Vedat Demir, was bedeutet die Einschränkung der Pressefreiheit für den Alltag und die Wissenschaft?
Freiheit ist für eine Gesellschaft so wichtig wie Luft und Wasser. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein wesentliches Menschenrecht, das die Grundlage für eine offene Regierung und eine gut informierte Gesellschaft durch öffentliche Debatten sowie freie und unabhängige Medien bildet. Daher sind die Gewährleistung der freien Meinungsäußerung und die Existenz freier, unabhängiger und vielfältiger Medien von elementarer Bedeutung für jede gesunde und starke Demokratie. Ebenso ist die wissenschaftliche und akademische Freiheit als Teil der Meinungsfreiheit von großer Bedeutung für Gesellschaften. Die Wissenschaft kann sich nur in einem freien Umfeld entwickeln und dem öffentlichen Interesse dienen.
Die Pressefreiheit ist ein Recht, das Journalist:innen gewährt wird, um der Öffentlichkeit den Zugang zu korrekten Nachrichten und Informationen zu ermöglichen. Die Medien sind ein Schlüsselinstrument für die Bildung einer gesunden öffentlichen Meinung. In einer freien und pluralistischen Medienordnung kann die Gesellschaft auf alle Arten von Meinungen zugreifen und bei Wahlen entsprechend abstimmen. Die Medien dienen auch als Kontrollmechanismus, der die Regierenden mit seinen Nachrichten und Kommentaren überwacht und sie dazu zwingt, die Steuergelder der Bürger:innen sorgfältiger auszugeben und transparenter, ehrlicher und gerechter zu sein. Aus diesem Grund werden die Medien in Demokratien als vierte Macht nach der Legislative, der Exekutive und der Judikative angesehen.
Die Welt ist Zeugin des Aufstiegs einer populistischen Welle. Populistische Politiker:innen treten als Wortführer:innen der Nation auf und behaupten, deren Interessen zu schützen. Um eine möglichst breite gesellschaftliche Unterstützung zu gewinnen, benutzen sie die Hassrede, um andere Teile der Gesellschaft an den Rand zu drängen, und präsentieren sich als Retter gegen diese vermeintlichen Feinde. Wenn Politiker:innen nicht kontrolliert und gezügelt werden, besteht die Gefahr, dass sie irgendwann autoritär und korrupt werden. Die ersten Gruppen, auf die es diese Führer abgesehen haben, sind in der Regel Journalist:innen und Akademiker:innen, weil sie in Übereinstimmung mit ihren existenziellen Zielen alles in Frage stellen und kritisieren und stets versuchen, die Realität und die Wahrheit aufzudecken. Politiker:innen mögen es sehr wahrscheinlich nicht, wenn man ihnen gegenüber die Wahrheit sagt und sie kritisiert, weil sie glauben, dass es sie Stimmen kostet und ihre Macht untergräbt.
In meinem Land, der Türkei, habe ich persönlich erlebt, wie die Medien und die Wissenschaft nach und nach zum Schweigen gebracht wurden, weil die Menschen nicht protestierten, weil es nicht gegen ihre eigene Gruppe gerichtet war. Schließlich hat sich ein Land von einer blühenden Demokratie zu einem autoritären Regime entwickelt, weil die Menschen geschwiegen haben.
Die Pressefreiheit ist Teil der Gedanken- und Meinungsfreiheit. Unabhängig vom Grund muss die freie Nutzung aller Formen der Meinungsäußerung, die keine Gewalt und Hassrede beinhalten, selbst von den unbeliebtesten Personen oder Gruppen verteidigt werden. Die Menschen sollen entscheiden, was "richtig" und was "falsch" ist, nicht Politiker:innen oder Bürokrat:innen, sondern der freie Wettbewerb der Ideen. Das kleinste Zugeständnis bei der freien Meinungsäußerung wird zu Zugeständnissen bei anderen Freiheiten führen, was letztlich zu einer monolithischeren – oder völlig schweigenden – Gesellschaft führt. Alles beginnt mit einem kleinen Kompromiss bei den Freiheiten. Die schmerzlichen Ereignisse in Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führen uns diese Wahrheit eindringlich vor Augen.
Text: Vedat Demir, April 2024