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#AskDifferent - der Podcast der Einstein Stiftung

#AskDifferent – der Podcast der Einstein Stiftung
In der Podcast-Reihe #AskDifferent erzählen geförderte und mit der Stiftung verbundene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von den kleinen Schritten und großen Zufällen, die zu einer außergewöhnlichen Laufbahn geführt haben. Wir wollen wissen: Was treibt sie an, anders zu fragen, immer weiter zu fragen und unsere Welt bis ins kleinste Detail zu ergründen?

#10: Georg Duda

Mechanismen der Heilung

Foto von der Podcast-Aufzeichnung mit Georg Duda

Was haben Materialwissenschaften und Mathematik mit Medizin und Biochemie gemeinsam? Die Antwort darauf hat Georg Duda, Professor für Engineering Regenerative Therapies am Berlin Institute of Health: Die Verbindung dieser Bereiche, das Biothinking, verspricht ein tieferes Verständnis der Kräfte, die sich auf die Gewebe und Zellen auswirken. Duda ist auch Sprecher des Einstein-Zentrums für Regenerative Therapien.

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Intro: Ist es überhaupt schlau, was wir heute häufig machen, chirurgisch quasi Wirbelsäulen wieder zu rekonstruieren in eine bestimmte Form, die man für sinnvoll findet, weil die in Anatomiebüchern vorkommt, aber vielleicht gar nicht die ist, auf die dieser Patient jetzt getriggert, über sein Leben. Und ich glaube, wir operieren heute vielleicht immer noch zu viel und müssten uns die Patienten genauer vorher charakterisieren. Und das hat halt viel mit Bewegungsanalyse und Funktionsanalyse zu tun, bevor wir von den neuen chirurgischen Versorgungen dann sofort profitieren können. AskDifferent, der Podcast der Einstein Stiftung mit Leon Stebe. 

Leon Stebe: Georg Duda forscht in einem Gebiet, mit dem wir alle irgendwann mal zu tun haben. Wenn die Schulter zwickt, die Muskeln nicht mehr mitspielen oder noch schlimmer, wenn wir uns am Bein brechen, dann geht es um das Zusammenspiel zwischen Biologie und Mechanik. Wenn wir diese Wechselwirkung besser verstehen, werden wir dann zum Beispiel Rückenschmerzen noch effektiver behandeln können? Darüber spreche ich mit Georg Duda. Er ist Professor für Biomechanik und muskuloskelettale Regeneration an der Charité, Direktor des Julius Wolff Instituts und Sprecher des Einstein-Zentrums für regenerative Therapien. Schönen guten Tag, Herr Professor Duda.

Georg Duda: Guten Tag. 

Stebe: Herr Duda, was genau ist Biomechanik? 

Duda: Biomechanik ist eigentlich sogar eine sehr alte Disziplin. Es geht darum, in lebenden Organismen mechanische Prinzipien zu verstehen und abzuleiten. Am Anfang haben wir uns sehr in dem Fach beschäftigt mit, was sind die Kräfte und die Lasten, die auf biologische Substanzen wirken oder auf sie einwirken, wie Kräfte, die auf den Knochen wirken, Kräfte, die auf den Baum wirken können. Heute sind wir in einer ganz anderen Zeit angekommen. Wir gucken uns das lebende System an und inwieweit Kräfte dort Spuren hinterlassen und die Biologie beeinflussen. Und das ist das, was ich spannend finde, wie diese beiden Welten, Physik und Mechanik, die in der Schule nix miteinander zu tun haben, mit der Biologie nix zu tun haben, wie die sich dann doch extrem eng bedingen und wechselwirken. 

Stebe: Das heißt, uns hilft die Biomechanik, besser zu verstehen, warum ein Bewegungsapparat funktioniert, warum er nicht funktioniert, warum es zwickt, warum es schmerzt?

