Er ist aus dem Silicon Valley nach Berlin gekommen. Der Einstein-Professor Friedel Gerfers arbeitet an der Energieeffizienz und Reaktionsgeschwindigkeit von 5G- und 6G-Technologien für die vernetzte Zukunft – in einem der fortschrittlichsten Labore der Bundesrepublik. Angefangen hat für ihn alles auf dem elterlichen Bauernhof
Ja, man kann sich gut vorstellen, wie Friedel Gerfers morgens nicht ins Kragenhemd, nicht in die Anzughose und auch nicht in die Lederschuhe steigt. Wie er nicht zu seinem Fachbereich an die Technische Universität fährt, um dort an Zukunftstechnologien zu forschen. Man kann sich gut vorstellen, wie er stattdessen in die Gummistiefel schlüpft, um nach den Kühen zu sehen, wie er den Traktor startklar macht und die Erntehelfer*innen einweist.
Vielleicht liegt das an seiner Art. Wie er, groß gebaut, Marke kerniger Typ, einem kräftig die Hand schüttelt. Wie er knapp und klar mit seinen Mitarbeitenden und Studierenden über anstehende Termine redet. Wie er seine Vergangenheit in ein- fachen Zügen ordnet und diese mit ein paar Gesten unterstreicht. Und es liegt natürlich an der Vergangenheit selbst. „Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, linksrheinisch“, sagt er und lacht. „Mit sieben konnte ich Traktor fahren. Habe bei allem helfen dürfen und müssen.“ Sein Vater hat ihn mitgenommen, wenn es etwas zu reparieren galt. Und wenn es keine Ersatzteile gab, mussten sie improvisieren, überlegen, wie man es trotzdem wieder hinbekommt. „Als Kind fand ich das natürlich nicht immer toll. Später habe ich das vermisst“, sagt Gerfers.
Später – das war, als er schon längst im Silicon Valley arbeitete, für Start-ups, aber auch für Intel, Apple und den Halbleiterhersteller Integrated Device Technology. Für sie leitete er schlagfertige Teams, die an Technologien forschten, die cutting edge waren, also am Limit der Entwicklung, noch neuer als das Neueste, innovativ und wegbereitend.
Wenn Gerfers über diese Zeit berichtet, leuchten seine Augen. Alles ging schnell, vieles war möglich, wenig Bürokratie und einfach loslegen, forschen. „Das liegt mir, sich Gedanken über Lösungen zu machen, an die andere noch nicht gedacht haben“, sagt er. Doch die Arbeitszeiten waren brutal. Sieben Tage die Woche, von morgens bis abends, und über allem schwebte der große Hammer der schnellen Gewinnmaximierung.
2015 folgte er dem Ruf der Technischen Universität nach Berlin. „Ich wollte einen Wechsel, an die Uni, in die Lehre und auch zu geregelteren Arbeitszeiten, was mir meine Familie dankt“, sagt er. Gerfers ist jetzt zwar nicht mehr im Silicon Valley, doch forschen und experimentieren kann er in Berlin immer noch. Dazu kommt jetzt die Lehre. „Bei mir werden die Studierenden gleich in die Projekte und in die Forschung miteinbezogen.“
Sein Lehrstuhl heißt „Mixed Signal Circuit Design“. Hier arbeitet er mit seinem Team an der Hardware für die vernetzte Zukunft. Eine Zukunft, in der immer mehr Daten versendet werden, sei es mobil, optisch oder elektrisch. Ein Anwendungsbereich werden Smart Cities sein, in denen Verkehr, Wetter, Energieverbrauch und viele weitere Bereiche vernetzt sind. „Wie steuere ich jede Laterne in der Stadt an, mit Richtfunkverbindung oder optisch? Das ist alles noch unklar“, sagt Gerfers dazu.
Ein Anwendungsgebiet werden auch Autos sein, die autonom und vernetzt fahren und dabei große Mengen an Daten versenden. Oder die Umsetzung von Künstlicher Intelligenz, privat wie industriell. Oder das Internet der Dinge. Oder der Nutzer, der HD-Videos streamen möchte. „Alle werden mehr Daten wollen und brauchen.“
Um das zu ermöglichen, müssen große Bandbreiten zur Verfügung gestellt werden. „Je mehr Daten, desto mehr Energie braucht es. Wenn man das mal hochrechnet, wird am Ende der Energiebedarf der Kommunikation dominanter sein als der tägliche Bedarf. Wir müssen energieeffizienter werden. Ich darf nicht mehr pro Bit die gleiche Energie aufwenden“, sagt Gerfers.
Und daran arbeitet er: Energieeffizienz und Reaktionsgeschwindigkeit. Dabei konzentriert er sich auf den Analog-digital-Umsetzer. Das Signal ist digital. Die Antenne ist analog. Je mehr Daten versendet werden, je größer die Bandbreite dabei ist, umso gedämpfter kommt das Signal an. Dieses gelangt über die Antenne ins Smartphone und muss im nächsten Schritt entzerrt, gefiltert und verstärkt werden. Dafür sorgt ein Chip, der Strom verbraucht, sowohl bei der mobilen als auch bei der optischen oder elektrischen Datenübertragung.
„Wir arbeiten beispielsweise an der Hardware-Architektur für Multi-Antennen-Systeme“, sagt Gerfers. In Zukunft wird es Multi-Input- und Multi-Output-Systeme geben, die die Signale ausreichend gut empfangen können, trotz gesteigerter Datenmenge. „Mit unserer neuen Hardware-Architektur verbessern wir hier die Energieeffizienz und den Formfaktor Fläche, machen sie also kleiner“, erklärt Gerfers. Insgesamt vier Patente haben er undsein Team für die Technische Universität schon auf den Weg gebracht.
Seit 2019 ist Friedel Gerfers Einstein-Professor für Mixed Signal Circuit Design an der Technischen Universität Berlin. Neben der Professur ermöglicht die Einstein Stiftung ein hochmodernes Testlabor, in dem die von Gerfers entwickelten Chips getestet werden können. Vorher haben er und sein Team deren Wirkung nur simulieren können. Doch das reicht nicht aus. Die Chips, die in geringer Stückzahl unter Industriestandards für sie hergestellt werden, müssen unter realen Bedingungen und mit Bandbreiten von bis zu 100 Gigahertz getestet werden. „Das Labor ist in seiner technischen Ausstattung ein Leuchtturm in Deutschland“, sagt er.
Gerfers hatte nach der zehnten Klasse keine Lust mehr auf Schule. Stattdessen ging er in den Bergbau. Unter Tage. Als Azubi für Elektrotechnik, denn auch 300 Meter unter der Erde muss Strom gelegt und müssen elektrische Anlagen gebaut und instand gehalten werden. Erst danach zog es ihn an die Universität. „Ich habe gar kein Abitur“, sagt er und lacht. Erst der Bauernhof, dann die Lehre – Anpacken ist Teil seines Lebens. Und auch heute, neben Lehre, Verwaltung und Forschung, steht er, so oft er es einrichten kann, im Labor und arbeitet an seinen Schaltungen.
Text: Karl Grünberg