Prinzip Kreislauf

Um die Chemie nachhaltiger zu gestalten, sind Ideen mit Weitblick gefragt. Die Chemical Invention Factory der Technischen Universität Berlin leistet Starthilfe für Gründer*innen, die chemische Erfindungen für die Kreislaufwirtschaft zur Marktreife bringen wollen 

„Wie machen wir Dinge des täglichen Bedarfs ressourcenschonender und stellen dabei sicher, dass wir nicht an den Überbleibseln unserer Produktion ersticken?“ Für Matthias Drieß von der Technischen Universität Berlin, einen der Sprecher des Exzellenzclusters Unifying Systems in Catalysis (UniSysCat), ist das eine der großen Fragen, auf die Chemikerinnen und Chemiker heute Antworten finden müssen. Derzeit arbeite die chemische Industrie noch überwiegend linear, stelle also Produkte her, die am Ende ihres Lebenszyklus als Abfallstoffe in Luft, Wasser und Boden landeten. „Was wir stattdessen brauchen, ist Kreislaufchemie: Wir müssen Produkte mithilfe Erneuerbarer Energien aus regenerierbaren Rohstoffen herstellen, Abfälle wiederverwerten und daraus auch Neues produzieren können.“

Das im Aufbau befindliche Vorgründungszentrum Chemical Invention Factory (CIF) der TU unterstützt Berliner Chemie-Start-ups, die genau diese Prinzipien einer Kreislaufchemie zur Basis ihrer Gründung machen wollen. In Kooperation mit dem Centre for Entrepreneurship an der TU bietet die CIF ihnen eine umfassende Starthilfe: kostenfreie Laborräume, Mentoring, Workshops und Netzwerkveranstaltungen mit Industrievertreter*innen. „Ein Gründungszentrum, das explizit die Etablierung von Kreislaufwirtschaft vorantreibt, ist deutschlandweit einzigartig“, sagt Drieß. Er ist einer der wissenschaftlichen Leiter der CIF, die den Beinamen „John Warner Center for Start-ups in Green Chemistry“ trägt – nach dem Mitbegründer der Grünen Chemie, TU-Honorarprofessor und Beiratsmitglied der CIF.

Schon seit 2017 gab es an der TU einen Vorläufer, das Inkulab, das acht Start-ups im Bereich der Grünen Chemie unterstützte. „Das war eine Erprobungsphase, jetzt erweitern wir von vier auf zwölf Laborplätze und bauen ein eigenes Gebäude auf dem Campus in Charlottenburg“, sagt Drieß. „Man könnte sagen: Das Inkulab war ein Bobbycar, mit der CIF werden wir einen Mercedes haben.“ 

Da sich die Umsetzung der Prinzipien von Kreislaufwirtschaft in der Praxis oft als äußerst kompliziert erweist, will die CIF die Gründungsteams gezielt fortbilden. „Ohne digitales Know-how ist es kaum möglich, den komplexen Anforderungen der Kreislaufwirtschaft gerecht zu werden“, erläutert Nachwuchsgruppenleiter Tobias Gensch, der an der TU unter anderem Digitalisierung in der Chemie lehrt. „Man versucht, gleichzeitig Energie einzusparen, Lösungsmittel zu verwenden, die nicht als Sondermüll anfallen, Nebenprodukte in anderen Prozessen als Ausgangsmaterialien weiterzuverwenden und Produkte über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg zu betrachten.“ Im Entwicklungsstadium einer kreislaufwirtschaftlichen Idee müsse daher nicht nur viel experimentiert werden, es gebe auch einen hohen Bedarf an digitalem Rüstzeug. Das will Gensch in der Lehre vermitteln. 

Namensgeber John Warner, der 2016 die zwölf Prinzipien der Grünen Chemie veröffentlichte und sich in Berlin und den USA für Nachwuchsförderung einsetzt, um nachhaltig ausgerichtete Chemie voranzubringen, sieht in der CIF ein Zukunftsmodell: „In den USA gibt es Geld und Optionen für Tech-Start-ups, aber für ein junges Start-up aus der Chemie oder den klassischen Naturwissenschaften ist das deutlich schwieriger. Da sehe ich Berlin mit der Chemical Invention Factory in einer absoluten Vorreiterrolle. Davon hätte ich gerne noch mehr – auch in den USA.“ 

Warner, der selbst mehrere Start-ups gegründet und begleitet hat, legt großen Wert auf die Feststellung, dass nicht jeder Chemiestudent auch als Unternehmer tätig werden soll oder gar muss. Stattdessen wünscht er sich für die CIF, dass sie als eine Kollaborations- und Wissenstransfer-Plattform fungiert. „Wir müssen unseren Studierenden viel stärker beibringen, dass sie kollaborieren und kommunizieren. Ich halte wenig davon, jedem Chemiestudierenden auch einen Kurs in Betriebsführung zu verpassen oder jedem Betriebswirt eine Einführung in die Chemie. Das macht aus einem guten Chemiker noch lange keinen guten Betriebswirt – und umgekehrt. Die CIF sollte eine Begegnungs- und Trainingsplattform für gute Chemiker und gute Betriebswirte werden, die jeweils Experten auf ihrem Gebiet sind, aber Interesse an einer Kooperation haben.“

Es gibt einfach Probleme, die kann kein einzelnes Unternehmen stemmen. Es ist an der Zeit, im akademischen Betrieb und in der Industrie neue Wege zu gehen.

Matthias Drieß

Künftig sollen auch Industrievertreter*innen an die CIF kommen, um aus der Praxis zu berichten und mit Gründungsinteressenten ins Gespräch kommen. Profitieren können davon beide Seiten: „Gründende können der Industrie attraktive Alternativen zu herkömmlichen Produktionsprozessen aufzeigen und Kooperationen anstoßen sowie gleichzeitig im Austausch erfahren, welche konkreten Probleme es in der Industrie aktuell zu lösen gilt“, sagt Drieß. Besonders in der chemischen Energiewirtschaft will das Vorgründungszentrum ein Zeichen setzen – mit Alternativen zu fossilen Energieträgern, etwa Wasserstoff. Im Optimalfall sollen aus der CIF Unternehmen hervorgehen, die gemeinsam kreislaufwirtschaftliche Prozesse anstoßen und in die Wirtschaft tragen. „Es nützt nichts, wenn der eine kohlenstoffneutral produziert und der andere dafür umso mehr Abgase in die Luft bläst“, betont Drieß. „Es gibt einfach Probleme, die kann kein einzelnes Unternehmen stemmen. Es ist an der Zeit, im akademischen Betrieb und in der Industrie neue Wege zu gehen.“

Text: Nora Lessing, Katharina Jung

Stand: Dezember 2020