#22: Britta Tietjen
Wenn die Spree rückwärts fließt

Intro: Wir können uns angucken, was wäre, wenn zum Beispiel wir vermehrt Dürren hätten? Wie reagiert die Vegetation darauf? Oder wir können uns angucken, was wäre, wenn wir ganz andere Arten in dem System hätten? Ist das System dann stabiler oder bricht das vielleicht noch deutlich schneller zusammen? Und so können wir dann ausloten mithilfe von den Modellen, wie sich wahrscheinlich Ökosysteme unter anderen Bedingungen verhalten würden und was das dann auch zum Beispiel für den Wasserhaushalt für Folgen hat. Und da einfach Erkenntnisse zu bekommen, wie wir Ökosysteme auch quasi nutzen können, um Funktionen zu erhalten, die wir als Menschen davon dringend brauchen. AskDifferent, der Podcast der Einstein Stiftung mit Nancy Fischer.
Nancy Fischer: Professorin Britta Tietjen sagt das. Sie ist promovierte Biologin und ihr Thema ist Klima und Wasser im Wandel. Also genau das, was wir von morgens bis abends benutzen, ohne auch nur darüber nachzudenken. Es sei denn, es wird mal abgestellt, denn erst dann wird uns ja klar, Mist, keine Klospülung, kein Wasser zum Zähneputzen, Haare waschen, keins zum Kaffee oder Nudeln kochen oder zum Wäsche waschen. Und auch wenn es schwerfällt, wir sollten eigentlich mal anfangen, sogar freiwillig mit weniger Wasser klarzukommen. Denn unsere, die wasserreiche Region Berlin-Brandenburg, die hat in Zukunft nicht mehr so viel davon. Genau das ist Professor Britta Tietjens Thema. Sie leitet das Institut für Biologie der Freien Universität Berlin und sie forscht an der Einstein Research Unit Climate and Water Under Change, also zu Klima und Wasser im Wandel. Hallo und herzlich willkommen bei AskDifferent, Frau Tietjen, freut uns sehr.
Britta Tietjen: Hallo Frau Fischer, ich freu mich auch, hier zu sein.
Fischer: Können Sie sich denn ohne schlechtes Gewissen eigentlich eine Badewanne volllaufen lassen und dann in diesen ja so 150 Litern mindestens entspannen?
Tietjen: Das ist eine gute Frage. Ja, ich tue es ab und zu und genieße das dann auch sehr, aber tatsächlich, ich versuche oder das ist ein Punkt, wo ich mich auch jetzt über die Jahre deutlich mehr zurückhalte und sehe, was passiert eigentlich oder was macht das eigentlich, wenn wir konsumieren, das was da ist, das was jetzt auch erst mal fühlbar unbegrenzt da ist, was hat das dann für Auswirkungen für die Umwelt. Und das führt dazu, dass ich tatsächlich ein bisschen schlechtes Gewissen habe, wenn ich in die Badewanne gehe.
Fischer: Wir wollen natürlich noch über die langfristigen Auswirkungen von Wasserknappheit auf uns alle im Privaten auch reden, aber vielleicht erst mal zum Heute, zum Hier und Jetzt. Wie macht sich denn der Wassermangel bislang schon bemerkbar in unserer Region?
Tietjen: Also da würde ich von zwei Dingen sprechen: Wir haben einerseits ja diese starken Dürrejahre alle gespürt in den letzten Jahren. Wenn wir uns umgucken, dann sehen wir plötzlich, da sind Birken gestorben, die einfach jahrelang auch wirklich gut gewachsen sind und die aber diese zwei wirklich trockenen Sommer einfach nicht überlebt haben. Und wir sehen aber auch, dass der Wasserspiegel von Seen zurückgeht. Also das ist auch für uns beim Baden spürbar, wenn man plötzlich sieht, dass da Steganlagen rausgucken, wo man einfach die Pfosten vorher nicht gesehen hat. Also ich denke, dass grad hier im Raum Berlin-Brandenburg wir ganz, ganz stark doch spüren, was die letzten Dürrejahre hier gemacht haben.
Fischer: Das heißt, wenn wir über Wassermangel reden, können wir das Thema Klimawandel eigentlich nie außen vorlassen. Das gehört zusammen, das geht Hand in Hand.
