Sie sagen die Wirksamkeit von Krebsmedikamenten voraus, analysieren Gewebeschnitte mit Künstlicher Intelligenz oder statten die Killerzellen des Immunsystems mit neuen Waffen aus. Vier Berliner Gründer:innen erklären, wie ihre Ansätze die Medizin verändern könnten
Text: Nora Lessing
Scharfe Klingen gegen den Krebs
In therapeutischer Absicht die T-Zellen des Immunsystems verändern: Wie das funktionieren könnte, erforschten Prof. Thomas Blankenstein und sein Team in rund 15 Jahren Laborarbeit am Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin (MDC). Unter der technischen Direktion von Elisa Kieback beschäftigt das Unternehmen drei Jahre nach Ausgründung bereits mehr als 100 Mitarbeitende.
Frau Kieback, wo kommen bei Ihnen Messer ins Spiel?
T-Knife stattet die T-Zellen des Immunsystems von Krebspatienten mit einem „Messer“ aus, mit dem sie Tumore ganz präzise herausschneiden können. Konkret entnehmen wir T-Zellen aus dem Blut der Patienten und verändern sie im Labor: Wir geben Ihnen einen spezifischen Rezeptor. Wenn wir den Patienten die T-Zellen dann zurückgeben, können sie mithilfe des Rezeptors an eine Zielstruktur auf den Tumorzellen andocken. Das neue „Messer“ soll dazu dienen, dass die T-Zellen der Patienten die Tumore angreifen und eliminieren.
Aktuell testen Sie Ihr Verfahren in einer klinischen Studie. Wenn alles glattgeht, wer könnte perspektivisch von Ihrer Dienstleistung profitieren?
Im Prinzip alle Krebspatientinnen und -patienten mit soliden Tumoren, bei denen Therapien bislang keinen Erfolg hatten. Es gibt auch Tumore, die man chirurgisch nicht entfernen kann – etwa, wenn ein Tumor gestreut hat und in Lunge, Leber oder in anderem Gewebe viele kleine Metastasen sind. Unser zellbasierter Ansatz setzt darauf, das Immunsystem solcher Patientinnen starkzumachen, damit es die Tumore selbst bekämpfen kann.
Was ist aktuell die größte Herausforderung für Ihr Unternehmen?
Die größte Herausforderung für Zelltherapien – Therapien, bei denen Zellen die therapeutische Wirkung entfalten – ist die Herstellung, denn die ist für jede Patientin individualisiert und daher sehr aufwendig. So etwas für zehn Patienten anzubieten, ist vielleicht noch einfach, aber wenn man das Tausenden Patientinnen und Patienten weltweit in kurzer Zeit zur Verfügung stellen will, dann wird es sehr komplex, und das muss man von vornherein bedenken. Aber wir bleiben dran, weil wir wissen, dass wir eine Therapie entwickeln, die zu einem starken therapeutischen Nutzen führen kann.
Name: T-Knife
Standort: Berlin und San Francisco
Gründungsjahr: 2019
Mitarbeitende: mehr als 100
Anbindung: Ausgründung aus MDC und Charité – Universitätsmedizin Berlin
Finanzierung: 110 Millionen US-Dollar Serie-B-Finanzierung durch die Fidelity Management & Research Company LLC und weitere Investoren
Gründende: Prof. Thomas Blankenstein, Dr. Elisa Kieback
Web: www.t-knife.com
Maschineller Blick ins Gewebe
Aignostics, die Firma des Pathologen und ehemaligen Einstein Junior Fellows Frederick Klauschen, macht quantitative Modelle für die Medizin nutzbar: Mit Künstlicher Intelligenz (KI) hilft sie Patholog:innen dabei, Bilder von Gewebeproben systematisch und mit höchster Präzision auszuwerten.
Herr Klauschen, was genau macht Ihre Firma?
Wir nutzen Künstliche Intelligenz, um die medizinische Diagnostik präziser zu machen, und wollen Patient:innen so einen besseren Zugang zu individualisierter Therapie ermöglichen. Konkret analysiert unsere KI Bilder von Gewebeproben, erkennt dabei automatisch Krebszellen und Zellen des Immunsystems. Die KI liefert dann feinaufgelöste „Heatmaps“, mit deren Hilfe sich der Pathologe schnell einen Überblick darüber verschaffen kann, was sich im Gewebe abspielt. Das Hauptanwendungsfeld ist die Krebsdiagnostik, es können damit aber auch Gewebeveränderungen durch Autoimmunerkrankungen oder Infektionskrankheiten detailliert ausgewertet werden.
Warum ist der Einsatz von KI in der Pathologie so vielversprechend?
