#8: Markus Ralser
Das innere Kraftwerk

Intro: So was ich am tollsten finde, ist so, wenn man eine Kanutour machen kann, eine mehrtägige, wo man einfach sein Gepäck auflädt, sich eine Angel einpackt, vielleicht ein paar Zündhölzer, ein Zelt, ja und einfach mal ein paar Tage, eine Woche vielleicht in eine Wildnis verschwinden kann, ja. Da merkt man, wie sein Gehör besser wird, wie seine Aufmerksamkeit steigt, wie sich der Stoffwechsel umstellt. Es ist ja so eine Art Eigenexperiment jedes Mal, wo man sich selbst einfach so neu entdecken kann. AskDifferent, der Podcast der Einstein Stiftung mit Nancy Fischer.
Nancy Fischer: Was war nun mal alles drin in soner kleinen Zelle unseres Körpers? Mitochondrien und Plasma, ein Zellkern natürlich. Und ehrlich gesagt, da verlassen sie mich auch schon wieder. Auf jeden Fall ist die Zelle in meiner Erinnerung ein wahnsinnig winziges Ding und erst recht ihre Bestandteile. Und umso bemerkenswerter, dass Professor Markus Ralser sich genau da ganz nah rantraut. Er erforscht nämlich den Stoffwechsel in einer Zelle, also etwas sehr Grundlegendes in unserem Körper. Und das Thema der Stoffwechselforschung ist derzeit wohl auch total in, weil es zum Beispiel die Krebsforschung oder die Biotechnologie beeinflusst. Ich freue mich also sehr, dass der renommierte und vielfach ausgezeichnete Stoffwechselexperte Markus Ralser heute Zeit hat für uns. Er ist Einstein-Professor für Biochemie an der Charité in Berlin. Hallo erst mal, Herr Ralser.
Markus Ralser: Hallo.
Fischer: Wie würden Sie denn einem Kind eigentlich erklären, an was Sie jetzt grade forschen?
Ralser: Na, das ist eigentlich relativ einfach. Und auch ein Kind beobachtet ja schon, dass man Nahrung zu sich nimmt, dass man die umsetzt, dass man auf Toilette muss. Und ein Kind merkt auch schon, dass da ganz viel dranhängt, dass man sich gut fühlt, dass man sich schlecht fühlt, dass es schiefgeht, wenn man zu viel, zu wenig isst. Und genau das ist es, was wir auf molekularer Ebene dann eben untersucht.
Fischer: Der Stoffwechsel in einer Zelle, also alles, was in der Zelle an Prozessen stattfindet, damit Energie entsteht oder Stoffe auf- und abgebaut werden, das ist Ihr Thema. Aber erforschen Sie das eigentlich nur an menschlichen Zellen oder auch an allen anderen?
Ralser: Unser Hauptuntersuchungssubjekt ist sogar was ganz anderes. Wir arbeiten vor allem an Hefezellen. Hefen sind einzellige Pilze. Die braucht man einmal in der Biotechnologie sehr stark, weil ganz viel, was man heute produziert, biologisch produziert, eben über Hefezellen gemacht wird. Das Zweite ist, die kann man sehr einfach handhaben im Labor, die kann man einfach wachsen lassen. Da kann man sehr günstig sehr große Experimente durchführen, sehr systematisch arbeiten. Und ein dritter Grund, warum wir sehr viel mit Hefezellen arbeiten, sind Pilzinfektionen. Also es ist eines der größten Probleme, die man in der Medizin hat, kommt eben durch Infektionskrankheiten. Pilze spielen da eine wichtige Rolle. Es gibt sehr wenige Medikamente, wo man gegen Pilzinfektionen vorgehen kann. Und das zusammen gibt uns eben so einen guten Grund, eben ganz viel mit einzelligen Pilzen zu machen. Und zweitens sind Pilze relativ nahe an menschlichen Zellen dran. Das heißt, ganz viel, was man aus den Pilzzellen lernt, kann man dann in einer Säugetierzelle eben wiederfinden. Und wir sind dadurch einfach schneller und effizienter.
Fischer: Ich hab mir eigentlich vorgestellt, dass wir so in Ihrem Labor sitzen auf dem Charité Campus hier, also alles rund uns herum weiß. Und Sie sitzen dann vielleicht über so einem Mikroskop gebeugt und untersuchen da die Zellen. Aber wo wir sind, ist Ihr Büro, und da steht tatsächlich nur ein Computer und in der Mitte ein Besprechungstisch. Wie erforschen Sie denn, was in den Zellen los ist?
