Einstein-Fragebogen

Stephan Sigrist

 

Schließen Sie bitte kurz Ihre Augen, und denken Sie an an Ihr Forschungsprojekt. Was sehen Sie als Erstes?

Viele leuchtende Synapsen, die in einer Art visuellen Konzerts miteinander kommunizieren. Das Licht der Synapsen flackert, weil sie laufend im Auf-, Um-, und Abbau befindlich sind. 

 

Wie erklären Sie Ihr Forschungsprojekt einem Kind?

Mit Kindern zu sprechen ist immer nett, da sie für gewöhnlich vorurteilsfrei und phantasiebegabt sind. Ich habe mich schon verschiedentlich mit Kindern ausführlich über unsere Arbeit unterhalten, nicht nur mit den drei eigenen. Kinder sind ja nicht dümmer als wir Erwachsene, nur weniger erfahren. 

Mein Erklärungsversuch: 

Wir wollen verstehen, wie es unser Gehirn schafft, all den Stoff, den ihr in der Schule behandelt oder was ihr nach einem tollen Ferientag erlebt habt, im Gedächtnis zu behalten? Anders gesagt, wie sehen die kleinen Veränderungen aus, die diese Erlebnisse in unser Gehirn schreiben? In eurem Gehirn gibt es ungefähr so viele einzelne kleine Nervenzellen wie Menschen auf der Welt. Jede unserer Nervenzellen hat ihren eigenen Notizzettel. Sie sprechen miteinander, was über den Tag passiert ist, und machen andauernd neue Notizen. Am Abend sitzen ein paar Nervenzellen zusammen und entscheiden, welche Notizen besonders wichtig sind. Diese tragen sie in ihr schönes Buch ein. Diese Eintragungen werden dann ordentlich aufbewahrt. Manchmal fragen Nervenzellen nach, was vor drei Tagen passiert ist, und dann wird im Buch nachgelesen.  Dadurch schaffen es die Nervenzellen, Dinge wie euren Ferientag im Gedächtnis zu behalten. 


Was überrascht Menschen am meisten, wenn Sie von Ihrer Forschung erzählen?

Vielleicht die Tatsache, wie sehr die Mechanismen der Gedächtnisbildung in der Fruchtfliege den unseren ähneln. Fliegen haben ein Gehirn? Fliegen können lernen? Sie sind überrascht zu hören, dass Mensch und Fliege aus einem Ursprung kommen, der schon ein echtes Nervensystem hatte, und dass ein Großteil der genetischen Information gemeinsames Erbe ist, auch wenn sich unsere Wege vor spätestens 600 Millionen Jahren getrennt haben. Das Leben ist aber wahrscheinlich 4000 Millionen Jahre alt.

 

Mit wem würden Sie gerne einmal einen Arbeitstag tauschen, und was würden Sie dann tun?

... im Berliner Aquarium arbeiten und mir die Besonderheiten der faszinierenden Unterwasserwelt noch genauer erklären lassen.

... mit einem meiner Doktoraden tauschen. Ich würde sehr gerne einmal wieder einen Tag im Labor praktisch arbeiten, zum Beispiel proteinbiochemisch.  

... ich koche sehr gerne. Daher wäre es faszinierend, einmal einem Spitzenkoch über die Schulter schauen zu dürfen.

 

Was haben Sie erst durch Ihre Forschung über das Leben gelernt?

Dass der Schein oft trügt und unvoreingenommene Beobachtung der Schlüssel dazu ist, die Welt besser und tiefer zu verstehen. 


Was wären Sie heute, wenn Sie nicht Wissenschaftler geworden wären?

Anthropologie hat mich immer schon sehr interessiert. Allerdings fiele es mir schwer, mir ein Leben außerhalb der Wissenschaft vorzustellen. Die äußere und innere Freiheit in meinem Beruf bedeutet mir sehr viel.


Gibt es einen außergewöhnlichen Gegenstand, der Sie in Ihrem Arbeitsleben oder im Alltag begleitet?

Ich bin leider nicht begabt dafür, Dinge über längere Zeit zu behalten bzw. aufzubewahren, das war als Kind schon so und hat sich nicht gebessert, daher gibt es keinen... Menschen verliere ich nicht so leicht aus den Augen.

 

Welchen Ort in Berlin finden Sie besonders spannend? Oder gibt es einen Berliner Ort an dem Sie sich besonders wohl fühlen?

In Berlin ist es gerade die Vielzahl an verschiedensten Orten, die das Leben spannend macht.  Meinen Fahrradweg nach Mitte wähle ich aus diesem Grunde immer wieder neu. Besonders wohl fühle ich aber mich aber schon an den erstaunlich naturbelassenen Seen im Grunewald.


Was überrascht Sie an Berlin am meisten? Womit hätten Sie in Berlin gar nicht gerechnet und was vermissen Sie? 

Ich finde es immer wieder überraschend, mit welcher Gelassenheit die Berliner mit Provisorien und unzulänglichen Zuständen umgehen. Etwas freundlicher dürfte es ab und an schon zugehen. 

Es gibt wenig, was ich wirklich vermisse, vielleicht am ehesten Berge..?

Für meine Forschung sind die vielen talentierten und offenen Menschen an den zahlreichen Forschungseinrichtungen Berlins eine einzigartige Ressource.

 

Mai 2019