Das Gehirn wirft viele Fragen auf. Hier beantworten Berliner Neurowissenschaftler einige der spannendsten
Aufgezeichnet von Ragnar Vogt
1/8 - Warum träumen wir?
Träumen ist wie Wachsein, nur die Augen sind geschlossen und unsere Muskeln sind blockiert. Das Gehirn ist genauso aktiv wie im wachen Zustand. Warum ist das so? Der Traumschlaf – auch REM-Schlaf genannt – ist ein sehr wichtiges Schlafstadium. Es gibt die Theorie, dass in unser Gehirn nur die Informationen von 16 Stunden Erlebnissen passen. Danach müssen die Erfahrungen, Sinneseindrücke, Emotionen verarbeitet werden. Sie werden sortiert, manche gespeichert, andere verworfen oder modifiziert. Das passiert alles im Traumschlaf. Davon bekommt unser Bewusstsein einen Teil mit, und das empfinden wir als Träumen. Die Bedeutung des Traumschlafs für unser Gedächtnis können wir ausnutzen. Wenn wir etwa etwas besonders Schönes erleben, vielleicht im Urlaub, dann sollten wir früh schlafen gehen, keinen Alkohol trinken. So stellen wir sicher, dass diese schöne Erinnerung sich festsetzt. Auch wenn wir lernen, sollten wir uns danach bald schlafen legen. Sie können dabei einen Trick anwenden: Hören Sie beim Lernen Musik, zum Beispiel Mozart, und genau diese Musik spielen Sie dann auch leise beim Schlafen ab. Damit provozieren Sie gezielt den Lernprozess.
Ingo Fietze leitet das Schlafmedizinische Zentrum der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Er erforscht die Behandlung von verschiedenen mit Schlaf verbundenen Krankheiten wie Narkolepsie oder Schlafstörungen.
2/8 - Wann werden wir das menschliche Gehirn am Computer nachbauen können?
Dafür müssen wir zunächst einmal die erste Hürde überwinden. Sie besteht darin, eine einzelne Nervenzelle am Rechner nachzubauen. Einzelne Eigenschaften einer einzelnen Zelle können wir bereits simulieren, dafür reichen die Datenmengen aus, die wir in verschiedenen Computermodellen zusammengetragen haben. Natürlich liegt dann die Vermutung nahe, dass man nur genügend Rechenleistung braucht, um anstelle von einer einzelnen Zelle die Milliarden Neuronen des menschlichen Gehirns zu simulieren. Doch so einfach ist es nicht. Schon wenn man das Verhalten von 1.000 Zellen am Rechner nachbauen will, gelingt das nur schlecht. Warum? Es gibt viele verschiedene Typen von Nervenzellen mit unterschiedlichen Eigenschaften. Zudem ändern sich die chemischen Umstände im Gehirn ständig, was wiederum einen Einfluss auf das Verhalten der Nervenzellen hat. Und sobald Sie für eine Hirnregion Erkenntnisse gewonnen haben und sich einer anderen Region zuwenden, stellen Sie fest: Dort läuft alles komplett anders. Sie müssen wieder ganz von vorn anfangen. Ich muss also nach 40 Jahren Forschung feststellen, dass wir erst einen winzigen Schritt gegangen sind auf dem Weg zur Simulation des gesamten Gehirns. Ob es überhaupt jemals möglich wird? Ich weiß es nicht. Aber wenn falls ja, wird es sicher noch Generationen dauern.
Roger D. Traub ist Visiting Fellow am NeuroCure Exzellenzcluster an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und als Wissenschaftler bei IBM im Watson Research Center angestellt. Traub ist Experte für die Computersimulation von Schaltkreisen von Nervenzellen. Von 2010 bis 2014 war er Einstein Visiting Fellow.
3/8 - Wie kann man sein Gehirn dopen?
Nahezu jeder Mensch dopt sein Gehirn täglich. Wenn man morgens einen Kaffee trinkt, um sich besser konzentrieren zu können, dann ist das legales Doping. Auch Nikotin ist konzentrationsfördernd. Wer allerdings von Medikamente erwartet, dass sie die Intelligenz oder die Kreativität steigern, wird enttäuscht: Die gibt es bisher nicht. Man kann sein Gehirn nicht dopen, um schlauer zu werden. Dennoch sind Mittel verbreitet, die beim Lernen helfen sollen. Manche Studenten nehmen zum Beispiel Amphetamine, Ritalin oder Modafinil. Damit werden sie zwar nicht intelligenter, können aber beim Lernen länger durchhalten, sich besser konzentrieren, und sind motivierter. Dabei ist es illegal, als gesunder Mensch solche Mittel zu nehmen, und bei falscher Anwendung sogar gefährlich. Viele Lernwillige neigen dazu, es zu übertreiben. Dann drohen – bei Ritalin und Amphetaminen – psychotische Episoden und eine Abhängigkeit. Was ich aber als größtes Problem sehe: Wir wissen bisher nicht, was diese Mittel auf Dauer mit dem Gehirn anstellen.