Ralser: Na, Mikroskope sind natürlich nicht sehr hilfreich im Stoffwechsel, weil Stoffwechselmoleküle einfach zu klein sind, dass man die mikroskopisch erfassen kann. Die wichtigste Technologie, die wir dafür einsetzen, sind Massenspektrometer. Das sind große und recht laute Geräte, deswegen eignet sich's nicht so gut, ein Interview daneben eben durchführen zu können. Also wir machen sehr viel chemische Analytik. Wir messen diese Stoffwechselprodukte, wie viel davon da ist, wie schnell die umgesetzt werden, wo die in der Zelle sitzt. Und diese Analytik produziert uns inzwischen riesig große Datensätze. Wir messen dann Tausende Stoffwechselprodukte in Tausenden von Bedingungen. Und ein größter Teil von unserer Arbeit besteht darin, diese Datensätze zu interpretieren. Da gibt's also computerunterstützte Methoden. Man muss aber dann doch ganz viel manuell noch Arbeit, Denkarbeit reinstecken. Wir diskutieren sehr viel, wir planen sehr viel. Und tatsächlich für mich als Professor ist der Großteil der Arbeit dementsprechend am Schreibtisch. Ich habe aber eine ganze Menge sehr talentierter Mitarbeiter, die jeden unterschiedlichen Schritt von diesen Arbeitsabläufen dann eben durchführen und sich darauf spezialisieren.
Fischer: Herr Ralser, können Sie uns mal so einen typischen Durchschnittstag von sich erklären, wie der so abläuft von morgens bis nachmittags?
Ralser: Wie ein typischer Familienvater beginnt der mal mit meiner kleinen Tochter, die mich ausm Bett schubst. Also das geht manchmal ein bisschen früher los, wie ich's gerne hätte. Kind muss in die Kita und dann schlag ich dann hier auf der Charité auf. Dann geht's mal erst mal durch den Kalender durch. Viele von uns leiden in der heutigen Zeit doch unter einem ganz schönen Termindruck. Es gibt unterschiedliche Sachen, die eben zusammenlaufen. Das wird mal koordiniert. Also ganz viel von der Zeit geht in die Koordination von Arbeitsabläufen rein. Was mir am meisten Spaß macht dann während des Tages, ist, dass man eben so Untergruppentreffen haben, mehrere von denen, wo einfach Leute zusammenkommen, die sich zum Beispiel auf irgendein Problem spezialisieren, an einem Thema arbeiten. Wir projizieren dann die neuesten Datensätze an die Wand, diskutieren drüber, versuchen Berechnungen gemeinsam durchzuführen und daraus Rückschlüsse zu ziehen. So von meiner wissenschaftlichen Arbeit geht sicher die Hälfte da rein, dass wir zusammensitzen und über neue Datensätze reden.
Fischer: Wann haben Sie sich eigentlich entschieden: Das ist so genau das, was ich machen will. Ich will Biochemiker werden oder eben in dem Fall dann auch Stoffwechselbiologe, Systembiologe?
Ralser: Das ist natürlich eine sehr komplexe Frage, wie das angefangen hat. Ich bin auf dem Bauernhof groß geworden. Sehr viel beobachtet man dann schon von der Kindheit an über Zusammenhänge. Ich mein, das ist jetzt nicht grade Biochemie, aber es hat schon sehr viel mit Biologie zu tun, mit Genetik zu tun, mit Vererbung. Und ich fand grad schon als Jugendlicher dann Genetik unglaublich spannend und hab dann auch Genetik studiert, also meine ursprüngliche Ausbildung ist im Genetiksektor. Ich habe mich dann auf neurodegenerative Krankheiten spezialisiert in meiner Promotion. Da ging's um Alzheimer‘s und Parkinson Disease. Und in den Arbeiten ist mir dann aufgefallen, wie wichtig der Stoffwechsel ist, ja, also keine Neurodegeneration ohne einen Stoffwechseldefekt. Es war aber was, was in dem Gebiet damals sehr, sehr wenige Leute interessiert hat. Und ich fand das einfach faszinierend und hab dann im Laufe von relativ kurzer Zeit eigentlich gemerkt, dass ich mich im Stoffwechsel sehr viel wohler fühle wie neurobiologischen Umfeld.
Fischer: Wie fühlt man sich denn wohl im Stoffwechsel?
