#5: Claudia Buß
Über Stress im frühen Leben

Intro: Grundsätzlich ist der Beruf eines Wissenschaftlers eigentlich Luxus, finde ich. Weil wir uns ständig mit spannenden Themen auseinandersetzen dürfen, die wir ja selber auch gewählt haben. Wir unterhalten uns mit extrem interessanten Leuten und können uns dann überlegen, wie wir Fragestellungen, die uns bewegen, die uns interessieren, untersuchen können. Kombiniert mit auch einer relativ hohen Flexibilität, finde ich, ist das einfach ein ganz toller Job. AskDifferent, der Podcast der Einstein Stiftung mit Nancy Fischer.
Nancy Fischer: Claudia Buß, eine Frau, die eigentlich permanent gestresst sein müsste, weil sie Professorin ist am Institut für medizinische Psychologie an der Charité Berlin und Associate Professor an der University of California Irvine und auch noch Mitglied am Einstein Centre Neurosciences und der Berlin School of Mind and Brain. Also wow, der Lebenslauf ist 30 Seiten lang und noch lange nicht fertig geschrieben. Und wissen Sie, zu welchem Thema Claudia Buß forscht? Zum Thema Stress. Schönes Paradoxon, über das wir uns unterhalten wollen in der halben Stunde, die vor uns liegt. Hallo Frau Buß.
Claudia Buß: Hallo.
Fischer: Wie gestresst sind Sie heute an diesem Nachmittag?
Buß: Eigentlich nicht.
Fischer: Geht Ihnen gut.
Buß: Mir geht's gut. Vielen Dank.
Fischer: Welche Rolle spielt denn generell Stress in Ihrem Leben?
Buß: Na ja, ich beschäftige mich mit Stress natürlich in meiner Forschung und darum denke ich viel über Stress nach. Ganz besonders, wie Stress im frühen Leben langfristig Krankheit und Gesundheit beeinflussen kann. Und auf persönlicher Ebene bin ich natürlich auch des öfteren gestresst.
Fischer: Es hätte mich jetzt auch interessiert, wenn Sie sich immer mit dem Thema Stress beschäftigen beruflich, wie wirkt sich das aufs eigene Leben aus? Also machen Sie selbst zum Beispiel schön viele Pausen, immer mal Meditation, nicht zu viele Termine?
Buß: Ich glaube nicht, dass ich besonders gut darauf achte, mein Leben so zu strukturieren, dass ich relativ wenig Stress hab. Aber ich glaube, ich bin relativ gut organisiert und das hilft mir. Und ich denke, ich habe auch privat einen guten Ausgleich.
Fischer: Ohne jetzt zu privat zu werden, aber wie machen Sie das als Stressexpertin? Wie holen Sie sich Ihren Ausgleich?
Buß: Ich achte darauf, genügend Sport zu machen, genügend zu schlafen und gerade auch am Wochenende dann Dinge zu machen, die mir Spaß machen. Ich mache tatsächlich selber auch Yoga. Ich glaube, dass das auch hilft und dass das wirklich Stress reduzieren kann, aber ebenso andere Sportarten.
Fischer: Bevor wir tiefer eintauchen in Ihr Forschungsgebiet, vielleicht noch mal zu Ihnen persönlich, zu Ihrem Werdegang. Auch Ihre Eltern beispielsweise waren ja beide nicht unbedingt Akademiker, habe ich gelesen im Vorfeld. Sie selbst sind heute eine viel beschäftigte Professorin. Wie überhaupt kamen Sie denn zur Wissenschaft?