Isabella Heuser ist Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité – Universitätsmedizin am Campus Benjamin Franklin. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Forschung und klinische Anwendung der Psychopharmakologie.
4/8 - Sind wir wirklich fähig zum Multitasking?
Es gibt natürlich Aufgaben, die unser Gehirn gleichzeitig bewältigen kann. Zum Beispiel können wir Autofahren und dabei ein Gespräch mit dem Beifahrer führen. In vielen anderen Situationen dagegen ist unser Gehirn nicht fähig, mehrere Dinge zur selben Zeit zu tun. Wann ist das der Fall? Als Faustformel gilt: Immer dann, wenn wir bewusst über etwas nachdenken oder eine Entscheidung treffen müssen. Sobald etwa der Autofahrer in eine Verkehrssituation kommt, die seine Aufmerksamkeit für solche Dinge erfordert, unterbricht er sein Gespräch. Diese Einschränkung des Gehirns sehen wir in unseren Experimenten besonders deutlich, wenn Testpersonen zwischen einfachen Alternativen entscheiden sollen – zum Beispiel rechts oder links abzubiegen. Für solche Entscheidungen benötigen Testpersonen circa 200 Millisekunden. Bekommen sie aber gleichzeitig zwei Aufgaben, die jeweils eine Entscheidung verlangen, verdoppelt sich die Zeit. Bewusste Entscheidungen kann unser Hirn also nur nacheinander abarbeiten. Im Alltag strömen zwar ständig auf vielen Kanälen gleichzeitig neue Informationen auf uns ein, die nach Multitasking verlangen. Doch leider sind wir dazu meistens nicht in der Lage.
Der Experimentalpsychologe Torsten Schubert ist Professor am Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem damit, wie das Gehirn mit zwei Aufgaben gleichzeitig umgeht.
5/8 - Warum ist es so schwer, eine Sucht zu überwinden?
Alle Stoffe, die abhängig machen können, wirken auf das Belohnungssystem im Gehirn, Drogen meist sehr viel stärker als natürliche Reize wie Essen und Sex. Bei Kokain etwa schlägt das Belohnungssystem sechsmal stärker an, als das jemals mit natürlichen Auslösern möglich wäre. Ein Problem von Abhängigen ist, dass Drogen bei Wiederholung in ihrer Wirkung kaum nachlassen. Wenn Sie zehnmal Ihr Lieblingsessen zu sich nehmen, dann nimmt die Begeisterung dafür ab. Bei Drogen ist das nicht der Fall, der Rausch, den sie erzeugen, ist reproduzierbar. Das Hirn reagiert jedoch auf das Dauerfeuer: Es regelt als Gegenmaßnahme die Empfindlichkeit des Belohnungssystems herab. Natürliche Auslöser haben dann kaum noch eine Chance. Man fühlt sich nur noch gut, wenn man immer mehr von dem Suchtmittel nimmt. Hinzu kommt, dass einige Drogen, etwa Alkohol, das Gehirn schädigen können. Oft sind Bereiche betroffen, die für die Kontrolle des Verhaltens wichtig sind. Die Überwindung einer Sucht ist in jedem Fall eine enorme Aufgabe. Einem langjährigen Alkoholiker fällt es schon allein wegen der Hirnschäden schwer, das zu meistern. Aussichtslos ist es aber keinesfalls, mit einer umfassenden Langfrist-Therapie gibt es gute Erfolgschancen.
Andreas Heinz leitet die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité – Universitätsmedizin Berlin in Mitte. Er erforscht unter anderem die neurobiologischen Grundlagen von Suchterkrankungen. Der Arzt ist Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.
6/8 - Kann ich mich bei meinen Entscheidungen auf die Intuition verlassen?
Das kommt darauf an. Nehmen Sie zum Beispiel einen Headhunter mit jahrzehntelanger Erfahrung. Der kann sich bei der Beurteilung einer Führungskraft auf seine Intuition verlassen. Muss derselbe Headhunter dagegen Finanzdinge entscheiden, worin er keine Erfahrung hat, dann ist die Intuition kein guter Ratgeber. Dann braucht er bewusstes Abwägen. Ein Teil des Wissens ist unterbewusst gespeichert. Darauf kann man nur über die Intuition zugreifen, nicht über bewusstes Abwägen. Wer also über viele Erfahrungen verfügt, sollte sich auf seine Intuition verlassen. Tut er es nicht, ignoriert er einen Teil seines Erfahrungswissens. Intuitiv spürt man schnell, was richtig ist, kann es aber nicht begründen. Das Problem im Berufsalltag ist, dass oftmals Begründungen erwartet werden, etwa in börsennotierten Unternehmen, in der Politik oder der Verwaltung. Wir haben in einer Studie herausgefunden, dass Führungskräfte etwa die Hälfte ihrer Entscheidungen aus dem Bauch heraus treffen. Aber sie haben Angst, dies in der Öffentlichkeit zuzugeben. Also stellt man eine Unternehmensberatung ein, die im Nachhinein Gründe findet, sodass man die Bauchentscheidung als eine faktenbasierte Entscheidung darstellen kann. Das ist eine Verschwendung von Zeit, Intelligenz und Geld – nur weil man Angst hat, die Verantwortung für die eigene Intuition zu übernehmen.
