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Nachrichten der Einstein Stiftung Berlin


Mit Einstein über Berlin: Stefan Förster

Foto: Michael Sven Meier

Stefan Förster (FDP), Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und Fraktionssprecher für u. a. Wissenschaft und Forschung im Interview mit der Beiratsvorsitzenden der Einstein Stiftung, Dagmar Reim, über privates Engagement für die Forschung, Föderalismus und Autonomie im Wissenschaftssystem


Herr Förster, Sie sind nicht nur Sprecher Wissenschaft und Forschung, sondern auch für Bauen, Wohnen, Denkmalschutz, Sport, Europa- und Bundespolitik und Medien. Wie erlangt man Expertise in all diesen Bereichen?

Einen Teil der Expertise habe ich aus meiner kommunalen Arbeit mitgebracht. Ich war 15 Jahr lange in der Bezirksversammlung in Köpenick aktiv und habe mich dort mit den Themen Bauen und Wohnen befasst. Auch Sport ist ein Bereich, der überwiegend in den Bezirken stattfindet. Wissenschaft und Forschung sind für mich dann als „I-Tüpfelchen“ auf Landesebene hinzugekommen. 

Wissenschaft und Sport sind zwei Bereiche, die schon immer Wert auf ihre Autonomie gelegt haben. Das heißt aber auch, dass man ein gewisses Vertrauen in die Einrichtungen haben muss. Am Ende ist die Autonomie ein Privileg für beide Seiten: Für die Politik, da sie nicht kleinteilig hineinregieren muss, und für die Einrichtungen, weil sie so über mehr Gestaltungsspielraum verfügen. Die große Linie sollte man als Politiker stets im Blick behalten, und sich über Ergebnisse informieren lassen, aber die Einrichtungen sollten ihre Aufgaben und Schwerpunkte selbst bestimmen können – dafür braucht es Vertrauen.

 

Wenn Sie sich den Wissenschaftsstandort Berlin anschauen, was ist gelungen?

Wir haben eine sehr breit aufgestellte Universitäts- und Fachhochschullandschaft, die deutschlandweit wie auf europäischer Ebene ihresgleichen sucht, und außerdem ein dichtes Netz an außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Kaum eine Stadt hat eine solche Dichte an Helmholtz-, Leibniz- oder Fraunhofer-Instituten mit so einer Bandbreite an Forschungsthemen. So ist Berlin auch attraktiv für Wissenschaftler und Forscher aus dem Ausland, die einmal für eine gewisse Zeit mit ihrer Expertise und ihren Projekten in Berlin arbeiten und leben möchten. Mit der Einstein Stiftung haben wir eine hervorragend funktionierende Fördereinrichtung, die mit ihrem vielfältigen Programmportfolio die Spitzenforschung in der Stadt unterstützt und die Einbindung internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Berliner Wissenschaftslandschaft ermöglicht.

 

Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Der Verbesserungsbedarf liegt beim Verhältnis von Föderalismus und bundesstaatlichen Aufgaben. Es war damals ein Fehler, im Rahmen der Föderalismusreform die letzten Zuständigkeiten des Bundes im Bereich der Bildung abzugeben. Glücklicherweise ist man dabei, diesen Schritt rückgängig zu machen. Eine Reihe interessanter Kooperationen sind dadurch entstanden, dass der Bund sich einbringt. Ich möchte das Beispiel der Charité anführen, eine weitestgehend vom Land getragene Einrichtung: Auf Dauer werden wir nicht daran vorbeikommen, den Bund bei den immensen Kosten, die dort anstehen, zu beteiligen, etwa bei Investitionen in Gebäude, Infrastruktur und moderne Operationssäle. Vielleicht wird die Charité am Ende eines langen Prozesses auch ein Aushängeschild des Bundes sein.

Es ist wichtig, auch einmal aus den Strukturen des Föderalismus auszubrechen und eine stärkere Durchlässigkeit von privatem Engagement an den staatlichen Einrichtungen, Universitäten und Fachhochschulen zu erwirken. Mit dem Einstein-Zentrum „Digitale Zukunft“ existiert ein interessantes Modell für Public-private-Partnership.

Auch gibt es eine Reihe von privaten Universitäten und Hochschulen, aber die sind in der Regel recht klein und meist auf ein Themenfeld beschränkt. Dabei ist der Anwendungsbezug wichtig: Wir sollten Wissenschaft und Forschung als etwas betrachten, das am Ende zur Verbesserung des Lebens führt, also jungen Forschern auch in die Selbständigkeit verhelfen oder ins Berufsleben außerhalb der Uni. Hier sehe ich noch Verbesserungsbedarf.