Buß: Das ist eine gute Frage. Ich bin tatsächlich in einer nicht-akademischen Familie aufgewachsen mit vier Geschwistern im Emsland und hab mich nach dem Abitur entschieden, Psychologie zu studieren. Ich war mir lange unsicher, ob ich Psychologie oder Medizin studieren wollte, weil mich beides so sehr interessiert hat. Und ich habe mich dann damals eben entschieden, Psychologie zu studieren, habe dann aber sehr gehadert, muss ich sagen am Anfang des Studiums, weil es mir zu psychologisch und zu wenig biologisch und medizinisch war. Und ich war kurz davor, tatsächlich auch abzubrechen und doch noch zu Medizin zu wechseln. Und dann hab ich meinen späteren Doktorvater, Professor Hellhammer, kennengelernt, der leider kürzlich verstorben ist. Und der hat eigentlich mich gerettet oder mich für die Psychologie erhalten, weil er war Professor für Biopsychologie und hat auch ein extrem interessantes Seminar zu Psychosomatik, psychosomatischen Erkrankungen und psychobiologischen Erklärungsmodellen unterrichtet. Und das ist das, was mich damals so fasziniert hat, und er hat mich dann tatsächlich auch auf den wissenschaftlichen Weg gebracht. Ich war mir selber unsicher, ob das eigentlich etwas ist für mich, aber er hat mich so für dieses Thema, für die Psychobiologie insgesamt interessiert und motiviert, dass ich irgendwie immer weitermachen wollte.
Fischer: Wie wichtig war seine Rolle und wie wichtig war dann aber auch irgendwann das Fachliche?
Buß: Seine Rolle war tatsächlich sehr, sehr zentral, weil er, glaube ich, etwas in mir gesehen hat, das ich damals noch nicht in mir gesehen hab. Und er mich schon ganz früh auch mit ganz wichtigen Wissenschaftlern auch in Nordamerika vernetzt hat, wo ich dann während meiner Promotion auch zwei Jahre in Montreal an der McGill University arbeiten konnte und auch für meinen Postdoc dann dafür gesorgt hat, dass ich vernetzt werde mit Leuten an der University of California Irvine, wo genau die Forschung gemacht wurde, für die ich mich interessiert habe. Also er hat mich dann auch weiter unterstützt, meine Ideen weiter bearbeiten zu können, wirklich mit den besten Wissenschaftlern eigentlich, die es gab zu dem Zeitpunkt.
Fischer: Dann schauen wir mal auf Ihre Forschung, also auf Ihre Herzensthemen sozusagen. Wie wirkt sich Stress aus in der Schwangerschaft auf das Kind? Das frage ich mich tatsächlich auch, auf welchem Weg merkt denn ein Baby, wenn seine Mutter richtig gestresst ist? Also wie sicher gibt es da überhaupt einen Zusammenhang?
Buß: Es gibt Zusammenhänge, das wissen wir sowohl aus dem Tiermodell, wo man experimentell auch zum Beispiel bei Ratten Stress verursacht während der Schwangerschaft und dann schaut, wie wirkt sich das auf die Nachkommen aus. Und da gibt es auf verschiedenen Organsystemen Effekte, zum Beispiel auf das Gehirn. Und es gibt auch viele Hinweise aus epidemiologischen Studien beim Menschen, dass es Zusammenhänge gibt zwischen mütterlichem Stress während der Schwangerschaft und einem erhöhten Risiko für psychiatrische Erkrankung beim Kind, aber eben auch für somatische Erkrankung. Ja, wie weiß das Baby jetzt? Wie weiß der Fötus, dass die Mutter gestresst ist? Es gibt ja keine Nervenfaserverbindung zwischen Mutter und Fötus. Die einzige Verbindung, die es gibt, ist die Plazenta und jegliche Art der Kommunikation zwischen Mutter und Fötus findet auch über die Plazenta