oxfordisch“ geworden (lacht). In Oxford haben wir das Privileg, sehr gute Studierende auswählen zu dürfen, die wir in kleinen Gruppen unterrichten. Zeitweise ist sogar Einzelunterricht möglich, das finde ich großartig. 

Sie haben 1988 „Women in German Studies“ (WIGS) gegründet. Eine Organisation, die Germanistinnen vernetzt und fördert. Wie kam es dazu? 
Zu meiner Studienzeit herrschten noch sehr verkrustete, altmodische Strukturen. So war eine Mitgliedschaft beim nationalen Germanistenverband nur möglich, wenn man eine feste Stelle an einer Universität vorweisen konnte. Deshalb wurden insbesondere Frauen, die zugunsten ihrer Männer häufig auf eine Vollzeitstelle verzichteten, benachteiligt. Ich erinnere mich an eine Nationalkonferenz bei der nur sieben Frauen anwesend waren. Wenn man bedenkt, dass Literatur- und Sprachwissenschaften klassische Frauenfächer sind, wird einem das Missverhältnis bewusst. Ich habe mich gefragt, ob es nicht mehr von uns gibt und habe mich an die Schreibmaschine gesetzt – Internet gab es ja noch nicht (lacht) – und Germanistinnen kontaktiert. Zu unserem ersten Treffen in Reading sind 60 Frauen gekommen.

Wie ging es dann weiter?
Wir gründeten eine Organisation und entschieden uns bewusst für den Namen „Women in German Studies“, um alle Frauen einzuladen, die sich als Germanistinnen verstehen, so z. B. auch Bibliothekarinnen oder Übersetzerinnen. Durch den Mitgliederbeitrag konnten wir Wissenschaftlerinnen ohne feste Stelle finanziell unterstützen und ihnen somit die Teilnahme an Konferenzen ermöglichen. Wir führten Wahlen beim Germanistenverband ein und brachten dadurch erstmals Frauen in Führungspositionen. Das Alles ist über 30 Jahre her und WIGs hat sich zu einer festen Größe in den Literaturwissenschaften etabliert.

Was wären Sie heute, wenn Sie nicht Wissenschaftlerin geworden wären?
Tot (lacht). Ich würde den Beruf auch ausüben, wenn man mich nicht dafür bezahlen würde. Für mich ist mein Beruf eine Leidenschaft und ein Privileg zugleich. 

Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Ich bin permanent am Lesen. Für mein neues Buch lese ich derzeit viele historische Studien, privat gerne auch Romane und zeitgenössische Literatur. In meiner Lesegruppe behandeln wir aktuell „The Handmaid's Tale“ von Margaret Atwood. Das Buch habe ich bereits in der 1980er Jahren gelesen, aber weil die neue Fernsehserie so erfolgreich ist, wollten wir uns dem gerne noch einmal widmen. 

Gibt es einen Ort in Berlin an dem Sie sich besonders wohlfühlen?
Mein Lieblingsort in Berlin ist das Restaurantschiff „Alte Liebe“ an der Havel. Im Sommer kann man dort wunderschöne Sonnenuntergänge sehen. Den Gendarmenmarkt in Mitte und die Berliner Philharmonie finde ich auch sehr schön. Ich halte mich auch gerne in der Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße auf, die wirklich sehr gut gelungen ist und zum Arbeiten und Entdecken einlädt. Die Philologische Bibliothek der Freien Universität Berlin in Dahlem ist ebenfalls eine tolle Anlaufstelle.

Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie Berlin in zehn Jahren? 
Ich hoffe, dass die Gentrifizierung in Berlin nicht noch weiter voranschreitet. Die Entwicklung ist beunruhigend. An Berlin haben mich immer die Kontraste fasziniert, sodass man zum Beispiel in einer Strandbar an der Spree sitzen konnte und dabei auf Industriebrachen blickte. Das gibt es heute so nicht mehr. Der Charme Berlins ist aber nach wie vor, dass jeder Kiez anders ist und etwas Besonderes bietet. Es ist die Vielfalt, die so viele junge Leute anzieht.

Was wünschen Sie der Einstein Stiftung für die Zukunft?
Der Einstein Stiftung wünsche ich, dass die Politik sie weiterhin nachhaltig unterstützt und finanzielle Forschungsförderung flexibel und somit langfristig planbar wird. Der Landeshaushalt und die Laufzeit von wissenschaftlichen Projekten sind nicht immer kompatibel – manche Forschungsprojekte benötigen eine Förderlaufzeit von mindestens fünf Jahren. 

 

Interview: Melissa Koch

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