Susan Merrill Squier

Susan Merrill Squier, Professorin für Gender Studies und Anglistik, ist international bekannt für ihre Studien im Grenzbereich von Literatur, Medizin und Wissenschaftsgeschichte. Von der Pennsylvania State University ist sie für das Einstein Visiting Fellowship an die Friedrich Schlegel Graduiertenschule, einem strukturierten Doktorandenprogramm für literaturwissenschaftliche Studien an der Freien Universität gegangen. Hier forscht und lehrt Squier zu „Graphic Medicine und literarischen Pathografien“ – Comics und literarische Narrative zu Krankheitserfahrungen.


»Was es bedeutet, Mensch zu sein«

Worum geht es in Ihrem Projekt? 

Im Projekt PathoGraphics, das drei Jahre gefördert wird, erforschen wir künstlerische Werke, die Erfahrungen von Krankheit, Behinderung und medizinischer Versorgung erzählen, also literarische Texte (Pathografien) und Comics (Graphic medicine). Beide Kunstformen geben uns Einblicke in individuelle Umgangsweisen mit Krankheit, Heilung oder Tod aus Sicht von Patientinnen und Patienten, ihren Angehörigen und von in Medizin und Pflege Tätigen. Damit thematisieren diese Geschichten, was es bedeutet, in unserem Zeitalter des wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritts Mensch zu sein.

 

Welche Fragen versuchen Sie zu beantworten?

Unsere Forschungsgruppe ist interdisziplinär zusammengesetzt und nähert sich dem Thema aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, die unter anderem aus den Literaturwissenschaften, den Comic Studies und Gender Studies sowie der Medizingeschichte, Bildwissenschaft und Wissenschaftsgeschichte stammen. Einige der Fragen, die uns beschäftigen, sind: Wie interagieren die Räume der Klinik, des Privatlebens und der Öffentlichkeit in diesen Narrativen von Krankheit und Behinderung? Welche Stimmen kommen zu Gehör, welche bleiben ungehört? Mit welchen narrativen und visuellen Strategien werden Krankheitserfahrungen dargestellt, und wie werden sie für die Leserschaft nachvollziehbar gemacht? Auf welche ästhetischen oder wissenschaftlichen Traditionen greifen die literarischen und grafischen Erzählungen zurück? Welches Medium eignet sich besonders gut für welche Inhalte, etwa für die Vermittlung medizinischer Informationen, Einblicke in das innere Erleben von Betroffenen oder gesellschaftspolitische Reflexionen? Welche Erkenntnisse und neuen Fragen ergeben sich durch die Zusammenarbeit von Künstlern, Geisteswissenschaftlern, Medizinern und Studierenden, die sich mit ganz unterschiedlichen Medien und Genres von Krankheitserzählungen beschäftigen?

 

Was zeichnet ein Einstein Fellowship aus?

Einer der großen Vorteile des Einstein Fellowships ist, dass ich regelmäßig für längere Zeit in Berlin mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Disziplinen in einer Forschungsgruppe zusammenarbeiten kann. Andererseits muss ich zugeben, dass genau das auch eine ziemliche Herausforderung ist, denn es ist nicht einfach, im Laufe eines akademischen Jahres gleich drei längere Auslandsaufenthalte unterzubringen.

 

Welche Perspektiven eröffnet es Ihrer Meinung nach?

Es gibt mir zunächst die Möglichkeit einer langfristigen Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Irmela Krüger-Fürhoff von der Freien Universität Berlin. Wir beide arbeiten an ähnlichen Themen, allerdings mit einem germanistischen bzw. anglistischen Schwerpunkt, und können insofern viel voneinander lernen. Die Postdoktorandin Nina Schmidt sowie die Doktorandin und Künstlerin Stef Lenk vervollständigen das Team, sodass sich eine fruchtbare Ergänzung von unterschiedlichen Schwerpunkten und Perspektiven ergibt, die neue Erkenntnisse ermöglicht. Das Berliner Kulturleben bietet außerdem Kontakte zu Künstlern und Intellektuellen, die wir in unsere Arbeit einbeziehen können. Auf den Konferenzen und Seminaren, die wir bisher veranstaltet haben, sind wir mit Doktorandinnen und Doktoranden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland, verschiedenen europäischen Ländern und Nordamerika ins Gespräch gekommen, woraus sich bereits vielversprechende Kontakte ergeben haben. Durch unsere Ausstellung von Comics im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité im Oktober 2017 und eine internationale Konferenz im Herbst wird die Zahl möglicher Kooperationen exponentiell wachsen, da- von gehe ich schon jetzt fest aus.

 

Welche Rolle spielt Berlin als Wissenschaftsstandort?

Berlin mit seinem vielfältigen kulturellen Angebot, den zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen und einer interessierten Öffentlichkeit bietet wirklich exzellente Bedingungen für Wissenschaft und Forschung. Auch die renommierten Wissenschaftsförderungs- und Exzellenzprogramme tragen dazu bei, dass es hier hervorragende Voraussetzungen für einen Brückenschlag zwischen Kunst und Wissenschaft gibt. 

 

(September 2017)