Duda: Das gilt für den Bewegungsapparat, aber wir sind heute sehr viel weiter. Wir wissen in der Orthopädie und in der Unfallchirurgie schon lange, dass mechanische Größen, Belastungen, Kräfte, Momente wichtig sind. Knochen bricht, weil zu hohe Lasten da sind beim Skifahren, großes Torsionsmoment und der Unterschenkel bricht. Wenn man auf die Seite fällt im höheren Alter und sich den Schenkelhals bricht, dann ist das ein Auftreffen des Patienten auf der Oberfläche, auf der Erde, wenn er hinfällt und die Hüfte hält das nicht aus. Das ist allgemein bekannt, dass diese Kräfte sehr wichtig sind. Wenn wir dann Therapien in der Orthopädie beginnen, ist auch klar, dass egal, was wir dort tun, diese Kräfte aushalten muss. Wir sehen aber heute, dass das eigentlich nicht nur in der Orthopädie wichtig ist, sondern dass das sich eigentlich durchzieht durch alle Bereiche der Medizin. Im kardiovaskulären Bereich wissen wir seit Langem, dass Mechanik eine große Rolle spielt, wie Blut fließt, wie Gefäße unter Druck sind. In der Lunge wissen wir, dass Atmung viel Bewegung auslöst, hat jetzt gerade auch Corona viel damit zu tun, wie auch Infektionen stattfinden. Das hat was mit Physik auch zu tun. Und an vielen, vielen anderen Stellen sehen wir, Nerven sind eigentlich immer vorgespannt. Nerven, die zerschnitten sind, einfach zu regenerieren, ohne diese Vorspannung wiederzubringen, macht eigentlich keinen wirklichen Sinn. Also an ganz vielen Stellen spielt Physik eine Rolle, nur in der Orthopädie und Unfallchirurgie, auch in der Kardiologie, ist es sehr, sehr offensichtlich. 

Stebe: Das heißt, die Biomechanik hilft uns, die Heilungsprozesse auch besser zu verstehen? 

Duda: Das ist das Neue. Wir haben am Anfang immer nur gedacht, wir verstehen jetzt Degenerationen, wenn wir die Mechanik verstehen, also Versagen, Ruptur, Brechen, Kaputtgehen, auch von Gefäßen. Und wir haben gesehen, gerade in Orthopädie und Unfallchirurgie, dass auch Heilungsprozesse offensichtlich von mechanischen Rahmenbedingungen abhängig sind. Jetzt gehen wir aber inzwischen natürlich wie in der gesamten Medizin skalenweise immer feiner in die Segmentierung der einzelnen Elemente und sehen, dass es nicht nur der gesamte Knochen ist oder der gesamte Muskel, der wichtig ist, sondern dass eigentlich die einzelnen Elemente, die einzelnen Zellen und auch die subzellulären Strukturen sehr wohl viel mit Physik zu tun haben. Jede Zelle, wenn sie anfängt zu migrieren, die ganze Krebsforschung beschäftigt sich mit Migration von Zellen, die schlechten Zellen sollen nicht irgendwo anders hingehen. Migration ist Bewegung. Das ist Kontraktion der Zelle auf der einen Seite und Loslassen am anderen Erde, damit es eine Bewegung in eine Richtung gibt. Jede Bewegung einer Zelle ist ein hochkomplexer Prozess der Umorganisation des Skeletts der Zelle, der Skelettstrukturen der Zelle, was letztlich ständig eine Anpassung auch auf mechanische Reize und Signale aussetzt. 

Stebe: Das heißt, Sie fragen anders. Sie schauen sich dieses Zusammenspiel zwischen Gewebe, Zellen, Muskeln, Knochen anders an. 