Tietjen: Ja, wobei wir natürlich in dieser Region Berlin-Brandenburg sowieso schon eine der niederschlagsärmsten Regionen von Deutschland haben. Das liegt hier an diesem kontinentalen Klima, was wir haben, dass das Wasser vom Meer eben nicht ganz bis zu uns rübertransportiert wird. Das heißt, es ist hier sowieso immer schon eine gewisse Wasserknappheit da. Und da hat sich natürlich auch die Landwirtschaft gut angepasst und auch die Ökosysteme sind daran gut angepasst. Aber beim Klimawandel merken wir eben, dass die Wahrscheinlichkeit von Dürrejahren, dass die immer größer wird. Und es dann eben auch diese Wahrscheinlichkeit gibt, dass wir mehrere Dürrejahre hintereinander haben, wo sich dann die Vegetation zwischendurch nicht wieder erholen kann. Und das ist aber der eine Aspekt nur vom Klimawandel. Und der andere ist aber auch, dass wir es mit nicht nur mit mehr Dürrejahren zu tun haben, sondern auch mit Jahren, wo wir verstärkt Niederschlag haben, wo wir plötzlich diese Extremereignisse haben, wo dann die Gullis komplett überfluten. Man sieht dann in Berlin einfach diese Regionen, wo Straßen unter Wasser stehen. Und das ist eben ein anderes Problem, dass einfach das in beide Richtungen immer extremer ausschlägt.
Fischer: Wenn Sie jetzt vielleicht mal so mit dem Fahrrad an der Spree entlangradeln oder auch irgendwo an einem Brandenburger See sind, was haben Sie denn da so im Kopf für Szenarien? Wie entwickelt sich diese Gegend in den nächsten zehn oder 20 Jahren?
Tietjen: Puh, das ist nicht so leicht zu sagen. Also was ich sehe, ist tatsächlich, dass die Wasserstände immer knapper werden oder immer niedriger werden. Und grad an der Spree hat man ja auch dieses Phänomen, dass die Spree sowieso kaum fließt. Die hat eine ganz langsame Fließgeschwindigkeit hier bei uns in Berlin. Und da gibt es tatsächlich Sommer, wo die schon leicht rückwärts fließt, einfach weil die Wasserstände so niedrig sind. Und wenn ich da lang fahre, ich freue mich schon darüber, dass wir in so einer schönen Region wohnen. Aber klar mache ich mir auch Sorgen, wie wir in Zukunft damit umgehen können mit der vermehrten Wasserknappheit und wie auch vor allem man das lösen kann, dass es ja diese verschiedenen Bedarfe für Wasser gibt, von ganz verschiedenen Sektoren, von ganz verschiedenen Menschen, die da agieren, und wie das fair lösbar ist, dass diese Bedarfe gut erfüllt werden, sodass wir alle eben gut damit leben können.
Fischer: Wenn Sie sich die Fragen stellen, umso besser, dass Sie dazu jetzt auch forschen. Na ja, weil tatsächlich, Sie sind ja genau zu dem Thema in der Einstein Research Unit Climate and Water Under Change. Sie forschen drei Jahre lang, so lang dauert dieses Projekt und wollen in der Zeit nichts weniger – ich hab mir noch mal die Zielvorgaben angeguckt –, als das durch den Klimawandel verursachte Risiko von Wasserverfügbarkeit und Qualität erforschen und mit den großen Playern nachhaltige Lösungen zu finden. Das klingt sehr ambitioniert und Sie haben auch noch sechs Millionen Euro dafür bekommen. Wo fängt man denn da an?
Tietjen: Also wir konkret fangen damit an, dass wir erst mal alle Stakeholder, also ganz viele verschiedene Beteiligte zusammenbringen. Also unser Projekt startet jetzt im Januar und das Erste, was wir machen, ist, dass wir Leute zusammenbringen, die auch Wasser managen, wie zum Beispiel die Berliner Wasserbetriebe, und fragen, was ist eigentlich, was seht ihr als die größten Schwierigkeiten? Wo seht ihr das größte Konfliktpotenzial? Und was seht ihr als mögliche Lösung? Das heißt, wir wollen gucken, dass wir die Leute an einen Tisch bringen, die wirklich davon direkt betroffen sind, weil sie Wasser managen, und gucken, was sehen die als die wichtigsten Fragestellungen an. Und dann gucken wir natürlich auch, was können wir eben als Forschende für einen Beitrag leisten, um diese Fragestellungen anzugehen.