Ralser: Na, es ist in der Wissenschaft wie in jedem Arbeitsbereich, jeder hat so seine Vorlieben, seine Stärken, seine Schwächen. Meine Stärke ist vielleicht, dass ich sehr technologieaffin bin. Ich baue gern Geräte, ich analysiere gern Daten. Ich sitze gerne eben am Computer und mache eben mehr als eine Standardanwendung. Das ist ein Teil der Biologie, der sehr stark von Daten abhängt, wo man sehr viele Ergebnisse reinkriegt. Es ist auch ein Gebiet, was sehr technisch ist, weil wir diese Geräte eben zum Teil selbst bauen, selbst Hand anlegen. Und für mich kommt dann eben alles zusammen. Es kommt eine spannende Wissenschaft mit einer spannenden Technologie zusammen und mit ganz tollen Konzepten, was man aus den Ergebnissen eben machen kann. Und da fühl ich mich einfach sehr, sehr wohl drin.
Fischer: Sie haben grad noch angesprochen, Ihre Kindheit in Südtirol, also in den Bergen sind Sie ja wirklich groß geworden, so bilderbuchmäßig. Inwiefern prägt das Ihre Arbeit bis heute?
Ralser: Ja, das macht's natürlich. Aber ich glaube, jeder kommt aus seinem Hintergrund nicht völlig raus. Und ich bleib so ein bisschen ein Alpenbergmensch, ja, der die Natur einfach gerne hat, viel beobachtet. Und das verfolgt mich sicher jeden Tag durch meine Arbeit auch durch. Wir haben auch einen ganz kleinen Teil Projekte, die sich sicher aus meinem Hintergrund ergeben haben. Wir haben uns zum Beispiel im letzten Jahr das Genom von dem Alpenmurmeltier zugute genommen und auf Stoffwechselunterschiede zwischen Säugetieren ausgehend vom Alpenmurmeltier untersucht. Und es hat auch deswegen Spaß gemacht, weil wir dann relativ schnell mit Klimaforschern in Kontakt getreten sind und haben uns eben so ein bisschen ansehen können, wie in der Vergangenheit Säugetiere mit Klimawandel klargekommen sind. Und auch da spielt der Stoffwechsel natürlich eine ganz wichtige Rolle, weil's natürlich Stoffwechselanpassungen ans jeweilige Klima gibt, ja. So ein kleines bisschen ergeben sich dann auch durchaus Forschungsprojekte aus dem eigenen Hintergrund raus.
Fischer: Das klingt jetzt alles so, als geht das so ganz leicht von der Hand. Also als machen Sie so Projekt für Projekt für Projekt und immer kommt irgendwas bei raus. Dabei denke ich mir so, Forschung ist doch auch bestimmt ganz anstrengend mitunter und braucht ganz viel Durchhaltevermögen, oder?
Ralser: Na ja, es ist in jedem Beruf so, dass das nicht immer alles einfach ist. Es gibt in jedem Beruf Routine, es gibt in jedem Beruf Rückschläge, ja. Muss aber zugeben, dass ich mich insofern wohlfühle in dem Themengebiet und wenn man irgendwas gerne machen wird, dann vergisst man die Rückschläge vielleicht relativ schnell und freut sich halt mal, wenn was weitergegangen ist. Ist vielleicht auch eine Charaktereigenschaft, die sich daher durchsetzt. Nee, also ich muss sagen, Wissenschaft an sich empfinde ich nach den Jahren, wo ich drin bin, also überhaupt nicht anstrengend. Das ist vielleicht meine persönliche Erfahrung damit. Anstrengend sind Dinge, die viele Leute nicht so gerne machen. Ich bin zum Beispiel nicht so ein guter Verwalter, als Professor sitzt man dann doch viel über Finanzplanung, Personalplanung, Geld einwerben. Und das sind so die Dinge, wo ich mich zum Beispiel weniger zu Hause fühle. Es gibt aber andere Kollegen, die da natürlich sehr gut drin sind, also. Und so spezialisieren wir uns auch alle und jeder versucht dann halt das zu machen, wo er sich am wohlsten drin fühlt.
Fischer: Gab's trotzdem so Momente, vielleicht auch gerade in der ganzen Stoffwechselforschung, wo's schwierig war, wo Sie gesagt haben, oh, ich würd das jetzt gern einfach mal alles hinschmeißen und daran aufhören zu forschen?