Weil dort sehr große Datenmengen verarbeitet werden müssen. Pathologinnen und Pathologen schauen sich durchs Mikroskop Gewebeschnitte an und beurteilen danach, ob eine Veränderung gutartig oder bösartig ist, ob es sich zum Beispiel um eine Infektion handelt oder um einen degenerativen Prozess. Qualitative Veränderungen können sie dabei sehr gut beurteilen – etwa, wenn irgendwo ein Tumor wächst. Die neue Präzisionsmedizin erfordert es aber zunehmend auch, quantitative Parameter aus dem Gewebe herauszulesen – etwa, wie viele Immunzellen sich im untersuchten Gewebe aufhalten oder wie viele Zellteilungen im Tumor zu beobachten sind.
Was kann Ihre KI besonders gut erkennen?
Ein konkreter Anwendungsfall ist, das Tumormikromilieu – also das Gewebe, das einen Tumor umgibt – mithilfe der KI genau zu charakterisieren und die verschiedenen Immunzelltypen zu zählen, die dort vorkommen. Mithilfe solcher Informationen kann man zum Beispiel vorhersagen, ob ein Patient auf eine Therapie mit sogenannten Checkpointinhibitoren ansprechen wird. Sie spielen in der Immunonkologie eine immer bedeutendere Rolle. Aber auch bisher unbekannte, subtile Veränderungen des Gewebes kann die KI aufspüren: Sie hat das Potenzial, aus Unmengen von Bilddaten Merkmale und Muster herauszufiltern, die ein Mensch nicht unbedingt wahrnehmen würde. Solche Biomarker liefern dann zum Beispiel Indizien, auf welche Therapie eine Patientin ansprechen wird. Dies ist besonders relevant für die Tumormedizin, aber wird in Zukunft wahrscheinlich auch für andere Krankheiten, etwa chronisch entzündliche Darmerkrankungen, an Bedeutung gewinnen. KI-vermittelte Diagnostik kann den Gastroenterolog*innen dabei helfen, Entzündungsreaktionen besser einzuordnen und so informierte Entscheidungen zu treffen, auf welche Weise und wie stark therapiert werden muss.
Name: Aignostics
Standort: Berlin
Gründungsjahr: 2020
Mitarbeitende: 50–60 Festangestellte
Anbindung: Ausgründung aus Berlin Institute of Health (BIH) und Charité – Universitätsmedizin Berlin
Förderung: 2018-20 Förderung über BIH Digital Health Accelerator (finanziert über das BMBF)
Gründende: Prof. Frederick Klauschen, Prof. Klaus-Robert Müller, Dr. Maximilian Alber, Viktor Matyas
Web: www.aignostics.com
Paketbote für's Immunsystem
Als der Berliner Synthesechemiker Robert Wawrzinek 2016 eine neue Stelle in Potsdam antrat, erkannte er das große Potenzial des Systems, an dem dort getüftelt wurde, sofort: Das am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung von Christoph Rademacher entwickelte Molekül ist das erste, das gezielt an Immunzellen andocken kann. Seit 2021 ist Robert Wawrzinek CEO der Ausgründung Cutanos. Das Ziel: Das Immunsystem mithilfe des Moleküls hochspezifisch mit Impfstoffen und anderen Substanzen zu beliefern.
Herr Wawrzinek, der Unternehmensname Cutanos verweist auf das lateinische Wort cutis, Haut. Inwiefern wollen sie Patient:innen ans Leder?
Unser Verfahren konzentriert sich auf die Langerhans-Zellen, die nur in der obersten Hautschicht vorkommen. Sie sind darauf spezialisiert, Viren und Bakterien zu erkennen. Diese Zellen docken an Krankheitserreger an, nehmen sie in sich auf, wandern in die Lymphknoten und präsentieren sie dort anderen Immunzellen. Die lösen daraufhin eine Immunantwort aus, um die Erreger gezielt aus dem Verkehr zu ziehen. Bei Cutanos machen wir uns diesen Mechanismus zunutze: Wir verwenden das in Potsdam entwickelte Molekül, das ausschließlich vom Rezeptor der Langerhans-Zellen erkannt wird. Dieses Molekül können wir an ein Trägermaterial packen, zum Beispiel an Proteine, Liposome – das sind kleine Bläschen aus Fett – oder andere Nanopartikel, die wir mit einer „Lieferung“ befüllen. So liefern wir gezielt Stoffe an das Immunsystem.
Was genau liefern Sie da aus?
Im Prinzip können wir alles an das Immunsystem übergeben, was wir möchten – etwa Oberflächenproteine von Viren oder andere Strukturen, die für bestimmte Krankheitserreger charakteristisch sind. Diese Stoffe werden dann vom Immunsystem genauso behandelt wie Krankheitserreger: Immunzellen reagieren, indem sie von nun an zum Beispiel stets Alarm schlagen, wenn sie eine solche Struktur irgendwo im Körper aufspüren. Mit unserem System wollen wir so Infektionskrankheiten, aber auch Autoimmunerkrankungen ganz gezielt bekämpfen. Eine weitere Möglichkeit: Man könnte Rezeptoren von Tumoren liefern und so das Immunsystem trainieren, Krebszellen, die solche Oberflächenstrukturen aufweisen, gezielt anzugreifen. Das ist aber alles noch Zukunftsmusik.
