#17: Talja Blokland
Wo sich die Wege kreuzen

Intro: Und wenn meine Tochter ganz klein war, dann hat sie mal wie man eine Bushaltestelle gestanden und dann hat sie mal zu mir gesagt, Mama, warum redest Du immer mit fremden Leuten? Da war sie drei oder so und jetzt versteht sie das, dass sie weiß, das ist ihr Fach, ne, das ich red immer überall mit allen. Und das ist halt Teil von wie ich meine Forschung sehe und das hört ja dann auch nie auf. Man ist nie nicht Soziologin. AskDifferent, der Podcast der Einstein Stiftung mit Nancy Fischer.
Nancy Fischer: Bei uns im ersten Stock wohnt Frau Arnemann. Eine gebrechliche ältere Frau, die viel zu viel raucht und die sich regelmäßig aus ihrer Wohnung aussperrt. Dann kommt immer das ganze Haus zusammen, also das Künstlerpärchen aus dem dritten Stock, der Urberliner in der immer gleichen Jogginghose aus dem zweiten Stock, die Italiener aus dem fünften und wir, die kleine Familie aus der vierten Etage. Und sonst grüßen wir Nachbarn uns eigentlich immer nur ganz kurz. Aber mit Frau Arnemann im Flur rumstehen, bis der Schlüsseldienst kommt, das schafft irgendwie immer so eine Gemeinschaft. Warum ich Ihnen das erzähle? Weil ich glaube, dass das unsere heutige Gesprächspartnerin freuen könnte. Die Soziologin Prof. Dr. Talja Blokland, sie forscht nämlich unter anderem zu Nachbarschaftsbeziehungen und Zufallsbegegnungen in der Stadt, aber auch zu Stadtsoziologie und Gentrifizierung. Und sie hat am Einstein Circle Large-Scale Organisation mitgewirkt. Wir haben also viel zu besprechen. Hallo, Frau Blokland.
Talja Blokland: Hallo.
Fischer: Wäre jetzt meine Treppenhausgemeinschaft für Ihre Forschung interessant?
Blokland: Doch tatsächlich, da es zwei Sachen zeigt. Erst mal, dass man viel voneinander weiß, ohne dass man sich notwendig kennt. Also man weiß genau, wer er wohnt im zweiten Stock und wie sieht der aus. Gleichzeitig aber vielleicht nicht unbedingt diese Person bei Name kennt und das zeigt auch, dass die Beziehung untereinander, dass sie schon sehr unterschiedlich sind. Das ist schon, dass man zu Frau Arnemann eine andere Beziehung hat als zu anderen Menschen in dem Haus. Und das zeigt halt erst mal, was in meiner Forschung seit ich mir mit Nachbarschaft beschäftigt schon immer wichtig gewesen ist, dass Nachbar keine tiefe Beziehung ist, dass man mit manchen Nachbarn eine Abhängigkeitsbeziehung hat, einen Nachbarn, die vielleicht immer laut ist, mit wem man eigentlich sich sonst gar nicht austauscht oder gar keine Gespräche führt. Dass man andererseits vielleicht mit dieser ältere Dame, wenn sie dann ihren Schlüssel verloren hat, sich auch mal unterhaltet und was für sie tut, ich hab dir bei dein Schlüsselproblem – oder „Ihnen“ wird's dann sein, dann ist man nicht bei du, und Sie helfen mir, wenn bei mir den Zucker ausgeht. Und dann hat man ja eher ein Tauschbeziehung und das zeigt, dass welche tiefe Beziehung wir unseren mit unseren Nachbarn haben, dass das ja unterschiedlich sein kann. Und dann haben sie in den Anlauf so gesagt, das würde mich freuen. Ja, das ist ja sicherlich so, dass auf die Ebene der Community Organizing oder Quartiersmanagement oder so sehr dafür plädiert wird, dass es bestimmte gute Nachbarn gibt und dass Nachbarschaft eine moralische Dimension hat. Und für mich war immer wichtig in meiner Forschung zu schauen, wann ist Nachbarschaft Gemeinschaft und ist es immer so, dass wenn ich mit meinen Nachbarn keine Gemeinschaft erfahre, dass das notwendig heißt, dass ich isoliert und alleine bin oder dass die Nachbarschaft ohne warme, liebevolle Beziehungen nicht funktionieren kann. Und vor allem in sehr differenzierte Wohngebiete, wo die Lebensstile sehr, sehr groß sind, ist das eine sehr wichtige Frage.