Ralser: Forschung selbst nicht. Also man hat in meinem Fall halt so Momente, wo's mal Wettbewerb, Kompetitionen gibt, ne. Also ich bin so jemand, der glaubt immer an das Gute der Wissenschaft und denkt immer, alle sind nur an tollen Ergebnissen interessiert und weiterzukommen und arbeiten so als Gemeinschaft da dran. Aber da ist natürlich nicht jede Persönlichkeit genauso dafür geeignet und es gibt überall manchmal so persönliche Konflikte, die dann auftauchen, die aus Konkurrenzsituationen raus entstehen. Und das sind so Dinge eher, wo ich mir dann immer gedacht hab, hier macht das überhaupt Sinn, ja? Aber es ist natürlich in jedem professionellen Bereich dasselbe. Es ist, es hat nicht nur alles Gutmenschen. Und das ist der Bereich, wo ich mir manchmal denke, hey, anstrengend. Also der Wettbewerb ist sehr hoch in der Wissenschaft, weil es einfach relativ wenige tolle Positionen gibt für sehr viele junge Menschen, die eben gerne Wissenschaftler werden wollen. Und das, so gut man's auch machen will, das geht dann nicht immer ganz 100 Prozent objektiv und gerecht zu. Und eher auf der Ebene ist Wissenschaft vielleicht manchmal etwas anstrengend, ja. Also die Karriereperspektiven sind doch sehr pyramidenartig.
Fischer: Sie haben ja auch als Stoffwechselbiologe verschiedene Stoffwechselerkrankungen entdeckt. Wie ist denn dieser Moment, wenn man das realisiert, wenn man so versteht, okay, ich hab da offensichtlich irgendwas Bahnbrechendes rausgefunden?
Ralser: Na ja, das geht ja auch schrittweise. Das sieht dann zum Schluss aus, als wär das ein Heurika-Event gewesen. Meistens ist das doch ein bisschen schrittweise. So wie das meistens so passiert ist, es gibt irgendein Kind, das leider von einer unerklärten Krankheit eben leidet. Und wir haben sehr viele clevere Ärzte hier an der Charité, aber generell europaweit und die beobachten dann. Und in dem Moment, wo die irgendein Kind haben, wo sie einfach nicht einordnen können, wollen die dem ja auch helfen. Und häufig ist es dann, dass die dann beginnen, eben Literatur zu lesen und dann irgendwann einige von den Ärzten rufen dann doch mal beim Experten an und fragen dann, hey, das hab ich beobachtet. Das sind die Moleküle, die wir jetzt detektiert haben. Habt ihr nicht eine Erklärung, wie's dazu kommen kann, ja? Und meistens ist es dann schrittweise, dass man dann beginnt, eben diese Proben mal anzunehmen, die mal auf ein Massenspektrometer zu stecken, zu messen, die auf eine Stoffwechselkarte zu zeichnen, die Ergebnisse und sich dann zu überlegen beginnt, hey, das könnt doch das Gen sein? Und dann, der nächste Schritt ist natürlich, dass man wieder mit einem Kollegen aus der Klinik dann Rücksprache hält und sagt, hey, schaut euch das mal an. Und der hat dann auch mit anderen Kollegen dann gesprochen. Und so irgendwann kommt man dann manchmal eben in die Situation, dass man tatsächlich eine neue Krankheit beschreiben kann, die vorher noch niemand so als Krankheit detektiert hat.
Fischer: So traurig das ist, aber feiern Sie das dann auch, wenn Sie so einen Erfolg haben?
Ralser: Ja, also es gibt natürlich im Wissenschaftsbereich schon Momente, wo man dann auch mal einen Sektkorken fallen lässt, ja. Das ist jetzt vielleicht weniger, wenn man ein Krankheitsgen jetzt identifiziert hat, weil da schwingt immer noch so ein bisschen mit na ja, nur weil man das Gen hat, hat man noch hier lange nicht die Krankheit geheilt. Das sind mehr so schrittweise. Aber es gibt durchaus Momente, wo man tolle neue Vorschussergebnisse auch genießen kann, ja.
Fischer: Sie haben uns ja im Vorfeld auch gesagt, dass es im Moment so ein heißes Thema ist, diese Stoffwechselbiologie. Was ist denn an diesen Prozessen so spannend für die Forschung? Warum interessiert die sich auch so sehr dafür derzeit?
Ralser: Die moderne Biochemie hat eigentlich mit dem Stoffwechsel angefangen. Und dann ist das so ein bisschen untergegangen, als die moderne Molekularbiologiegenetik hochkam. Es ist so in 80ern, späten 80ern, 90ern gewesen, wo eine Polymerase-Kettenreaktion entdeckt wurde, wo neue Mikroskope aufm Markt kamen, dann hat man begonnen, die Biologie eben sehr aus der Genetikperspektive heraus zu sehen. Und weil die Biochemie damals ein bisschen anstrengend war, ich glaub, das ist der eigentliche Grund, hat man die so ein bisschen an den Rand gedrängt.