Fischer: Und bei diesem interdisziplinären Projekt, also Climate and Water Under Change, da gucken sich ja, Sie haben's uns erklärt, alle Disziplinen, verschiedene Teilaspekte an und Sie speziell als Biologin und als Ökologin, Sie sind auch Expertin auf dem Gebiet der Modellierung. Also Sie entwickeln sozusagen Modelle, wie sich die Natur, die Umwelt entwickelt. Haben Sie da mal ein Beispiel, wie das genau funktioniert?
Tietjen: Wir haben ja das mit Ökosystemen zu tun, die wahnsinnig komplex sind. Da sind ja ganz viele verschiedene Bereiche in diesem Ökosystem, die miteinander wechselwirken. Und was wir uns anschauen mit Modellen ist zum Beispiel, was passiert eigentlich, wenn es regnet? Wie viel von diesem Wasser kommt in den Boden? Wie viel versickert da? Wie steht das dann auch den Pflanzen zur Verfügung? Wie nehmen die dann wiederum das Wasser auf? Und das beschreiben wir mithilfe von Modellen. Das heißt, wir beschreiben mithilfe von mathematischen Gleichungen, was genau mit den verschiedenen Komponenten, mit Wasser, mit Vegetation, was da passiert, ob die Pflanzen dann eben mehr Biomasse in die Wurzeln stecken, um eben besser an das Wasser ranzukommen, oder ob die dann eben oberirdisch mehr wachsen, weil sie einfach zum Beispiel besser ans Licht rankommen wollen. Und das ist, kann man sich ein bisschen vorstellen, wie bei den Klimamodellen, wo man ja auch die ganzen Luftströmungen und so weiter beschreibt und das machen wir aber eben mit Ökosystemen. Und der Vorteil ist, dass wir dann in diesen Modellen „was-wäre-wenn-Szenarien“ durchspielen können. Das heißt, wir können uns angucken, was wäre, wenn zum Beispiel wir vermehrt Dürren hätten? Wie reagiert die Vegetation darauf? Oder wir können uns angucken, was wäre, wenn wir ganz andere Arten in dem System hätten? Ist das System dann stabiler oder bricht das vielleicht noch deutlich schneller zusammen? Und so können wir dann ausloten mithilfe von den Modellen, wie sich wahrscheinlich Ökosysteme unter anderen Bedingungen verhalten würden und was das dann auch zum Beispiel für den Wasserhaushalt für Folgen hat oder für die Kohlenstoffspeicherung von Systemen, um Kohlenstoff aus der Atmosphäre rauszuholen und um da einfach Erkenntnisse zu gucken, wie wir Ökosysteme auch quasi nutzen können, Funktionen zu erhalten, die wir als Menschen davon dringend brauchen.
Fischer: Und dann noch zu sagen, Achtung, liebe Politik, wir haben da in den nächsten Jahren ein sehr wahrscheinlichen Problem.Unser Modell hat's schon gezeigt.
Tietjen: Ganz genau, ganz genau.
Fischer: Muss nur noch jemand dann drauf reagieren.
Tietjen: Na ja, dafür sind wir ja dann im Gespräch auch mit den Stakeholdern. Da sind ja auch politische Akteure und Akteurinnen dabei. Also insofern, das ist ja genau der Vorteil von diesem Riesenprojekt, dass wir auch von unserer Projektseite Forscherinnen und Forscher dabeihaben, die auch im ganz engen Austausch mit diesen Akteuren und Akteurinnen sind, um genau dieses Wissen auch eben dahin zu bringen.
Fischer: Und das heißt, das ist also nicht nur interdisziplinäres Projekt, was die Forschenden angeht, sondern auch wirklich eins, wo der ganz praktische Nutzen mit ganz vorne steht, weil jemand wie die Wasserbetriebe müssen das ja letztlich auch umsetzen.
Tietjen: Das ist genau der Unterschied, unser Projekt nicht nur interdisziplinär macht, sondern eben sogar transdisziplinär. Das heißt eben, dass wir wirklich die Beteiligten einbinden und gemeinsam mit den Beteiligten die Probleme anschauen. Es ist jetzt natürlich nicht so, dass die uns sagen, auftragsforschungsmäßig sagen, was wir tun sollen, was wir forschen sollen. Wir forschen das, geben denen die Ergebnisse und die setzen das so um, sondern das ist eben ein partizipativer Prozess, wo wir gemeinsam überlegen, was sind die drängenden Fragen und was können wir dazu beitragen? Welche Teile können wir dazu beitragen, um diese Fragen zu beantworten?
