Surjo Soekadar
Schließen Sie bitte kurz Ihre Augen und denken Sie an an Ihr Forschungsprojekt. Was sehen Sie als Erstes?
Wie jemand trotz schwerer Handlähmung dank eines hirn-gesteuerten Hand-Exoskeletts zum ersten Mal wieder selbstständig seine Lieblingsschokolade greift und voller Freude ein Stück abbeißt.
Wie erklären Sie Ihr Forschungsprojekt einem Kind?
In unserem Gehirn fließen elektrische Ströme, so wie sie auch aus der Steckdose kommen, nur viel, viel schwächer. Wenn wir an etwas Bestimmtes denken, z.B. wie wir unsere Hand zu einer Faust ballen, ändern sich die elektrischen Ströme im Gehirn. Diese Änderung kann man mit einem speziellen Gerät an der Kopfhaut messen und mit Hilfe eines Computers in ein Steuersignal, zum Beispiel einer Roboterhand, übersetzen. So ein Gerät kann Gelähmten dabei helfen, besser im Alltag zurecht zu kommen. Wenn man so ein Gerät regelmäßig einsetzt ist es sogar möglich, dass sich die elektrischen Ströme im Gehirn verstärken. Wie man diesen Effekt dafür ausnutzt, bestimmte Erkrankungen des Gehirns zu behandeln, z.B. Depressionen oder Angsterkrankungen, das ist eine wichtige Frage mit der ich mich beschäftige.
Was überrascht Menschen am meisten, wenn Sie von Ihrer Forschung erzählen?
Wie präzise mittlerweile Hirnaktivität von völlig unscheinbaren, kabellosen und miniaturisierten Geräten im Alltag messbar ist. Auch, dass das wiederholte Auslesen und Zurückmelden von Hirnaktivität zu bemerkenswerten Umbauprozessen im Gehirn führen kann. Dass diese Neuroplastizität dazu führen kann, dass verlorene Funktionen des Nervensystems zurückkehren, finden die meisten sehr faszinierend.
Mit wem würden Sie gerne einmal einen Arbeitstag tauschen, und was würden Sie dann tun?
Ich würde gerne mal mit einem Piloten tauschen, und dann einen Airbus 340 oder eine Boing 747 von Paris nach New York fliegen.
Gibt es ein bestimmtes, ungewöhnliches Hobby oder auch Talent von dem Sie uns erzählen möchten?
Seit meiner Studienzeit sammele ich verschiedene Schreibgeräte. Vielleicht eine kleine Rebellion gegen die Digitalisierung und Folge meiner Begeisterung fürs Schreiben.
Was haben Sie erst durch Ihre Forschung über das Leben gelernt?
Dass Technologie unser Leben vereinfachen und bequemer machen kann, aber selten Antworten auf die großen Fragen des Lebens bietet.
Was wären Sie heute, wenn Sie nicht Wissenschaftler geworden wären?
Ich führe ja zum Glück eine Art Doppelleben: einerseits bin ich Wissenschaftler, andererseits aber auch Arzt. Beides sind für mich sehr erfüllende Berufe. Arzt wäre ich wohl geblieben, wenn es mit der Wissenschaft nicht geklappt hätte.
Gibt es einen außergewöhnlichen Gegenstand, der Sie in Ihrem Arbeitsleben oder im Alltag begleitet?
Auf meinem Schreibtisch steht ein Chaospendel, also ein Pendel mit mehreren Schwingelementen, deren Bewegung man nicht voraussagen kann. Dieses Pendel steht dort sinnbildlich für jede der 86 Milliarden Nervenzellen in unserem Gehirn. Wie jede Nervenzelle oder jedes beliebig andere instabile System, hat dieses Chaospendel einen kritischen Punkt, an dem völlig unklar ist, welchen Zustand das Pendel als nächstes einnehmen wird. In diesem Prinzip liegt für mich das Geheimnis des Lebendigen und der Freiheit.
Welchen Ort in Berlin finden Sie besonders spannend? Oder gibt es einen Berliner Ort an dem Sie sich besonders wohl fühlen?
Spannend ist in Berlin eigentlich fast alles! Mein Lieblingsort ist die Zionskirche in der Rosenthaler Vorstadt, wo in den 30er Jahren Dietrich Bonhoeffer gearbeitet hat und sich später in der Zeit der DDR oppositionelle Gruppen getroffen haben.
Was überrascht Sie an Berlin am meisten? Womit hätten Sie in Berlin gar nicht gerechnet und was vermissen Sie? Was macht Berlin einzigartig für Ihre Forschung?
Berlin ist unglaublich vielfältig. Das hat es für mich am Anfang schwer gemacht, diese Stadt zu verstehen. Mittlerweile habe ich verstanden, dass diese Vielfältigkeit genau das ist, was Berlin gegenüber anderen Metropolen auszeichnet, besonders lebenswert macht und worauf Berlin stolz sein kann. Berlin zieht die besten Köpfe und talentiertesten Nachwuchswissenschaftler an – ein riesen Vorteil für meine Forschung!
Mai 2019