statt. Und der Fötus kann nur dann etwas über den mütterlichen Stress erfahren, wenn sich dieser bei der Mutter in ein biologisches Signal niederschlägt. Das heißt, wenn es chronisch zu Anstiegen im Stresshormon Cortisol kommt zum Beispiel, dann kann das über die Plazenta vermittelt werden, transferiert werden und beim Fötus ankommen. Und da dann ein Signal geben, dass es sich, wenn man jetzt mal evolutionsbiologisch überlegen möchte, auf eine stressige, vielleicht gefährliche extrauterine Umwelt einstellen kann. Extrauterin, also wenn es geboren ist. Wenn es nicht mehr im Mutterleib ist, sondern wenn es dann tatsächlich da ist. Der Fötus ist ja intrauterin, also im Uterus und nach der Geburt ist er dann extrauterin, also draußen. Und im Prinzip kann man sagen, dass dieses Konzept der fetalen Programmierung, was ich studiere, da geht es darum, wie kann sich der Fetus während seiner Entwicklung eigentlich optimal an die postnatale Umwelt anpassen, damit er da optimal eigentlich ausgestattet ist. Das heißt also, jede Art der Kommunikation zwischen Mutter und Fötus passiert eben über die Plazenta. Und nur, wenn sich mütterlicher Stress auch in chronischen biologischen Veränderungen niederschlägt, das kann zum Beispiel das Stresshormon Cortisol sein, das können aber auch Veränderungen in metabolischen Parametern sein, also Insulin zum Beispiel, Glukose, in inflammatorischen Parametern, also so Entzündungsparameter. All das sind stresssensitive biologische Parameter, die dann über die Plazenta zum Fötus gelangen können und da die Entwicklung beeinflussen können. Und es ist so, dass das alles Parameter sind, zum Beispiel Cortisol, aber auch Entzündungsparameter, die ganz wichtig sind für die normale fetale Entwicklung. Aber wenn sie jetzt in erhöhtem Maße vorhanden sind, dann kann sich das so auf die Entwicklung auswirken, dass sich ja, dass sich Organe einfach anders entwickeln, anpassen eben an eine potenziell stressvolle Umwelt.
Fischer: Bei erhöhtem Maße, da frag ich gleich ja, ab wann ist es denn erhöht? Also jeder hat ja heutzutage Stress, aber reden wir jetzt vom Stress morgens im Berufsverkehr oder Zwölf-Stunden-Arbeitstage ohne Pause oder die Trennung vom Vater während der Schwangerschaft? Also welcher Stress ist da gemeint?
Buß: Das ist eine Frage, die mir immer gestellt wird. Und meine Antwort darauf ist eigentlich, dass es dem Fötus relativ egal ist, was die Quelle des Stresses ist. Es muss eben, wie gesagt, eine biologische Veränderung bei der Mutter entstehen. Und das kann bei der einen Frau vielleicht der Stress am Arbeitsplatz sein. Bei der nächsten Frau kann es der Stress mit dem Partner sein. Und bei der dritten Frau kann vielleicht das gleiche Stresslevel zu keiner biologischen Veränderung führen, weil sie ein so gutes soziales System hat und das so gut abgepuffert wird. Oder weil sie vielleicht genetische Protektionsfaktoren hat und resilienter ist gegen Stress. Darum würde ich nie sagen, dass ein spezifischer Stressor ganz besonders schädlich sein kann für den Fötus im Vergleich zu einem anderen Stressor. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, ab welchen Cortisolkonzentrationen es schädlich ist für den Fötus. Weil das wissen wir einfach noch nicht. Wir sehen nur in unseren Studien, wenn wir uns im Verlauf, also wir machen Beobachtungsstudien, das sollte ich vielleicht kurz erklären.