Fischer: Was heißt denn anstrengend?
Ralser: Die Methoden, die man vor 30, 40 Jahren hatte, die sind sehr zeitaufwendig. Man hat sehr, sehr langsam Fortschritt erzielt. So eine ganze Doktorarbeit, können Sie sich vorstellen, drei, vier Jahre hat man gebraucht, um ein einzelnes Gen zu identifizieren. Eine zweite Doktorarbeit hat's dann gebraucht, um dieses Enzym, was das Gen codiert, einmal zu charakterisieren. Und vielleicht drei Doktorarbeiten später wusste man, was das Enzym ungefähr macht. Also man kann so von zehn, 15 Jahren sprechen pro Enzym. So eine Stoffwechselkarte von der menschlichen Zelle hat acht-, neunhundert Enzyme. Das heißt, man hat eine Dekade gebraucht, um ein ganz kleines Detail zu arbeiten. Und das liegt natürlich nur an einem ganz kleinen Teil von Wissenschaftlern liegt das wirklich, so tief im Detail zu arbeiten, ne. Und gleichzeitig die ganze Genetik, da hat man einfach viel, viel schneller Fortschritt erzielt und war völlig klar, dass eine ganze Generation von Wissenschaftlern dann in eine andere Richtung gegangen ist.
Fischer: Jetzt kommt sie aber wieder sozusagen.
Ralser: Jetzt kommt sie wieder und das hat eben auch mit Methoden zu tun, ja. Wir haben jetzt Methoden, wo man Stoffwechselprodukte viel besser vermessen können, eben wo man vielleicht Tausende Produkte gleichzeitig vermessen können und nicht nur eins, wo man in Zellen arbeiten können. Früher musste man die Sachen aus Zellen rausreinigen, um eine Substanz zu einer Zeit zu untersuchen. Jetzt können wir die gleichzeitig anschauen in der Zelle. Wir haben computerunterstützte Methoden, das ist für uns ganz wichtig, Stoffwechselmodelle am Computer, Machine Learning anzuwenden, Deep Learning anzuwenden, also Vorhersagen zu treffen in einer ganz datenintensiven Art und Weise. Und dadurch kriegt man natürlich einen ganz anderen Blick auf das Ganze. Und jetzt sehen wir erst, wie wichtig das Ganze eigentlich ist.
Fischer: Ich oder vielleicht auch der Zuhörer, die Zuhörerin, die sich jetzt diesen Podcast anhören, was haben wir eigentlich von Ihrer Forschung?
Ralser: Na ja, es gibt mehrere Richtungen, wo das natürlich im Moment ganz wichtig ist. Also Sie hatten selbst Tumorzellen angesprochen. Also Krebszellen verändern ihren Stoffwechsel ganz intensiv. Es gibt einen Haufen neue Therapiemöglichkeiten, die noch nicht ausgeschöpft sind, ja. Und die konnten wir deswegen noch nicht ausschöpfen, weil man einfach die Stoffwechselprozesse nicht verstanden hat. Da ist es wichtig. Biotechnologie ist sehr wichtig. Ganz viele Produkte, die man heute kauft, werden inzwischen biotechnologisch hergestellt. Das fängt mit dem Enzym im Waschmittel an, das hört mit den Farbstoffen auf. Das endet, wenn sie im Biosupermarkt ein Fleischersatzprodukt kaufen. Und die Hefe ist der Hauptorganismus, wo diese Sachen hergestellt sind. Das ist Bäcker-Hefe, die ist völlig ungefährlich, die ist völlig ungiftig. Die wächst mit sehr wenigen Nährstoffen, also sehr effizient, auch fürs Klima toll, ja. Und wir liefern die Grundlage, wie man eben diese Zellen einsetzen kann, um die Sachen zu produzieren, die man eben damit macht.
Fischer: Ich glaub, da hat jeder was von sich gefunden, was er da gebrauchen kann von ihrer Forschung.
Ralser: Das Schöne am Stoffwechsel ist, dass der in der Evolution eben einmal entstanden ist. Und wenn wir einen Stoffwechsel in einer Hefezelle untersuchen, lernen wir auch über den Stoffwechsel von einer menschlichen Zelle, lernen wir auch ein bisschen was über den Stoffwechsel von einer Bakterienzelle. Das heißt, man kann tatsächlich diese Ergebnisse in ganz unterschiedlichem Zusammenhang wieder eben gebrauchen und einsetzen.