Fischer: Jetzt haben Sie sozusagen über die nachbarschaftlichen Beziehungen schon gesprochen und so ein bisschen gehört das auch für mich zusammen, im Kopf zumindest, mit so zufälligen Begegnungen, zu denen Sie ja auch forschen. Und warum sind denn solche Zufallsbegegnungen wie vielleicht bei uns im Treppenhaus, aber auch draußen im öffentlichen Raum, warum sind die wichtig für das soziale Gefüge?
Blokland: Also dafür müssen wir, glaub ich, erst mal gucken, was wir meinen mit sozialer Gefüge, und das kann man eigentlich auf zwei Seiten sehen: Auf die eine Seite kann man ein soziales Gefüge oder ein Gewebe sehen als gehäkelt – da sind die Pfade, die wir haben, recht eng miteinander verbunden. Dann sind es Beziehungen zwischen Menschen, die entweder sich gerne anrufen könne, ihren Namen kennen und dann sprechen wir in unsere Fachtherme auch von sozialen Netzwerke. Das ist ein gehäkeltes Gewebe. Auf die andere Seite haben wir aber in die Stadt viele kurze Begegnungen, die gar nicht zu diese gehäkelte, festgebundene Beziehungen führen, aber die eher sehr kurz und sehr fluide sind und bleiben, aber trotzdem auch das Gewebe formen, aber eher mit dem Metapher von einer gefluchtete Struktur, wo die Farben zwar nebeneinander liege, aber sich nicht unbedingt langfristig und stark berühren.
Die Relevanz der fluiden Begegnung, die liegt dann eigentlich in zwei Bereiche. Auf die eine Seite ist es ein Bereich, was hier geht über was eigentlich macht, dass wir uns sicher fühlen in der Stadt und wie wir zu einer Art Öffentlichkeit kommen, wo wir uns vertraut fühlen. Das ist ein Teil. Das andere Teil sind fluide Begegnungen oder auch sehr kurze Kontakte, wie zum Beispiel beim Elternabend. Die Eltern gehen zum Elternabend, da kennen sie vielleicht gar nicht alle Eltern, wäre insofern nicht ein richtiges Netzwerk. Aber man hört so, wenn man da dann ist und man hört so nebenbei irgendwelche Sachen und man lernt halt, ohne dass man rausgegangen ist und gesagt hat, komm, ich such jetzt mal neue Erkenntnisse, lernt man viele Sachen nebenbei, da man an andere Orte ist, wo Menschen, die anders sind als wir und halt nicht meine Familie und nicht meine Freunde und nicht meine Bekannte, wo die über Themen rede, worüber ich vielleicht noch gar nicht nachgedacht habe.
Fischer: Stichwort Elternabend ist vielleicht ganz spannend, weil Sie forschen ja auch jetzt in diesen Zeiten in der Coronapandemie sozusagen über die Einflüsse der Pandemie auf soziale Netzwerke, auf Begegnungen. Wenn man am Beispiel Elternabend mal weiterdenkt, ist es denn nicht total praktisch, dass da jetzt ganz viel digital stattfindet zum Beispiel?
Blokland: Praktisch ist es auf jeden Fall für die Menschen, die, was wir in die Literatur Sozialkapital nennen, schon habe. Also wenn ich sehr gut ausgestattet bin, sowohl in finanzielle Sinne, also mein ökonomisches Kapital - habe ich genug Geld, in kulturelle Sinne - habe ich genug Zugriff auf Information und genug Bildung und in soziale Sinne von „bin ich schon so vernetzt, dass ich alle Informationen, die ich brauche, bekomme“, dann ist ein digitaler Elternabend ganz praktisch. Man loggt ein, man loggt aus und fertig ist man und man weiß wieder, dass die Lehrerin gesagt hat, bitte keine Süßigkeiten. Aber die Beiprodukte von Elternabenden, die gehen natürlich verloren. Und ich glaub, das erfahren jetzt alle, die diese digitale Welt machen müssen, dass das nebenbei von mal kurz eine andere Mütter irgendwas fragen oder doch mal kurz mit die Lehrerin noch ein Thema ansprechen oder draußen auch beim Rausgehen doch mal überhören, dass andere Menschen, noch andere Eltern über irgendwas reden, das geht alles verloren in den digitalen Veranstaltungen.
