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Nachrichten der Einstein Stiftung Berlin


Mit Einstein über Berlin: Eva Marie Plonske

Die stellvertretende Beitragsvorsitzenden Melanie Bähr im Gespräch mit Eva Marie Plonske, MdA und Fraktionssprecherin für Wissenschaft und Forschung für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Foto: Michael Sven Meier

Um ihre Agenda für die neue Legislaturperiode vorzustellen, lud die Einstein Stiftung die wissenschaftspolitischen Fraktionssprecher:innen zum Gespräch mit dem Stiftungsbeirat ein.

Eva Marie Plonske (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN), Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und Sprecherin für Wissenschaft und Forschung, im Interview mit der stellvertretenden Beiratsvorsitzenden der Einstein Stiftung Berlin, Melanie Bähr über klimaresiliente Stadtentwicklung, die Grundsicherung der Wissenschaften und das „Übersetzen“ zwischen den Systemen

 

Frau Plonske, der Berliner Wahlkampfslogan der Grünen ist „Grünes Licht für morgen. Unser Plan für Berlin“. Wie lautet der?

Es gibt einen Satz in unserem Wahlprogramm, der fasst den Slogan für mich am besten zusammen: „Berlin soll die Stadt des Wissens, der Innovation, der Nachhaltigkeit und der Zukunft werden.“ Ich ergänze immer: Dafür brauchen wir die Wissenschaft, nur sie kann die Welt retten. Das klingt zunächst groß aufgetragen, aber ohne sie können wir die Herausforderungen unserer Zeit nicht lösen. Die liegen vor allem beim Klimawandel, im sozialen Zusammenhalt, in Bildungsfragen, aber natürlich auch in der Wirtschaft. Wir müssen viel stärker in Wissenschaft und Forschung investieren, wenn sie die Gesellschaft in diesen Punkten voranbringen sollen. Gerade in der Verbindung von sozialen und ökologischen Anliegen kann die Wissenschaft eine große Rolle spielen. Die Politik kann dann auf dieser Grundlage Fakten sammeln und dann überlegen, welche Konsequenzen wir aus ihnen ziehen müssen.

 

Sie sprechen die sozial-ökologische Forschung an. Womit befasst sich diese konkret und wie viel Mittel werden hier bereits investiert?

Sozial-ökologische Forschung bedeutet, bei der Beantwortung einer wissenschaftlichen Fragestellung auch die Umsetzung innerhalb der Gesellschaft mitzudenken und diese im Prozess einzubeziehen, um so nachhaltige und gerechte Lösungen zu finden. Klimaschutz ist ein gutes Beispiel: Wenn ich Häuser so sanieren möchte, dass sie weniger Energie verbrauchen, muss ich auch wissen, wie viel eine bestimmte technische Lösung kostet und wie sie sozial gerecht finanziert werden kann. Wie stelle ich das Angebot so auf, dass es für Bauherr*innen attraktiv ist und Mieter*innen die Anwendung tatsächlich nutzen? Diese Aspekte sollten bei der Entwicklung einer Fragestellung bereits mitgedacht werden. Berlin steckt aktuell nur circa 0,003 Prozent des Landeshaushaltes speziell in sozial-ökologische Forschung, etwa eine Million Euro pro Jahr. Das ist nicht viel und sollte unbedingt mehr werden.

 

Wie kann Wissenschaft dabei helfen, dass wir den Neustart nach Corona hinbekommen?

Die Wissenschaft forscht zunächst aus Eigeninteresse heraus, zumindest nach unserem Ideal der Forschungsfreiheit. Daneben gibt es natürlich auch große Programme, die über Drittmittel finanziert werden und so zu einem gewissem Maß einen groben inhaltlichen Rahmen für die Forschung vorgeben. Das kann von großem Nutzen sein. In Berlin tragen derlei Förderrahmen – etwa für die sozial-ökologische Forschung – dazu bei, dass wir die Transformation, den Umbau und den Wandel in unserer Stadt hinbekommen. Bei der konkreten Umsetzung von Projekten, bei denen Forschungserkenntnisse in politische Maßnahmen münden sollen, halte ich es für entscheidend, dass der Austausch mit der Wissenschaft nicht nur auf Senats-, sondern auch auf Bezirksebene stattfindet. Man muss mit den planenden Stellen, den Expert*innen vor Ort und den vorhandenen Wissenschaftsinstitutionen ins Gespräch kommen. Dafür braucht es durchlässige Systeme und ausreichend Mittel. 

