Auf dem Grammophon hörten unsere Vorfahren nur Musik? Keineswegs. Einstein Visiting Fellow Thomas Levin (Princeton) erweckte bei seiner Meeting Einstein Lecture ein vergessenes Stück Mediengeschichte zum Leben: die Phonopost.
Es knisterte und rauschte im Museum für Kommunikation, als der Germanist und Medientheoretiker Thomas Levin am 4. Dezember seine Meeting Einstein Lecture hielt. Das Thema: Phonopost – ein beliebtes Kommunikationsmedium in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Menschen sprachen damals Texte auf Schallplatten, die dann per Post verschickt und vom Empfänger angehört werden konnten. Anfänglich benötigte man ein spezielles Gerät um die Platten zu besprechen und abzuhören, später reichte ein kleiner Aufsatz für handelsübliche Grammophone.
„Mit der Phonopost sind unter anderem zwei interessante Phänomene verbunden: das Haltbarmachen der flüchtigen Rede und die Entkörperung der Stimme“, so Thomas Levin.
In Europa wurde die Phonopost hauptsächlich in Privathaushalten aufgezeichnet. Da sich viele Arbeiter das Equipment nicht leisten konnten, blieb die Sprechplatte ein Privileg des Bürgertums. Ganz anders in Lateinamerika: Dort erkannte man sie als Chance, Analphabeten an der Fernkommunikation teilnehmen zu lassen. Öffentliche Phonopost-Kabinen und bebilderte Anleitungen erleichterten ihnen den Zugang zu dem neuen Medium.
Ein Medienfossil wird wiederbelebt
In den 50er und 60er Jahren brachte es die Phonopost sowohl in Europa als auch in Nord- und Südamerika zu massenhafter Verbreitung. Allein in Argentinien wurden im ersten Jahr nach der Einführung der Phonopost 100.000 Sprechplatten verschickt. Wie ist es angesichts dieses Erfolgs möglich, dass das Medium selbst unter Medienhistorikerin heute völlig in Vergessenheit geraten ist? Thomas Levin vermutet: „Die Geschichte der Massenmedien ist eine Geschichte der Reproduzierbarkeit. Aber jede Sprechplatte ist einzigartig.“
Mit einem Online-Archiv, das Thomas Levin auf seiner Vorlesung erstmals offiziell präsentierte, will der Germanist die Phonopost aus ihrer historischen Versenkung holen. Über Jahre haben er und seine Mitarbeiter Sprechplatten zusammengetragen und digitalisiert. „Das Archiv ist zugleich eine Fallstudie dafür, wie die geisteswissenschaftliche Forschung der Zukunft aussehen könnte“, sagt Thomas Levin.
Auf Tuchfühlung mit internationaler Wissenschaft
Die Vorlesungsserie „Meeting Einstein Lectures“ bringt die Berliner Öffentlichkeit mit international herausragenden Wissenschaftlern in Berührung. Thomas Y. Levin ist „Associate Professor“ für Germanistik an der Universität Princeton. Seine Forschung umfasst theoretische Arbeiten zur Ästhetik sowie vergleichende Studien über Alte und Neue Medien. Seit November 2010 ist der renommierte Wissenschaftler, Übersetzer und Kurator Einstein Visiting Fellow an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien der Freien Universität Berlin. Zusammen mit seiner Berliner Forschungsgruppe rekonstruiert Thomas Y. Levin die Mediengeschichte des Sprechbriefs.
Text: Julia Walter