Fischer: Sie haben ja in der Coronazeit auch Menschen befragt, wie sie mit den Herausforderungen umgehen, wie sie darüber mit anderen Menschen kommunizieren, Lösungen finden. Was ist abgesehen von Elternabenden jetzt von diesen digitalen Veranstaltungen dabei rausgekommen?
Blokland: Ja, eine Sache, was in unserer Umfrage ein großes Thema war, ist, was ist eigentlich mit die Stadt passiert, wenn die Stadt dann dichtgemacht hat in den ersten Lockdown. Was heißt, dass du nicht in die Kneipen gehen kannst, dass du nicht zum Sportverein gehen kannst, was bedeutet das? Und nicht in die Sinne von, oh, ich find das schade, ich kann da nicht hin. Aber vor allem in „was passiert mit deiner soziale Kontakte, wenn du da nicht mehr hingehen kannst“. Und dann sehen wir, dass Menschen, die sagen, sie vermischen bestimmte Orte sehe, dass das Menschen sind, die an diesem Orte und das haben wir gefragt, entweder mit Fremde gesprochen habe, die sie von nirgendwo anders kenne oder dort Menschen gesehen habe, die sie nur an diesem Ort getroffen habe. So wenn ich zum Beispiel Mitglied einem Fußballverein war und ich bin immer Fußball spielen gegangen, dann hab ich da immer meine Fußballkumpels oder Kumpelinnen. Kann man Kumpels gendern? Da bin ich nicht so sicher. Aber dann hab ich da getroffen, jetzt treffe ich die nicht mehr und was ich vermisse, ist nicht so sehr nur das Fußball selber, aber vor allem auch dieser Austausch.
Fischer: Und deshalb hab ich auch gelesen, Sie fordern, dass Menschen dann nach der Pandemie wieder mehr Zeit verschwenden. Was soll das bringen?
Blokland: Also mit dem Zeitverschwenden ist ein bisschen eine andere Ebene als jetzt mit dem Sportverein. Aber es geht ja eigentlich bei dem Sportverein vor allem darum oder auch bei den andere Aktivitäten, das Bringen und Holen von Kindern, hab ich zum Beispiel gefragt, bringen Sie Kinder zu Freizeitaktivitäten? Was ich mit den Elternabend schon ein bisschen erwähnt habe, dass die Gedanke, dass wir lernen können, wenn wir lernen sehe als die dem Bedürfnis, dass jeder von uns hat, in seine Herausforderungen im Alltag neue Wege zu finden, dann ist das Finden von neue Wege oder von gute Lösungen zu bestimmte Probleme sehr von Information abhängig. Jetzt können wir natürlich sagen, Information ist überall. Ich fahr meine Rechner hoch, ich google und den krieg ich ja das Antwort. Aber ich muss ja wissen, was ich zur Frage habe. Und diese Blase von Wissen, diese Grenze an was wichtig ist oder was die richtige Frage sind, die ich erst mal selber müsste, das wird sehr eingeschränkt, wenn ich nie das Unbekannte begegnen müsst. Und das Schöne an Sportvereine, das Schöne an Cafés, das Schöne an Shishabars, das Schöne an Fußballstadien ist genau das, dass man da die kurzfristige Begegnung hat mit Menschen, die andere Perspektive auf Sache haben könnte als deine eigene Freunde. Und deswegen sind diese nebenbei und da kommt das her von „wir müssen mehr Zeit verschwenden, wir müssen Zeit verschwendet zusammen auf irgendwas warten zu müssen“. Da in diesem Zusammensein entstehen die Gespräche, wo ich was lernen kann. Geht aber nicht nur am Lernen, geht auch ein Gefühl oder in Erfahrung von Zugehörigkeit in der Stadt, die zustande kommt, da ich mir mit andere Begegnungen und mit anderen im gleichen Raum bin.
