Sensoren, Daten und computergestützte Modelle helfen, Wasserkreisläufe besser zu verstehen und zu managen. In Berlin entstehen digitale Tools, die Infrastrukturen zukunftsfähig und die Stadt lebenswerter machen sollen
Text: Nora Lessing
Dürre in Brandenburg, überlaufende Abwasserkanäle in Berlin, sinkende Pegel: Die Folgen von Extremwetterereignissen und Änderungen des Wasserhaushalts machen Stadtplaner:innen und Infrastrukturbetreibenden zu schaffen. Trotzdem muss jederzeit ausreichend frisches Wasser zur Verfügung stehen, dürfen Leitungen nicht Leck schlagen und soll möglichst kein Abwasser in Gewässer gelangen.
Digitale Lösungen können helfen, diese Aufgaben effizienter zu meistern als bisher. Sogenannte Smart-Water-Netzwerke verbinden die träge physische Infrastruktur mit einer agilen Erfassung und Verarbeitung von Daten. „Mithilfe von Sensoren und Datenbanken lässt sich detailliertes Wissen darüber gewinnen, was zum Beispiel in Rohren, an Pumpen und Ventilen vor sich geht“, erklärt der Hydroinformatiker Andrea Cominola von der Technischen Universität (TU) Berlin. „Damit lassen sich Prognosen erstellen und Handlungsempfehlungen ableiten.“ Seit 2018 entwirft der Professor gemeinsam mit seinem Team am Einstein Center Digital Future (ECDF) Smart-Water-Netzwerk-Lösungen, um das Wassermanagement fit zu machen für die Zukunft. „Weltweit gibt es eine Vielzahl von Problemen, bei denen uns datenbasierte Ansätze helfen können“, erklärt Cominola. So entwarf sein Team etwa einen Algorithmus, der Daten von druckempfindlichen Sensoren verarbeitet. „Im Trinkwasser-Verteilungsnetz angebracht, ermöglicht die Analyse der Sensordaten, auftretende Lecks automatisch zu erkennen.“ Dann nämlich sinkt der Wasserdruck. Anders als in Berlin – hier treten glücklicherweise nur wenige Lecks auf – werden Leckagen andernorts vielfach noch mühsam von Expert:innen aufgespürt, die nachts die Straßen abschreiten und auf die Rohre lauschen, Havarien am Klang erkennen. „Das mittels digitaler Tools zu automatisieren ist viel effizienter, spart Zeit, Kosten und Wasser“, so Cominola. Gerade passt sein Team den Algorithmus an reale Gegebenheiten in Trinkwassernetzen an, sorgt so dafür, dass er einsatzfähig wird. Schon bald soll er Versorgungsunternehmen weltweit zur Verfügung stehen – zunächst in Deutschland, später auch im europäischen und außereuropäischen Ausland.
Die digitalen Tools erarbeiten Cominola und sein Team oft gemeinsam mit Versorgern und anderen Institutionen auf der Basis realer Daten. So stellen sie sicher, dass das Entwickelte praxistauglich ist. Im Austausch steht die Forschungsgruppe zum Beispiel mit der Technologiestiftung Berlin, den Berliner Wasserbetrieben (BWB) und dem gemeinnützigen Kompetenzzentrum Wasser Berlin (KWB). Alle drei Projektpartner entwickeln auch selbst digitale Lösungen für wasserbezogene Prozesse.