Also wir rekrutieren Frauen in der Schwangerschaft, meistens in der Frühschwangerschaft, und untersuchen sie zu mehreren Zeitpunkten in der Schwangerschaft. Wir versuchen, sie in der Regel in jedem Trimenon einmal zu sehen, also in der Frühschwangerschaft, in der mittleren Schwangerschaft und dann noch mal im letzten Trimenon einmal. Und dann untersuchen wir die Kinder nach der Geburt im Hinblick auf die Gehirnentwicklung. Also wir machen MRT-Untersuchungen des Gehirns während des natürlichen Schlafs bei diesen neugeborenen Kindern. Also wir sedieren die Kinder nicht. Wir machen das während des natürlichen Schlafs. Wir führen schon Entwicklungstest durch. Wir schauen aber auch, wie viel Körperfett haben diese Kinder schon. Wir schauen auch bei den Kindern an, wie hoch sind die Stresshormone in spezifischen Situationen, standardisierten Situationen im Labor. Und bei diesen Frauen in der Schwangerschaft messen wir, also entnehmen wir Blut und Speichel und Urin, und da können wir dann eben Konzentrationen und verschiedene biologische Parameter bestimmen. Und zum einen schauen, wie hängen diese mit dem mütterlichen Stress tatsächlich zusammen? Und zum anderen schauen, wie wirken zum Beispiel erhöhte Cortisolkonzentrationen während der Schwangerschaft, wie hängen diese zusammen dann zum Beispiel mit gewissen Gehirnparametern kurz nach der Geburt. Ein Beispiel wäre zum Beispiel, dass wir uns das Amygdala-Volumen bei den neugeborenen Kindern angeschaut haben. Die Amygdala, das Angstzentrum im Gehirn. Da haben wir uns angeschaut, wie groß ist diese bei Neugeborenen? Wie ist diese verbunden mit anderen Zentren im Gehirn bei Kindern, bei neugeborenen Kindern, deren Mütter erhöhte Cortisolkonzentrationen hatten. Und da haben wir zum Beispiel einen Zusammenhang gesehen zwischen erhöhten Cortisolkonzentrationen der Mütter während der Schwangerschaft und größeren Amygdala-Volumina und einer verstärkten Konnektivität von der Amygdala zur Insula, also einer weiteren Struktur im Gehirn, die auch wichtig ist für die Angstregulation.
Fischer: Also sprich, so viele Zusammenhänge, wo man sagen kann, das muss eigentlich am Stress der Mutter liegen.
Buß: Zumindest sagen wir, es kann viele verschiedene Ursachen haben, dass die Mütter erhöhte Cortisolkonzentrationen haben. Also eine kann Stress sein, aber es kann auch andere Ursachen haben. Es könnte zum Beispiel sein, dass die Mutter vielleicht eine metabolische Erkrankung hat. Also Stress ist nicht die einzige Ursache, aber wir versuchen eben, die potenziellen biologischen Mechanismen zu verstehen. Und was immer ganz wichtig ist, ist wir machen nur Beobachtungsstudien. Das heißt, wir induzieren ja keinen Stress bei unseren Frauen in unseren Studien oder wir geben kein Cortison in der Schwangerschaft, um zu gucken, was passiert dann mit den Kindern. Aber darum können wir auch, es ist schwierig, Kausalitäten herzustellen. Also das heißt, wir sprechen wirklich von Zusammenhängen. Und wir versuchen so gut in unseren Untersuchungsparadigmen dann verschiedene Störgrößen zu kontrollieren, sodass wir relativ sicher sind, es gibt auch wirklich diesen Zusammenhang, obwohl wir nur beobachten können und nicht selber experimentell jetzt das Kortison verändert haben.
Was sich dann ergibt und das ist mir auch immer sehr wichtig, sind sogenannte Scatterplots. Also Punktewolken zwischen, wenn man auf der x-Achse jetzt Cortisol sieht der Mutter während der Schwangerschaft und auf der y-Achse zum Beispiel das Amygdala-Volumen der Kinder. Dann sieht man diese Punktewolke und die Regressionslinie, die zeigt ja, es gibt einen positiven Zusammenhang. Das heißt also, höhere Cortisolwerte sind wirklich mit größeren Amygdala-Volumina, also einem größeren Angstzentrum, wenn man das mal vereinfacht sagen wollen würde, hängen zusammen. Man sieht aber auch, dass es ganz viel Variationen gibt. Das heißt, es gibt auch neugeborene Kinder von Müttern, die sehr hohe Cortisolkonzentration hatten, die ganz normale Amygdala-Volumina hatten. Oder aber Frauen, die niedrige Cortisolkonzentration hatten und deren neugeborene Kinder trotzdem hohe Amygdala-Volumina hatten. Das ist mir immer ganz wichtig, weil das, was wir zeigen, das sind Zusammenhänge, die darauf hinweisen, das sind Faktoren, die sollte man, wenn man kann, in der Schwangerschaft kontrollieren. Das heißt aber nicht, dass Frauen die erhöhte Stresshormone zum Beispiel haben, dass deren Kinder auf jeden Fall ein erhöhtes Risiko haben oder gar krank sind.