Fischer: Das heißt also, wir hoffen jetzt mal nicht nur, dass die Pandemie aus medizinischer Sicht, sondern vor allem auch aus sozialer Sicht bald zu Ende geht, weil das ja tatsächlich wichtige Auswirkungen sind, die man vielleicht immer als so ein bisschen Nebensächlichkeiten abtut. Wenn Sie so auf die Stadt gucken, auf Berlin, wo Sie ja jetzt schon seit vielen Jahren leben, wirken sich denn die Einschränkungen in den Bezirken unterschiedlich aus?
Blokland: Auf jeden Fall. Eine der Sache, die wir ausgewertet habe mit unseren Daten, ist die Frage, gibt es eine Verbindung zwischen die Größe der Wohnfläche, die Menschen zur Verfügung steht und welche Sache sie vor der Pandemie gemacht habe? Und deswegen wie sehr sind Menschen betroffen von bestimmte Schließungen. Und wir können dann nachweisen, dass zum Beispiel Menschen, die im kleinen Wohnraum wohnen, vor der Pandemie häufiger mit Kinder auf den Spielplatz gegangen sind als Menschen, die größere Wohnraum haben, leuchtet ja ein. Größere Wohnraum musst du nicht unbedingt mit die Kleine raus, aber mit größeren Wohnraum haben die ja auch oft den Garten zusammen. Und wir können zeigen, dass Menschen mit kleinem Wohnraum zum Beispiel auch Bootsplätze und Basketballplätze und so häufiger nutzen. Also die Strategie, die man sich entwickelt, wenn man klein wohnt, ist, man geht nicht zu Hause mit den Freunden quatschen, aber man geht ins Café. Man trifft nicht zu Hause mit den Kumpels, wenn man 16 Jahre alt ist, aber man trifft auf dem Basketballplatz. Man bleibt nicht mit die Kinder drinnen, man geht mit den Kindern zum Spielplatz. Und all diese Möglichkeiten sind eingeschränkt und es ist ja völlig klar, dass diese Einschränkung sehr unterschiedlich gelebt werde. Und da kommt noch dazu, dass die Art und Weise, wie wir Beziehungen machen und wie wir uns deswegen auch unterstützen lassen, unterschiedlich sein kann. Das heißt, das Bild von den Haus, was sie gegeben habe, die junge Familie, da werde vielleicht die Mutter sich verabreden mit den anderen Mutter, um mal ins Café zu quatschen, über wie's schrecklich ist doch su früh aufzustehen mit den Kinder oder so oder irgendwelche andere kleine oder auch große Probleme zu besprechen. Jetzt können sie sich nicht treffen in Café. Café hat zu, die gehen zu zweit spazieren. Aber das war ein Zweierbeziehung und es bleibt ein Zweierbeziehung.
Wenn man sich aber die Gruppe junge Jugendliche, die sich gerne am Basketballplatz trifft, vorstellt, die waren nicht miteinander zu zweit irgendwo. Diese Idee, dass nur in diese Zweierbeziehung Austausch und Unterstützung stattfindet, die trifft ja gar nicht auf alle Menschen zu. Und das heißt, die Eingrenzung des Sozialen ist viel größer für Menschen, die sich eh immer in Gruppenkontexten treffen als die Eingrenzung für – und das ist Schicht gebunden –,höhere Mittelschicht-Menschen, die sich eher zu zweit oder viert getroffen habe mit zwei Familien. Wenn ich aber klein wohne und ich habe mir immer zu sechs oder zu sieben am Basketballplatz getroffen, ja, dann wird's schwierig.
Fischer: Total interessanter Punkt. Habe ich tatsächlich noch nicht drüber nachgedacht, aber das stimmt. Generell für Sie, die Sie hier leben, was ist denn als Soziologin an Berlin besonders spannend für Sie?