Gerd Gigerenzer ist Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Sein Schwerpunkt ist die Erforschung der Intuition. Er hat mehrere Sachbücher über das Bauchgefühl verfasst. Seine Arbeit ist vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis der American Association for the Advancement of Science (AAAS) und dem Deutschen Psychologie Preis.
7/8 - Ist eine Partydroge wirklich das beste Mittel gegen Depression?
Ketamin ist als Special K tatsächlich eine beliebte Partypille, unter den 15- bis 25-Jährigen landet sie regelmäßig in den Top 5 der konsumierten illegalen Drogen. In den letzten Jahren hat sich herumgesprochen, dass Ketamin ein wirksames Mittel gegen Depressionen sein soll. Manche Patienten besorgen sich deshalb das Medikament illegal bei Dealern. Das ist gefährlich, denn Ketamin hat starke Nebenwirkungen. Es drohen erhöhter Blutdruck, Horrortrips, Blasen-Nekrosen, das Mittel sollte deshalb niemals ohne ärztliche Aufsicht genommen werden. Allerdings zeigen erste Ergebnisse, dass Ketamin tatsächlich gegen Depressionen helfen kann. Es gibt bereits zahlreiche Medikamente gegen Depressionen, doch die Krankheit hat viele Gesichter, jedes Mittel hilft nur einer bestimmten Gruppe von Patienten. Das gilt auch für Ketamin: In unseren Versuchen schlug das Medikament nur bei jedem dritten Patienten an. Nun sind größere Studien erforderlich. Sollte sich dabei die gute Wirksamkeit bestätigen, könnte Ketamin in das Standartrepertoire der Mittel gegen Depressionen aufgenommen werden. Denn Ketamin hat einen großen Vorteil: Während andere Antidepressiva erst nach drei bis vier Wochen anschlagen, wirkt es schon nach 24 Stunden. Das Medikament ist also nicht für jeden das beste, aber in jedem Fall das schnellste Mittel gegen Depressionen.
Der Psychiater Malek Bajbouj leitet das Centrum für Affektive Neurowissenschaften an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Sein Schwerpunkt liegt auf der Erforschung von Emotionen und der Behandlung von Depressionen.
8/8 - Können wir das Gehirn verjüngen?
Mit dem Alter verändert sich die Struktur des Gehirns, das kann man sogar unter dem Mikroskop erkennen. Das lässt sich nicht rückgängig machen. Was ein alter Mensch aber möglicherweise wiedergewinnen kann, ist die mentale Leistungsfähigkeit der Jugend. Wir haben dazu ein Experiment gemacht: Wir haben mit einem Computerspiel die Lernfähigkeit in einer sich verändernden Umwelt getestet. Es zeigte sich: Die 20- bis 30-jährigen Testpersonen schnitten besser ab als die 60- bis 70-jährigen. Doch dann haben wir den Alten ein etabliertes Medikament zur Behandlung der Parkinson-Krankheit gegeben – L-Dopa – und daraufhin waren sie genauso gut wie die jungen Testpersonen. Wir wissen, dass mit dem Alter das Level des Hirn-Botenstoffes Dopamin abnimmt. Durch die Gabe von L-Dopa wird dieser Effekt ausgeglichen – und damit die jugendliche Lernfähigkeit wiedergewonnen. Das bedeutet: Bestimmte Hirnfunktionen kann man tatsächlich verjüngen. Es birgt natürlich ethische Konflikte, gesunden Menschen Medikamente zur Leistungssteigerung zu geben. Ich bin allerdings der Meinung, wenn keine gravierenden Nebenwirkungen nachgewiesen wurden: Warum nicht? Wir sollten uns unser Leben so angenehm und gut wie möglich gestalten.
Der Neuropsychiater Ray Dolan ist Professor am University College London (UCL). 2014 hat er das Centre for Computational Psychiatry and Ageing Research gegründet, eine Kooperation der Max-Planck-Gesellschaft mit dem UCL mit Sitz in London und Berlin. Er erforscht, wie Entscheidungen in unserem Gehirn entstehen und wie sich das Gehirn beim Altern verändert. Von 2010 bis 2014 war er Visiting Fellow der Einstein Stiftung Berlin.