Warum sollte man sich im 21. Jahrhundert mit den Altertumswissenschaften beschäftigen? Ein Gespräch zwischen einer Klassischen Archäologin, einem Abiturienten und einer Oberstufenschülerin in der Abguss-Sammlung Antiker Plastik der Freien Universität Berlin

 

Melanie und Jonathan, die Altertumswissenschaften sind ja nicht gerade ein neuer Trendstudiengang, sondern eher eine altehrwürdige Wissenschaftsdisziplin. Woher kommt euer Interesse daran?

 

MELANIE Bei mir fing das an, als ich noch ganz klein war. Tatsächlich war es schon mit sechs Jahren mein erster Berufswunsch, Archäologin zu werden. Meine Mutter meinte: Überleg dir das noch mal. Aber das Interesse hat sich dann ausgeweitet. Ich glaube, das lag auch an den Lehrern. Im Latein-Leistungskurs habe ich mich dann noch mehr dafür interessiert.

 

Bist du mit deinen Eltern oft in Museen gewesen – oder woher diese Neugier?

 

MELANIE Gar nicht. Meine Eltern interessieren sich überhaupt nicht für so etwas. Meine Mutter ist Arzthelferin, mein Vater Arbeiter. Aber ich selber habe immer viel gelesen. Und ich denke, dadurch bin ich damals auf die Idee gekommen.

 

JONATHAN Also in dem Alter wollte ich eher Lokführer werden. Die Begeisterung für das Altertum kam bei mir vor drei, vier Jahren. Vorher habe ich Museen eher gemieden. Aber jetzt, da ich sehr guten Lateinunterricht habe, habe ich da Fuß gefasst. Ich interessiere mich vor allem für die Architektur. Weil ich es faszinierend finde, dass sich manche Gebäude bis heute erhalten haben und wir sie immer noch bestaunen können. Das zweite, was mich interessiert, sind die Welterklärungsmodelle von damals.

 

Frau Trümper, Ihre Beschäftigung mit der Antike reicht schon etwas länger zurück. Aber es war auch nicht von vornherein ausgemacht, dass Sie beruflich bei der Altertumswissenschaft landen würden. Sie haben zunächst Musik studiert, Geige. Wie haben Sie über diesen Umweg zur Archäologie gefunden?

 

TRÜMPER Mein Weg begann eigentlich wie Ihrer, Melanie. Sehr früh als Kind bin ich mit dem Altertum vertraut geworden. Allerdings war meine Mutter Geschichts- und Lateinlehrerin, ich hatte Geschichte und Latein als Leistungskurse und als Familie haben wir unglaublich viele Museen besucht. Wir waren in Pompeji, Rom und Herculaneum, haben etruskische Stätten angeschaut. Später hat sich bei mir dann ein eigenes Interesse entwickelt.

 

Die Musik war meine zweite große Liebe, ich habe Geige studiert und auch als Geigerin gearbeitet, aber schnell gemerkt, dass ich das nicht mein Leben lang machen will. Und dann habe ich wieder begonnen zu studieren – Kunstgeschichte, Archäologie und Italienisch, später Alte Geschichte – und bin sehr schnell wieder zurückgefallen in meine Begeisterung für die Antike.

 

Einmal angenommen, Sie haben hier tatsächlich zwei junge Leute sitzen, die sich vorstellen können, Ihren Weg ebenfalls einzuschlagen: Wie würden Sie denen Ihr Fach schmackhaft machen?

 

RÜMPER Ich glaube, man muss begeistert oder vielleicht sogar besessen sein von der Beschäftigung mit anderen Kulturen. Die klassischen antiken Kulturen sind ja nur ein Teil davon. Man könnte sich ja auch präkolumbianischen Kulturen widmen, asiatischen Kulturen oder späteren Epochen, dem Mittelalter etwa. An diese Kulturen stellen Sie dann die Fragen, die Sie interessieren. Und das Spektrum ist enorm breit. Das muss man für sich entdecken und formulieren.

