Jan Mendling
Wie erklären Sie Ihr Forschungsprojekt Fachfremden?
Ich beschäftige mich mit der Analyse, Verbesserung und Unterstützung von Geschäftsprozessen. Typischerweise sag ich dann als erstes: „Prozesse sind überall.“ Diesen Text zu lesen ist ein Prozess, die Auswahl von Personen auf eine Einstein-Professur ebenfalls und noch vieles mehr. Und bei diesen beiden Beispielen sieht man bereits einen wesentlichen Unterschied. Ich kann den Text alleine lesen, aber der Auswahlprozess bezieht eine Vielzahl von Beteiligten ein. Wir sprechen von Geschäftsprozessen, wenn ein Prozess arbeitsteilig und auf ein Ziel einer Organisation gerichtet ausgeführt wird. Dabei sind wir mit einem Bein in den Wirtschaftswissenschaften und dem anderen in der Informatik. In der Informatik interessieren wir uns für die Möglichkeiten, Geschäftsprozesse mithilfe von Informationssystemen zu analysieren, zu verbessern und zu unterstützen. Die Herausforderung liegt darin, sowohl technische als auch organisationale Aspekte in die Betrachtung einzubeziehen.
Wenn Ihre Forschung eine Skulptur oder ein Gemälde wäre, wie sähe es aus?
Meine Forschung würde weniger auf das Kunstwerk an sich schauen, sondern vielmehr auf dessen Entstehungs- und Verwendungsprozess. Ein Kunstwerk ist ja nicht plötzlich da: es entsteht, nicht immer nur aus der Hand einer Person, sondern auch durch die Zusammenarbeit vieler. Die Verhüllung des Reichstags durch das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude ist dafür ein gutes Beispiel. Allein 90 Kletterer haben mitgearbeitet, um 100.000 m2 Stoff und 15 km Seil anzubringen. Wie bekommt man einen so komplexen Prozess gut organisiert, wie können Informationssysteme dabei helfen? Kunstwerke werden bei unserer Forschung allerdings seltener betrachtet. Es bieten sich insbesondere dann vielfältige Möglichkeiten der Prozessunterstützung, wenn es um wiederkehrende Leistungen und vordefinierte Produkte geht.
Stichwort Wissenschaftskommunikation: Welche Forschungsthemen verdienen Ihrer Meinung nach mehr (mediale) Aufmerksamkeit?
Das Thema Digitalisierung wird medial zu oberflächlich diskutiert und Entscheidungsträger verstehen es oft falsch. Es geht dabei nicht um „mehr“, sondern um „besser.“ Besser geht nur dann, wenn man Hürden aus dem Weg räumt sowie Abläufe vereinfacht und integriert. Nehmen wir einmal als Beispiel die öffentliche Verwaltung. Die ist nach dem Prinzip der Resorthoheit organisiert. Für mich als Bürger bedeutet das in etwa das gleiche, als wenn ich als Käufer eines Autos das Chassis bei Volkswagen kaufe, die Elektronik bei Bosch bestelle, die Reifen bei Continential, usw., und mir das alles selber zusammenbauen muss. Genauso laufe ich als Bürger oft noch von Amt zu Amt, von Resort zu Resort, um mir die erforderlichen Stempel abzuholen. Mit der simplen Bereitstellung von mehr Budget ist es nicht getan. Man muss Verantwortlichkeiten für Prozesse definieren und den Informationsfluss durchgängig organisieren. Anstatt komplizierte Prozesse in Informationssystemen abzubilden, muss man diese erst einmal grundlegend vereinfachen. In Unternehmen braucht es dafür die Geschäftsführung, in der Verwaltung den Gesetzgeber.
Stellen Sie sich vor, Sie steigen in eine Zeitmaschine und reisen 100 Jahre in die Zukunft. Wie wird sich Ihre Disziplin entwickelt haben?
Danke für die Frage: ich werde wohl nicht mehr erleben, wie falsch ich lag. Ich denke, wir werden viel weniger mit Text und viel mehr mit Bildern und gesprochener Sprache arbeiten, um Geschäftsprozesse zu organisieren und zu koordinieren. Das ist eine große Herausforderung für die Informatik. Wir müssen diese Arten von Daten genauso gut verarbeiten, wie wir es heute für strukturierte Daten können. Es ist aber auch eine große Chance, viele Prozesse noch schlanker und noch angenehmer zu unterstützen.
Welchen Ratschlag geben Sie Studierenden und dem wissenschaftlichen Nachwuchs gerne mit auf den Weg?
Vieles ist harte Arbeit, es gibt keine geheimen Tricks oder Schleichwege. Man sollte in der Wissenschaft arbeiten, weil es einem Spaß macht und es einem um die Sache geht.
Mai 2021