Fischer: Dass Sie schon ganz viel erreicht und erforscht haben, das zeigen auch Ihre vielen Auszeichnungen. Also vor vier Jahren haben Sie bekommen einen der begehrtesten Welcome Trust Investigator Awards in the Life science, so heißt das Ganze komplett. 2016 dann die Colworth Medal der Biochemical Society, dafür, dass sie eben diese verschiedenen Stoffwechselstörungen entdeckt haben, und noch einige andere mehr. Was bedeuten Ihnen denn eigentlich solche Auszeichnungen?
Ralser: Na ja, ganz zugegebenermaßen, man freut sich natürlich schon. Und was in der Wissenschaft schon so ist im Moment ist, dass eben ganz, ganz viel veröffentlicht wird und ganz viel wird einfach nicht mehr so richtig studiert und gelesen, weil einfach die Fülle an Informationen, die produziert wird, einfach sehr unmenschlich groß geworden ist. Und deswegen stellt man sich schon die Frage, wenn man eben so jahrelang an was gearbeitet hat, einen Fachartikel dann publiziert hat, ob überhaupt jemand den wahrnimmt, ja. Und wenn man mal so eine Auszeichnung für so eine Forschungsleistung bekommt, denkt man sich, hey, ist ja doch nicht alles umsonst. Also man hat was gefunden und die Leute merken das auch. Und das hilft natürlich schon nicht nur mir, das hilft auch vor allem meinen Mitarbeitern und meinem Institut, weil das ist ja nicht eine Eigenleistung alleine, ja? Ich habe ja ganz viele Studenten, die mitarbeiten, Postdoktoranden, die mitarbeiten. Und das auch für die eine große Auszeichnung, hilft denen in der Karriere und das hilft uns natürlich, den Stoffwechsel so ein bisschen wieder publik zu machen, dass andere Wissenschaftler auch drüber nachdenken, hey, ich muss doch bei meinem Problem auch mal drüber nachdenken, ob da vielleicht nicht doch eine Stoffwechseländerung dahintersteckt.
Fischer: Sie müssen sich Markus Ralser vorstellen hier in seinem Büro. Schlichter Schreibtisch, Computer drauf, er selbst, Jeans und Pulli, eine Brille aufm Kopf, Direktor des Instituts für Biochemie, wo er wirklich grundlegend Neues zum Stoffwechsel erforscht. Und dann aber, ein paar Stunden später, steht der gleiche Mann vielleicht mit Gummistiefeln und Angelrute und Fischerhut im Wasser und wartet, dass was anbeißt. Denn Sie sind, Herr Ralser, sehr gerne in der Natur und stehen dann manchmal auch einfach so in Gummistiefeln im See und angeln.
Ralser: Ich bin ganz gerne außerhalb der Großstadt. Das ist richtig, ja. Und desto weiter ich davon mich entfernen kann, desto glücklicher werde ich, ja. Das gebe ich zu, dass natürlich ist es eine Freizeitbeschäftigung und nicht, wo ich jetzt meinen Lebensabend verbringen würde, aber doch, doch, ich genieß das, ja.
Fischer: Und wenn Sie so gern in der Natur sind, auch alleine auch eine längere Zeit, was machen Sie da so?
Ralser: Wo fange ich an? Also jeder hat vermutlich eine andere Art und Weise, wie er sich entspannen kann, ne. Manche Menschen gehen gerne zu einem lauten Konzert, andere gehen gerne an Strand und legen sich da zwei Wochen hin. Und wenn ich so was finden müsste, wo ich richtig mal entspannen kann, wo sich meine Gedankengänge mal ein bisschen verlaufen, wo ich beginne, wieder mich als richtiger Mensch zu fühlen, ist halt, wenn ich draußen bin. So, was ich am tollsten finde, ist so, wenn man eine Kanutour machen kann, eine mehrtägige, wo man einfach sein Gebäck auflädt, sich eine Angel einpackt, vielleicht ein paar Zündhölzer oder ein Zelt und einfach mal ein paar Tage, eine Woche vielleicht in der Wildnis verschwinden kann. Dann merkt man, wie sein Gehör besser wird, wie seine Aufmerksamkeit steigt, wie sich der Stoffwechsel umstellt. Es ist so eine Art Eigenexperiment jedes Mal, wo man sich selbst einfach so neu entdecken kann.
Fischer: Der Stoffwechsel ist ja Ihr Thema. Sie merken, dass sich Ihr eigener Stoffwechsel umstellt. Wie?