 

Bei mir war durch die Schule und mein Elternhaus ein Fokus auf die europäische Geschichte und die Antike sehr stark vorgeprägt. Wenn ich heute noch einmal wählen könnte, würden mich andere Kulturen mindestens genauso interessieren. Und meine Schwerpunkte liegen wie bei Ihnen, Jonathan, auf Urbanismus, Architektur, Wohnkultur, Badekultur.

 

Mich interessieren präzise Fragen, die aus der eigenen Kultur kommen und die man dann in die Antike hineinträgt. Zum Beispiel Wassermanagement – ein Riesenproblem heute. Dann beschäftigen Sie sich in anderen Kulturen damit, fragen, wie haben die das gelöst? Sind Kulturen etwa wegen mangelnder Wasserversorgung untergegangen? Oder Migration – ein großes Thema im Moment! Gab es in der Antike überall. Wie ist man damals damit umgegangen? War es ein Problem oder nicht? Und wie hat die Gesellschaft in Reichen funktioniert, die multikulturell und multiethnisch organisiert waren?

Jonathan, du hast eigentlich schon andere Berufspläne, oder?

 

JONATHAN Ja, ich möchte Lehrer werden, für Musik und Latein. Vor allem, um möglichst viele junge Leute zu erreichen und für das Altertum zu begeistern. Was wir da alles herausfinden könnten, wenn noch viel mehr Leute in die Richtung forschen! Aber wenn ich jetzt durch die Schule gehe und frage: Was weißt du vom Altertum? Da kommt einfach sehr wenig. Wir sitzen ja jetzt zum Beispiel in diesem Raum voller Statuen – es gibt so viel zu entdecken, das möchte ich gern vermitteln. Und dafür müssen die Grundlagen in der Schule geschaffen werden.

 

MELANIE Was würden Sie denn jemandem sagen, der Vorbehalte gegen die Altertumswissenschaften hat, Frau Trümper? Inwiefern ist Ihre Arbeit für sein Leben von Bedeutung?

 

TRÜMPER Das ist die Frage der Relevanz. Zum einen der kommerziellen Relevanz… Viele Aspekte der Antike werden ja vermarktet, in Filmen, in der Literatur, oft ohne dass wir es merken. Damit ist die Antike in jedem Fall profitabel, kommerziell relevant. Interessanter und wichtiger ist die kulturelle und gesellschaftliche Relevanz der Antike beziehungsweise der Altertumswissenschaften. Ich nenne hier nur das Problem des kulturellen Erbes. Sie haben alle mitbekommen, was in Syrien mit Palmyra passiert. Da wird ein Erbe zerstört, an dem kulturelle Identitäten hängen. In Berlin sind Sie quasi am Hotspot: Das Deutsche Archäologische Institut ist in solche Fragen sehr involviert, auch vor Ort, in Zusammenarbeit mit syrischen, irakischen und anderen Kollegen (siehe „Stunde Null”).

  

Aber denken Sie auch mal an das Humboldt Forum. Da entsteht mitten in Berlin dieser Nachbau des Stadtschlosses, wie auch immer Sie darüber denken, ein riesiger Bau, der bevölkert werden will. Die schwierige Frage ist: Wie präsentiert man heute eigentlich fremde Kulturen? Gibt es einen Weg, sie neutral darzustellen? Sie können natürlich Kulturvergleiche machen und die „hehre” griechische Antike neben eine afrikanische Kultur aus dem 19. Jahrhundert setzen und so vermeintliche Selbstverständlichkeiten hinterfragen. Wir wissen noch nichts Genaueres über das Konzept des Humboldt Forums, aber es ist ein intellektuell faszinierender Anspruch. Die Diskussion darüber zeigt exemplarisch, dass die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen hochaktuell und relevant ist, und dazu gehören eben auch die antiken Kulturen. Dies schärft den Blick für viele Aspekte, Errungenschaften oder auch Probleme der eigenen Kultur und Gesellschaft.

  

Die Frage der kulturellen Identität ist ja auch in der Hinsicht interessant, dass wir uns auf die Antike als Vorläufer unserer eigenen Kultur so häufig beziehen. Berufen wir uns da auf eine Epoche, von der wir eigentlich gar nicht so furchtbar viel verstehen?

