Wendelin Werner

Er erhielt 2006 den "Nobelpreis der Mathematik": Als erster Wahrscheinlichkeitstheoretiker wurde Wendelin Werner 2006 mit der Fields-Medaille ausgezeichnet. Die Forschung des Mathematikprofessors von der ETH Zürich ist an der Grenze zwischen Mathematik und statistischer Physik angesiedelt. So beschäftigt er sich beispielweise mit der mathematischen Beschreibung von Zufallsbewegungen.

 


»Die mathematische Welt ist menschlich reich«

Mathematikern geht es oft darum, eine emotionale Welt aus der Kindheit in der Mathematik wiederzufinden. Bei mir sind das Emotionen, die geweckt wurden, als ich mit meinem Bruder und meinem Vater abends im Garten die Sterne angeschaut habe. Damals fand ich faszinierend, dass es von der Betrachtungsebene abhängt, ob Sterne klein oder groß sind, und dass alles, was man sieht, vor sehr langer Zeit geschehen ist. Das hat bei mir einen Rausch ausgelöst, solche Fragen intellektuell zu beherrschen. Ich denke, das ist bis heute eine Hauptmotivation für meine Arbeit.

Eine Sache, die mich interessiert, ist die Beziehung zwischen Zufall und Kontinuum. Intuitiv verstehen wir, dass Zeit und Raum ein Kontinuum bilden. Grob gesagt erforsche ich, wie Zufall in einem Kontinuum von Zufall zerstreut und wieder aufgesammelt werden kann. Diese Frage stellt sich zum Beispiel bei Phasenübergängen in der Physik. Wenn ein Wasserglas null Grad hat, kann darin Wasser oder Eis sein.Doch wie genau entscheidet sich der Zustand „Wasser“ oder „Eis“ an den verschiedenen Stellen? Welche mikroskopische Entscheide lösen die makroskopischen Entscheide aus?

Ich kann meine Forschungsthemen auf diese Weise grob schildern, aber im Grunde ist das Demagogie. Es gibt vielleicht 30 Leute weltweit, die wirklich im Detail verstehen, was ich gerade tue. Ich empfinde das als eher angenehm, unter anderem weil viele dieser Kollegen tolle Menschen sind. Die Welt von Mathematikern ist menschlich sehr reich. Gleichzeitig ist es eine besonders abstrakte Welt, in die man sich zurückziehen und in der man sich sicher fühlen kann. Als Wahrscheinlichkeitstheoretiker werden mir oft pseudophilosophische Fragen gestellt – existiert Zufall? Was bedeutet Zufall? Ist unsere Welt deterministisch vorgeprägt? Aber eine der schönen Sachen ist, dass man solche Fragen in der Mathematik nicht beantworten muss und nicht einmal beantworten sollte. Man arbeitet ohnehin innerhalb der abstrakten mathematischen Welt. Genauso, wie man nicht zu wissen braucht, ob bestimmte Geometrien in der realen Welt existieren, wenn man mit ihnen arbeitet. In der abstrakten mathematischen Welt kann man ja zum Beispiel auch Eigenschaften von siebendimensionalen Räumen beweisen, selbst wenn wir solche Räume ja nie mit unseren Augen sehen können.

Ich denke eher nicht, dass meine Forschung in 20 oder 50 Jahren direkte Anwendungen im Alltag haben wird. Das ist auch gar nicht mein Ziel. Wie die meisten reinen Mathematiker ziehe ich meine Motivation eher daraus, eine schöne mathematische Struktur oder Theorie mit schönen Beweisen zu bilden.

Interview: Mirco Lomoth
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