Duda: Also eigentlich gucken wir uns die Strukturen an. Und wenn wir gut genug gucken, müssten wir eigentlich die Mechanik erkennen können, weil sie eigentlich sehr offensichtlich in den Strukturen ist. Das heißt, es geht wirklich darum, anders nicht nur zu fragen, sondern anders zu schauen und wirklich nach ingenieurwissenschaftlichen Prinzipien, ich bin ja Ingenieur, zu gucken, was sind belastete Strukturen, was kann Last aufnehmen? Da einmal beim Zytoskelett. Das Zytoskelett, also die Struktur, in der eine Zelle aufgehängt ist und mit der sie sich bewegt, das sind quasi harte Strukturen, über die Druck aufgebaut werden kann und andere Elemente bringen Zug auf, bringen die Bewegung auf. Und das ist genauso wie dann oft im gesamten Organismus, der Muskel bringt den Druck auf, den der Knochen aushalten muss. Das ist also immer ein Wechselspiel von Zug- und Druckelementen. Und das beginnt schon dann, wenn ich die erste Zelle habe, die sich teilt und zwei Zellen daraus werden, dann sind das schon vorgespannte Systeme, die sich durch Teilung letztlich erhalten müssen in ihrer Vorspannung. Sie müssen also ständig dran arbeiten, diese Mechanik und diese Physik im System zu halten. 

Stebe: Da ist viel Spannung im System. 

Duda: Es ist im wahrsten Sinne des Wortes extrem viel Spannung im System. Und das Interessante an der Sache ist, dass wir über Jahre und das ist etwas anderer Blick als viele, vielleicht auch in der Region, über Jahre haben wir eigentlich gedacht, im systemmedizinischen Sinne, wenn ich nur alle Gene charakterisiert habe, habe ich alle Krankheiten verstanden. Jetzt auf einmal sehen wir, die Zelle ist nicht in der Plastikschale zu Hause, sondern im Organismus. Der ist dreidimensional, der ist dynamisch, der ist mechanisch vorbelastet. Und das ist auch nicht einfach starr, sondern es ist hochgradig flexibel und ändert sich ständig. Und Heilungsprozesse und im besten Sinne auch Erhalt von Gewebe, Homöostase, also das Erhalten der Gewebestrukturen, bedingt, dass ich ständig einen Aufbau und einen Abbau von Gewebe habe, Knochen wächst und schrumpft im gleichen Moment wie jedes andere Organ auch. Das bedingt aber ein unmittelbares ständiges Wechselspiel, ein Spüren, ein Fühlen, ein auf dieses Signal reagieren und das hat halt auch sehr viel mit Spüren und Wahrnehmen von Physik zu tun. Und wenn man das dann quasi auch in diesen Geweben vom einen aufs andere überträgt, ja, dann kann man Heilung deutlich beschleunigen, wo sie und auch möglich machen, wo sie vorher gar nicht möglich war. 

Stebe: Das ist eine neue Perspektive und ein relativ junges Forschungsgebiet. 

Duda: Es ist eine neue Perspektive und in dieser Form ist sie sicher jung. Es gibt dann immer noch wunderbar, wenn man in die Historie guckt, Beispiele, wo man schon gemerkt hat, dass schon 1900 Leute sich mit dem Hämatom und dem Umorganisieren des Hämatoms beschäftigt haben und gelernt haben, dass da schon irgendwie die Ursuppe ist, aus der dann die Heilung stattfindet. Aber so in der dezidierten Form und auch wirklich in der Art und Weise, dass wir's beeinflussen wollen, ist es relativ neu. 

Stebe: Wie haben Sie diese Leidenschaft entdeckt, sich so mit Schmerz und Heilung vor allem zu beschäftigen? 

Duda: Also mit Schmerz fangen wir erst an, uns zu beschäftigen, aber sozusagen im Wechselspiel Physik, Biologie wirklich in den Mittelpunkt zu nehmen. Das geht zum einen motiviert durch mein Studium sicher, aber vor allen Dingen durch einen sehr, sehr engen Diskurs und ein enges Zusammenspiel mit den unfallchirurgischen, orthopädischen Kollegen, die von der klinischen Seite die Fragestellungen stellen. Und zu sehen, dass dort sehr viele physikalische Elemente eine Rolle spielen und häufig dann Fragen aber aufkommen, die deutlich machen, dass wir eben nicht alles mit einem makroskopischen Blick auf die Mechanik erklären können, wir manches eben nicht verstehen in der Heilung. Und das wirft neue Fragen auf, wo man sich den dann wieder neu stellt. Das heißt, nur auf dieses Wechselspiel Mechanik und Gewebeorganisation schauen, reicht nicht. Ich muss das Immunsystem reinnehmen, den Metabolismus, also die Versorgung mit Nährstoffen, um das besser zu verstehen. Aber das ist das Besondere, dass es für uns immer wichtig ist, aus der klinischen Fragestellung zu kommen, um die zu entschlüsseln und auch wieder dahin zurückzukommen, um zu sehen, ob das, was wir uns ausgedacht haben und versuchen zu verstehen oder vermeintlich verstehen, tatsächlich funktioniert. Das ist nämlich dann letztlich am Patienten zu zeigen, ob es auch wirklich sich umsetzen lässt. 

