Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, ist die Welt darauf angewiesen, Klimagase auch aus der Luft zurückzuholen. Doch die Katalyseverfahren zur CO₂-Abscheidung und -Verwertung stehen noch am Anfang. Ein interdisziplinäres Projekt schafft nun Kriterien, um neue Ansätze technisch, ökonomisch und ökologisch zu bewerten. Denn nur so kann die Politik die effektivsten fördern
Text: Marcus Franken
Die Welt ist voller Wunder. Zumindest, wenn man den Klima-Unternehmern glaubt: Benzin aus Luft, verspricht etwa die kanadische Firma Carbon Engineering. Beton als CO2-Speicher bietet das Unternehmen Carbicrete. In den Laboren der George Washington University lässt das Start-up C2CNT Nanofäden aus CO₂ an beschichteten Elektroden wachsen – und holt es so aus der Luft. Und in Deutschland stellt die Firma Covestro schon seit einigen Jahren Kunststoffe her, bei denen immerhin ein Fünftel des Kohlenstoffs aus Kohlendioxid gewonnen wird.
Unverzichtbar dabei: Katalysatoren. Denn was immer man aus dem Kohlenstoffatom in Kohlendioxid machen will – CO₂ ist ein reaktionsträges Molekül, das tief in einem energetischen Tal steckt. Und das normalerweise nur dann mit anderen Stoffen reagiert, wenn eine Menge Energie hinzugefügt wird. Katalysatoren senken diese Aktivierungsenergie – und sind darum so etwas wie der Heilige Gral der CO₂-Umwandlung.
Weltweit hat der Run auf Verfahren begonnen, die das von der Menschheit seit Beginn der Industrialisierung massenhaft in die Atmosphäre gepumpte Klimagas CO₂ da eines Tages wieder rausholen sollen. Der Antrieb ist klar: Die Klimawissenschaft sagt uns, dass wir global nur noch weniger als 500 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Luft pusten dürfen, um einigermaßen sicher das 1,5-Grad-Ziel zu halten. Bei aktuell jährlich fast 45 Milliarden Tonnen weltweiter CO₂-Emissionen ist das Fass in wenigen Jahren voll. Sämtliche Szenarien des Weltklimarates IPCC gehen deshalb davon aus, dass wir auch auf Techniken angewiesen sind, die Klimagase wieder aus der Luft herausholen können.
Doch wenn man von deutschen Forscher*innen wissen will, welche Verfahren hier technisch am weitesten, welche kostengünstig sind und wie sie bei der Energie- und Umweltbilanz abschneiden, herrscht meist großes Schweigen.
„Es gibt bisher keine gesicherte Bewertung der vielen Verfahren“, bestätigt der Chemiker Reinhard Schomäcker, Leiter des Fachgebietes für Technische Chemie an der Technischen Universität Berlin und Forscher bei CO₂nsistent, einem interdisziplinären Projekt, bei dem Chemiker*innen, Wirtschaftswissenschaftler*innen und Ökolog*innen gemeinsam eben jene umfassende wissenschaftliche Basis für die Bewertung neuer Techniken zur Abscheidung und Verwertung von CO₂ (CCU, Carbon Capture and Utilization) liefern sollen. Mit seinem Team erforscht er die chemischen Grundlagen – also die Wirkkraft der Katalysatoren. „Bei der Umwandlung von CO₂ in Wertstoffe ist fast immer ein Katalysator erforderlich“, sagt Schomäcker. „Doch bisher ist fast kein Verfahren weiter als Technologiereifegrad drei.“ Das bedeutet: Es ist gerade mal so weit, seine technische Machbarkeit im Labor beweisen zu können. Der Weg über Pilotanlagen hin zur kommerziellen Chemieproduktion ist noch lang.
Auf eine belastbare Bewertung dieser jungen Techniken wartet nicht nur die Politik, die in die richtige Forschung investieren will. Hinter CO₂nsistent stehen neben Schomäckers Team auch die Arbeitsgruppe „CO₂-Nutzungsstrategien und Gesellschaft“ des Potsdamer Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) sowie Universitäten in Michigan, Aachen und Sheffield. Aber auch die Global CO₂ Initiative (GCI), laut eigener Beschreibung eine „marktnahe Non-Profit-Organisation“. Soll heißen: GCI will Investoren auf der Suche nach dem next big thing unterstützen, dem kommenden Microsoft, Amazon oder Tesla im prognostizierten „Billionen-Dollar-Markt“ der CO₂-Nutzung.