Blokland: Also was ich in Berlin als doch noch immer ein bisschen Außenseiterin spannend finde, ist das Glaube an den Kiez. Diese Idee, dass der Kiez dem wichtigste Ebene ist und dass es da diese fast traumhafte Beliebtheit von diese Kiezgedanke, die ist die eine Seite sehr schön, auf die andere Seite ist für einen Soziologen auch ein bisschen problematisch. Da wenn die Kieze sich so entwickle, wie die sich entwickle. Und wir haben vor Kurzem mit Robert Vief mal die Segregation in Berlin ausgewertet. Und dann sehen wir zum Beispiel, dass die Segregation nach Ethnizität oder nach Migrationshintergrund, dass ein bisschen weniger wird als vor 15, 20 Jahren. Aber dass zum Beispiel Kinderarmut, das steigt die Segregation. Also im Vergleich zu frühere Jahre sehen wir jetzt, dass Kinder, die unter die Armutsquote lebe, stärker mit andere arme Kinder zusammenwohnen, als das für Jahre der Fall war. Und das Gleiche gilt für langfristige Arbeitslosigkeit. Und das verschiebt sich nach Stadtrand. Und das ist ja eine Konsequenzidentifizierungsprozess, dass diese Konzentrationen eher am Stadtrand sind.
Was ich spannend finde in Berlin, ist, dass diese auf die eine Seite große Kreativität und Einsätze für den Kiez eigentlich auch sehr für einen Außenseiter manchmal sehr nach innen gedreht wirken. Und wenn man das kombiniert mit Segregation, dann ist es eigentlich nicht so eine gute Sache. Da es natürlich so ist, dass wenn wir bei uns mit unsere Bioladen und mit unsere Fahrradstreifen und mit unsere Kita beschäftigen, dann ist die Frage, was passiert eigentlich in der Rest der Stadt nicht mehr so sichtbar. Und manchmal denke ich, da die Frage, was Menschen beschäftigt, die spielen sich nach meinem Eindruck oder nach meiner Forschungsergebnisse doch sehr getrennt ab. In Zehlendorf werde ganz andere Fragen gestellt als in Kreuzberg und in Kreuzberg werden ganz andere Fragen gestellt als in Mahlsdorf. Und wenn Mahlsdorf und Zehlendorf und Kreuzberg nicht mehr miteinander rede. So. Und das ist in diese Kiezorientierung von außen sehr auffallend, kommt aber auch daher, dass die Stadt unglaublich groß ist und natürlich in seine Diversität dementsprechend schwierig als Einheit zu erfahren ist.
Fischer: Sie haben auch im Einstein Circle Large-Scale Organisation untersucht oder sich genauer angesehen, wie sich die Infrastruktur einer Stadt auf soziale Verhaltensweisen auswirkt. Können Sie uns das an einem Beispiel ein bisschen genauer erklären, was Sie da gemacht haben?
Blokland: Ja, kann ich mal. Also die Frage war, wie Infrastruktur sich auf die Stadt auswirkt, die haben unterschiedliche Nachwuchswissenschaftlerinnen in dieser Einstein Circle betrachtet und bearbeitet. Jeder von ihre eigenen Projekte, das waren meistens auch Menschen, die an ihre Doktorarbeit gearbeitet habe. Und ein Beispiel davon wäre zum Beispiel der Dr. Hannah Schilling, die inzwischen promoviert ist. Die hat da in ihre Arbeit und ich hab die mit betreut von jungen Menschen in Abidjan und Berlin, die prekäre Arbeitsumstände arbeitet, geschaut, wie nutzen die die Stadt als Infrastruktur, aber wie machen sie auch die Stadt zu Infrastruktur durch ihre Verbindungen? Und hat dann geschaut, wie die Mitarbeiter:innen von Lieferando in Berlin verglichen werden konnte mit Jugendlichen, das waren dann vor allem Männer, die in Abidjan Telefonguthabe verkaufen. Und das sind eigentlich beide sehr unterschiedliche Praktiken in zwei völlig unterschiedliche Städte, aber trotzdem sieht man da, dass zum Beispiel das Warten, dass die Praktik von einfach Warten bis irgendwas passiert, dass das sowohl für die Guthabenverkäufer in Abidjan wie auch für die Mitarbeiter:innen von Lieferando, dass es auf gleiche Art und Weise eine Rolle spielt. Und das ist ein Projekt, ein ganz konkretes Projekt, was sich innerhalb dieser Einstein Circle erweitert und besprochen worden ist. Und wir haben uns dann immer mal wieder getroffen, oft auch so überm Abendessen, was jetzt alles nicht geht, und haben uns dann über diese Projekte ausgetauscht und einander da stimuliert und gefüttert, wirklich neue Ideen generiert in den Gesprächen miteinander.
