Einstein-Fragebogen

Bertil Tungodden

 

Bitte schließen Sie kurz Ihre Augen und denken Sie an Ihr Forschungsprojekt. Was sehen Sie als Erstes?

Ich sehe Menschen die darüber streiten, wie eine bestimme Menge Geld verteilt werden soll. In allen Lebensbereichen stellt sich uns die immer gleiche Frage: Wie sollen begrenzte Ressourcen unter Menschen verteilt werden? Ich möchte die Moralanschauungen der Menschen zu diesem Thema verstehen, da ich glaube, dass diese Anschauungen grundlegend für das Verständnis menschlichen Verhaltens in ganz unterschiedlichen Situationen sind.


Wie erklären Sie Ihr Forschungsprojekt einem Kind?

Wir forschen viel zu Kindern, da ich der Meinung bin, dass die Kindheit eine kritische Phase für die Entwicklung unserer Moralvorstellungen ist. Daher haben wir häufig mit Kindern zu tun. Um meine Forschung zu erklären, fordere ich sie dann immer auf, sich eine Situation vorzustellen, in der zwei Kinder an etwas gearbeitet haben und der ein Glück hat und damit Geld verdient, während der andere kein Glück hat und leer ausgeht. Dann frage ich sie, ob sie, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten, dem Kind, das kein Geld verdient hat, etwas von dem Geld des anderen abgeben würden. Dadurch müssen sie darüber nachdenken, was fair ist und wir können darüber diskutieren, was eine gerechte Gesellschaft ausmacht.


Was überrascht Menschen am meisten, wenn Sie von Ihrer Forschung erzählen?

Ich denke viele sind überrascht, dass das Konzept der persönlichen Verantwortung immer noch nicht gut erforscht ist. Die persönliche Verantwortung ist eine der bedeutendsten moralischen Ideale des Westens, aber gleichzeitig wird sie von den Menschen vollkommen unterschiedlich interpretiert. Unsere Untersuchungen zeigen außerdem, dass wir häufig in Situationen von persönlicher Verantwortung sprechen, in denen dies eigentlich kaum zu rechtfertigen ist. Zum Beispiel konnten wir in Experimenten zeigen, dass wir andere für belanglose oder erzwungene Entscheidungen verantwortlich machen, was viele sehr überrascht. 


Mit wem würden Sie gerne für einen Tag Ihren Arbeitsplatz tauschen und was würden Sie dann tun?

Ich würde gerne für einen Tag mit dem Präsidenten der USA tauschen, einfach um besser verstehen zu können, was wirklich in diesem einen Raum der Macht passiert. Aber um ehrlich zu sein, würde ich am liebsten mit Jürgen Klopp tauschen, dem Trainer von Liverpool. Oder noch besser: Ich würde gerne einen Tag mit ihm zusammenarbeiten, um herauszufinden, wie er es schafft, diese Spitzenteams zu formen.


Haben Sie irgendwelche ungewöhnlichen Hobbys oder Talente, die Sie uns verraten möchten?

Ich bin passionierter Angler. Tungodden, woher meine Familie stammt, ist eine kleine Fischergemeinde im Westen von Norwegen, in der ich jeden Sommer viel Zeit in meiner Ferienhütte verbringe. Geruhsame Tage, an denen ich mich an einfachen Dingen wie dem Filetieren von Fischen erfreuen kann.


Was haben Sie erst durch Ihre Forschung über das Leben gelernt?

Meine Forschungsarbeit hat mich nur mehr davon überzeugt, dass die moralische Motivation grundlegend für das Verständnis von menschlichem Verhalten ist. Ökonomen gingen lange Zeit von einer einzigen Motivation aus, und zwar dem eigenen Nutzen. Dieser ist sicherlich sehr wichtig, aber ich denke, dass unser Verlangen, moralisch zu handeln, unsere Entscheidungen ebenso stark beeinflusst. Das ist, denke ich, eine wichtige Lektion fürs Leben.


Was wären Sie heute, wenn Sie nicht Wissenschaftler geworden wären?

Wenn ich das Talent hätte, wäre ich Fußballspieler geworden. Aber im Ernst: Ich wäre gerne Politiker geworden, um an der Ausarbeitung der für unsere Gesellschaften so wichtigen politischen Grundsätze mitzuwirken.


Gibt es einen außergewöhnlichen Gegenstand, der Sie in Ihrem Arbeitsleben oder im Alltag begleitet?

Eigentlich nein, außer dass ich süchtig nach Kaffee bin – sowohl auf der Arbeit, als auch generell im Alltag. Ich versuche meinen Kaffeekonsum einzuschränken, aber die erste Tasse am Morgen ist einfach unersetzlich.


In welchem Berliner Bezirk, an welchem Ort, fühlen Sie sich besonders wohl und warum?

Das Atze Musiktheater, weil es das Buch meines Bruders Tore Tungodden, „Die Ministerpräsidentin“, auf die Bühne gebracht hat. Es ist ein tolles Kinderbuch über die Bedeutung des politischen Engagements, und meinem Bruder hat die Inszenierung sehr gut gefallen. Leider habe ich das Stück bisher noch nicht gesehen, aber hoffentlich habe ich dazu bald noch Gelegenheit.


Womit hätten Sie in Berlin gar nicht gerechnet und was vermissen Sie? Was macht Berlin einzigartig für Ihre Forschung?

Ich liebe Berlin. Es ist eine lebhafte, wirklich inspirierende Stadt. Außerdem habe ich hier die Chance, mit einigen wirklich herausragenden Verhaltensökonomen zusammenzuarbeiten. Ich freue mich schon auf die kommenden Jahre an der Humboldt-Universität.

 

August 2019