Ralser: Das geht relativ schnell. Also wenn Sie sich in ein Kanu setzen, dann mal fünf, sechs Stunden rudern am Tag, merken Sie vielleicht schon nach einem Tag, dass Ihre Nahrungsaufnahme runtergeht. Sie sind weniger hungrig. Sie hören besser, Ihre Aufmerksamkeit geht hoch. Das ist auch eine Umstellung vom Stoffwechsel. Ihr Stuhlgang verändert sich, sie schlafen besser, ja. Also man fühlt das relativ schnell, wenn man sich in die Umgebung reinbewegt, für die man eigentlich evolutionär angepasst ist, fühlt man sich relativ schnell anders.
Fischer: Und wenn ich Sie richtig verstanden hab, Sie haben gesagt, Sie nehmen Kanu, Zündhölzer und eine Angel. Also was Sie nicht nehmen, ist ein Campingkocher, eine Trinkflasche, Cracker und all die anderen Sachen, die ich so einpacken würde.
Ralser: Ja, man ist schon doch ein bisschen Großstadtmensch. Also ein Campingkocher ist mit dabei. Es darf dann doch, wenn man abends doch mal in den Regen reinkommt, dass es doch was Warmes mal zu essen gibt. Aber die Idee ist bei solchen Trips schon, dass man sich so ein bisschen minimal fortbewegt, ja.
Fischer: Dabei könnten Sie sich ja tatsächlich, glaube ich, auch als Professor, der hier die Biochemie leitet an der Charité Berlin, ein sehr angenehmes Hotelzimmer leisten, aber das wollen Sie nicht.
Ralser: Na ja, das angenehme Hotelzimmer gibt's ja auch manchmal. Ich habe zwei kleine Töchter, eine Ehefrau, also mit einem neun Monate alten Baby ist niemand gerne im Auto unterwegs, ja. Wenn Sie mich fragen, wo ich mich mehr entspanne, dann ist es das Kanu und das Lagerfeuer und vielleicht weniger der schöne Strand an der Türkei.
Fischer: Mögen Sie auch das Outdoorsein, also sozusagen im Wald beispielsweise oder aufm Wasser lieber als im Labor zu sein?
Ralser: Ah, das ist natürlich schwierig zu vergleichen. Ich bin vielleicht eine Woche, zwei Wochen jedes Jahr mal richtig outdoor unterwegs, wenn's überhaupt gut geht, und ich bin 300 Tage im Jahr im Labor. Ist eine schwierige Frage. Jeder genießt den Urlaub mehr wie das normale Arbeitsleben, aber das heißt nicht, wenn man ein ganzes Jahr im Urlaub wäre, dass man das genauso gut finden würde. Lange Rede, kurzer Sinn, ich bin sehr gerne im Labor, ich bin sehr gerne in meinem Büro, genieße aber natürlich genauso gerne mein zweites Leben, wenn ich mal eine Gelegenheit dazu hab.
Fischer: Und vielleicht noch mal zusammengefasst, was bringt Ihnen das, dieses zweite Leben? Also was gibt Ihnen das?
Ralser: Ich denke über andere Dinge nach, ja. Also wenn ich zum Beispiel einfach nur ein Wochenende freinehme, schalt ich nicht ab. Ich denke über meine wissenschaftlichen Probleme weiter, was auch schön und gut ist. Ich entspanne mich vielleicht, aber es wird nicht so richtig eine Umstellung. Wenn ich draußen bin, kann auch ein Wandertrip sein. Es ist einfach nur, wenn man sich beginnt, körperlich zu bewegen, wenn man in der Natur draußen ist, hat man eine Möglichkeit, mal über andere Dinge anders nachzudenken. Man fühlt sich anders.
Fischer: Sind das auch diese Situationen, wo Sie vielleicht die Forschung, die Wissenschaft komplett vergessen? Oder denken Sie eigentlich, ach, Zellen sind ja immer irgendwie überall?
Ralser: Ich glaub, man kann das nie ganz ausdrängen. Man ist trainiert, als Wissenschaftler die ganze Zeit zu beobachten, Sachen infrage zu stellen und sich ständig das mit dem abzugleichen, was man weiß, ja? Und ich glaub, das geht nie ganz weg. Aber man denkt natürlich über andere Probleme nach. Wenn man im Labor ist, ist es doch das konkrete Problem, was man im Moment bearbeitet. Wenn ich in einem Kanu sitze und ein Fisch anbeißt, dann fragt man sich vielleicht, warum geschmeckt dem genau dieser Wurm jetzt richtig, ja? Ist ja auch ein Stoffwechselproblem. Also man denkt anders nach. Man denkt anders nach. Man sieht mehr, man beobachtet mehr. Man merkt immer, wie wenig man eigentlich weiß und versteht. In den eigenen vier Wänden fühlt man sich deswegen auch relativ wohl, weil man die glaubt, im Griff zu haben. Das ist, wenn man draußen ist, natürlich nicht so.