Um abzuschätzen, wie stark Wassermanagement bislang digitalisiert ist, fragten Cominola und sein Team kürzlich weltweit Infrastrukturbetreibende nach Digitalisierungsstrategien. Was sind Schlüsseltechnologien für die Befragten? Was motiviert sie, in digitale Lösungen zu investieren? Antwort erhielten die Forschenden von 64 Einrichtungen in 28 Ländern. Die Studie unter der Leitung von Doktorand Ivo Daniel wurde kürzlich in der Fachzeitschrift npj Clean Water veröffentlicht. Eine Erkenntnis ist, dass primär wirtschaftliche Überlegungen Maßnahmen vorantreiben – oder auch blockieren. „Zur Förderung der Digitalisierung sollte die Politik also auf Anreize und Rahmenbedingungen setzen, die den Versorgungsunternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil bringen.“ Viele der Befragten gaben an, bereits Digitalisierungsmaßnahmen eingeleitet zu haben – vor allem im Bereich der Trinkwasserversorgung. „Beim Abwassermanagement sind dagegen noch nicht so viele digitale Lösungen im Einsatz.“ Auch die Folgen klimawandelbedingten Hochwassers betrachtet Cominolas Team. Doktorandin Nadja Veigel untersucht derzeit, wie sich solche Ereignisse besser managen lassen. Im Rahmen der Helmholtz Einstein International Berlin Research School in Data Science (HEIBRiDS) wertet sie hierzu Social-Media-Posts aus, die vor, während und nach Flutkatastrophen abgesetzt wurden. „Das gibt uns Einblicke in die Erfahrungen und Einstellungen von Menschen und zeigt, wie sie auf Hochwasser reagieren“, erklärt Cominola. Die Analyse soll helfen, Risikomanagementstrategien anzupassen – etwa durch gezielte Kampagnen, die Bürger:innen für das Thema sensibilisieren. „Wir wollen herausfinden, wie die Menschen proaktiv etwas zum Hochwassermanagement beitragen können – etwa, indem sie auf Risiken aufmerksam gemacht werden und rechtzeitig eine entsprechende Versicherung abschließen.“
Nicht zuletzt aufgrund der guten Forschungsinfrastruktur sei in der Region Berlin-Brandenburg in den letzten Jahren eine Vielzahl digitaler Lösungen erarbeitet worden, freut sich Andrea Cominola. Nun gelte es, diese einsatzfähig zu machen und auf das Stadtgebiet und Umland auszurollen. Die optimale Zukunft des Hydroinformatikers: Smart-Water-Netzwerk-Lösungen, die helfen, Dürreperioden und Wetterextreme vorherzusagen, und konstant und zuverlässig Informationen für besseres Infrastrukturmanagement liefern. „Damit schaffen wir Wissen, das wir brauchen, um unsere Infrastruktur so zu gestalten, dass sie Klimaszenarien und einem veränderten Wasserverbrauch gerecht wird“, sagt Cominola.
Klima-Toolbox: Kompetenzzentrum Wasser Berlin (KWB)
Maßnahmen für ein klimaresilientes Berlin planen und umsetzen: Gleich drei digitale Tools entwickelt Lisa Junghans vom KWB mit Kolleg:innen von den Berliner Wasserbetrieben, der Technologiestiftung sowie dem Land Berlin im Projekt Smart Water. Ein digitales Planungstool soll helfen, Hitzeinseln und Überschwemmungen durch Starkregen zu reduzieren. Und zwar durch den zielgenauen Bau von blau-grünen Infrastrukturen, die die Stadt klimaresilienter machen. „Das umfasst Strukturen wie Dach- und Fassadenbegrünung, Mulden, tiny forests, begrünte Mittelstreifen und Flächen, die als Regenrückhaltebecken und Spielplätze genutzt werden können“, sagt Junghans. Ein zweites Tool informiert über Starkregengefahren und gibt Hinweise zum Schutz vor Überschwemmungen. „So können Bürger:innen und Behörden auf Basis digitaler Daten frühzeitig handeln und Überschwemmungsgefahren mindern, zum Beispiel vorsorgend durch bauliche Maßnahmen oder durch bestimmtes Verhalten im Starkregenereignisfall“, sagt Junghans. Ein drittes Tool zielt auf Wissensvermittlung: Es soll durch Visualisierung für blau-grüne Infrastrukturen begeistern. „Denn wenn Bürger:innen sehen, wie sich durch mehr Grün und Blau Quartiere verschönern lassen, und diese Infrastrukturen zudem vor Hitzebelastung und Überschwemmungsgefahren schützen, schaffen wir mehr Akzeptanz für den nötigen Umbau Berlins.“