Fischer: Dann ist es ja wirklich noch sehr, sehr früh. Sie haben gesagt, Sie starten gerade erst mal im Januar. Also mir ist schon klar, dass das eine schwierige Frage ist, aber haben Sie vielleicht so mit Blick auf, was ist in drei Jahren, so eine Idee für ein Projekt oder für eine Umsetzung einer Lösung, wo Sie sagen, das wär toll, wenn wir das erreichen?
Tietjen: Also ich beantworte die Frage jetzt einfach auch mal für mich persönlich und für meine eigene Forschung. Und da erhoffe ich mir eben für in drei Jahren, dass wir genau überlegen können, wie könnte der Wald zusammengesetzt sein, wie könnte der Wald der Zukunft zusammengesetzt sein, um wirklich resilient, also das heißt stabil, auf eben die Zukunft reagieren zu können und gleichzeitig aber auch dazu beizutragen, dass zum Beispiel der Grundwasserspiegel nicht weiter absinkt, sondern dass man da eben auch guckt, dass der Grundwasserspiegel nicht absinkt, weil das Wasser ja wiederum für andere Bereiche gebraucht wird, sodass wir für Sektoren, bei mir eben die Ökosysteme, Lösungen finden, die aber nicht auf Kosten der anderen Sektoren gehen.
Fischer: Und wenn wir uns noch mal diese Research Unit anschauen, da forschen Sie als Ökologin, als Biologin gemeinsam mit Meteorologen, Anthropologen, Klimageografen, selbst eine Forstwissenschaftlerin oder ein Klimatologe sind dabei, und wie Sie schon gesagt haben, es ergibt ja Sinn bei so einem komplexen Thema wie Wasser und auch Klima, dass man da interdisziplinär forscht, aber wie klappt das denn ganz praktisch mit all den Gewerken?
Tietjen: Was unsere Idee war, ist, dass wir wirklich mit verschiedenen Fallstudien arbeiten. Dass wir uns, wir wollen uns drei verschiedene Fallstudien anschauen und eine davon ist zum Beispiel der Wasserspiegel im Groß Glienicker und Sacrower See, wo wir anschauen, diese Wasserspiegel, die fallen seit Jahren. Es ist relativ unklar, warum die eigentlich fallen. Und dass wir gucken, ich als Ökologin, was ist mit den Ökosystemen drumherum? Wie viel Wasserbedarf haben die? Kann es daran liegen? Und das aber auch von der Grundwasserseite her geschaut wird, wie wird eigentlich das Wasser in den Seen wieder aufgefüllt? Dass dann aber auch geguckt wird, wie nutzen die Leute das Wasser im See und welches Risiko von anthropologischer Seite zum Beispiel, welches Risiko nehmen die Menschen eigentlich an diesen Seen wahr? Was glauben die, was dahintersteckt und wie sehr sie das in Zukunft betreffen wird? Das heißt, mit diesen Fallstudien, dadurch, dass wir ganz konkret uns gemeinsam ein System anschauen, wollen wir eben gucken, dass wir uns diesen Fragen von ganz verschiedenen Richtungen gleichzeitig nähern können. Und das ist so das, wie wir unsere Arbeit zusammenbringen wollen und dann natürlich, ja, dadurch, dass wir uns ganz viel austauschen, dass wir ganz viele treffen uns eben treffen und gemeinsam dann auch immer wieder die Stakeholder mit an Bord holen.
Fischer: Und ist das was, wo Sie sagen, es ist so toll, so muss eigentlich Forschung immer sein, das ist so bereichernd mit so vielen Disziplinen oder sagen Sie, manchmal muss man aber auch bei sich sein und nur in seinem Fachgebiet alleine vor sich hin forschen?
