Adrien Semin ist Fachmann für die Simulation der elektromagnetischen oder akustischen Wellenausbreitung in dünnen Schichten und Kapillaren. Der französische Mathematiker kam als Postdoktorand auf Einladung von Dr. Kersten Schmidt an die Technischen Universität Berlin. Dessen Arbeitsgruppe versucht, partielle Differentialgleichungen zu vereinfachen, auf denen viele Computermodelle in den Naturwissenschaften beruhen. Adrien Semin hat bisher in Paris und auf Kreta geforscht und dort unter anderem Schallwellen in fraktalen Strukturen studiert.
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»Wenn sich die Natur auf eine Formel bringen ließe, gäbe es keine Überraschungen mehr«
Warum brauchen wir mathematische Modelle für die Beschreibung von Naturphänomenen?
Modelle und Simulationen sind weniger zeitaufwendig und kostenintensiv als empirische Experimente. Manchmal ist es auch gar nicht möglich, Experimente durchzuführen. So wäre es etwa bei der Untersuchung der Aerodynamik eines Flugzeugs extrem schwierig, die Luftströme während des Fluges zu beobachten und zu messen. Ähnliches gilt auch für die akustische Wellenausbreitung in Flüssigkeiten, die ich mit einer Navier-Stokes-Gleichung zu modellieren versuche. Ich will verstehen, wie die Wellenausbreitung auf unterschiedlichen Längenskalen zustande kommt. Ein Beispiel: In einer Turbinenkammer von einem Meter Länge und mit Löchern von einem Millimeter Durchmesser kommt es in der Nähe der Löcher zu kleinen Verwirbelungen. Es ist aber nicht so, dass diese bei größeren Löchern gleichmäßig zunehmen. Wir wollen mathematische Modelle entwickeln, die für beide Größenordnungen passen.
Macht es für die Simulation einen Unterschied, um welchen Typus von Welle es sich handelt?
Aus der Sicht eines Mathematikers spielt es keine Rolle, ob er Wasser-, Schall- oder Lichtwellen untersucht. Auch wenn sich diese verschiedenen Wellenarten in ihren theoretischen Modellen, in ihrer Geometrie und in unserer Wahrnehmung voneinander unterscheiden, die Mathematik dahinter ist immer die gleiche. Dementsprechend gleichen sich auch die Methoden für die Modellentwicklung mehr oder weniger.
Wie nah kommen Modelle der Realität?
Nicht sonderlich nah, glaube ich. Um ein komplexes physikalisches Phänomen wie fließendes Wasser in einem Turbinenraum zu untersuchen, müssen wir es in eine Reihe unterschiedlicher mathematischer Probleme unterteilen. Wir fangen mit vereinfachten Gleichungen an, bei denen nur einige Parameter berücksichtigt werden, etwa die Größe des Turbinenraums. Es ist mathematisch unmöglich, ein vollständiges Modell zu entwickeln, in das alle denkbaren Parameter eines gegebenen Problems eingehen. Unsere Modelle können also nicht mehr sein als Annäherungen. Das ist unproblematisch, solange wir sie auch nur auf die berücksichtigten Parameter anwenden. Problematisch wird es allerdings dann, wenn wir versuchen, sie auf andere Parameter zu übertragen. Die Realität ist viel zu komplex, als dass sie sich auf mathematische Formeln reduzieren ließe. Das ist nicht unbedingt bedauerlich. Denn wenn die Natur sich auf eine Formel bringen ließe, gäbe es auch keine Überraschungen mehr. Und mein Leben als Wissenschaftler wäre ziemlich langweilig.
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