Raymond Dolan ist Professor für Neuropsychiatrie am University College London und leitet das Wellcome Trust Centre for Neuroimaging. Dort erforscht er, wie Gefühle die Entscheidungen von gesunden und psychisch kranken Menschen beeinflussen. Unter anderem will er herausfinden, wie Neurotransmitter Denkprozesse beeinflussen.
»Wie kommt das Gehirn zu Entscheidungen?«
Wie viel wissen wir eigentlich über das Gehirn?
Die Neurowissenschaft als Disziplin ist erst vor 150 Jahren entstanden, übrigens maßgeblich hier in Berlin mit Hermann von Helmholtz. Seither hat sich viel getan. Wir haben heute eine ziemlich genaue Vorstellung von der Komplexität des Gehirns, das aus ungefähr 100 Milliarden Nervenzellen besteht. Jede einzelne davon ist mit bis zu 10.000 anderen verbunden. Wir wissen auch recht gut über seinen Energieverbrauch Bescheid und können inzwischen genau kartieren, wo Funktionen wie Sehen, Hören und Schmecken angesiedelt sind.
Trotzdem sind wir von Unwissenheit umgeben. Die größte Frage, vor der wir im Augenblick stehen: Wie sieht der mathematische Algorithmus für die Informationsweitergabe und -verarbeitung im Gehirn aus? Das Schlagwort dafür lautet „neuronaler Code“. Die Entschlüsselung dieses Algorithmus wäre so bedeutend, wie es die Entschlüsselung des genetischen Codes war.
Welche Funktionen des Gehirns erforschen Sie?
Ich beschäftige mich mit der Frage, wie Menschen sich entscheiden. Da ist die Vorstellung naheliegend, es gäbe eine zentrale Instanz im Gehirn, die alle Entscheidungen trifft – quasi einen obersten Chef im Unternehmen. Aber es hat sich herausgestellt, dass Entscheidungsfindung dezentral verläuft, unter Beteiligung verschiedener Gehirnzentren. In der Regel kooperieren sie, um in jeder Situation die beste Lösung zu finden. Manchmal kommen sie sich allerdings ins Gehege. Das ist eine mögliche Erklärung für Krankheiten wie Zwangsstörungen. Uns interessiert vor allem, wie das Gleichgewicht zwischen diesen verschiedenen Entscheidungssystemen zustande kommt. Auf welchen Gehirnfunktionen und neurochemischen Prozessen beruht es? Für die Untersuchung setzen wir auf bild- gebende Verfahren wie die funktionelle Kernspintomografie, mit der wir dem Gehirn beim Lesen, Denken, Erinnern „zuschauen“ können.
Verändert Ihre Forschung auch die Psychiatrie?
Die Neuropsychiatrie und die Neurologie gehen nun schon seit mehr als 100 Jahren getrennte Wege. Heute lassen sich die wichtigsten psychiatrischen Probleme allerdings nur verstehen, wenn man auch die jüngsten neurowissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt. In den letzten 25 Jahren habe ich schwerpunktmäßig in der Neurowissenschaft geforscht, aber begonnen habe ich meine wissenschaftliche Laufbahn in der Neuropsychiatrie. Jetzt möchte ich den Kreis schließen und mein Wissen nutzen, um die Ursachen für psychiatrische Störungen zu ergründen, aus denen für die Menschen so viel Unglück und Leid erwächst.
Video: Mirco Lomoth
Diese Seite wird nach dem Ende der Förderung nicht weiter aktualisiert.
Folgen Sie uns