Tietjen: Ich würde sagen, es hat beides Vorteile. Also die großen Probleme, die können wir wirklich nur angehen, wenn wir das gemeinsam machen. Und dafür braucht man einfach ganz viele verschiedene Disziplinen, weil Probleme einfach ja auch aus verschiedenen Richtungen oder verschiedene Komponenten einfach beinhalten. Und Probleme rein naturwissenschaftlich anzugehen, macht eben wenig Sinn, wenn man gar nicht bedenkt, was für Strukturen, administrative Strukturen haben wir überhaupt, was für politische Strukturen, was für rechtliche Rahmenbedingungen haben wir. Das muss man einfach alles berücksichtigen, um Probleme wirklich angehen zu können. Aber natürlich genieße ich das auch, wenn ich Projekte habe, die kleiner sind und wo ich wirklich ganz konkret einen kleinen Baustein mir anschauen kann und mich nicht dieses ganze Drumherum kümmern muss. Also ich finde, es hat beides einfach, es ist beides spannend.
Fischer: Um mal dieses große inhaltliche Thema noch mal abzuschließen am Ende, aber es ist schon so, wenn Sie so in die Zukunft gucken, wir müssen uns eigentlich auch auf sowas einstellen wie Südafrika oder Kalifornien es durchhaben. Also bitte nicht so lange duschen, bitte nicht so unbedingt den Rasen sprengen. Das macht gerade gar keinen Sinn bei der Dürre, die wir haben. Das kommt bei uns auch in Berlin und Brandenburg. Was vermuten Sie?
Tietjen: Ich denke schon, dass wir selbst, also dass wir einerseits selbst unser Verhalten ändern müssen, viel nachhaltiger denken müssen in allen Bereichen. Also nicht nur, was Wasser betrifft, sondern eben auch, was andere Lebensbereiche betrifft, wie zum Beispiel weniger Fleischkonsum und so weiter. Also das, ich denke schon, dass wir, dass sich die Gesellschaft in diese Richtung ändern muss, um diese Probleme anzugehen. Natürlich geht's aber auch um technische Lösungen. Also ich glaub, das muss wirklich Hand in Hand gehen, um diese Probleme erfolgreich anzupacken.
Fischer: Frau Tietjen, wir haben schon gesprochen über interdisziplinäres Forschen und dann habe ich bei Ihnen auch gesehen im Lebenslauf, Sie haben studiert Mathematik, Geografie und Biologie in Göttingen. War es da eigentlich schwer, sich irgendwann mal für eins zu entscheiden?
Tietjen: Eigentlich nicht so, eigentlich habe ich mich gar nicht wirklich entschieden. Also dieses Studium in Göttingen, das war tatsächlich auf Lehramt. Und dann habe ich eben gemerkt, als ich diese verschiedenen Fächer hatte, dass ich die gerne kombinieren möchte und dass mir das eben beim Lehramt so nicht gelingen wird. Und ich habe auch gemerkt, dass ich mich einfach für Forschung begeistern kann. Und da habe ich mir deswegen einen anderen neuen Studiengang noch gesucht im Anschluss, Angewandte Systemwissenschaft nennt der sich, wo ich genau gucken kann, wie ich verschiedene Komponenten zusammenbringen kann. Also wie ich genau mithilfe der Mathematik und der Informatik Probleme in, also disziplinäre oder auch interdisziplinäre Probleme, angehen kann. Insofern habe ich mich gar nicht entschieden und bin jetzt auch mit meiner Forschung ja im Bereich Wasser, Vegetation unterwegs und damit auch vollkommen zwischen den Disziplinen.
Fischer: Wenn Sie so zurückdenken an diese Zeit, vielleicht auch an diesen Wechsel zum Beispiel noch mal vom Studium oder von der Berufsfindung. Wer waren denn auf Ihrem Weg wichtige Förderer und Förderinnen?
Tietjen: Also was für mich während des Studiums ganz, ganz wichtig war, dass ich in einem kleinen Institut gelandet bin und da sofort auch in die Forschung integriert wurde. Dass ich eben gefragt wurde, als Studentin, möchtest Du nicht mitmachen in Projekten, möchtest Du hier nicht mehr reinschnuppern? Das war fantastisch. Also das war genau die Förderung, die ich gebraucht habe. Und dann später war für mich einfach schön, ich habe in verschiedene Forschungsinstitute dann auch reingeschnuppert. Ich war am Umwelt-Forschungszentrum in Leipzig und am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und konnte da einfach ganz viele verschiedene Bereiche auch sehen. Und was mir dann noch mal einen richtig guten Schub auch gegeben hat, war, ich war in einem Profilförderprogramm. Hier in Berlin gibt's das eben zur Förderung von Frauen, die in die Wissenschaft gehen. Und solche gezielten Programme sind einfach fantastisch, finde ich, die genau mir helfen zu sehen, wo habe ich meine Schwachstellen? Was kann ich gut und wie kann ich das Ganze angehen?