„Die Investoren wollen jetzt wissen, wie weit die technischen Verfahren sind und wie aussichtsreich es ist, Geld in sie zu investieren“, sagt Schomäcker. Das Start-up-Gen ist tief in der DNA der GCI verankert: Ihr Gründer Bernard David hat selbst erfolgreich Firmen gegründet und verkauft. Auch das Berliner Climate-KIC, eine Kinderstube für Unternehmensgründungen im Klimabereich, arbeitet bei CO₂nsistent mit.
Im Oktober 2020 hat CO₂nsistent einen Katalog mit „Guidelines“ für eine technisch-ökonomische und ökologische Bewertung der neuen CCU-Verfahren veröffentlicht. Forscher*innen, Investor*innen und Politiker*innen sollen sie als einheitliche Methoden nutzen, um sich von der Sinnhaftigkeit und den Erfolgsaussichten neuer Produkte ein Bild zu machen: seien es Materialien wie klimafreundlicher Beton und Nanofäden, Treibstoffe wie synthetisches Benzin oder Energiespeicher wie Methan, bei denen grüner Strom für die Produktion des energiereichen Gases eingesetzt wird.
„Ohne verlässliche Bewertungsstandards kann die Gesellschaft nicht entscheiden, welche Techniken sie in Zukunft fördern soll“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Barbara Olfe-Kräutlein, die am IASS die Forschungsgruppe „CO₂-Nutzungsstrategien und Gesellschaft“ leitet.
Und es geht um viel Geld: Die Bundesregierung hat 2020 die Förderung von „Methoden zur Entnahme von atmosphärischem Kohlendioxid“ ausgeschrieben, die EU den „Innovation Fund“ aufgelegt. Darin werden zwischen 2020 und 2030 EU-weit stolze zehn Milliarden Euro ausgelobt: Neben innovativen Erneuerbaren Energien und klimafreundlichen Prozessen in der Industrie und Energiespeichern sollen auch Nutzung und Speicherung von CO₂ vorangebracht werden. Die Projekte, die sich um die EU-Mittel bewerben, werden auch nach den neuen Richtlinien beurteilt, die CO₂nsistent erarbeitet hat. Damit fließt die Arbeit der Chemiker*innen, Ökonom*innen und Ökolog*innen in die Entscheidungen der Bundespolitik und bis auf EU-Ebene ein. „Wir geben unsere Erkenntnisse direkt an die Ministerien für Umwelt, Forschung sowie Wirtschaft und Energie weiter und beraten auch beim sinnvollen Design von Ausschreibungen“, erklärt Olfe-Kräutlein.
Auch wenn viele katalytische Verfahren zur CO₂-Abscheidung und -Verwertung noch ganz am Anfang stehen, lassen sich grobe Trends bereits erkennen. In einer Welt, in der die fossilen Brennstoffe ausgedient haben, könnten sonnenreiche Länder in der Nähe des Äquators etwa photokatalytische Verfahren nutzen, um im großen Stil Energieträger wie Methan aus CO₂ herzustellen.
Sonnenreiche Länder in der Nähe des Äquators können photokatalytische Verfahren nutzen, um im großen Stil Energieträger wie Methan aus CO₂ herzustellen. Im Norden könnten eher elektrochemische Techniken wie die Elektrolyse zum Einsatz kommen, die mit Windenergie betrieben wird.
Im Norden könnten laut Schomäcker dagegen eher elektrochemische Techniken wie die Elektrolyse zum Einsatz kommen, die mit Windenergie betrieben wird. Der (grüne) Wasserstoff aus diesen Anlagen kann dann mit CO₂ zu Kohlenwasserstoffketten reagieren – dem Grundgerüst aller heutigen fossilen Ressourcen, die als Rohstoffe in der Industrie oder als Brennstoffe verbraucht werden.
Eine Konkurrenz zum heute billigen Öl bilden die Techniken aber allesamt nicht. Der Aufwand, der betrieben werden muss, um das reaktionsträge CO₂ wieder in Kohlenwasserstoff umzuwandeln, ist viel zu hoch. Erst wenn grüne Energie aus Windenergie- und Solaranlagen im Überfluss vorhanden ist, macht es auch ökologisch Sinn, sie als Rohstoffe oder als Treibstoffe für einzelne Anwendungen wie Flugzeuge oder schwere Lkw zu verwenden. Dazu kommt, dass das CO₂ bei synthetischen Kunst- und Treibstoffen nicht dauerhaft gebunden wird – meist wird es nur wenige Jahre in Produkten gebunden und dann doch wieder verbrannt.
Da wäre ein Stoff wie Carbicrete, bei dem CO₂ mit Metallschlacken zu Beton reagiert, eine deutlich dauerhaftere Sache. Im Beton wäre das Kohlendioxid für Jahrhunderte sicher gebunden. Aber noch hat auch der CO₂-schluckende Zement das Forschungsstadium nicht verlassen.
Stand: Dezember 2020