Die bessere Hälfte

Mileva Marić wirkte an der Forschung mit, für die Albert Einstein mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Jahrzehntelang opferte sie sich für ihren Ehemann und die gemeinsamen Söhne auf. Doch das Schicksal belohnte sie nicht.

Sie sind ein charmantes Pärchen: die kleine, zarte Mileva mit dem herausfordernden Blick und der vier Jahre jüngere Albert mit den knabenhaften Gesichtszügen und den wirren Haaren. Täglich schlendern sie nach den Vorlesungen gemeinsam die Gloriastraße hinab. Langsam, weil Mileva ein bisschen hinkt. Vor allem aber, weil sie so viel zu besprechen haben: zum Beispiel ihre revolutionären Ideen zum Verhältnis von Raum und Zeit.

Am Polytechnikum in Zürich, der heutigen Eidgenössischen Technischen Hochschule, studieren die beiden Ende des 19. Jahrhunderts Physik und Mathematik. Sie ergänzen einander: Mileva ist fokussiert und mathematisch hochbegabt, Albert ein kreativer Kopf. Bald werden sie heiraten, eine Familie gründen - und gemeinsam forschen. Ihre Ideen und Berechnungen werden die Welt der Physik aus den Angeln heben. Doch während Albert zum Weltstar aufsteigt, bleibt Mileva eine Randfigur der Wissenschaftsgeschichte.

Geboren wurde Mileva Marić am 19. Dezember 1875 in Titel, einem ungarischen Städtchen im heutigen Serbien. Ihre Eltern sind wohlhabend, der Vater steht als Korporal im Dienst der Doppelmonarchie, später arbeitet er als höherer Beamter am Gericht von Vukovar. Wegen ihres Hüftleidens wird die kleine Mileva oft gehänselt. Doch ihre Intelligenz versetzt die Lehrer ins Staunen. Formeln und Zahlen sind ihre Leidenschaft. Mit 18 Jahren beschließt Mileva, die im Elternhaus neben Serbisch auch Deutsch gelernt hat, in die Schweiz auszuwandern. Denn in Zürich, so hat sie gehört, dürfen seit 1855 - einzigartig in Europa - auch Frauen studieren.

Im Herbst 1896 beginnt Mileva ihr Studium am Polytechnikum: eine selbstbewusste junge Frau mit hochgesteckten Zielen.

"Ich glaube, dass eine Frau eine Karriere machen kann wie ein Mann", sagt sie. Bald weckt das stille, kluge Mädchen mit den ausdrucksstarken schwarzen Augen das Interesse ihres Kommilitonen Albert. Ob sie ihm bei der Lektüre von Helmholtz und Hertz behilflich sein möchte, fragt er sie.

In Alberts Gegenwart blüht Mileva auf. Bei gemeinsamen Bergwanderungen singt sie abends auf der Hütte Lieder aus ihrer Heimat und begleitet sich selbst auf der Tamburizza, einer südslawischen Langhalslaute. Auch Albert liebt die Musik, er spielt Violine. Um Mileva in die Oper einladen zu können, spart er beim Essen. Doch als sich die beiden ineinander verlieben, fürchtet sie um ihre Konzentration auf die Wissenschaft. Im Oktober 1897 trifft sie eine radikale Entscheidung: Sie zieht nach Heidelberg, wo Frauen - anders als fast überall sonst in Deutschland - an der Uni zumindest als Gasthörerinnen geduldet werden, um ihr Studium dort weiterzuführen. Schon nach wenigen Wochen aber vermisst sie Albert zu sehr.

Im Februar 1898 kehrt sie nach Zürich zurück, begräbt urplötzlich jeden persönlichen Ehrgeiz und kümmert sich geradezu mütterlich um ihren Geliebten. Während Albert die Diplomprüfung am Polytechnikum 1900 besteht, fällt sie überraschend durch. Im Juli 1901 wiederholt sie die Prüfung - und scheitert erneut. Im Frühling wird sie schwanger - als unverheiratete Frau ein Skandal im katholischen Milieu Österreich-Ungarns, aus dem sie stammt. Mit einem Korsett schnürt sie sich den Bauch weg. Aber eine Abtreibung kommt nicht infrage. In Novi Sad (im heutigen Serbien), wo ihre Eltern leben, bringt sie im Januar 1902 eine Tochter zur Welt, wie Briefe an Albert aus jener Zeit belegen. Doch im Juni kehrt sie allein in die Schweiz zurück. Was aus der gemeinsamen Tochter wird, ist nicht überliefert. Vielleicht gibt Milevas Verwandtschaft sie zur Adoption frei.