Fischer: Was Sie auch rausgefunden haben und da find ich, wird's wirklich interessant, dass sogar traumatische Erfahrungen in der Kindheit der Mutter sich dann auf deren Kinder, also Babys ausgewirkt haben. Wie kann das denn sein, wenn diese Erfahrungen wiederum jahrelang zurückliegen?
Buß: Ja, also da gibt es verschiedene Transmissionswege. Also das ist ein ganz zentraler Forschungsschwerpunkt hier bei uns, die intergenerationale Transmission von präkonzeptionellem Stress. Also präkonzeptionell, also lange bevor die Mutter selber schwanger wurde, hat dieser Stress stattgefunden, nämlich in ihrer eigenen Kindheit. Und wir konzentrieren uns auf körperlichen und sexuellen Missbrauch der Mutter, weil es Zusammenhänge gibt zwischen elterlichem Kindheitstrauma und auch einem erhöhten psychiatrischen Risiko bei ihren Nachkommen. Und da wollen wir jetzt die Mechanismen besser verstehen. Ich habe jetzt extra elterlich gesagt, weil das kann auch vom Vater übertragen werden. Auch da kennt man mittlerweile zumindest aus dem Tiermodell die Mechanismen und geht davon aus, dass frühkindliches Trauma zu sogenannten epigenetischen Veränderungen in den Spermien führen können, die dann an den Nachkommen übertragen werden.
Bei der Mutter könnte es ähnlich sein, also dass unter Umständen die Qualität der Eizellen oder aber vielleicht auch nur die Flüssigkeit, in der sich die Eizellen befinden, vielleicht durch den Stress verändert werden und es zu epigenetischen Veränderungen kommt. Wir glauben aber, dass andere Mechanismen vielleicht noch eine größere Rolle spielen. Und zwar ist es so, dass nach Kindheitstrauma es zu relativ gut etablierten neurobiologischen Veränderungen kommt. Also viele Opfer von Vernachlässigung und Missbrauch in der Kindheit haben zum Beispiel eine veränderte Stressregulation. Also auch da sieht man zum Beispiel eine erhöhte Stressreaktivität, vermehrte Cortisolausschüttung, erhöhte Entzündungsparameter. Das sind Forschungsbefunde, die unter anderem meine Kollegin, mit der ich hier zusammen forsche, Christina Heim, sehr gut etabliert hat. Und wir haben jetzt gesagt, wenn man im nicht-schwangeren Zustand weiß, dass es zu all diesen biologischen Veränderungen kommt nach Kindheitstrauma, dann ist es wahrscheinlich auch so, dass diese Veränderungen auch während der Schwangerschaft vorliegen. Und die können sich dann wieder, wie ich eben bereits erklärt hab, auf die fetale Entwicklung auswirken. Und das ist etwas, das wir aktuell in unseren Studien untersuchen, ob das der Fall ist. Also wir haben auch erste Hinweise darauf, dass es endokrine, also hormonelle und immunologische Veränderungen während der Schwangerschaft gibt bei Frauen, die Kindheitstrauma erlebt haben, und wollen jetzt untersuchen, wie sich das auf die Gehirnentwicklung auswirkt.
