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Meeting Einstein: Frank Kelleter

 

Frank Kelleter erforscht die kulturelle Bedeutung serieller Erzählformen. Der renommierte Nordamerikanist hat im Mai 2013 mit Unterstützung der Einstein Stiftung den Lehrstuhl für Nordamerikanische Kultur und Kulturgeschichte am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität übernommen und will in Berlin neue Netzwerke für interdisziplinäre Forschung zu amerikanischer Medienkultur schaffen.
 

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Auf Fernsehserien ist Verlass. Sie erzählen Geschichten so, wie der Mensch sich schon immer Geschichten erzählt hat: in Fortsetzungen. Und sie ermöglichen Rituale, weil sie es zu vereinbarten Zeitpunkten tun. „Serien sorgen ständig für neue Aufregung in regelmäßiger Form und schaffen dadurch ein Grundvertrauen in die kommunikativen Strukturen unserer Gesellschaft“, sagt Frank Kelleter. Der renommierte Nordamerikanist beschäftigt sich mit seriellen Erzählformen – vom Feuilleton-Roman im  19. Jahrhundert bis zu aktuellen Fernsehserien und digitalen Medien – und ihrer Rolle im Selbstverständnis moderner Gesellschaften.

„Serien sind nicht nur Spiegelbilder ihrer jeweiligen Zeit, sondern auch kulturelle Akteure mit eigener Gestaltungskraft“, sagt Kelleter. So geht beispielsweise die Entwicklung von Family-Sitcoms zu Sitcoms im Freundeskreis mit der Zunahme individualisierter Lebensstile seit den achtziger Jahren einher. Andererseits haben Serien laut Kelleter auch eine Rückwirkung auf die Realität. „Die Zunahme bestimmter ‚gelebter’ Freundschaftsbilder hat durchaus etwas mit den Fernsehsendungen zu tun, die angesehen werden.“

"Ich wäre für keinen anderen Ruf fortgegangen"

Kelleter ist im Mai 2013 mit Unterstützung der Einstein Stiftung von Göttingen nach Berlin gekommen. Am John-F.-Kennedy-Institut an der Freien Universität Berlin hat er den Lehrstuhl für Nordamerikanische Kultur und Kulturgeschichte des international angesehenen Nordamerikanisten Winfried Fluck übernommen. „Die Nachfolge ehrt mich sehr und ich empfinde es als große Anerkennung, dass die Freie Universität sich bei der Einstein Stiftung für mich eingesetzt hat“, sagt Kelleter. Das Kennedy-Institut schätzt er vor allem aufgrund der konsequent interdisziplinären Ausrichtung, die es europaweit einzigartig macht: Soziologen, Historiker, Politik-, Literatur-, Kultur- und Wirtschaftswissenschaftler forschen und lehren hier unter einem Dach und sind international hervorragend vernetzt. Das Institut gilt als Knotenpunkt des transatlantischen Dialogs und hat die europaweit am besten ausgestattete Bibliothek zu USA und Kanada. „Ich wäre für keinen anderen Ruf aus Göttingen fortgegangen“, sagt Kelleter.

Neben seinen Studien zu Serialität und zeitgenössischer Populärkultur beschäftigt sich Kelleter vor allem mit der amerikanischen Kulturgeschichte. Seine Habilitationsschrift, ein internationales Standardwerk zur amerikanischen Aufklärung, untersucht die kommunikativen Praktiken, die eine amerikanische Nation möglich gemacht haben – vor allem die Rolle der Medien für die Schaffung von Gemeinschaftsgefühl auf einem geographisch so weiten Raum. Diese mediale Genesis der amerikanischen Nation fasziniert ihn bis heute. „Die nordamerikanische Kultur ist stärker noch als andere Kulturen eine erfundene. Vielleicht spielen deshalb Erfindungen, auch im Sinn von Fiktionen, eine so große Rolle, als Versuche, die eigene Existenz immer wieder unter Beweis zu stellen.“

Viele Kooperationen sind möglich

An der Universität Göttingen hat Kelleter 2010 die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützte Forschergruppe „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ gegründet, an der unter anderem auch Medienwissenschaftler, Ethnologen und Literaturwissenschaftler beteiligt sind. Ihr inhaltlicher Fokus lag bisher vor allem auf gegenwärtiger Medienkultur und theoretischen Fragestellungen seriellen Erzählens, etwa dem Verhältnis von Produzenten und Rezipienten.

In der zweiten Phase des DFG-Projekts ab Oktober 2013 wird sich die Arbeitsgruppe in Hannover, Göttingen und Berlin nun mit den historischen Grundlagen seriellen Erzählens im 19. und frühen 20. Jahrhundert in den USA und Deutschland befassen. Teilprojekte widmen sich neueren Formen wie Reality-TV oder digitalen Spielen. Kelleter übernimmt die Leitung eines Projekts zur Serialität des zeitgenössischen amerikanischen Kinos, das von Fernsehserien zunehmend beeinflusst wird. Mit den Mitteln der Einstein Stiftung unterstützt er zudem ein Promotionsprojekt, das die bisher wenig untersuchten Form der Fan-Fiction erkundet, also das Phänomen, dass Fans ihre Lieblingsserien selbst fortschreiben und alternative Handlungsstränge entwickeln.

Für die Zeit in Berlin hofft Kelleter auf Kooperationen mit nordamerikanischen Wissenschaftlern, die etwa durch die Förderung des Wissenschaftskollegs oder der American Academy nach Berlin kommen könnten. „Die Herausforderung in Berlin wird eher sein, sich bei all den Möglichkeiten nicht zu verzetteln.“

Text und Video: Mirco Lomoth