Stebe: Die Faszination liegt auch darin, sich eine neue Welt zu erschließen. Sie haben vorhin „entschlüsseln“ gesagt, also in eine neue Welt reinzugucken. 

Duda: Es ist sicher eher ein Entschlüsseln, als dass es eine neue Welt ist, weil die Welt ist eigentlich die ganze Zeit schon da. Wir müssen nur richtig gucken und die richtigen Fragen stellen. Also von daher passt Ihr Thema schon. Also die Fragen muss man anders dann stellen, um es wirklich besser verstehen zu können. Aber mir ist es sehr wichtig, dass wir das hier in Berlin versuchen, wirklich aus einer klinischen Fragestellung heraus zu starten und in der Klinik dann auch zu sehen, ob das, was wir als tolle Lösung uns ausgedacht haben, auch wirklich überhaupt funktioniert. Das ist eine wunderbare wissenschaftliche Fragestellung. Weil nur wenn es beim Patienten dann tatsächlich klappt und noch besser sind die Patienten, schlimm für den Patienten, wo es dann auf Anhieb nicht klappt, weil die stellen eigentlich dann noch mal die neue Frage, ist das, also die challengen uns als Wissenschaftler, ist das, was wir uns überlegt haben, warum klappt das bei dem einen Patienten oder bei den dreien nicht? Und bei 80 Prozent klappt's. Was ist dann anders? Da muss noch etwas sein, was wir noch nicht verstanden haben. 

Stebe: Aber das ist interessant, dass Sie das sagen, weil das ist ja sozusagen auch ein neuer Blick aufs Scheitern. Oder wenn ein Therapieansatz nicht geklappt hat, dann nehmen Sie das als Herausforderung an und sagen, wir müssen es irgendwie anders versuchen. 

Duda: Ich glaube, das ist ganz essenziell und das ist auch ganz wichtig, weil ich glaube, dass Medizin dort wesentliche wissenschaftliche Fragen stellen kann, wo es eben nicht gerade so klappt, wie man sich das am besten vorgestellt hat. Und dafür brauchen wir Zeit, Energie und Denkmöglichkeiten. Also dafür brauchen wir die Kapazitäten, neue Fragen zu stellen. Und das brauchen wir auch in der Medizin, die heute vielfältig eher eine Versorgungsstrategie fährt, als dass sie eine primär akademische, wissenschaftlich dominierte Möglichkeit hat. Das versuchen wir hier etwas anders zu gestalten in der Charité, indem man dafür auch Raum schafft, so was wirklich betrachten zu können. 

Stebe: Ist wirklich interessant, weil manche haben vielleicht auch einen ganz anderen Zugang zum Scheitern und sagen, ah Mensch, das hat jetzt nicht geklappt. Ich bin am Boden zerstört. Aber Sie nehmen das wirklich offensichtlich als Ansporn. Gibt's keine Momente bei Ihnen, wo Sie sagen, Mist. 

Duda: Natürlich. Und vor allen Dingen noch, wir dürfen ja nicht vergessen, wir reden hier dann auch im besten Fall darüber, dass es Therapieansätze sind, die wir Patienten machen, und wenn die scheitern, ist es natürlich erst mal auch ein Drama für den Patienten. Ja. Man muss andere Lösungen finden. Das ist schon sehr ernst zu nehmen. Aber es ist halt nicht nur als Scheitern zu verstehen, sondern halt auch als eine Chance, daraus wirklich zu einem besseren Verständnis zu kommen. Und das als Herausforderung zu verstehen, ist, glaube ich, im besten Sinne das, was Medizin versucht, auch zu tun. Es braucht aber dafür dann auch Zeit und Kapazitäten. Und ich glaube, dafür braucht's auch einen Rahmen, in dem man das Ganze gestalten kann. Und das, glaube ich, haben wir jetzt hier schaffen können. 