 

Welche Ideen haben Sie, eine solche Durchlässigkeit herzustellen?

Als Landespolitikerin habe ich ein gewisses Instrumentarium, das ich anwenden kann. Im Rahmen von Zielvereinbarungen kann ich Gelder für konkrete Projekte bereitstellen. Ich habe außerdem die Möglichkeit, Preise auszuloben. Auf diese Weise fördere ich das Engagement in unserer Stadt und trage zu ihrer Reputation als Forschungsstandort bei. Ich kann aber auch auf Institutionen vor Ort, wie zum Beispiel die Einstein Stiftung oder die Berlin University Alliance, zugehen und fragen: Was habt ihr für Ideen? Wie würdet ihr eure Ideen in die Tat umsetzen? Denn als Politiker*in kenne ich mich nicht mit all den Detailfragen und Prozessen innerhalb der einzelnen Disziplinen und Strukturen aus. Der Impuls muss daher immer auch von dort kommen – gemeinsam können wir Lösungen finden.

Darüber hinaus bin ich für einen anderen Aufbau der Wissenschaftsfinanzierung:  weg von einer zu starken Fokussierung auf Drittmittel und hin zu einer besser ausgestatteten Grundfinanzierung. Das schafft Sicherheit für die Wissenschaftler*innen und eröffnet Denk- und Gestaltungsräume. Diesen Weg können wir als Land unterstützen, aber auch der Bund muss sich stärker engagieren, damit wir zusammen agieren können.

 

Was wäre für Sie denn das richtige Verhältnis zwischen Grundfinanzierung, Drittmitteln und privat eingeworbenen Mitteln?

Wir sollten wir uns über ein Ziel unterhalten, das wir bundesweit anstreben. Das lässt sich nicht von heute auf morgen umstellen. Ich finde, 70 bis 80 Prozent der Kosten einer Institution, das heißt ihre grundsätzliche wissenschaftliche Arbeit, sollten gesichert sein. Der Rest, also bis zu 20 Prozent, könnten innerhalb eines Wettbewerbs erworben werden. Die Arbeitsbedingungen sind teilweise, vor allem für Forscher*innen vor und nach der Promotion, sehr schwierig und unsicher, da die Finanzierung in vielen Fällen nur projektbezogen erfolgt. Wenn ich Potenzial erkenne und Personal binden möchte, muss ich langfristige Perspektiven bieten. Das funktioniert nicht, wenn das Geld nur über einen Zeitraum von fünf Jahren oder kürzer fließt.

 

Wie können private Mittel für Wissenschaft und Forschung gewonnen werden, und wofür sollten diese idealerweise eingesetzt werden?

Neben der Grundsicherung der Wissenschaft durch den Staat kann zusätzliche Unterstützung über projektbezogene oder Strukturen fördernde Drittmittel erfolgen. Auch Bereiche der Wissenschaft, die Laien zunächst weniger relevant erscheinen, etwa im Bereich der Grundlagenforschung, sollten selbstverständlich gefördert werden. Darüber hinaus gibt es ein hohes Interesse innerhalb der Zivilgesellschaft, bestimmte Themen zu fördern. Es gibt private Förderer, die ohne Bindung an ein bestimmtes Thema Gelder zur Verfügung stellen, andere möchten spezifische Bereiche und Programme unterstützen. Auch Unternehmen haben natürlich ein Interesse an Wissenschafts- und Forschungsthemen. Viele von ihnen betreiben selbst Forschung und wünschen sich eine höhere Durchlässigkeit zu Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Hier sollte sehr viel mehr Kooperation ermöglicht werden. Das Einstein-Zentrum Digitale Zukunft zeigt zum Beispiel, wie gewinnbringend eine gemeinsame Förderung von privater und öffentlicher Hand sein kann. Ich fände es eine gute Idee, weitere solcher mischfinanzierten Zentren einzurichten, die sich den großen Forschungsfragen widmen, die Berlin bewegen.