 

Wie kann es gelingen, Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher in Berlin zu halten und aus dem Ausland für Berlin zu gewinnen?

Das ist eine sehr wichtige Frage, auf die ich noch keine abschließende Antwort gefunden habe. Wir haben in Deutschland doch relativ hierarchische Hochschulstrukturen. Was wir bräuchten ist eine strukturelle Offenheit für die Integration internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf allen Karrierestufen in das deutsche System. Der Wechsel von einer ausländischen Universität nach Berlin darf nicht nur wissenschaftlich attraktiv sein, sondern muss für Interessenten aus dem Ausland auch problemlos realisierbar sein. Ich denke hier nicht nur an Mitwirkung in den Gremienstrukturen an deutschen Universitäten, die für internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oftmals schwierig ist, sondern auch an Fragen wie Dual Career, Renten-bzw. Pensions- und Steuerfragen.

 

Wie wollen Sie die digitale Transformation in Berlin und insbesondere in der Wissenschaft voranbringen?

In der Pandemie haben wir gesehen, dass es erhebliche Defizite gibt, was den Bereich Telearbeit angeht, da Arbeitsplätze noch nicht flächendeckend verfügbar sind. Es muss meines Erachtens zuerst in die Infrastruktur investiert werden, damit alle, die es möchten, mobil arbeiten können. Insbesondere die Schulen hängen allerdings noch zurück. Auch im Bereich der Verwaltung wird nach wie vor noch sehr viel mit Papier gearbeitet, ebenfalls in den Universitäten – hier sehe ich großen Handlungs- und Verbesserungsbedarf.

 

Wie kann man Unternehmen in Berlin für die Unterstützung innovativer Forschung gewinnen?

Es muss eine größere Offenheit seitens der Politik geschaffen werden. Die Tatsache, dass die Einstein Stiftung eine Stiftung bürgerlichen Rechts ist, ist ja die Ausnahme im Bereich der Forschungsfinanzierung, aber ein großer Vorteil gegenüber Stiftungen öffentlichen Rechts. Kooperationen mit der Wirtschaft werden erleichtert, Wissenschaft und Wirtschaft können sich auf Augenhöhe begegnen. In Berlin gibt es hier aus meiner Sicht ein ungleiches Gefälle in Richtung Wirtschaft. Sie darf sich gerne in wissenschaftliche Projekte einbringen, doch nur in einer Art dienender Funktion. Dabei sollten Unternehmen frühzeitig mit Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen in Kontakt treten, um von deren Ergebnissen auch profitieren zu können. Hochschulen und Forschungseinrichtungen wiederum sollten ihren Mitarbeitern Praktikumsplätze und Möglichkeiten bieten, in Unternehmen hineinzuschauen, wenn sie ihren Nachwuchs langfristig halten möchten. Beide Seiten müssen hier mehr aufeinander zugehen.

 

Wie schätzen Sie die Bedeutung der Grundlagenforschung für Berlin ein?

Die Grundlagenforschung ist der Nukleus für Translation, für die Übertragung von Forschungsergebnissen in die Anwendung. An der Bedeutung von Grundlagenforschung besteht daher kein Zweifel; jedoch sehe ich beim ‚nächsten Schritt‘ noch Luft nach oben. Aus meiner Sicht ist es wichtig, Grundlagenforschungsergebnisse nicht nur, aber auch nach ihrem Potenzial für die Anwendung zu betrachten. Es gibt natürlich auch Wissenschaftszweige, die auf theoretische Erkenntnisse angelegt sind, beispielsweise im Bereich Philosophie, wo es um Gedankenmodelle geht. Aber es wäre doch schön, wenn es ein Forschungsergebnis gibt, das der Menschheit hilft, älter zu werden oder länger zu leben, gesünder zu werden, oder den Alltag zu verbessern. Dass so etwas nie zu 100 Prozent gelingen kann, gehört natürlich aber auch dazu.

 

Qualitätssicherung in der Forschung ist gerade ein heiß diskutiertes Thema. Einen Beitrag leistet die Einstein Stiftung mit ihrem hoch dotierten Einstein Foundation Award for Promoting Quality in Research. Was denken Sie, wo muss man ansetzen, um verlässliche Standards für Qualitätssicherung und ungehinderten Zugang zu den Ergebnissen der Wissenschaft zu garantieren?