Am 6. Januar 1903 heiraten Mileva und Albert in Bern. Albert hat am Berner Patentamt eine Anstellung gefunden. Sie ziehen in eine Dachgeschosswohnung in der Archivstraße 8, mit Aussicht auf die Gipfel von Eiger, Mönch und Jungfrau. Am 14. Mai 1904 wird der gemeinsame Sohn Hans Albert geboren. Die Hausarbeit erledigt Mileva weiterhin alleine. Gelegentlich kümmert sich Albert um das Baby - auf seine Weise: Eine Zigarre im Mund schaukelt er mit einer Hand den Kinderwagen, während er mit der anderen irgendwelche Notizen macht. Nachts sitzen Mileva und er beisammen, diskutieren und rechnen stundenlang.

„Ich brauche meine Frau“, sagt er. „Sie löst alle mathematischen Probleme für mich.“

Seite an Seite arbeiten sie zu Beginn des Jahres 1905, zu Hause nach Feierabend, fünf Wochen lang an der "speziellen Relativitätstheorie". "Ein sehr großes und schönes Werk", sagt Mileva schließlich zu Albert, bevor sie den Aufsatz gemeinsam mit anderen Arbeiten an die Fachzeitschrift "Annalen der Physik" nach Leipzig senden. Noch im selben Jahr kommt es zum Durchbruch: Unter Alberts Namen erscheint in den "Annalen der Physik" sowohl der Aufsatz zur Relativitätstheorie, der Raum und Zeit völlig neu denkt und ihn als Physiker weltberühmt machen wird, als auch eine Arbeit über den photoelektrischen Effekt, für die er 1922 den Nobelpreis erhalten wird. Mileva wird als Miturheberin nicht erwähnt.

1909 zieht die Familie zurück nach Zürich, wo Albert eine Stelle als Physikprofessor antritt. Mileva kümmert sich weiterhin um Baby und Haushalt und unterstützt ihren Mann bei der Forschung. "Ich bin sehr glücklich über seine Erfolge", schreibt sie an eine Freundin. "Er hat es wirklich verdient." Ob es ein Fehler ist, dass sie den ganzen Ruhm Albert überlässt und sich keine eigenen Forschungsthemen sucht? Am 28. Juli 1910 wird Eduard geboren, der zweite gemeinsame Sohn der Einsteins. Milevas Gesundheit beginnt unter der Mehrfachbelastung zu leiden. Doch statt eine Haushälterin zu engagieren, delegiert Albert ausgerechnet das, was seiner Frau immer die größte Freude machte, an andere: Bei mathematischen Problemen lässt er sich nun von Uni-Kollegen helfen - auch wenn diese Zusammenarbeit weit weniger produktiv ist als früher diejenige mit Mileva. Und er beginnt eine Affäre mit seiner Cousine Elsa Löwenthal im fernen Berlin, wohin er gelegentlich zum Austausch mit anderen Wissenschaftlern reist.

Seine Beziehung zu Mileva wird immer mehr zu einem Zweckbündnis. 1914 stellt er Mileva drakonische Bedingungen für eine Fortsetzung der Ehe: drei Mahlzeiten pro Tag, immer saubere Wäsche, keine Zärtlichkeiten verlangen und jederzeit schweigen, wenn er es verlangt. Warum lässt Mileva sich auf diese Erpressung ein? Immerhin ist sie vor knapp zwei Jahrzehnten, kaum volljährig, mit großen Ambitionen allein in die Schweiz aufgebrochen. Doch sie scheint zu einem anderen Menschen geworden zu sein. Ohne aufzubegehren erfüllt sie nun die Rollenerwartungen an Frauen ihrer Zeit.

Im April 1914 wird Albert zum Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin ernannt – und zieht bald darauf zu seiner Geliebten...

