Martin Oestreich hat sich in ungewöhnlich kurzer Zeit als Spitzenwissenschaftler etabliert. 2001 wurde der Chemiker mit erst 29 Jahren Leiter einer Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe, 2006 folgte eine Professur an der Universität Münster. Seit 2011 ist Martin Oestreich Einstein-Professor für Organische Chemie an der Technischen Universität Berlin. Sein Schwerpunkt Synthese und Katalyse liegt im Spannungsfeld von Material- und Lebenswissenschaften. Die Professur gehört zum Exzellenzcluster „Unifying Concepts in Catalysis“ (UniCat).
»Wie ein Spiel mit Legosteinen«
Mit eigenen Händen an der Laborbank Moleküle zu gestalten erinnert mich ein wenig an das Spielen mit Legosteinen. Für mich war dieses Basteln von Molekülen ein Grund, Chemie zu studieren. Inzwischen arbeite ich allerdings nicht mehr im Labor. Die wissenschaftliche Laufbahn bringt es mit sich, dass man vom Experimentator zum Manager wird. Heute ziehe ich meine Befriedigung eher daraus, dass ich schwierigere und größere Projekte anpacken kann, weil es bei 20 Mitarbeitern einen steten Fluss an Ergebnissen gibt, die bei mir zusammenlaufen. Und mich motiviert die Ausbildung der jungen Forscher. Sie als eigenständige Wissenschaftler nach der Doktorarbeit zu entlassen erfüllt mich mit Stolz.
Meine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit grundlegenden Fragen der Katalyse. Ich versuche die in der organischen Chemie eher unüblichen Elemente Bor und Silicium in organische Moleküle hineinzubringen und auf dieser Grundlage Katalysatoren zu entwickeln. Diese Katalysatoren sollen auf lange Sicht kostspielige Edelmetalle ersetzen und die Knüpfung chemischer Bindungen beschleunigen oder überhaupt erst ermöglichen.
Ich sehe mich ganz klar als Grundlagenforscher. Natürlich könnte ich behaupten, dass unsere Forschungsergebnisse in 20 Jahren für Dinge des täglichen Lebens wichtig sein könnten. Aber in Wirklichkeit stehen wir ganz am Anfang der Nahrungskette. Ich empfinde es als Problem, dass unser wissenschaftliches System immer mehr den schnellen Erfolg will. Nützlichkeit wird oft als Rechtfertigung vor dem Geldgeber verlangt, es fehlt an Risikokapital, um Wissenschaft freier betreiben zu können. Doch wenn alle nur noch planbare Forschung mit direktem Bezug zur Anwendung machen, kommt nichts Neues mehr nach. Die Kristallisationskeime für Innovationen entstehen in der Grundlagenforschung.
Das System ist nicht darauf ausgelegt, lange Durststrecken in der Forschung zu tolerieren. Ich habe mich als Habilitand für ein Forschungsgebiet entschieden, das damals nicht im Mainstream lag, und musste eine lange Phase ohne wissenschaftliche Erfolge überbrücken. Mitunter hatte ich 80-Stunden-Wochen im Labor, aber es hat sich ausgezahlt. Irgendwann kamen ausgezeichnete Ergebnisse und plötzlich wurde ich wahrgenommen. Um erfolgreich Forschung zu betreiben, braucht man nicht nur viel Durchhaltevermögen, sondern auch Mentoren und Geldgeber, die nicht die Nerven verlieren, wenn nicht gleich alles funktioniert. Erkenntnisgewinn ist nun einmal nicht auf dem Reißbrett zu entwerfen.
Interview: Mirco Lomoth