Und wo spielt die Musik jetzt gerade?
Wir haben unter anderem an Zelllinien und menschlichem Gewebe zeigen können, dass unser System funktioniert. Jetzt sind wir an dem Punkt, wo wir In-vivo-Experimente machen müssen, also Versuchsreihen an Mäusen. Da wir mit dem Verfahren Neuland betreten – es ist das erste Mal, dass ein synthetisches Molekül gezielt an solche Immunzellen andockt –, gibt es noch einige Hindernisse zu überwinden. Ich bin aber überzeugt, dass unser System viel leisten kann. Das spiegelt sich auch darin wider, dass wir schon relativ früh Kooperationen mit großen Pharmapartnern an Land gezogen haben. Aktuell arbeiten wir zum Beispiel mit Pfizer an neuen Immuntherapien.
Name: Cutanos
Standort: Wien
Gründungsjahr: 2021
Mitarbeitende: 8
Anbindung: Ausgründung aus dem Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung Potsdam
Finanzierung: Venture-Capital-Konsortium und Austria Wirtschaftsservice AWS Seedfinancing 800.000 Euro sowie 500.000 € FFG Life Science Programm-Förderung
Gründende: Prof. Christoph Rademacher, Dr. Robert Wawrzinek
Web: cutanos.com
Zaubertrank gegen Tumorzellen
Er will Krebstherapien individuell optimieren und für alle zugänglich machen: Der Molekularbiologe Christian Regenbrecht und sein Team haben am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik und an der Charité ausgeklügelte Verfahren zur Vervielfältigung und Analyse von Tumorgewebe entwickelt. Ihr Unternehmen ASC Oncology – ASC steht für Advanced Standard of Care – hilft Ärzt:innen dabei, die jeweils wirksamste Krebstherapie auszuwählen.
Herr Regenbrecht, Sie empfehlen lebensrettende Medikamente für Krebspatient:innen, die mitunter aber schwere Nebenwirkungen haben. Würden Sie sich als professionellen Giftmischer bezeichnen?
Die Gifte mischen andere. Aber es ist tatsächlich so, dass man – provokant formuliert – mit den meisten Krebstherapien versucht, den Tumor schneller umzubringen als den Patienten. Das sind höchst giftige Substanzen, die die Patienten verabreicht bekommen – aber eben mit der Absicht zu heilen. Bei ASC Oncology haben wir ein Verfahren entwickelt, mit dem sich vorhersagen lässt, welche dieser Medikamente voraussichtlich wirken werden und welche nicht. Ich bin also nicht der Giftmischer, sondern eher Miraculix, der das Rezept für den individuellen „Zaubertrank“ zusammenstellt.
Wie genau verbessert ASC Oncology die Erfolgsquote von Krebstherapien?
Mehr als 50 Prozent aller nach Leitlinie verabreichten Krebstherapien wirken nicht oder nur unzureichend. Um die Trefferquote zu erhöhen, legen wir individuelle 3D-Zellkulturen aus Tumorgewebeproben von Patienten an. Daran testen wir verschiedene Medikamente und Medikamentenkombinationen, unter anderem Immunonkologika: Medikamente, die das Immunsystem „auf den Tumor hetzen“ sollen. Dazu bringen wir Tumorzellen und Immunzellen aus dem Blut der Patienten zusammen und schauen, ob wir die Immunzellen so aktiviert bekommen, dass sie den Tumor angreifen. Ein weiteres Verfahren, das wir mit unserer Methode unterstützen, ist die Tumorvakzinierung – quasi eine Impfung der Körperabwehr. Das Ziel ist, dass sie die Tumorzellen erkennt und gegen sie vorgeht. Wie bei einer „normalen“ Impfung wird dazu das Immunsystem mit Oberflächenstrukturen, sogenannten Antigenen, trainiert. Anhand der Zellkulturen lernen wir die individuellen Stärken und Schwächen des Tumors kennen und können so gezielt Therapievorschläge machen.
Wem steht Ihr Verfahren zur Verfügung?
Noch wird unsere Dienstleistung nur in Einzelfällen und auf Antrag von den Krankenkassen bezahlt. Um dem zu begegnen, haben wir den Verein Cancer Rebels mitgegründet, denn Diagnostik und Therapie sollten keine Frage des Geldbeutels sein.
Name: ASC Oncology
Standort: Campus Berlin-Buch
Gründungsjahr: 2019
Mitarbeitende: 18
Anbindung: Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie, gefördert durch das BMBF sowie gemeinsame Projekte u. a. mit der Charité-Universitätsmedizin Berlin, dem Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), der Universitätsmedizin Göttingen, den Helios-Kliniken, dem Kantonsspital Baselland sowie dem King’s College London
Förderung: 4 Millionen Euro vom BMBF und 1,3 Millionen Euro von der EU
Gründende: Dr. Christian Regenbrecht, Quirin Graf Adelmann
Web: www.asc-oncology.com
Stand: Dezember 2022