Die Qualitätssicherung sehe ich im Grunde bei den Einrichtungen selbst, womit wir wieder beim Thema Autonomie von Wissenschaft und Forschung sind. Ich erwarte von einer wissenschaftlichen Einrichtung, dass sie selbst definiert, wo ihre Qualitätsmaßstäbe liegen. Für die Kontrolle der Einhaltung dieser Maßstäbe gibt es ja entsprechende Gremien. Qualitätssicherung kann nicht durch die Politik von außen vorgegeben werden. Ich halte den Schutz des geistigen Eigentums auch in Form von Patenten für sehr wichtig. Gleichzeitig muss es aber über Verträge und Lizenzen möglich sein, davon zu profitieren. In Sachen „Open Acess“ haben wir wiederum ein Problem in den Bibliotheken. Es gibt sehr viele Publikationen, die in den Regalen der Universitätsbibliotheken verstauben, da sie nicht digitalisiert und auf Server geladen werden. Das liegt daran, dass wir in Deutschland eine Handvoll von Monopolverlagen haben, die sich weigern, die Rechte herauszugeben und die Bücher für alle frei zugänglich zu machen. Hier stellt sich auch die Frage, wie man das geistige Eigentum gegenüber der Verfügbarkeit von Wissen für die Allgemeinheit gewichtet.

 

Braucht es einen engeren Dialog zwischen Politik und Wissenschaft?

Ja, es braucht in jedem Fall mehr Kommunikation zwischen beiden Bereichen. Ich habe gerade heute ein Magazin des Wissenschaftszentrums Berlin in der Post gehabt. Darin heißt es: Die Polarisierung der Gesellschaft verschärft sich. Eine Feststellung, die beunruhigt! Wenn die Polarisierung zunimmt, heißt das ja auch, dass Debatten kontroverser werden und Meinungen gegeneinandergestellt werden. Dann wird weniger anhand von Fakten argumentiert, denn das hieße ja, wissenschaftlich fundierte Kenntnisse als Grundlage für die eigene Argumentation zu recherchieren. Hier sehe ich die Politik auch in der Verantwortung: Sie muss dafür werben, dass Wissenschaft und Forschung die Basis unserer gesellschaftlichen Debatten und Entwicklung sind.

 

Sollte man die Forschungsachse Berlin-Oxford weiter ausbauen?

Unbedingt, ja. Ich habe sehr erfreut zur Kenntnis genommen, dass Oxford sich an Berlin und den Regierenden Bürgermeister Michael Müller mit der Bitte gewendet hat, Kontakte zu vergleichbaren wissenschaftlichen Einrichtungen herzustellen. Oxford möchte an den Kontinent angebunden bleiben, und sieht die Gefahr, sich durch den Brexit vom internationalen Wissenschaftsnetzwerk zu entkoppeln. Berlin hat in der Hinsicht natürlich eine herausragende Funktion, da die Stadt als Ort wahrgenommen wird, der eine ausgezeichnete Infrastruktur hat und letztlich auch ein Brückenkopf zwischen Ost und West ist. 

 

Und in regionaler Hinsicht? Gilt es für Sie, die Hochschul- und Forschungskooperation Berlin-Brandenburg zu stärken?

Es ist immer wieder ein Ärgernis, dass die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg in so vielen Bereichen nicht gut funktioniert. Wenn es beispielsweise darum geht, eine U-Bahnlinie zum Flughafen BER zu verlängern, hat Berlin zwar die Idee, den einen Kilometer zu finanzieren, aber Brandenburg sagt, die neun weiteren Kilometer brauchen wir nicht. Und das zieht sich leider durch sehr viele Bereiche, beispielsweise die Mobilität der Zukunft. Wenn wir TESLA schon vor der Türe haben, kann man auch in Berlin den Lehrstuhl Autonomes Fahren anbieten. Es gibt viele weitere Fragen, die an den Bau des TESLA-Werks in Grünheide anschließen, etwa die Frage, welche Rolle das Hasso-Plattner-Institut dort künftig spielen könnte. In jedem Fall muss Berlin-Brandenburg als Region gedacht werden. Wir sind schon so klein im europäischen Vergleich, da können wir nicht auch noch gegeneinander arbeiten.

 

Im Falle einer Regierungsbeteiligung Ihrer Partei nach dem 26. September: Welches Ressort würden Sie anstreben?

Das ist eine gute Frage, deren Antwort sicher auch davon abhängt, wie Wissenschaft und Forschung aufgezogen werden. Ich finde das jetzige Modell, sie zusammen zu denken, sinnvoll. Früher waren sie ja getrennt, dahin würde ich nicht zurückwollen. Das wäre für mich also eine Grundbedingung, egal in welcher Koalition. Aus meiner Sicht wäre es auch sinnvoll, Wissenschaft und Forschung mit der Wirtschaft in einem Ressort zu bündeln – und das könnte ich mir gut bei der FDP vorstellen.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Förster.

Vielen Dank auch an Sie, Frau Reim.

 

8. Juli 2021

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