Stebe: Wenn Sie persönlich mal einen Schmerz empfinden, wenn's irgendwo zwickt oder wenn irgendwas sich eingeklemmt hat. Fragen Sie sich dann auch, wie gerade das biomechanische Zusammenspiel ist?

Duda: Natürlich. Also das wär ja fatal, wenn ich das nicht machen würde. 

Stebe: Da sehen Sie dann die Zellen, die miteinander kommunizieren? 

Duda: Ich sehe die Zellen und was ich da spannender fand, war, dass in unserer sehr wissenschaftlichen molekular, ich hab das ja gesagt vorhin, in der molekularorientierten Medizin, diese Matrix nicht so sehr vorkommt. Es gibt andere Aspekte und Facetten der Medizin, die sehr wohl über Verspannungen und Kontrakturen reden und Lösungsstrategien fahren. Und wir sagen, diese beiden Welten haben überhaupt nichts miteinander zu tun. Und ich glaube, es ist ein fataler Fehler. Ich glaub, dass die wahnsinnig viel miteinander zu tun haben. Und wenn Sie mit Alternativmedizinern reden, dann sind das zum Teil Begrifflichkeiten, die dort benutzt werden, die für mich eine sehr große Nähe eigentlich zu so einem Weltbild darstellen, ohne dass ich jetzt in irgendeiner Weise Ahnung von Alternativmedizin hätte. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir mit einem besseren Verständnis dieser Matrix und Physik des lebenden Patienten, auch Sportlers, besser verstehen können, wie auch die Rahmenbedingungen sind, die letztlich biochemische und molekulare Konsequenzen nach sich ziehen. Also ich kann das quasi adressieren, das ist eigentlich ein Reichtum über eine molekulare Sicht, aber vielleicht erreiche ich da nicht alles. Und vielleicht ist so eine, ja holistischere, vollständiger Sicht auf den ganzen Organismus, die dann halt auch solche Verspanntheiten oder anderes auch mitbetrachtet, ein sinnvollerer Ansatz, um wirklich ein tieferes Bild oder einen gesamteren Ansatz zu realisieren. 

Stebe: Ist ein ganzheitlicher Ansatz. 

Duda: Also wir versuchen das, als Werbeblock auch sozusagen, wie bringen wir das auch tatsächlich in die Patienten hinein? Vor Ewigkeiten sind wir angefragt worden als Biomechanik von Patienten, die beim Laufen Schmerzen haben oder Gehstörungen haben und die händeringend nach Lösungsmöglichkeiten gesucht haben. Wir haben eine gute Technik, um zu quantifizieren und beurteilen zu können und Empfehlungen auch geben zu können, haben wir Verständnis über die Biomechanik. Und wir haben dann immer nur eventuell immer einzeln helfen können. Wir haben jetzt sowohl im Bereich Rückenerkrankungen, low back pain, als auch im Bereich Arthrose, Knie und Hüfte und Sprunggelenk Dienstleistungen aufgebaut, wo wir jetzt dieses Wissen, was wir erarbeitet haben, den Patienten unmittelbar zur Verfügung stellen. Und da gehen wir wirklich komplett hinein. Also bei der Laufanalyse gucken wir uns den Rücken an, die Schultern an, das Knie an. Wir wissen, der Patient klagt über Knieschmerzen, aber häufig ist es gar kein Knieschmerz. Kernproblematik, da merkt er's oder Sie als Patientin, aber es kommt vielleicht von der Hüfte oder es kommt vielleicht vom Sprunggelenk. Der Rückenschmerz kommt vielleicht auch von ganz anderen Stellen. Und da ist so eine Gesamtbetrachtung extrem hilfreich. Das macht dann aber nur Sinn, weil man's halt, bei uns versuchen wir das dann zusammenzubringen und letztlich auch bis auf zelluläre Prozesse runterbrechen zu können. Aber ja, das ist eine ganz konkrete, ist auch ein Angebot, was wir machen, heißt „BeMoveD“, wo Leute sich melden können und eine Bewegungsanalyse bekommen können. 