Fischer: Ist aber auch eigentlich eine schöne Herausforderung, oder?
Ralser: Natürlich, ja.
Fischer: Was sagen eigentlich Ihre Forscherkollegen dazu, dass Sie das machen, dass Sie so outdoor sind, dass Sie sich auch mal selbst versorgen eine Woche lang?
Ralser: Oh, da gibt's durchaus Gleichgesinnte, ja. Viele empfinden das ja auch als so ein bisschen Selbstexperiment. Als Stoffwechselbiochemiker weiß man so ein bisschen, wenn die Stoffwechselumstellung da abläuft. Also wenn wir so in unserem Büroalltag sitzen und uns übernähern die ganze Zeit hat man hohe Zuckerspiegel im Blut. Jeder weiß hier, wenn man mal rausgeht, dann fällt der Zuckerspiegel mal ab. Dann gibt's Ketonkörper, die kommen rein. Denn wenn man länger nix isst, dann verändert sich der Stoffwechsel nochmal. Und man denkt sich, wenn man das nur unterrichtet und theoretisch weiß schon oft manchmal auch, wie fühlt sich das eigentlich an, ja? Und in dem Moment, wo man das mal selbst durcherlebt, wird's auch spannend. Und das, glaube ich, ist unter Forschern nicht so selten so ein bisschen eine eigene Neugier, auf das, was einen umgibt und wie sich das anfühlt, was man da machen kann.
Fischer: Und gibt's eigentlich auch so Situationen in der Natur, die Ihnen dann auch helfen, hier am Schreibtisch im Labor wieder weiterzukommen?
Ralser: Ja, man normalisiert alles. Also wenn man mal nix zu essen hat, es geregnet hatte, kalt war, das Lagerfeuer stundenlang probiert, anzumachen, ja, findet man das dann nachher wieder weniger anstrengend, wenn man dann nicht eine E-Mail bekommen hat. Also es bringt alles so ein bisschen auf dem Boden zurück.
Fischer: Wie viel hat denn diese Lust auf Natur, dieses für Sie jetzt auch, wo Sie hier in einer Stadt wie Berlin, mitten in Berlin ja wirklich forschen und arbeiten. Wie viel hat diese Lust auf Natur dann auch mit Ihrer Herkunft zu tun in Südtirol?
Ralser: Na, bestimmt, bestimmt ist da ein Faktor drin. Ich bin aufgewachsen auf einem kleinen Bauernhof in einem Bergbauerndorf. Da gehst Du aus der Tür raus, bist mitten in den Alpen drin. Das hört sich anders an, das riecht anders, das fühlt sich anders an. Und wenn man das die ganze Kindheit so hatte, prägt einen das vermutlich doch das ganze Leben, ja. Und das ist sicher auch, wie toll auch Berlin ist, das was ich hier doch manchmal ein bisschen vermisse. Also ich genieße Berlin, ich geh gerne auf ein Konzert, ich esse gerne gut, ich mag viel von Berlin, diese Flexibilität. Es ist eine tolle Stadt. Aber dann, was mir dann doch abgeht, wenn ich an mein Heimatdorf zurückdenke, wenn man da eben mal die Tür ausmacht, das sind fünf Minuten im Berg oben. Das ist schon was, was es hier eben nicht gibt und das fehlt einem dann auch.
Fischer: Fasziniert Sie denn heute noch das Gleiche an der Natur, an der Biologie, an allem, was Sie jetzt auch vielleicht hier erforschen, wie's damals als Kind war?
Ralser: Ich bin sicher, ja, ja, ganz sicher. Eher noch, dass die Faszination noch gestiegen ist, weil man ganz viele Dinge eben merkt, die man nicht versteht, die man nicht weiß. Also ja, ich glaub auch diese, die bei mir nie aufhören wird, diese Faszination.
Fischer: Der Stoffwechselexperte Markus Ralser leitet das Institut für Biochemie der Charité, er forscht da vor allem zum Thema Stoffwechsel und räumt als international renommierter Professor auch Preise ab. Und manchmal schläft er auch einfach im Wald und versorgt sich dort selbst. Ganz herzlichen Dank für so viele verschiedene Einblicke in Ihr Leben, Herr Ralser.
Ralser: Ja, gerne, hat Spaß gemacht.
Fischer: Und was Sie hier gehört haben, das war der Podcast der Einstein Stiftung mit Nancy Fischer. Herzlichen Dank fürs Zuhören und bis bald.