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Dem Erbgut der Herpesviren auf der Spur

Die Corona-Pandemie rückt die virologische Forschung insgesamt in den Blickpunkt. Einstein International Postdoctoral Fellow Amr Aswad untersucht das Erbmaterial des humanen Herpesvirus, um dessen Entwicklung über die Jahrtausende hinweg nachzuvollziehen. Zwar unterscheiden sich Herpes- und Coronaviren wie Tag und Nacht. Doch je mehr wir über die Evolutionsgeschichte verschiedener Virenfamilien wissen, desto besser verstehen wir das heutige Ökosystem und können uns auf künftige Infektionsausbrüche vorbereiten.

 

Der in Oxford ausgebildete Bioinformatiker Amr Aswad forscht seit 2018 als Einstein International Postdoctoral Fellow am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin. Sein Labor hatte kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie neues Equipment bestellt, um DNA-Proben zu analysieren; nun steht die Hardware ungenutzt im Labor. Das Team hofft, den Leasing-Vertrag mit dem Hersteller einfrieren oder verlängern zu können. Aswad nutzt die Zeit, um die Veröffentlichung seiner ersten Berliner Forschungsergebnisse in einem biologischen Journal vorzubereiten.

Paleovirologie heißt das Feld, auf das Aswad spezialisiert ist – die Familie der Herpesviren ist immerhin etwa 400 Millionen Jahre alt. So gut wie jeder Mensch und jedes Säugetier trägt eine bestimmte Art des Virus in sich. Es gibt allein neun verschiedene menschliche Herpesvirusarten. Wie der Coronavirus ist Herpes eine zoonotische Infektionskrankheit: Es kann vom Tier auf den Menschen übergehen und umgekehrt. Aswad versucht anhand von DNA-Sequenzen, die er über seinen Computerbildschirm laufen lässt, die Evolutionsgeschichte dieses Virus zu rekonstruieren. Durch das Studium des Erbmaterials lässt sich nachvollziehen, wie es in den Organismus gelangte und sich ihm über Jahrtausende hinweg angepasst hat.

Verborgenes Wissen in „Daten-Resten“

Die vorübergehenden Laborschließungen sieht er auch als Chance. „Es gibt bereits etliche Erbmaterial-Daten aus früheren Experimenten, die oft ungenutzt bleiben“, meint Aswad. Wenn die DNA-Sequenzen erst einmal auf einem öffentlichen Server gespeichert sind, lassen sie sich auch im Home Office analysieren. „Für meinen PhD habe ich nur mit solchen Datenresten, die im Internet verfügbar sind, gearbeitet“, erzählt er, „unter anderem konnte ich auf diese Weise eine bis dahin unbekannte Fischviren-Familie finden.“ Dass diese Erreger zum Menschen gelangten, sei relativ unwahrscheinlich, doch könnten sie auf andere Tierarten übergehen. Auch könnte dieser Fund der Fischindustrie helfen Krankheiten in der Zucht zu bekämpfen, für die man bisher keine Erklärung hatte.

„Zoonose, also den Austausch von Erregern zwischen Tier und Menschen, wird es immer geben – aufgrund der intensiven Tierzucht und der hohen Bevölkerungsdichte in den Städten“, erklärt der Forscher. Dabei sind die Unterschiede zwischen den Virenfamilien enorm. Das HVV-6-Genom enthält etwa fünf Mal mehr Basenpaare, das heißt DNA-Bausteine, als Coronaviren. Es sei komplexer, betont Aswad, und könne sich besser vor dem Immunsystem „verstecken“. Grundsätzlich gelte, „je mehr wir über die Bedingungen von Zoonose in der Vergangenheit wissen, desto besser können wir auch die heutigen Bedingungen bewerten und uns auf künftige Infektionswellen vorbereiten“. Genau vorhersagen, aus welcher Virenart sich die nächste Epidemie entwickeln wird, könne man dagegen nicht.

Coronaforschung in Zeiten der „Fast Science“

An der aktuellen Corona-Forschung kommt selbst der Paleovirologe nicht ganz vorbei. In die Impfstoff-Forschung zu Covid-19, an der sich sein Institut beteiligt, ist er zwar nicht eingespannt. Gerade wurde er aber von einer virologischen Fachzeitschrift als Gutachter angefragt: Um die plötzliche Flut an Einreichungen zu Covid-19 zu bewältigen, müssen viele Zeitschriften spontan neue Peer-Review-Teams zusammenstellen.

Mit Blick auf den gegenwärtigen medialen Durst nach neuen Erkenntnissen zum Coronavirus hebt Aswad die Bedeutung strenger Peer-Review-Verfahren hervor. Auch in Zeiten der „Fast Science“ sollte ein Artikel von Fachkundigen geprüft werden, bevor er an die Öffentlichkeit gehe. Plattformen wie „bioRxiv“, auf denen unveröffentlichte Artikel unter Forschenden diskutiert werden, sind eigentlich nur als wissenschaftsinterner Austausch gedacht. Da solche „Preprint Server“ aber frei zugänglich sind, besteht das Risiko, dass Journalisten aus schlecht recherchierten Papers Informationen beziehen. „Ich halte das für ziemlich riskant, da manche Thesen dünn belegt oder schlichtweg falsch sind“, meint Aswad.

Vertrauen in die Wissenschaft

Erfreulich sei dagegen, dass im Zuge der Krise das Vertrauen in die Wissenschaft im Allgemeinen wieder zu wachsen scheine. „Vielleicht gehen damit langfristig auch die Verbreitung von Falschnachrichten und die Zustimmung für Populisten wieder zurück“, hofft er. Außerdem ist ihm wichtig, dass in der Gesellschaft ankommt, wie wichtig Grundlagenforschung ist. „Auch die öffentliche Stimmung beeinflusst, ob weiterhin Gelder in den Bereich fließen.“ Man solle nicht ausschließlich auf anwendungsorientierte Forschung, etwa zur Entwicklung bestimmter Arzneimittel setzen, findet er, sondern wie die Einstein Stiftung auch die Grundlagenforschung fördern.

Text: Eva Murasov