Stebe: Und Sie berühren dabei ja ganz unterschiedliche Disziplinen, ne? Also Medizin, Chemie, Physik, Mechanik, das ist letztlich interdisziplinäres Arbeiten, was Sie machen. 

Duda: Das ist mir sehr wichtig und ich bin Ihnen dankbar, dass Sie diese Frage bringen. Wir sind Einstein-Zentrum für regenerative Therapien, weil wir, glaube ich, mit unserem Konzept überzeugen können, dass wir hier nicht nur in einer medizinischen, in einem medizinischen Feld Orthopädie, Unfallchirurgie oder Kardiologie oder Nephrologie oder Immunologie im Allgemeinen Fragen beantworten können, sondern dass wir wirklich im interdisziplinären Zusammenspiel von Materialwissenschaftlern, Medizinern, Biochemikern, Mathematikern letztlich Lösungsansätze versuchen zu erarbeiten und auch anzubieten. Und dazu brauchen wir die verschiedenen Disziplinen und das enge Zusammenspiel der verschiedenen Disziplinen. Und das Einstein-Zentrum gibt uns einen Rahmen, das zu tun, gibt uns auch ein Zuhause, wenn Sie so wollen, die Personen alle zusammenzuführen.

Stebe: Stelle ich mir aber auch als Herausforderung vor, wenn man mit unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Disziplinen an einem Tisch sitzt im Labor und überlegt, so könnte man's machen oder hier und da. Das muss man auch orchestrieren und initiieren. 

Duda: Das auf jeden Fall. Und es ist sicher nicht trivial, die verschiedenen Kompetenzen, die wir in so einem Reichtum in dieser Stadt haben oder die Region Berlin-Brandenburg hat einen wahnsinnigen wissenschaftlichen Reichtum. Wie bringt man die zusammen und wie ermöglicht man, gemeinsam an Themen zu arbeiten? Und das ist so ein bisschen, was wir versuchen, durchs Einstein-Zentrum zu realisieren. Jetzt ist unser Einstein-Zentrum noch ein recht kleines Einstein-Zentrum. Wir haben aber jetzt eine Möglichkeit gefunden, auf die wir sehr stolz sind. Wir bieten in unserem Einstein-Zentrum gerade den Nachwuchswissenschaftlern, wir nennen das Kickboxen, kleine Kickbox-Projektförderungen an. Sie müssen sich in einem interdisziplinären Team zusammen bewerben, um eine solche Förderung zu kriegen. Bedingung ist, die Wissenschaftler müssen Nachwuchswissenschaftler sein und die müssen aus verschiedenen Disziplinen kommen und sie müssen sich auf ein Thema und eine Fragestellung geeinigt haben. Und dann werden sie relativ schnell unterstützt. Wir organisieren dann Pitch-Events, also wo sie ihre Ideen vorstellen. Aber das Grundelement, was noch dabei ist, ist nicht nur das Geld, was wir ihnen dann geben, um ihre Forschung anzuarbeiten, um dann letztlich zu größeren Forschungsverbünden zu kommen oder Forschungsprojektförderungen zu kommen, sondern die Grundidee ist, dass wir sie auch begleiten auf dem Weg, wie sie ihre Frage formulieren. Das ist nämlich genau das, was Sie kurz andeuten. Wissenschaftler haben alle ihre Sprachen. Die Leute zusammenzubringen und zu lernen, halbwegs eine gemeinsame Sprache zu sprechen oder zumindest zu wissen, was man nicht versteht von dem, was der andere sagt. Um dann auf ein Ziel zu kommen, auf das man sich einigt, obwohl man aus verschiedenen Disziplinen kommt. Und dieses so scharf in den Blick zu nehmen, dass man auch in überschaubarer Zeit was erreichen kann. Wir nennen das Biothinking. Das ist so ein Konzept, was wir hier mit dem Hasso-Plattner-Institut entwickelt haben und in ähnlicher Form in Stanford auch existiert, aber hier in Berlin jetzt wirklich zum ersten Mal in die Lebenswissenschaft, in die Medizin gebracht, um Leute aus verschiedenen Disziplinen zusammenzuführen, um gemeinsam Fragestellungen zu formulieren und im Projekt zu arbeiten. 

