Mathe ohne Formeln: Bei seiner Meeting Einstein Lecture widerlegte der Mathematiker Wendelin Werner das Vorurteil, seine Wissenschaft sei unanschaulich und habe nichts mit der Welt um uns herum zu tun. Mit vielen Bildern entführte der Einstein Visiting Fellow am 4. September seine Zuhörer in die faszinierende Welt der Wahrscheinlichkeiten.
„Ich möchte Ihnen heute zeigen, dass Mathematik nicht staubtrocken sein muss.“ Das Versprechen, das Wendelin Werner dem Publikum zu Beginn seiner Meeting Einstein Lecture machte, konnte er einlösen. Unter dem Titel „Zufall in kleinen Dosen“ gab der angesehene Mathematikprofessor von der Université Paris-Sud einen kurzweiligen Einblick in die neusten Erkenntnisse der Wahrscheinlichkeitstheorie.
Wahrscheinlichkeiten in Bildern „versteckt“
Der Träger der Fields-Medaille begann mit einem alten Bekannten aus dem Mathematikunterricht: dem Münzwurf. Ein Münzwurf-Experiment lässt sich in einem karierten Matheheft zum Beispiel so darstellen, dass man sich vorstellt, in jedem Kästchen werde ein Münzwurf durchgeführt. Zeigt die Münze Kopf, färbt man das Feld schwarz; zeigt sie Zahl, bleibt es weiß. So entsteht ein Muster, das Mathematiker Perkolationskonfiguration nennen. Die Eigenschaften von Mustern dieser Art untersucht die Perkolationstheorie – das Spezialgebiet von Wendelin Werner.
So werfen die zufälligen Muster auf den Gittern interessante Fragen auf: Gibt es einen schwarzen Pfad vom unteren Heftrand zum oberen? Was passiert mit dem Muster, wenn man die Wahrscheinlichkeiten für die beiden Zufallsereignisse verändert? Charakteristisch für die zufälligen Muster auf dem Gitter ist die Bildung von schwarzen oder weißen Inseln, sogenannten Clustern. „Wir fragen uns unter anderem, was passiert, wenn die Waben unendlich klein sind oder ab welcher Wahrscheinlichkeit ein Cluster unendlich groß wird“, erklärt Wendelin Werner.
Ein Fach für Ästheten, Schachspieler und Bastler
Für den Mathematiker ist das Ziel dabei stets, wie er betont, „schöne mathematische Strukturen zu entdecken“. Doch auch die Verbindungen zu den empirischen Wissenschaften sind verblüffend: Wolken kann man beispielsweise als perkolierende Cluster verstehen und bestimmte Perkolationsmodelle sind mit den Konzepten der Quanten- und Stringtheorie verwandt.
Seinen Vortrag spickte Wendelin Werner mit Anekdoten aus seiner Kindheit, seiner Familiengeschichte und seinem Arbeitsleben. Auch seinen didaktischen Anspruch verlor er nicht aus dem Blick. Auf die Publikumsfrage eines Mathematiklehrers, wie man Schüler für Mathe begeistern könne, antwortete Wendelin Werner: „Die Welt wäre nicht besser, wenn sich jeder für Mathematik interessieren würde. Aber sie wäre schlechter, wenn keiner es tun würde. Ein großer Reiz ist die enorme Bandbreite des Fachs. In der Mathematik finden vom Schachspieler bis zum Bastler viele ihr Vergnügen.“
Exzellente Wissenschaftler in Berlin
Wendelin Werner ist seit 1997 Professor für Mathematik an der Universität Paris-Sud. 2006 erhielt der gebürtige Deutsche, der seit frühester Kindheit in Frankreich lebt, als erster Wahrscheinlichkeitstheoretiker die Fields-Medaille. Die Medaille ist die höchste Auszeichnung für einen Mathematiker und daher vergleichbar mit dem Nobelpreis. Seit 2011 ist Wendelin Werner zudem Einstein Visiting Fellow an der Berlin Mathematical School (BMS).
Die Vorlesungsserie „Meeting Einstein Lectures“ bringt die Berliner Öffentlichkeit mit international herausragenden Wissenschaftlern in Berührung. Die nächste Veranstaltung der Reihe findet am 10. Oktober statt. Dann wird die US-amerikanische Politologin und weltweit bekannte Intellektuelle Nancy Fraser über die aktuellen Herausforderungen der Demokratie referieren.
Text: Julia Walter