Einstein Junior Fellow Tobias Kümmerle erforscht, wie Menschen Land nutzen und welche Auswirkungen das auf die Umwelt hat. Im Herzen ist er Naturschützer, doch als Wissenschaftler lässt er lieber Forschungsergebnisse sprechen.
Die Weltbevölkerung wächst rasant, nahezu zehn Milliarden Menschen werden im Jahr 2050 voraussichtlich auf der Erde leben, damit wächst auch der Druck auf Ökosysteme und Artenvielfalt enorm. „Die Agrarproduktion muss sich in den nächsten 40 Jahren sehr stark erhöhen, weil es mehr Menschen gibt, die wiederum mehr Fleisch essen wollen und weil wir gleichzeitig auf Bioenergie setzen, um aus fossilen Energieträgern auszusteigen“, sagt Tobias Kümmerle. Der Geograph leitet am Geographischen Institut der Berliner Humboldt-Universität (HU) die Arbeitsgruppe „Biogeographie und Naturschutzbiologie“, die Landnutzungswandel und dessen Auswirkungen auf die Umwelt weltweit erforscht. „Landnutzung ist wahrscheinlich die größte Triebkraft des globalen Wandels, auch der Klimawandel und die globale Artenvielfalt wird maßgeblich davon beeinflusst.“
Kümmerle nutzt Satellitenbilder, statistische Modelle und Feldforschungsmethoden, um zu verstehen, wie sich unser Erdsystem durch die Eingriffe des Menschen verändert. Zum Beispiel in Südamerika, wo vor allem die steigende Nachfrage nach Soja in Europa und China zu enormen Waldverlusten führt. Vor allem aber in Osteuropa, wo es nach der Wende zu einem massiven Landschaftswandel kam. „Dort wurden riesige Flächen von Ackerland aufgegeben, was vielerorts zu einer Renaturierung geführt hat“, sagt Kümmerle. „Gleichzeitig gibt es dort noch naturnahe Wälder und Wildtierpopulationen, die in Westeuropa nicht mehr zu finden sind.“
Forschungsinteresse Osteuropa
Kümmerles Forscherinteresse an Osteuropa begann bereits mit seiner Doktorarbeit, die er 2008 abschloss. Darin untersuchte er Landschaftswandel im Dreiländereck Polen-Slowakei-Ukraine seit dem Fall der Mauer und fand heraus, dass die Besitzverhältnisse eine große Rolle für den Wandel der Landnutzung spielen. So fand in Polen, wo bereits in sozialistischer Zeit Privatbesitz an Land erlaubt war, weniger Landnutzungswandel statt, als in der Slowakei oder der Ukraine, wo das Land erst nach der Wende privatisiert wurde. Kümmerle konnte auch zeigen, dass Holzeinschlag in den 1990er Jahren viel höher war, als bisher angenommen, teilweise weil illegale Einschläge nach der Wende zunahmen.
Was solche Veränderungen für den Lebensraum von Wildtieren bedeuten, war die Hauptfrage für ein anschließendes Forschungsprojekt an der University of Wisconsin-Madison. Kümmerle analysierte möglichen Habitate für Wisente in Osteuropa, die nach ihrer Ausrottung in freier Wildbahn seit Anfang des 20. Jahrhunderts nur in Zoos überlebten und vereinzelt ausgewildert wurden. Doch die reine Bestandsaufnahme reichte ihm nicht: Er entwickelte auch Strategien für überlebensfähige Wisentpopulationen – etwa durch Grünbrücken, die verschiedene Habitate untereinander verbinden und bringt dieses Wissen bis heute in Schutzprojekte ein.
Nachhaltige und relevante Forschung
„Ich wollte immer schon relevante Forschung betreiben und Wege zu einer nachhaltigeren Welt finden“, sagt Kümmerle, der schon früh eine Leidenschaft für Natur entwickelt hat. Als Kämpfer für die Artenvielfalt sieht er sich dennoch nicht. „Ich mache mir große Sorgen über den weltweiten Artenverlust, aber als Wissenschaftler versuche ich in erster Linie Erkenntnisse zu gewinnen, die Entscheidungsträgern und gesellschaftlichen Akteuren helfen wichtige aber oft komplexe Zusammenhänge zu verstehen und bessere Entscheidungen zu treffen.“
Kümmerle, der seine Arbeitsgruppe an der HU seit 2012 mit Unterstützung der Einstein Stiftung aufgebaut hat, kam nach dem Studium der angewandten Umweltwissenschaften an der Universität Trier nach Berlin, promovierte und ging nach zwei Jahren an der University of Wisconsin-Madison 2010 an das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), wo er sich unter anderem mit den zunehmend globalen Faktoren von Landschaftswandel auseinander setzte und den Folgen von Landnutzung für das Klima.
Seine Zukunft sieht Kümmerle am Geographischen Institut der HU. „Für meine Forschung ist es genau der richtige Ort, weil es hier viele engagierte Wissenschaftler gibt, die sich mit der Interaktion von Mensch und Umwelt in unterschiedlichen Landsystemen befassen, für Deutschland ein einzigartiger Schwerpunkt“, sagt Kümmerle, der 2013 auch das Integrative Forschungsinstitut zu Transformationen von Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys) an der HU mitbegründet hat, das im Rahmen der Exzellenzinitiative über verschiedene Fakultäten hinweg und in Kooperation mit außeruniversitären Instituten die Forschung in Berlin zu diesem Thema weiter bündeln will.
Klimawandel und Artenvielfalt
Ein von der Einstein Stiftung gefördertes Projekt seiner Arbeitsgruppe untersucht aus ganz neuer Perspektive, wie Landnutzungswandel sich in Zukunft auf die globale Artenvielfalt auswirken wird. „Alle bisherigen Vorhersagen für die nächsten 20 Jahre berücksichtigen vor allem die Auswirkungen des Klimawandels, manche auch den Waldverlust“, sagt Kümmerle. „Ein wichtiger Aspekt, der bisher überhaupt nicht betrachtet wurde, sind jedoch Intensivierungsprozesse in der Landwirtschaft: Wenn auf weniger Fläche mehr produziert wird, hat das erhebliche Auswirkungen auf die Biodiversität.“ Ein Ziel des Projekts ist zu klären, wie sich intensive Landwirtschaft auf Artenvielfalt auswirkt, und wo durch Intensivierung auch Chancen für den Naturschutz bestehen könnten – etwa weil dadurch eine weitere Ausweitung von Landwirtschaft vermieden werden könnte. „Global gesehen ist es unter Umständen besser, Agrarflächen in Teilen Osteuropa wo mehr als 40 Millionen Hektar ehemaligem Ackerland zu finden sind landwirtschaftlich wieder zu nutzen, statt in unberührten tropischen Urwald vorzudringen.“
Mit diesem und anderen Projekten will er weiter suchen nach Wegen zu einer nachhaltigeren Welt, auch wenn sie weiter entfernt scheint, je mehr er sich damit beschäftigt. „Wir brauchen auf globaler und nationaler Ebene eine viel fundamentalere Gesellschaftstransformation, als sie im Moment möglich erscheint“, sagt Kümmerle. „Aber ich bin überzeugt, dass es möglich ist, diese Umgestaltung global und regional zu schaffen.“
Text: Mirco Lomoth