Stebe: Was ist für Sie ein Erfolgserlebnis? 

Duda: Wenn so ein Team an Wissenschaftlern, an jungen Nachwuchswissenschaftlern Fragen so stellt, dass all die Etablierten ringsrum sagen, auf die Idee hätt ich auch kommen können. Bin ich aber nicht. Und das ist dem Nachwuchs gelungen und die haben die, weil sie die Kaffeemaschinen der anderen kennen und wissen, wo die anderen arbeiten, auf einmal die Möglichkeit, Fragen zu stellen und auf eine andere Art und Weise auch Lösungsansätze zu machen, die dann wirklich was voranbringen können. Und wahnsinniges Erfolgserlebnis ist für mich, da gibt's so eine ganze Batterie an Beispielen, ist, wenn so kleine solche Ansätze, da geht's gar nicht um großes Geld, aber wenn solche kleinen Möglichkeiten auf einmal von diesem Reichtum dieser Stadt Institutionen zusammenführen, die sonst top down das nicht geschafft hätten und schon gar nicht für so wenig Geld.

Stebe: Was ist Ihr Ziel oder was ist Ihr Traum? Was würden Sie sich wünschen für Ihre Forschung? Was können Sie sich vorstellen zu erreichen? Ist es ein Therapieansatz? Ist es tatsächlich, die Teams zusammenzubringen, um ein Problem zu lösen?

Duda: Für uns ist sicher ein großer Erfolg, wenn es uns gelingt, diesen Life-Science-Hub Berlin jetzt auch in diesem Thema Regeneration so gut wie möglich zusammenzuführen, damit wir das Maximum erreichen können, was eigentlich hier möglich ist und was der Steuerzahler zu Recht auch verlangen kann, dass das passiert. Da helfen Strukturen und in meiner Wahrnehmung hilft da auch grade so eine Struktur wie die Einstein Stiftung selber, aber auch gerade so was wie das Einstein-Zentrum hilft da sehr. Auch das Tool der Einstein Visiting Fellowships hilft da extrem sehr, Leute nicht nur in Berlin zusammenzubringen, sondern auch Topexperten aus dem Ausland hierherzubringen und in solchen Strukturen ja hineinzusetzen, einzubetten, um wirklich Ziele zu erreichen. Und das sind bei uns in der Tat Regenerationsstrategien in die Klinik zu bringen, sei das für kardiovaskuläre Erkrankungen, sei das für Transplantatpatienten das Immunsystem neu zu starten, sei das bei uns im Bewegungsapparat den Knochen schneller heilen zu lassen oder Muskelheilung überhaupt möglich zu machen. Nur so als ein paar Beispiele. Aber das ist sicher das entscheidende Ziel. 

Stebe: Wie ist das mit Rückenschmerzen? Jeder, glaube ich, der uns zuhört, jede hatte schon Rückenschmerzen. Wär das nicht so ein Traum, irgendwie da ganz gezielt einen super Ansatz zu finden, etwas effektiv wie Rückenschmerzen, worunter fast alle leiden, das effektiv anzugehen? 