...in die Haberlandstraße 5 in Berlin-Schöneberg. Seine Geldüberweisungen an die Familie in der Schweiz sind niedrig, schon weil die Deutsche Mark immer stärker an Wert verliert. Mit Mathe-Nachhilfe muss Mileva dazuverdienen. Um Eduard macht sie sich zunehmend Sorgen. Als Kleinkind hatte er ständig starke Kopfschmerzen. Jetzt, als Grundschüler, ist er adipös und verhaltensauffällig. Als Albert im Jahr 1916 die Scheidung verlangt, wird Mileva herzkrank. Wochenlang liegt sie im Spital. Erst 1919 willigt sie ein. Albert verspricht als Gegenleistung, dass, sollte er jemals den Nobelpreis erhalten, ihr das gesamte Preisgeld zufließen werde. Der Versuch, sich freizukaufen und sein Gewissen zu beruhigen? Oder ein Indiz dafür, wie viel von Milevas Ideen in der Forschung der frühen Jahre steckt?

Der russische Physiker Abram Joffe, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem Expertengremium der "Annalen der Physik" angehörte, schreibt 1956, dass das Originalmanuskript der 1905 publizierten Artikel mit "Einstein-Marity" unterschrieben war - und "Marity" ist die ungarische Schreibweise von Milevas Familiennamen Marić. Seltsamerweise aber ist die Originalschrift der wissenschaftlichen Arbeiten kurz nach der Veröffentlichung verschwunden. Ein Verdacht fällt auf Albert. "Er vernichtete das Original", wird die "New York Times" im Februar 1944 behaupten. Die Library of Congress in Washington setzt daraufhin sogar eine Prämie von 11,5 Millionen US-Dollar für die Wiederbeschaffung aus. Erfolglos. Wie bedeutend Milevas Beiträge zu Albert Einsteins wichtigsten Arbeiten wirklich waren, wird wohl für immer unklar bleiben.

Im November 1922 ereilt Albert auf einer Vortragsreise in Japan die Nachricht, dass er tatsächlich den Nobelpreis erhalten wird. Die Preissumme von 121.000 Schwedischen Kronen überlässt er - wie versprochen - Mileva, die dafür in Zürich drei Immobilien erwirbt. Zwei der Häuser muss sie aber bald wieder verkaufen, um die hohen Kosten zu decken, die durch die psychische Krankheit ihres jüngeren Sohnes Eduard entstehen. Sein Bruder Hans Albert geht bereits eigene Wege. Nach einem Ingenieurstudium und einigen Jahren Praxis im Stahlbau wird er sich in den USA an der Universität Berkeley als Professor für Hydraulik etablieren.

Auch Eduard schafft 1929 sein Abitur. Doch seine Krankheit äußert sich immer stärker. In Rage zerschneidet er mit einem Messer Bücher und Polstermöbel. Einmal will er sich aus dem Fenster stürzen. Als Mileva ihn zurückhält, versucht er, sie zu erwürgen. Noch in derselben Nacht wird er in die psychiatrische Klinik eingeliefert. Als er wieder nach Hause darf, steht ihm zur Sicherheit ständig ein Psychiatriepfleger zur Seite. Tagsüber liegt er antriebslos auf dem Bett oder hämmert wie von Sinnen auf dem Klavier herum. Nachts hat er cholerische Anfälle. Ängste und Sorgen belasten Mileva immer stärker. Ende Mai 1948 erleidet sie einen Schlaganfall. Am 4. August stirbt sie im Alter von 73 Jahren an den Folgen. Sie wird auf dem Friedhof Nordheim in Zürich beerdigt. Albert reist nicht zur Trauerfeier an.

Milevas Bescheidenheit und Hilfsbereitschaft wurden nicht belohnt.

Auch posthum bleibt ihr als Physikerin jegliche Anerkennung versagt. Und selbst als ihr jüngerer Sohn, der bis an sein Lebensende psychisch krank bleibt, am 25. Oktober 1965 stirbt, wird Mileva, die sich jahrzehntelang um ihn gekümmert hat, in der Todesanzeige nicht erwähnt. "Eduard Einstein", heißt es da nur, "Sohn des Professors Albert Einstein".

Text: Till Hein