Fischer: Ist doch bestimmt auch wahnsinnig schwierig für Sie, die Frauen überhaupt zu finden, mit denen Sie die Forschung machen können, oder?
Buß: Es ist tatsächlich gar nicht so schwierig, weil traumatische Erfahrungen oder ja, diese Art von Missbrauchs-, Vernachlässigungserfahrungen sind relativ häufig. Also wenn, je nachdem, welche Kriterien man anlegt, aber wenn man von moderatem bis schwerem, schwerer Vernachlässigung oder Missbrauch ausgeht, würde man denken, dass fast jede dritte Frau betroffen ist. Wir haben jetzt etwas strengere Kriterien in unseren Studien, weil wir ganz objektive Stressoren, also wirklich körperlichen oder sexuellen Missbrauch in unserer Studie untersuchen wollen und nicht so sehr die Vernachlässigungserfahrung. Selbst da gehen wir davon aus, dass wahrscheinlich zehn bis 15 Prozent der Frauen, die schwanger sind, die in den Arztpraxen sind, davon betroffen sind. Und so funktioniert auch unsere Rekrutierung und wir fragen im Rahmen einer größeren Studie nach Kindheitstrauma und tatsächlich können wir darüber eine relativ große Anzahl von Frauen identifizieren.
Fischer: Wenn nun das Baby auf der Welt ist, gibt es denn Faktoren dann später auch in der Kindheit, also die Fürsorge, eine gute Bindung an die Eltern, die den Stress aus der Schwangerschaft kompensieren können? Oder bedeutet das, dass das Kind in der gestressten Mutter für immer anfällig ist für Krankheiten?
Buß: Also zum einen bin ich schon mal sehr froh, dass Sie sagen „anfällig für Krankheiten“ und nicht, dass das Kind krank ist, sondern es wird ja wirklich eine, wenn überhaupt eine Vulnerabilität programmiert und wenn dann zusätzliche Risikofaktoren später kommen, dann ist das Gesundheitsrisiko erhöht, ja? Und Ihre Frage ist ganz extrem wichtig. Dazu gibt es nicht so gute Humanstudien, aber sehr, sehr gute überzeugende Tierstudien, die sogenannte Cross-fostering-Paradigmen anwenden. Das heißt, das sind Adoptionsstudien. Also man nimmt Junge von Müttern, die in der Schwangerschaft gestresst wurden. Das wirkt sich dann meistens auch auf das mütterliche Verhalten aus. Darum muss man diese Jungen dann Müttern geben, die nicht gestresst wurden und von denen man weiß, dass sie ein gutes mütterliches Pflegeverhalten zeigen. Und umgekehrt kann man auch cross fostern, also dass man sagt, dass Junge, die keinen pränatalen Stress hatten, dann aber postnatalen Stress hatten. Aber sie interessieren sich jetzt spezifisch für diese Frage, kann etwas kompensiert werden? Wenn ein pränatales Risiko da war, kann das postnatal kompensiert werden und die Tierstudien sprechen absolut dafür. Und das ist grade das das Besondere am Gehirn, weil es ja so lange plastisch bleibt. Es bleibt ja plastisch bis ins junge Erwachsenenalter und grade in der frühen postnatalen Phase, gerade in den ersten zwei Lebensjahren ist das Gehirn noch so plastisch, dass ich davon überzeugt bin, dass noch ganz viel kompensiert werden kann.
Fischer: Also formbar meinen Sie mit plastisch? Beeinflussbar?
Buß: Genau, richtig. Die Schwierigkeit ist nun, dass häufig Frauen, die in der Schwangerschaft belastet sind, häufig auch diejenigen sind, die postnatal dann belastet sind. Und darum ist es wichtig, diese Frauen, die Hilfe brauchen, so früh wie möglichst zu identifizieren und ihnen im Idealfall schon in der Schwangerschaft, aber dann spätestens halt in der frühen postnatalen Phase eine Hilfestellung zu geben, damit sich dieses kumulative Risiko nicht fortsetzt.
