Einstein-Fragebogen

Marcel Brass

 

Wie erklären Sie Ihr Forschungsprojekt Fachfremden?

Ein Schwerpunkt meiner Forschung beschäftigt sich mit der Frage wie wir erfolgreich mit unserer sozialen Umwelt interagieren können. Hierbei geht es um die generellen Mechanismen, die unserem Sozialverhalten zu Grunde liegen. Solche allgemeinen Mechanismen umfassen beispielsweise unsere Fähigkeit zu erschließen, was anderen Menschen gerade durch den Kopf geht. Auch geht es darum, wie wir unser Verhalten mit anderen abstimmen, wenn wir gemeinsam Aufgaben lösen. Schließlich beschäftige ich mich auch mit der Frage, wie sich Menschen in Gruppen verhalten. Wieso passen wir unser Verhalten an das Verhalten der Gruppe an? Um diese Fragen zu untersuchen, führe ich psychologische Experimente durch und untersuche sowohl das Verhalten der Versuchspersonen als auch was in ihrem Gehirn vorgeht, wenn sie an den Experimenten teilnehmen.

 

Wenn Ihre Forschung ein Kunstobjekt wäre, wie sähe es aus?

Es wäre wahrscheinlich eine abstrakte Skulptur. Für mich wäre weniger entscheidend wie sie aussieht sondern vielmehr was sie im Betrachter oder in der Betrachterin auslöst. 

 

Gibt es einen außergewöhnlichen Gegenstand, der Sie in Ihrem Arbeitsleben oder im Alltag begleitet?

Es gibt eine Serie von Collagen, die ein befreundeter Künstler (Paul Schietekat) aus Belgien für mich angefertigt hat und die seit mehr als einem Jahrzehnt in meinem Büro hängen (erst in Gent und nun in Berlin). Es handelt sich dabei um sogenannte ‚Brain Art‘ bei der das Gehirn in einem ungewöhnlichen Kontext dargestellt wird. Das erste Bild dieser Reihe ist der IQ Burger.

 

Stichwort Wissenschaftskommunikation: Welche Forschungsthemen verdienen Ihrer Meinung nach mehr (mediale) Aufmerksamkeit?

Ich denke, dass sich durch die Pandemie gezeigt hat, wie verzerrt das Bild der Wissenschaft in der Öffentlichkeit ist. Die allgemeine Vorstellung scheint zu sein, dass die Wissenschaft unumstößliche Wahrheiten parat hält. Als Wissenschaftler*in weiß man, dass das nur selten der Fall ist. Auch gibt es in der Regel verschiedene Meinungen zu einem Thema. Es wäre daher gut stärker zu vermitteln, dass Wissenschaft ein Prozess ist, der Erkenntnisse durch den Wettbewerb von Meinungen generiert.  

 

Stellen Sie sich vor, Sie steigen in eine Zeitmaschine und reisen 100 Jahre in die Zukunft. Wie wird sich Ihre Disziplin entwickelt haben?

Eine Prognose über einen so langen Zeitraum scheint mir schwer möglich. Ich denke, dass nur eines sicher ist, nämlich dass wir in hundert Jahren eine bessere Vorstellung davon haben werden, wie rudimentär unser Wissen über die Funktion des menschlichen Gehirns momentan ist. Wir haben in den letzten Jahrzehnten sehr große Fortschritte im Verständnis von Hirnfunktionen gemacht. Allerdings befinden wir uns immer noch am Anfang dieser Entwicklung. Technologischer Fortschritt wird es uns sowohl ermöglichen Hirnfunktionen besser zu erfassen als auch komplexe Modelle dieser Funktionen zu erstellen. 

 

Welchen Ratschlag geben Sie Studierenden und jungen Wissenschaftler*innen gerne mit auf den Weg?

Ich versuche den Studierenden und jungen Wissenschaftler*innen, mit denen ich zusammenarbeite, meine Faszination für die Forschung zu vermitteln. In der Wissenschaft zu arbeiten kann ein Privileg sein, da man in sehr hohem Maße selbstverantwortlich und auch kreativ arbeiten kann. Es kann allerdings auch sehr frustrierend sein, da es oft sehr lange dauert bis man die Resultate der eigenen Arbeit sieht. Der beste Antrieb für eine wissenschaftliche Karriere ist daher meiner Meinung nach die intrinsische Motivation zu forschen. Auch gibt es in der Wissenschaft viele verschieden Arten erfolgreich zu sein. Man sollte sich daher nicht mit anderen vergleichen. 

 

Was wären Sie heute, wenn Sie nicht Wissenschaftler geworden wären?

Ich weiß es nicht. Ich glaube, dass in der Berufswahl und Karriereplanung viel vom Zufall abhängt. Es wäre sicher einfacher zu sagen, was ich sicher nicht geworden wäre.

 

Gibt es ein bestimmtes Hobby oder auch Talent, von dem Sie uns erzählen möchten?

Ich spiele gerne aber nur mäßig gut Billard. Für mich steht dieses Spiel für einige Dinge, die mich auch wissenschaftlich interessieren. Scheinbar ist Billard hauptsächlich ein Spiel das durch Physik bestimmt wird. Man kann genau berechnen, wie man den Ball spielen muss, um eine Kugel ins Loch zu spielen. Faktisch ist Billard aber stark durch Intuition und Psychologie bestimmt. Wie der Ball tatsächlich läuft hängt von Randbedingungen, wie der Beschaffenheit des Belages des Tisches oder der Elastizität der Bande, ab. Randbedingungen, die man nicht ‚berechnet‘ sondern ‚erfühlt‘.  Darüber hinaus spielt Psychologie eine große Rolle, da Selbstwirksamkeitserwartungen (die Erwartung ob mir der nächste Stoß gelingen wird) oft bestimmen wie gut man spielt. Wird mir der folgende Stoß gelingen? Aber auch soziale Aspekte spielen eine wichtige Rolle. 

 

Welchen Ort in Berlin finden Sie besonders spannend oder für Ihre Forschung inspirierend? Was überrascht Sie an der Stadt immer wieder?

Mich überrascht der Humor der Berliner*innen immer wieder. Obwohl ich in Berlin aufgewachsen bin, habe ich nach beinah 25 Jahren Abwesenheit vergessen, wie unterhaltsam amüsant-unfreundlich die Menschen in dieser Stadt seien können.

 

Wie haben Sie die Zeit des Lockdowns erlebt? Konnten Sie ihr auch etwas Positives abgewinnen?

Der Lockdown hatte für mich durchaus einige positive Seiten. Da ich noch eine Arbeitsgruppe in Gent habe, konnte ich die Interaktion via Internet üben. Allerdings hat sich auch gezeigt, dass der Aufbau einer Arbeitsgruppe im Lockdown nicht einfach ist. Schließlich hat die wissenschaftliche Gemeinschaft gelernt, dass viele Dinge auch online stattfinden können. Das wird sicher die wissenschaftliche Kommunikation nachhaltig verändern. Gerade international wird so mancher Flug quer durch Europa durch ein Zoommeeting ersetzt werden. Mir hat der Lockdown aber auch gezeigt wie wichtig die direkte soziale Interaktion mit meiner Arbeitsgruppe und Kollegen und Kolleginnen ist, wie entscheidend das informelle Gespräch im Gang oder nach einem Meeting ist. Für einen Wissenschaftler, der soziale Intelligenz verstehen will, sind das natürlich sehr wichtige Erkenntnisse. 

 

Juli 2021