 

Das Thema Klimaneutralität wird immer wichtiger. Wie kann dieses Ziel in Berlin erreicht werden?

Es gibt zwar viele Akteure in diesem Bereich, aber mir scheinen sie noch nicht gut genug vernetzt. Das hat unterschiedliche Auswirkungen auf Planungs- und Strategieprozesse für die Entwicklung der Stadt. Nicht ohne Grund wird im Rahmen des Climate Change Center Berlin Brandenburg gemeinsam an Zukunftsfragen der Klimapolitik gearbeitet. Dort wird gefragt: Wie können wir zielgerichtet in und für Berlin forschen? Eine Frage, die auch der sozial-ökologische Forschungsverbund Ecornet aufgreift.

Lassen sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Die Flächenversiegelung ist in Großstädten, wie wir wissen, ein großes Problem. Berlin ist voller Steine und Beton: Das wird zur Gefahr, wenn es 40 Grad heiß wird, und sich die Stadt überhitzt, aber natürlich auch bei Starkregen. Wegen der Versiegelung überschwemmen die Straßen, das kostbare Wasser muss aufwendig abgeleitet werden und ist für Berlin verloren. Eine Woche später erleben wir dann eine Dürre. Diesen Kreislauf gilt es zu durchbrechen. Wir müssen Expert*innen einbinden, um möglichst langfristige Lösungen für unsere Stadt zu entwickeln, zum Beispiel Regenwasser besser zu speichern, zu reinigen und zu nutzen. Beim Einstein-Zentrum Digitale Zukunft, um das Beispiel wieder aufzugreifen, engagieren sich unter anderem die Berliner Wasserbetriebe, um die Digitalisierung der städtischen Wasserwirtschaft mit voran zu bringen. Auch die neue Urban Tech Republic am ehemaligen Flughafen Tegel wird sich solchen und weiteren urbanen Fragestellungen widmen.

 

Wer könnte im Bereich Klimaforschung eine Zugfunktion übernehmen?

Wir haben in Berlin eine sehr vielfältige Wissenschaftslandschaft mit exzellenten Akteuren. Wir haben starke und selbstbewusste Universitäten, die sich jetzt auch in der Berlin University Alliance zusammengefunden haben. Gleichzeitig haben wir hervorragende außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Wir haben die Einstein Stiftung mit ihrem Mandat, Spitzenwissenschaft in Berlin zu fördern. Und wir haben die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, die viele Kompetenzen einbringt. Was uns im Moment fehlt, ist ein Forum, in dem wir all diese Institutionen und deren Potential zusammenbringen, um gemeinsam bestmöglich handeln zu können. Das Wissenschaftssystem in unserer Stadt setzt, zumindest im universitären Bereich, nach wie vor stark auf Konkurrenz. Es ist nun an der Landespolitik, Strukturen zu schaffen, die Berlin zukunftsfähig machen und diesen Prozess hin zu einem besseren Zusammenspiel der starken Akteure sinnvoll begleiten. Das brennende Thema Klimaforschung könnte für neue Formen der übergreifenden Zusammenarbeit besondere Relevanz entfalten.

 

Wie kann es innerhalb der Forschung gelingen, nötige Tierversuche weiter zu reduzieren?

Wir sind in Deutschland gesetzlich immer noch verpflichtet, Tierversuche bei der Erforschung von Medikamenten oder in einigen Qualitätssicherungsverfahren heranzuziehen. Das wird sich so schnell nicht ändern, auch wenn das notwendig ist. Deswegen unterstützen wir die Forschung an Verfahren, die Tierversuche ersetzen, deren Anzahl zu reduzieren und die Belastung für die eingesetzten Versuchstiere mindern können. Das kürzlich an den Start gegangene Einstein Center 3R „Replace, Reduce, Refine“ zeigt, wieviel Potenzial Berlin hat, um international eine Vorreiterrolle in Sachen besserer Gesundheitsforschung zu spielen, in der Tierversuche immer besser ersetzt werden können. Ich sehe hier eine große Chance, dass sich Wissenschaft und Tierschützer*innen näherkommen und wir Berlin zur Hauptstadt der Alternativen für Tierversuche machen.