Fischer: Fehlt Ihnen das denn auch der Austausch mit den jungen Leuten, weil er derzeit so nicht stattfinden kann?
Blokland: Das fehlt mir voll. Das fehlt mir wirklich voll. Ich finde die Einschränkung der Kreativität, die man braucht, um neue Forschungsidee zu entwickeln, die ist sehr, sehr groß, wenn man sich nicht treffen kann. Das große Nachteil von diese digitale Welt ist, dass man kann sich, wenn wir ein Gruppe Forscher:innen jetzt in Zoom treffen, man kann sich ganz schwer unterbrechen. Und unterbrechen im Gespräch ist so wichtig. Sie sagen immer, es ist höflich, wenn man sich in die Rede fällt, aber es ist essenziell. Da wenn sie anfangen, neue Gedanken zu formulieren zu irgendwelcher Thema und ich hab dann auch eine Idee und ich sag dann zwischendurch mal, ja, ja, genau so. Dann stimuliert das auch wieder, dann denke ich wieder weiter. Und wenn man an die Körper von anderen Menschen spürt, dass sie die gleiche Begeisterung für das, was wir grad entwickeln haben, ohne diese Körper und ohne dass man sich – und das geht technisch in diese ganze Onlineveranstaltung ganz schwierig, man kann sich nicht in die Rede fallen. Und wenn das nicht geht, dann fehlt diese ganze Atmosphäre. Ich find es superschwierig, das zu gestalten. Und das ist für uns als Forscher:innen mit Festanstellung, fester Gehalt und so. Ich würd die Letzte sein, die klagen würde. Eine Kollegin aus Indien, die bei mir im Forschungsantrag schreiben würde, die hat grad abgesagt, dass sie letzte Woche zehn Familienmitglieder verloren hat und nicht die Kopf frei hat, um Forschungsanträge zu schreiben. Also noch mal zur Relativierung. Klagen würde ich auf keinen Fall. Nichtsdestotrotz langfristig geht das so nicht. Langfristig fehlt uns, wenn wir uns nicht sehen, fehlt uns die Nähe, die für wirkliche kreative Austausch notwendig ist. Und ich merk das vor allem bei den Doktorandinnen und die Masterstudierende, die ihre Abschlussarbeit schreibe, mit manchen gehst du auch eins zu eins mal spazieren, da ohne diesen direkte Austausch, die wir eigentlich bei mir im Lehrbereich sehr auch in eine Gruppe immer gehabt habe. Wir hatten jeden Montag eine Veranstaltung, die heißt „think and drink“. Dann laden wir jemand ein und die hält einen Vortrag und dann am Ende davon wird gequatscht und das lässt sich nicht ersetzen. Das geht gar nicht so sehr den Vortrag. Der Vortrag ist ja der Anlass, aber es geht vor allem den Austausch und das müssen wir wiederherstellen.
Fischer: Haben Sie denn Tipps oder auch Empfehlungen für junge Akademiker:innen, die in die Wissenschaft gehen wollen, wo Sie sagen, das ist was, was ich in meiner Laufbahn gelernt habe, was wichtig ist?