Duda: Das ist ja wunderbar, dass Sie das fragen. Also wir sind sehr stolz, dass wir bei uns eine sehr ambitionierte Gruppe haben, die sich genau mit dem Thema beschäftigt, aus einer biomechanischen Perspektive, Hendrik Schmidt ist das, das Thema Rückenschmerz anzugehen und dafür Therapieansätze zu entwickeln. Wir haben klinisch dann auch eine Truppe mit Matthias Pumberger, die das chirurgisch sozusagen mit begleiten. Und das Wechselspiel ist natürlich ganz essenziell. Wir haben hier grade die Einladung gekriegt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, eine Forschergruppe als Antrag vollständig auszuformulieren, die sich genau dieser Frage annehmen wird, wie ist eigentlich das Wechselspiel zwischen Beweglichkeit, Belastung und Schmerz? Und zwar über alle Längenskalen vom gesamten Patienten bis runter zu zellulären Prozessen und zu verstehen, in welchem Bewegungsumfang eigentlich Schmerzpatienten sich überhaupt bewegen. Und ist es überhaupt schlau, was wir heute häufig machen, chirurgisch quasi Wirbelsäulen wieder zu rekonstruieren in eine bestimmte Form, die man für sinnvoll findet, weil die in Anatomiebüchern vorkommt, aber vielleicht gar nicht die ist, auf die dieser Patient jetzt getriggert ist über sein Leben. Und was können da eigentlich Physiotherapie und Bewegungsunterstützungssysteme leisten und was kann vielleicht Chirurgie leisten, das sauberer abzuklopfen? Und ich glaube, das ist ein relativ leicht gemachtes Statement, wir operieren heute vielleicht immer noch zu viel und müssten uns die Patienten genauer vorher charakterisieren und das hat halt viel mit Bewegungsanalyse und Funktionsanalyse zu tun, bevor wir von den neuen chirurgischen Versorgungen dann sofort profitieren können. 

Stebe: Können Sie uns denn Hoffnung machen für die Rückschmerzen, die mal so in den Griff zu bekommen, dass nicht alle Welt darüber spricht?

Duda: Also was man sicher sagen kann, ist, es gibt heute schon ein Angebot, eine Bewegungsanalyse zu machen, um einzugrenzen, wo denn die muskulären Schwachpunkte sind für ein Individuum. Also wir können einen Patienten durchmessen und feststellen, welche Muskelgruppen sind eigentlich diejenigen, die hier geschwächt sind? Und wie kann ich durch ein Training dieser Muskelgruppen wieder eine bessere holistischere, gesamtheitliche muskuloskelletale Situation erreichen. Das ist möglich. Aber es braucht natürlich, das steht ja im Kern schon drinne, es braucht ein besseres Verständnis des Schmerzes. Wir verstehen noch viel zu wenig, wie Schmerz entsteht und wo er entsteht. Er ist eng gekoppelt mit Entzündung. Auch diese lokalen Wechselspiele verstehen wir zu wenig. Wenn wir noch nicht mal wissen, wie eigentlich Entzündungsreaktionen mit Mechanik gekoppelt sind, so verstehen wir noch gar nicht, wie Schmerzsignale eigentlich mit Mechanik gekoppelt sind und wie sie mit Entzündung quer gekoppelt sind schon gar nicht. Das ist sicher Thema für die Zukunft, das zu entschlüsseln. Und gerade für den Bereich Wirbelsäule, gilt für alle anderen Bereiche auch, egal in welchem Bereich wir die Regeneration ansteuern, das Zusammenspiel von Bioinformatik, mathematischer Programmierung, materialwissenschaftlicher Basiswissenschaft, Polymerwissenschaften, aber auch Mineralisationsexperten, aber auch immunologischen Experten, die Entzündung entschlüsseln und halt zelluläre Kaskaden und biochemische Prozesse aufschlüsseln können. Das Wechselspiel ist essenziell, sonst kommen wir nicht zu einem tieferen Verständnis.

Stebe: Und daran arbeiten Sie. Ganz herzlichen Dank, Herr Professor Duda. Georg Duda war das, Professor für Biomechanik und muskuloskelettale Regeneration an der Berliner Charité, Direktor des Julius Wolff Instituts und Sprecher des Einstein-Zentrums für regenerative Therapien. Mein Name ist Leon Stebe. Das war diese Episode von AskDifferent, der Podcast der Einstein Stiftung. Wir freuen uns schon auf die nächste Folge und bis dahin sag ich tschüss, ciao und bis zum nächsten Mal.