 

 

TRÜMPER Die Generation unserer Lehrer, die sehr einflussreich war, hat da gewissermaßen eine Wende eingeleitet. Man dachte früher: Natürlich, die griechische und römische Antike sind unsere unmittelbaren Vorläufer, zumindest, was unser Denken und unsere Kultur betrifft. Man ging aufs humanistische Gymnasium, hat eher Griechisch und Latein als Englisch und Französisch gelernt und sich in der Geschichte, der Literatur, der Philosophie, eigentlich in allem, auf die Antike bezogen. Mittlerweile wird vor allem die Fremdheit betont. Und es ist tatsächlich intellektuell heilsam, ein Stück zurückzutreten und zu sagen: Die Griechen sind uns genauso fremd wie eine Kultur in China. Nicht ganz, das ist klar. Aber zumindest muss man methodisch einmal diesen Schritt gehen. Es gibt sehr viele Dinge, die uns an ihrer Kultur fremd sind. Denken Sie an die Demokratie. Was für ein Demokratieverständnis hatten etwa die Athener? Sklaverei – würden wir heute ablehnen. Knabenliebe – ein Riesenproblem.

  

Ich war lange in Amerika. Und das war sehr erfrischend. Man schleppt dort nicht den Ballast einer langen europäischen Forschungstradition mit sich herum. Der andersartige Zugriff amerikanischer Kollegen auf die Antike wird hierzulande manchmal belächelt, aber er eröffnet ganz neue Horizonte und bietet die Möglichkeit, mit komplett anderem Blick auf die Antike zu schauen. Traditionell hatte man auch dort lange einen eurozentrischen Fokus, mittlerweile wird viel mehr World Archaeology oder World Art betrieben. Dieser Trend wird jetzt auch in Berlin propagiert – und ich hoffe, dass er sich als faszinierende und stimulierende Erweiterung der Perspektive durchsetzt.

  

Melanie und Jonathan, habt ihr noch Fragen, die euch umtreiben?

 

MELANIE Mich würden die Rekonstruktionstechniken sehr interessieren, die in der Archäologie aktuell angewendet werden. Im Unterricht kommen die leider nur selten vor. Ein ganz bisschen in Biologie, ein bisschen in Physik. Haben Sie da vielleicht ein, zwei Beispiele, wie Sie arbeiten?

  

TRÜMPER Es gibt eine Vielfalt von naturwissenschaftlichen Methoden (siehe „Zurück in die Zukunft”), die explodieren gerade gewissermaßen. Das macht das Fach spannend, aber auch anspruchsvoll. Beherrschen können Sie diese Techniken selber nicht alle, da wenden Sie sich einfach an einen naturwissenschaftlichen Kollegen, der Ihnen weiterhilft.

 

 Aber nicht nur in der Forschung, auch bei der Dokumentation gibt es viele neue digitale Methoden. 3D-Laserscanner zum Beispiel, eine recht aufwendige Sache, oder „Structure for Motion”, haben Sie davon gehört?

 

JONATHAN UND MELANIE Nein.

 

TRÜMPER Das benutzen heute schon viele, weil es viel schneller und einfacher ist als etwa die traditionelle Handzeichnung. Sie machen ganz viele Fotos und lassen sie dann von Programmen zu einem 3D-Modell zusammenrechnen. Quasi wie ein Mosaik. Und hinterher können Sie in 3D wirklich ein komplexes Präfurnium, also die Heizanlage einer Badeanlage, angucken. Oder Statuen. Gehen Sie mal auf die Seite der Edition Topoi (siehe „Zitierte Objekte”). Die haben zum Beispiel Sonnenuhren in 3D. Wirklich unglaublich gut und anschaulich, zum Drehen sogar!

 

Drohnen haben wir natürlich auch eingesetzt. Früher musste man Luftbilder mit einem Ballon machen oder auf eine hohe Leiter steigen und versuchen, hinunterzufotografieren. Die digitale Entwicklung ist sehr spannend − und da wird sich auch noch viel tun.

 

JONATHAN Gab es denn einen Ort, eine Grabung, die Sie ganz besonders beeindruckt haben? Was waren Ihre persönlichen Top 3?