Blokland: Wenn ich zurückblicke, auf was ich bis jetzt gemacht habe, was ich da gelernt habe, ist, dass man was machen muss, was man unbedingt machen will. Und ich hab einen Mentor gehabt, Herbert Gents, oder hab ich immer noch ein großer Psychologe der an Columbia lehrt in New York, der hat immer gesagt: Du musst erforschen, was du wissen möchtest, und du musst schreiben, was du zu sagen hast. Und mehr ist nicht dran. Und ich glaub, diese Bedürfnis zu erforschen, was ich nicht verstehe, das zu erforschen, was mir stört, nicht in moralische Sinne, aber da ich nicht verstehe, warum die Welt so tickt wie sie tickt und warum die Sachen so sind, wie die sind, dass diese intrinsische Motivation, die man als Wissenschaftler, junge Wissenschaftler aber eigentlich für immer haben muss, die kommt her von nur das zu erforschen, was mir wirklich wichtig ist. Und ob das jetzt auch noch eine Forschungslücke ist oder was andere dazu gesagt habe oder das kommt alles nachher. Erst mal geht es darum, dass ich mir da persönlich reinhänge, da ich ein Bedürfnis habe, das wirklich zu verstehen. Und auf die andere Seite, das Zweite, das Schreiben, was du zu sagen hast, das heißt, dass ich versuche, in meine Arbeit vor allem das auszuwerten oder das zu theoretisieren, wo ich wirklich denke, das musste ich jetzt wirklich so mal sagen. Das ist wirklich irgendwas, was mir was mir wichtig ist, das auch in die Öffentlichkeit zu vertreten.
Ich hab auch gelernt, dass man nein sagen müsse zu Projekte, wo man nur so halbwegs denkt, na ja, da könnte ich ja aus universitärpolitische oder strategische Gründe könnte ich da mal mitmachen. Aber eigentlich interessiert mich das nicht wirklich, dann ist es sehr schwierig, sich aufzuraffen und das zu tun. Und das muss man nicht, wenn man in der Wissenschaft unterwegs ist. Das ist das große Gut, auch wenn wir unglaublich gerne klagen. Wir haben es natürlich besser als jeder andere. Da wir stehen jeden Morgen auf und dürfen uns mit Themen beschäftigen, die wir uns selbst aussuchen. Wir dürfen Studierende lehren, unterrichte in Seminare, das auf die Tagesordnung stellen, was wir für wichtig halte. Also wir haben unglaubliche Freiheit. Und auch in Zeit, also ich hab drei Kinder, die sind jetzt schon groß. Und wenn man sich dann fragt, wie hat man das geschafft mit drei Kindern? Na, eine der Gründe, warum das relativ machbar war, ist da ich superflexibel bin. Wenn ich 20 Hausarbeiten korrigiere müssen, sind das zwar viele Hausarbeiten. Aber ich kann die auch nachts um eins noch mal korrigieren. Und das große Vorteil von meinem Job in die letzten 18 Jahre schon war immer, dass ich arbeiten konnte, wenn ich nicht den andere Job, den Job von Mutter sein machen müsste und außer die paar Stunde Lehre und so, die an der Uni wirklich festgenagelt sind, ist die freie Planungssicherheit ist super, supergroß. Das andere ist aber, dass man muss ja immer arbeiten wollen. Es hört auch nie auf. So ohne wirkliche Liebe für den Fach muss man's gar nicht machen, wenn man nicht nur das machen will. Und wenn meine Tochter ganz klein war, da hat sie mal wie man eine Bushaltestelle gestanden und dann hat sie mal zu mir gesagt, Mama, warum redest du immer mit fremde Leute? Und jetzt war sie drei oder so. Und jetzt versteht sie das, dass sie weiß, das ist ihr Fach, ne. Das ich red immer überall mit alle. Und das ist halt Teil von wie ich meine Forschung sehe und das hört ja dann auch nie auf. Man ist nie nicht Soziologe.
Fischer: Wenn Sie trotzdem mal diese beiden Jobs quasi pausieren können, zwischendrin nicht Mutter sind oder forschen, an welchem Ort in Berlin verschwenden Sie denn am liebsten Ihre Zeit?
Blokland: An die Alte Försterei.
Fischer: Im Stadion, beim Spiel?
Blokland: Ja.
Fischer: Als Fan oder als Soziologin, die beobachtet?
Blokland: Erst als Fan und dann als Beobachter.
Fischer: Professor Dr. Talja Blokland haben Sie gehört, die ist Soziologin. Sie forscht seit elf Jahren an der Humboldt-Uni in Berlin am Lehrstuhl für Stadt- und Regionalssoziologie und sie ist Mitglied des Einstein-Zirkels Large-Scale Organization gewesen, forscht derzeit dazu, wie Corona den Alltag der Berliner verändert. Ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit, Frau Blokland.
Blokland: Gerne.