Fischer: Ich habe auch ein bisschen Angst, dass Frauen, die schwanger sind und das jetzt hören, jetzt auch auf einmal gestresst sind, obwohl sie es nie waren, weil sie vielleicht denken, okay, ich darf auf keinen Fall gestresst sein. Diese Gefahr besteht doch wahrscheinlich auch, oder?
Buß: Darum hab ich eben versucht, das alles etwas zu relativieren. Das ist auch wirklich wichtig. Es gibt keinen Eins-zu-eins-Zusammenhang, dass Stress sich negativ auswirkt. Und schon gar nicht akuter Stress. Also jede Person, jede Frau ist mal gestresst. Und ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es gut für den Fötus ist, Variation zu sehen. Ich glaube nicht, dass es gut ist, eine Frau komplett in Watte zu packen und alles von ihr fernzuhalten, weil es eigentlich gut ist für den Fötus, also Variationen in Signalen zu bekommen. Was nicht gut ist, ist, wenn eine Frau zum Beispiel über die gesamte Schwangerschaft schwer depressiv ist. Das ist weder gut für sie, noch ist es gut für ihren Fötus. Und da muss man eigentlich so früh wie möglich intervenieren und eigentlich zwei Individuen helfen, nämlich der Mutter und dem Kind. Im Idealfall würde man tatsächlich in der Schwangerschaft auch nach psychosozialen Faktoren fragen.
Um jetzt noch einmal auf das Thema Kindheitstrauma zurückzukommen. Da wurde viel diskutiert, ob es ethisch vertretbar ist, Frauen in der Schwangerschaft danach zu fragen, oder ob man vielleicht sogar die Frauen retraumatisieren kann dadurch, dass man sie danach fragt. Und ich habe mir da viele Gedanken gemacht mit vielen psychiatrischen Kollegen gesprochen und wir haben eigentlich durch die Bank alle gesagt, nein, es ist wichtig, dass die Frauen in einem sicheren Raum darüber reden können, weil sie haben den Bedarf, darüber zu reden. Weil wenn sie selber Eltern werden, dann setzen sie sich mit ihrer eigenen Kindheit auseinander. Und wenn aber die Gefühle hochkommen und sie quasi kein Outlet dafür haben, nicht in der Lage sind, darüber zu reden, dann ist das unter Umständen schwieriger für diese Frauen. Und es gibt tatsächlich Studien dazu, die sind an Ethikkommission gerichtet, dass diese Art von Studien unbedingt zugelassen werden sollen. Und dass Frauen, die diese Erfahrung gemacht haben, selber gesagt haben, ich würde mir wünschen, dass mein Arzt danach fragt und ich eine Möglichkeit habe, darüber zu reden. Und das ist auch das, was wir in unseren Studien tatsächlich merken, dass die Frauen in der Regel eigentlich froh und dankbar sind, dass sie jetzt einen sicheren Raum haben, darüber zu reden. Und wir hatten zum Beispiel auch Frauen, die schweren sexuellen Missbrauch erlebt haben, die sich nicht vorstellen konnten, eine vaginale Geburt zu durchleben. Und dann hatten wir die Möglichkeit, mit denen das vorzubereiten, den Kreißsaal zu besuchen und in dem einen Fall hat sich die Frau dann doch sicher genug gefühlt, das zu probieren, und an einem anderen Fall haben wir dann mit den Ärzten vorbereitet, dass ein geplanter Kaiserschnitt durchgeführt wird. Aber so etwas kann man eben nur machen, so kann man die Frauen nur unterstützen, wenn man auch danach fragt. Und das wird eigentlich in der normalen Pränatalvorsorge nicht gemacht.
Fischer: Was macht Ihnen eigentlich so richtig Spaß an Ihrem Job?