 

TRÜMPER Zu den Top 3 gehört Pompeji, das ist meine jüngste Grabung. Ich hatte Pompeji vorher ja schon mit meinen Eltern und auf einer Exkursion im zweiten Semester besucht – und war überwältigt. Mein Wunschtraum, selber in einer Anlage dort nachgraben zu können, ließ sich im Rahmen des Exzellenzclusters Topoi dann realisieren. Dort hatte ich, als ich anfing die Badekultur zu erforschen, relativ schnell brisante Fragen. Ein renommierter Forscher hatte 1979 ein faszinierendes Entwicklungsmodell für die antike Badekultur entwickelt, das mit neueren Forschungen aber nicht vereinbar war. Er hatte die Stabianer Thermen in Pompeji als eine Sportanlage mit griechischer Badeanlage rekonstruiert, für die sich aber in der gesamten antiken Welt keine Parallelen finden.

 

Diese Rekonstruktion hatten verschiedene Forscher angezweifelt, aber keiner hat je nachgeforscht. Mich hat dieses Modell immer verwundert, so gar richtig gestört. Wir haben dann nachgegraben und herausgefunden: Es war pure Fantasie, was der gesehen hat! Ich laste es ihm gar nicht an, 1979 war eine andere Zeit, man hatte viel weniger Kenntnisse und andere kulturelle Modelle im Kopf. Da hat jede Zeit ihre eigenen. Der Kollege hatte etwa einen großen Hof mit Kolonnaden rekonstruiert (die Palästra). Und das, worauf die Säulen stehen, der sogenannte Stylobat, das haben wir auch dieses Jahr untersucht: Es ist Vulkanasche.

 

JONATHAN UND MELANIE (Großes Gelächter)

 

TRÜMPER Ja, aber wir hatten genau für diese diffizilen Fragen der pompejanischen Stratigrafie eine Kooperation mit dem renommierten Öko-Archäologen Mark Robinson aus Oxford. Hätte ich das alleine erkannt als klassische Archäologin? Das möchte ich mir nicht anmaßen. Meine beiden anderen Top-3-Kandidaten sind die Grabung in Morgantina auf Sizilien, die ich mit einer amerikanischen Kollegin geleitet habe. Dort ging es um eine griechische Badeanlage und ein Haus aus dem 3. Jahrhundert v.Chr. Und dann vor allem die Kykladeninsel Delos, meine erste große archäologische Liebe. Dort habe ich verschiedene Bauten untersucht, vor allem knapp 100 Häuser und ein großes, aufregendes Gebäude, die sogenannte Agora der Italiker, deren Funktion äußerst umstritten ist. Man weiß nicht, ob sie als Sklavenmarkt, Gladiatorenarena oder Marktanlage diente – oder als Luxusanlage mit Säulengängen und Garten, das ist jedenfalls meine Deutung. Delos fasziniert mich nach wie vor sehr.

 

MELANIE Sie sind ja dann im Leben viel herumgekommen, viel gereist. Muss man da nicht auch Abstriche machen? Sie haben ja auch Kinder, wie ist das dann, wenn man für ein paar Monate weg muss?

 

TRÜMPER Bei meinen großen Reisen hatte ich noch keine Kinder. Dann habe ich eine Familie gegründet und war etwa drei Monate im Jahr weg. Das war schon hart. Aber natürlich ist die Arbeit auf den Grabungen auch unheimlich spannend. Mir fehlt es jetzt gerade auch sehr, muss ich gestehen, denn ich habe diesen Sommer selbst an keiner Kampagne teilgenommen.

 

MELANIE Mein sechsjähriges Ich hat sich ja immer vorgestellt, dass man als Archäologin ständig in Ägypten, Delos oder Pompeji ist. Wie sieht denn Ihr Arbeitsalltag tatsächlich aus?