Schmutzwasser-Spione: Berliner Wasserbetriebe
Baden verboten! Am Halensee war über längere Zeit an Abkühlung nicht zu denken. Der Grund: Die Berliner Wasserbetriebe hatten Keime ausgemacht. „Es gelangte mit Fäkalien verschmutztes Wasser in den See“, erklärt Regina Gnirss, Leiterin der Forschungsabteilung des Unternehmens. Irgendwo musste hier ein Regenwasserkanal mit einer Schmutzwasserleitung verbunden sein. Um die Quelle zu finden und unschädlich zu machen, übten sich Gnirss und ihr Team in Detektivarbeit: Rund um den See statteten sie die Kanäle mit speziellen Sensoren aus, die Messdaten zur Salzkonzentration ins Auswertungszentrum funkten. „Schmutzwasser enthält viel mehr Salze als Regenwasser“, erklärt die Innovationsingenieurin. Die Messung der Salzkonzentration in den Regenwasserkanälen brachte das Team auf die richtige Spur. Es entwickelte ein Analyseprogramm, das Leitungen und Sensoren auf einer Karte darstellt, Messwerte halbautomatisch verarbeitet und die Salzkonzentration im Wasser visualisiert. Nach und nach gelang es, die Suche einzugrenzen und gezielt weitere Sensoren zu platzieren. „Am Ende konnten wir bis zum Hausanschluss genau sagen, wer unser Übeltäter war. Heute kann man wieder baden im Halensee“, sagt Gnirss. Inzwischen nutzen die Wasserbetriebe im gesamten Stadtgebiet Sensoren und Auswertungsprogramm – immer dann, wenn Schmutzwasser auftaucht, wo es nicht hingehört.
Blick in die Unterwelt: Berliner Wasserbetriebe / KWB
Oben die Straßen, die Häuser, die Parks – und unten eine versteckte Welt. Rund 19.000 Kilometer Kanäle und Wasserrohre kreuzen den Boden unter Berlin. Sie leiten Trinkwasser in die Haushalte, Fabriken und Bürogebäude, führen Mischwasser zum Klärwerk, transportieren Regenwasser in die Flüsse. Das Labyrinth aus Rohren bleibt den Menschen, die über Tage ihren Geschäften nachgehen, jedoch zumeist verborgen. „Die 650 Berliner Brunnen zum Beispiel liegen in 60 bis 120 Meter Tiefe“, sagt Alexander Sperlich von den Berliner Wasserbetrieben. Von oben sieht man nur einen betongerahmten Stahldeckel. „Darunter führt eine Leiter zur sogenannten Brunnenstube.“ Dort lässt sich die Pumpe steuern, die Grundwasser aus der Tiefe fördert. Das Wunderwerk im Untergrund ist nun für alle Berliner:innen sichtbar – durch die kostenlose App „Grundwasser sichtbar machen“. Die Berliner Wasserbetriebe entwickelten sie gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum Wasser Berlin und der Firma Vragments. Wer die App startet und sein Tablet auf den heimischen Wohnzimmerboden richtet, sieht plötzlich sprudelnde Wasserflüsse in den Tiefen des Erdreichs, die Berlin mit Trinkwasser versorgen. Die App erweitert die Realität: Auf dem Parkett fließt das Grundwasser, im Büro liegt ein unterirdischer See mit einem Brunnen. Zu sehen sind auch geologische Schichten und Elemente der Leitungsinfrastruktur. „Rund 3,8 Millionen Menschen werden täglich in Berlin mit diesem Wasser versorgt“, sagt der Ingenieur. „Durch die App hoffen wir ihnen näherzubringen, wie elementar wichtig das Grundwasser für unser Leben hier ist.“