Fischer: An welchen Stellen müssen denn Frauen gefördert werden heute, wenn sie in die Wissenschaft wollen?
Tietjen: Na, was mir immer wieder begegnet, ist tatsächlich die Situation des Kommunikationsverhalten. Also wie Frauen und Männer in bestimmten Treffen kommunizieren und dass man da schon auch, na nicht Ellbogen einsetzen muss, aber dass man auch gucken muss, dass man sich nicht zu sehr zurückhält, sondern dass man auch wirklich da steht und Standpunkte vertritt. Und das fällt, würde ich sagen, vielen Frauen einfach schwerer als Männern, einfach weil da ja doch eine unterschiedliche Sozialisation oft stattgefunden hat. Was ich aber auch merke, um etwas Positives zu sagen, ist, dass ich es als Frau tatsächlich auch in einigen Punkten einfach habe, dadurch, dass auch wirklich jetzt sehr, sehr drauf geachtet wird, dass eben Frauen in verschiedenen Aspekten auch wirklich paritätisch vertreten sind. Und da habe ich das Gefühl, da passiert ganz viel. Also klar, ist es noch nicht so, dass Frauen wirklich auf Professuren den gleichen Anteil erreichen wie Männer, aber es wird doch auch einiges dafür getan.
Fischer: Und wenn Sie jetzt so überlegen, Sie besinnen sich noch mal zurück, auch über die Jahre, was Sie an Erfahrungen gesammelt haben, was haben Sie denn so für vielleicht ein oder zwei konkrete Tipps auch für junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, was für die wichtig ist, wenn sie grad ihre Karriere starten?
Tietjen: Was ich empfehlen würde, ist immer ganz viel mit verschiedenen Menschen zu sprechen. Also, dass man einerseits natürlich auch mit anderen, wenn man promoviert gerade, mit anderen Doktoranden und Doktorandinnen spricht. Aber dass man sich auch immer Tipps eben holt von Menschen, die schon einen Schritt weiter sind oder zwei Schritte weiter und sich einfach traut zu fragen, hier, ich hätte die verschiedenen Optionen, was kann ich machen, wie kann ich damit umgehen? Und also das hat mir persönlich immer ganz stark geholfen, einfach ganz mit Menschen zu sprechen.
Fischer: Sind Sie irgendwann in Ihrer Karriere mal an einem Punkt gewesen, wo Sie gesagt haben, oh, jetzt bin ich so richtig gescheitert?
Tietjen: Nein, nicht wirklich, aber ich bin oft an dem Punkt gewesen, wo ich dachte, och, wirklich, also muss ich mir das antun? Gibt's nicht auch andere Optionen für mich? Und dann gucke ich und stelle fest, nee, eigentlich kriege ich in der Forschung wirklich, also es begeistert mich, dass ich einfach so frei bin in dem, was ich was ich tun kann, dass ich mir selber meine Themen suchen kann. Das ist einfach fantastisch. Und ja, man muss sich dann auch manchmal durchbeißen. Und jetzt als Professorin kann ich oft gar nicht mehr selber die Sachen machen, die ich so spannend finde und die ich so gut kann, sondern muss dann eben mit meinen Doktorandinnen, Doktoranden oder Postdocs zusammenarbeiten, dass die das auch umsetzen und dass die ihre Ideen entwickeln. Ja, aber so Zweifel, ob das wirklich der richtige Weg ist, die hatte ich schon immer mal wieder und dann überwog aber eben doch der Spaß daran.
Fischer: Wie haben Sie das dann gelöst in solchen Momenten für sich?