 

TRÜMPER Feldforschungen und Reisen im Mittelmeerraum sind ein wichtiger und wirklich faszinierender Bestandteil der Archäologie, aber sie sind gewöhnlich auf die Semesterferien beschränkt. Der universitäre Arbeitsalltag ist in Deutschland und Amerika unterschiedlich. In Amerika habe ich zu 50 oder 60 Prozent eigene Forschung gemacht. Dem trauere ich seit meiner Rückkehr aus den USA nach Deutschland ein wenig nach: Hier muss ich mich neben der Lehre viel um Verwaltungsdinge kümmern, Drittmittelanträge, jede Menge Evaluationen und Peer Reviews. Da kommt meine eigene Forschung, die ich sehr schätze, leider etwas zu kurz.

 

Wie nimmt man denn in den USA die Altertumsforschung in Berlin wahr, Frau Trümper?

 

TRÜMPER Die kennt mittlerweile fast jeder. Berlin ist schon einzigartig als Standort. Einfach aufgrund der unglaublichen Dichte von Institutionen. Es gibt die Freie Universität, die Humboldt-Universität, die Technische Universität und die Hochschule für Technik und Wirtschaft, die Grabungstechnik als Studium anbietet. Dann das Deutsche Archäologische Institut, das bei uns in die Lehre ganz stark involviert ist, und die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften mit ihrem Zentrum Grundlagenforschung Antike Welt, das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und natürlich die Museen! Sensationell. Sie könnten auch nach Rom gehen oder nach Paris, da gibt es auch unglaublich viel. Ich habe in Paris studiert. Aber was Berlin so besonders macht: Durch Topoi und das Berliner Antike- Kolleg arbeiten hier wirklich alle zusammen. So sehr ich Amerika geliebt habe, und die Freiräume für die Forschung: Man hat dort doch mehr das Ideal vom Forscher, der alleine forscht. Hier haben Sie diese unglaubliche Vernetzung. Das eröffnet Möglichkeiten und Perspektiven, die ich vorher nicht kannte. Jetzt bin ich auch noch Sprecherin einer Graduate School…

 

Der Berlin Graduate School of Ancient Studies ...

 

TRÜMPER Genau, mit derzeit etwa 133 Promovierenden. Die kenne ich nicht alle persönlich, aber wir haben ein Evaluationsverfahren, bei dem ich sie alle in ihrem zweiten Jahr treffe. Das ist faszinierend! Ich bekomme so einen Überblick über die ganze Bandbreite an Projekten und sehe, was die jungen Forschenden für Fragestellungen verfolgen, etwa in der Latinistik, der Gräzistik, der Prähistorie, der Vorderasiatischen Archäologie und vielen anderen Disziplinen. Dadurch kommen mir wiederum neue Ideen.

 

Die Berlin Graduate School of Ancient Studies und Topoi, wo Sie mit Projekten zu Pompeji und zur Wasserversorgung von Städten und Badeanlagen in Sizilien vertreten sind, stehen explizit für den interdisziplinären Ansatz, den Sie gerade beschrieben haben. Warum ist es so wichtig, in der Altertumswissenschaft über die Fachgrenzen hinauszuschauen?

 

TRÜMPER Sie bekommen komplett neue Perspektiven. Sie können mit einem disziplinären Studium alleine ja gar nicht alles abdecken. Auf der anderen Seite braucht es aber auch solide disziplinäre Kompetenzen, ohne die geht es nicht. Dafür war Deutschland mit dem Magister bekannt. Das war ein Grund dafür, warum meine Generation in Amerika so gefragt war. Wir hatten eine hervorragend gründliche Ausbildung. Die darf man nicht aufgeben! Und gleichzeitig kann man nicht mehr in seinem Elfenbeinturm sitzen. Wenn Sie eine Grabung haben oder an Projekten arbeiten, müssen Sie in Verbünden denken, sich inspirieren lassen von Kollegen und zusammenarbeiten.

 

MELANIE Eine Frage liegt mir noch auf dem Herzen. Sie haben in Paris studiert, waren in Amerika, Deutsch sprechen Sie auch. Welche Sprachen sollte man von einer angehenden Archäologin erwarten?