Buß: Mich interessiert dieses Forschungsthema wahnsinnig. Ich finde, es ist einfach faszinierend, dass sich der Fötus so an die Umwelt anpassen kann. Und ja, wir haben einen negativen Fokus. Wir haben einen Stressfokus. Aber die Kehrseite der Medaille ist ja auch, wie kann man diese Prozesse optimieren? Das ist ja dann letztendlich das Ziel. Es geht ja nicht nur darum, was ist alles schlecht, sondern wie können wir dann über Interventionen, über Hilfe nachdenken, ja, diese Bedingungen eigentlich zu optimieren? Dann macht's mir einfach Spaß, in meinen Teams zusammenzuarbeiten und diese extrem komplexen Studien durchzuführen, weil alle an einem Strang ziehen, weil alle so lange am Scanner bleiben, bis wir es dann geschafft haben, bis das Kind dann eingeschlafen ist. Das kann auch mal länger dauern. Dann freut's mich auch wirklich, wenn diese Frauen, gerade die belasteten Frauen, wenn wir von denen positive Rückmeldungen bekommen. Und ansonsten finde ich grundsätzlich ist der Beruf eines Wissenschaftlers eigentlich Luxus, finde ich. Weil wir uns ständig mit spannenden Themen auseinandersetzen dürfen, die wir ja selber auch gewählt haben. Also wir können ja die Sachen erforschen, die uns tatsächlich interessieren. Wir unterhalten uns mit extrem interessanten Leuten, können uns dann überlegen, wie wir Fragestellungen, die uns bewegen, die uns interessieren, untersuchen können. Ja, und dann kombiniert mit auch einer relativ hohen Flexibilität, finde ich, ist das einfach ein ganz toller Job.
Fischer: Ich glaube, Sie hören Claudia Buß an, wie sie strahlt, wenn sie über ihren Job spricht. Eine letzte Frage zum Schluss nach, wo ich immer so dachte, das ist doch vielleicht was, was nervt am Psychologinnensein. Wenn Sie auf einer Party erzählen, dass das Ihr Job ist, bekommen Sie denn eigentlich immer gleich die ganze Lebensgeschichte und müssen die Leute analysieren?
Buß: Ich hab relativ früh bereits im Studium das abgewehrt, weil mich das wirklich genervt hat. Eigentlich war meistens die Antwort, oh Gott, dann muss ich jetzt ja aufpassen, was ich sage, weil sonst analysierst Du mich. Also eher so. Und in der Regel sage ich, keine Angst, ich bin keine Therapeutin, ich kann das gar nicht. Es ist schon so, dass es Leute gibt, die dann sehr schnell ins Reden kommen. Und auch wenn man, also gerade in den USA, da sind die Taxifahrer ja auch immer so besonders redselig. Da hatte ich schon viele Taxifahrten vom Flughafen, bei denen ich gefragt wurde, was machen Sie denn? Und wenn ich das Wort Stress sage, dann habe ich die ganze Lebensgeschichte gehört. Und selbst bei der Immigration, bei der Einreise in den USA manchmal die Beamten, die mir den Stempel gegeben haben, die haben mich nicht weggelassen, weil die mir ihre Geschichten erzählt haben. Also in der Regel nervt's mich nicht. Aber es ist interessant. Manchmal ist es mir ein bisschen lang, aber da habe ich dann Wege abzukürzen.
Fischer: Apropos lang, wir wollen auch nicht zu lang werden. Ganz herzlichen Dank an Claudia Buß, die uns erzählt hat von ihrem Forschungsgebiet, dem Thema Stress vor allem bei Müttern und Babys, denn das wirkt sich schon aus, wenn die Mutter gestresst ist, kommt es manchmal auch beim Baby an, wobei man da jetzt gelernt hat, wir sind sehr vorsichtig, was die Deutung angeht. Das war in jedem Fall der Podcast der Einstein Stiftung, AskDifferent. Mein Name ist Nancy Fischer und wir hören uns hoffentlich beim nächsten Mal wieder, ganz ungestresst.