Tietjen: Ich habe wieder mit Leuten gesprochen. Also ich habe gesprochen, habe meinen Frust auch einfach von mir gegeben, habe dann aber auch überlegt, na ja, was ist denn eigentlich im letzten Jahr alles passiert? Was habe ich eigentlich alles geschafft und wo stand ich letztes Jahr? Wo stehe ich dieses Jahr und ist nicht doch ganz viel vorangegangen? Und dann hatte ich aber auch wirklich das Glück, dass ganz viel geklappt hat, dass ich eine spannende Promotionsstelle hatte oder ein Stipendium für eine Promotion. Das heißt, da konnte ich auch schon frei aussuchen, was ich wollte. Bin dann an das Institut, eben ans Potsdam Institut für Klimafolgenforschung gekommen, wo ich unbedingt immer schon hin wollte und bin dann auch nach kurzer Zeit eben auf die Professur gekommen, sodass es eigentlich für mich ziemlich gut gelaufen ist und es eher so war, dass ich dachte, ach, jetzt mal wieder innehalten wär auch schön.
Fischer: Genau, das Innehalten ist natürlich auch ein wichtiger Aspekt. Wenn wir hier immer so eine halbe Stunde über Karrieren sprechen und wie geht's vorwärts und wie wird man gefördert und wie kommt man weiter und welche Projekte hat man. Wie suchen Sie sich denn Ausgleich? Weil ich glaub, das ist gerade in so 'nem schwierigen Umfeld auch wieder Forschung, was so Karrieren angeht, gar nicht so unwichtig.
Tietjen: Ich habe zwei Kinder.
Fischer: Das ist nicht unbedingt entspannend.
Tietjen: Das ist überhaupt nicht entspannend, aber das heißt auch, dass ich gezwungen bin, zwischendurch dann einfach einen Stift liegen zu lassen, mit meiner Familie einfach mich zu beschäftigen, mich mit meinen Kindern zu beschäftigen, zu gucken, wie es denen geht. Und das ist natürlich, da bin ich, also das ist einerseits ein größerer Stressfaktor, ganz klar, aber andererseits auch dieser Ausgleich, der mich zwingt, einfach mal rauszukommen. Und dann sind wir eben ganz viel draußen. Das ist das Wichtigste für uns eben in der Natur zu sein, uns zu bewegen, mit den Kindern zusammen Dinge zu entdecken. Das ist so mein Ausgleich.
Fischer: Toll. Ich würde gern am Ende noch mal auf das große Thema, was Sie ja auch wirklich jeden Tag in Ihrer Arbeit beackern, gucken, auf die Klimakrise und auch auf den Wassermangel, der da mit reinspielt. Bei so einem ernüchternden Thema, wo wir ja auch irgendwie seit Jahren so wenig Hoffnung auf Besserung sehen und die wissenschaftlichen Warnungen auch oft ignorieren. Was macht Ihnen denn da Hoffnung? Was bringt Sie denn da dazu, jeden Tag sich wieder motiviert, an den Schreibtisch zu setzen?
Tietjen: Was manchmal schwierig zu ertragen ist, ist dieses, man weiß ja schon so viel. Man weiß ja ganz viel, was eigentlich notwendig wäre, um eben Biodiversitätskrise anzugehen.
Fischer: Also das Artensterben meinen Sie?
Tietjen: Genau. Man weiß ganz schon viel schon und da ist der große Frust eben, man weiß viel und setzt es trotzdem nicht um. Und da ist eben die große Hoffnung jetzt, wenn dann doch plötzlich Dinge passieren, wenn dann doch Beschlüsse verabschiedet werden, die sagen, oh ja, das ist wichtig, das muss angepackt werden. Das ist so das, wo ich denke, ach toll, jetzt ist die Wissenschaft wieder in der Politik auch angekommen und das macht Hoffnung. Oder wenn plötzlich die Gesellschaft sich verändert und Fridays for Future sich entwickelt und da einfach ganz viel passiert und die Menschen auf die Straße gehen und sagen, das ist wichtig, das ist unsere Zukunft. Da denke ich, ja, das ist toll, wenn das wirklich ankommt, das, was wir machen.
Fischer: AskDifferent, das ist der Podcast der Einstein Stiftung, der Ihnen jeden Monat tolle, relevante und auch inspirierende Forscherinnen und Forscher mit ihrer Arbeit vorstellt. Und heute war Professorin Britta Tietjen zu Gast, Direktorin am Institut für Biologie an der Freien Universität Berlin und vor allem interessiert momentan an den Themen Klima und Wasser im Wandel, wo sie nämlich auch eine große Rolle spielt bei der Einstein Research Unit Climate and Water Under Change. Ganz, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit, Frau Tietjen, und fürs Gespräch.
Tietjen: Ja, ich danke Ihnen auch, Frau Fischer.