 

TRÜMPER Fließend spreche ich vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Italienisch und Französisch. Ich kann problemlos Spanisch lesen und Neugriechisch natürlich. Altgriechisch und Latein habe ich auch gelernt. Man braucht die Sprachen! Und da bin ich sehr anspruchsvoll und sehr streng. Man muss die Wissenschaft international rezipieren können. Außerdem ist es sinnvoll, wenn Sie die Sprachen beherrschen, die bei den Grabungen gesprochen werden. Publizieren tue ich nur noch in Englisch.

 

MELANIE Wirklich?

 

TRÜMPER Ja, aber das ist ein großer Streit. Weil Deutsch traditionell eine der wichtigsten Sprachen im altertumswissenschaftlichen Bereich war. Aber ich muss Ihnen gestehen, es liest keiner mehr! Und mein Interesse ist eben, im Forschungsdiskurs rezipiert zu werden. Dann opfere ich aber langfristig die deutsche Sprache. Wir diskutieren, ob wir den englischen Master einführen sollen, und ich bin absolut dafür, weil man sonst keine internationalen Studierenden bekommt. An holländischen Universitäten ist bereits alles auf Englisch. Die Studierenden können tatsächlich auf Englisch wissenschaftlich denken und schreiben. Die Deutschen sind da noch zögerlich.

 

MELANIE Ich habe Englisch Leistungskurs und würde gern in Oxford studieren.

 

TRÜMPER Da müssen Sie schauen, was der Brexit Ihnen bringt in puncto Studiengebühren.

 

JONATHAN Ich möchte gern nach Irland – und dort Musik und Latein unterrichten.

 

MELANIE Warum ausgerechnet Irland?

 

JONATHAN Ich habe mich in die Landschaft verliebt. Und die Leute da. Studieren möchte ich hier in Berlin. Musik an der Universität der Künste. Latein hoffentlich an der Humboldt-Uni. Da habe ich gerade meine Unterlagen hingeschickt.

 

TRÜMPER Darf ich Ihnen etwas empfehlen? Wenn Sie das studieren, nutzen Sie die Möglichkeit, dass Sie auch an die anderen Berliner Universitäten gehen können. Sie können jede Vorlesung besuchen. Ich würde mir einfach ganz viel anhören.

 

JONATHAN In den Semesterferien könnte man auch mal ins Ausland gehen.

 

TRÜMPER Aber nicht nur in den Semesterferien!

 

JONATHAN Na ja, ich habe zwei Fächer, beide im Ausland zu studieren, werde ich nicht hinbekommen.Und ich möchte nichts nachholen müssen, ich würde gerne in relativ kurzer Zeit so viel wie möglich abernten.

 

TRÜMPER Das ist das Verrückte an Ihrer Generation. Genießen Sie das Studium, das Leben und die Freiheit doch! Sie sind doch beide noch so jung!

 

MELANIE Du bist 17 oder?

 

JONATHAN Fast 18.

 

TRÜMPER Man zehrt lange davon. Und Bildung, das ist nicht so schnell gemacht. Da muss man auch mal rechts und links gucken. Und solange man das kann, sollte man es tun. Hinterher sind Sie Lehrer und stecken in allen möglichen Zwängen. Ein bisschen möchte ich Ihnen das schon gönnen, dass Sie sich die Zeit nehmen. Sie können ja auch ein halbes Jahr ins Ausland gehen. Das wird Sie für Ihr Leben prägen.

 

Melanie und Jonathan, wann sehen wir euch denn dann in der Graduate School von Frau Trümper wieder?

 

JONATHAN Ich bleibe erst mal bei Latein und Musik in Irland. Und dann mal schauen.

 

MELANIE Für mich klingt das sehr, sehr spannend!

 

TRÜMPER Ich würde mich freuen zu hören, was aus Ihren Plänen geworden ist, wie Ihr Weg weitergeht. Vielleicht berichten Sie ja mal. Alles Gute jedenfalls!

Monika Trümper ist Klassische Archäologin und Professorin an der Freien Universität Berlin. Sie ist Sprecherin der Berlin Graduate School of Ancient Studies (BerGSAS) und desiginierte Sprecherin des Exzellenzclusters Topoi. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die antike Stadt sowie Bade- und Wohnkultur im Mittelmeerraum.

Interview: Tanja Runow