Intelligenter Durstlöscher: Technologiestiftung Berlin
Versiegelte Flächen, Urin, Müll und Hochhäuser, die wie Brenngläser wirken: Berliner Stadtbäume müssen einiges abkönnen. Zusätzlich wirken klimawandelbedingte Hitzewellen und Dürreperioden als Belastungsprobe. So mussten in den letzten zehn Jahren rund 60.000 Stadtbäume gefällt werden. „Insbesondere die sehr trockenen Jahre 2018 und 2022 haben den Bäumen schwer zu schaffen gemacht“, sagt Myrian Rigal von der Technologiestiftung Berlin. Mit dem Projekt QT rees eilen sie und ihre Kolleg:innen den Bäumen zu Hilfe: „Gemeinsam mit der KI-Agentur Birds on Mars und den Grünflächenämtern Mitte und Neukölln haben wir ein KI-gestütztes Vorhersagemodell entwickelt, das über die aktuelle Wasserversorgung jedes Berliner Stadtbaums Auskunft gibt.“ Konkret führte das Konsortium Daten und Messwerte zusammen – etwa zur lokalen Sonneneinstrahlung, zur Bodenfeuchte und zum Alter der Bäume –, berechnete die Verschattung jedes Baums, ließ Wetter- und weitere Daten einfließen und trainierte damit eine KI. Auf einem eigens hierfür entwickelten Dashboard können Mitarbeitende der Berliner Stadtverwaltung nun sehen, wo der Durst am größten ist – und so zielgerichtet und ressourceneffizient Abhilfe schaffen. Zusätzlich entwickelte das Team die Baumblick-App, mit der Berliner:innen den Bewässerungszustand von Bäumen in ihrer Umgebung einsehen, Schäden an Bäumen melden und Hintergrundinformationen erhalten können. „Im Idealfall machen sich Bürger:innen hier schlau und greifen im Bedarfsfall auch selbst zur Gießkanne – das ist besonders relevant im Sommer und bei starker Trockenheit.“
Inspektor Drohne: Berliner Wasserbetriebe
Rund 10.000 Kilometer lang sind Berlins Abwasserkanäle. Sie dürfen nicht verstopfen, undicht werden und schon gar nicht einstürzen – denn dann bricht im schlimmsten Fall die Straße ein, drohen Personenschäden. Um herauszufinden, welche Kanäle gefährdet sind, muss man jedoch hineinsehen. „Wurzeln, Risse, Korrosion – solche Probleme entdecken wir erst im Rahmen von Inspektionen“, erklärt Alexander Ringe von den Berliner Wasserbetrieben. Dafür fahren kleine, mit Kameras ausgestattete Wagen durch ausgepumpte, hierfür außer Betrieb gesetzte Kanäle und machen Aufnahmen. Künftig soll das schneller und effi zienter gehen – mithilfe von Spezialdrohnen. Ein Prototyp wird derzeit im Projekt DIANE entwickelt, gefördert vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV). Interessant ist das nicht nur für Berlin, sondern für Kanalbetreibende im ganzen Land. „Was es bisher am Markt gibt, deckt leider nur einen kleinen Teil von dem ab, was wir uns eigentlich im Kanal wünschen würden“, sagt Andreas Obermayer von der am Projekt beteiligten Firma Unitechnics. Unter anderem müsse die Inspektionsdrohne extrem klein sein und autonom fliegen können. Zudem dürfe sie – in Abwasserkanälen können sich Gase bilden – keine Explosionen auslösen. Lösungen hierfür tüftelt das Projektteam, an dem auch die Universität Würzburg und das Unternehmen Uni-Inspector beteiligt sind, gerade aus. Wenn alles glattgeht, könnten Inspektionsdrohnen in einigen Jahren zum Standard werden. „Unser Ziel ist, dass sie permanent Daten sammeln, die wir mit KI auswerten“, erklärt Alexander Ringe. „So entsteht ein smarter Abwasserkanal, der uns automatisch meldet, wenn es irgendwo ein Problem gibt.“
Stand: März 2024