 

Tierversuche sind ein Thema, das viele Menschen berührt. Aber wie lässt sich die breite Gesellschaft mit anderen Wissenschaftsthemen erreichen?

Das hängt ganz von der Sprache ab. Im Grunde besteht 80 Prozent meiner täglichen Arbeit darin, zwischen den Systemen zu übersetzen. Politik spricht eine andere Sprache als Wissenschaft. Wissenschaft wiederum spricht eine andere Sprache, als man in der Schule, im Kiez oder auf der Straße spricht. Es geht zwar häufig um dieselben Probleme, aber mit unterschiedlichen Wahrnehmungen und Schwerpunktsetzungen. Jedes System hat andere Bedürfnisse, Perspektiven und Begriffe. Wir müssen wieder lernen, miteinander zu kommunizieren. Ich kenne kaum eine Person, die nicht neugierig ist. Selbst die Menschen, die frustriert sind von der Politik und auf die angeblich abgehobenen Wissenschaftler*innen oder über die Medien schimpfen, selbst die wollen im Grunde wissen, was Sache. Es ist eine der spannendsten Aufgaben und eine Herausforderung, den Menschen Forschung, die in Berlin stattfindet, näher zu bringen.

 

In Ihrem Wahlkreis Reinickendorf entsteht ein neuer Wissenschafts- und Hochschulstandort Tegel. Welche Chancen ergeben sich daraus?

Ich sehe hier eine sehr große Chance für Berlin, für meinen Bezirk natürlich ebenso. In Tegel soll ein riesiges, klimaneutrales und gleichzeitig klimaresilientes Quartier entstehen, das Wohnen, Wissenschaft und Wirtschaft verknüpft und mit einem einzigartigen Wassermanagementsystem ausgestattet wird. Wenn sich das Klima weiter verschlechtert, davon müssen wir momentan ja leider ausgehen, ist eine solche Bauweise für unsere Zukunft unverzichtbar. Wenn alle Pläne aufgehen, werden wir am Standort Tegel ein Vorzeigequartier errichten, das als Blaupause für weitere Quartiere in Berlin, in der Bundesrepublik und europaweit dienen kann. Der Standort Tegel ist ein großes Experimentierfeld, an dem sich anwendungsbezogene Forschung, aber auch Unternehmen und Start-Ups ansiedeln werden und gemeinsam Projekte entwickeln können.

 

Wie kann die Berliner Wissenschaft auf einem stabilen Niveau international konkurrenzfähig bleiben?

Berlin ist ja bereits die größte Wissenschaftsmetropole europaweit. Ich kenne keine einzige Wissenschaftsregion, die so vielfältig ist wie Berlin. Die Stadt ist auch in der Selbstvermarktung sehr viel besser geworden. Es gibt kaum einen wissenschaftlichen Bereich, in dem wir nicht ganz vorne mitspielen. Wissenschaft besteht zu großen Teilen aus Netzwerkarbeit. Wenn ich die Mitarbeiter*innen auf Grundlage des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes aber alle drei bis fünf Jahre austausche, kann ich kaum funktionierende Netzwerke etablieren. Für den Wissenschaftsstandort Berlin ist diese Funktionsweise alles andere als sinnvoll. Es geht schließlich darum, langfristig Netzwerke und Verbindungen herzustellen, die Außenwerbung zu verstärken und so unsere internationale Sichtbarkeit zu erhöhen. Zu unserem Glück tragen die Einstein Stiftung und viele andere Institutionen hierzu bereits bedeutend bei.

 

Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Plonske.

Das gebe ich gerne an Sie zurück, Frau Bähr.

 

03. August 2021

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