#37 - Stefan Hippenstiel
Biomedizinische Forschung ohne Tierversuche – ist das möglich?
Biomedizinische Forschung ohne Tierversuche – ist das möglich?
Intro: Es kommt immer darauf an, was man wissen will. Und das führt uns dahin, was ist eigentlich ein Modell. Wir in der Medizin würden ja am liebsten den Menschen selbst untersuchen, weil darum geht's uns ja, um Krankheiten, um Prävention, und das geht aber eben nicht immer. Manchmal aus ethischen Gründen, manchmal aus praktischen Gründen und so weiter. Das heißt, wir müssen uns etwas anderes überlegen. Und da kommen eben die Modelle der Biomedizin ins Spiel und da braucht man Vielfalt. AskDifferent – der Podcast der Einstein Stiftung. Warum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anders fragen.
Anton Stanislawski: Heute mit Anton Stanislawski. Hallo, herzlich willkommen. Wir alle werden ab und an mal krank. Wir verletzen uns, wir haben Schmerzen, es gehört zum Menschsein einfach dazu. Wenn ich aber dran denke, welche von diesen Krankheiten und von diesen Leiden früher oft einfach mal tödlich waren, dann bin ich immer ziemlich froh, heute zu leben und Zugang zu haben zur modernen Medizin. Die wäre aber längst nicht da, wo sie ist, wenn's keine Tierversuche gäbe. Die medizinische Forschung, die beruht sogar immer noch zu weiten Teilen auf Erkenntnissen aus Tierversuchen. Und in Berlin werden besonders viele davon durchgeführt, Berlin gilt sogar als die heimliche Hauptstadt der Tierversuche.
Gibt's da nicht inzwischen weitaus bessere Alternativen? Sind Tierversuche nicht vielleicht sogar ersetzbar? Mit diesen Fragen beschäftigt sich mein heutiger Gast, Professor Stefan Hippenstiel von der Charité in Berlin. Hallo, schön, dass Sie da sind.
Stefan Hippenstiel: Ja, vielen Dank, dass ich hier werden kann.
Stanislawski: Sie sind Sprecher des Einstein-Zentrums 3R. Was das genau ist, dazu sprechen wir gleich. Und Sie sind Professor für Experimentelle Infektiologie und Pneumologie. Es geht in Ihrer Arbeit vor allem Lungenentzündungen. Wie kam es, dass Sie sich jetzt so stark mit Tierversuchen beschäftigen?
Hippenstiel: Ja, da muss man zunächst wissen, dass die Lungenentzündung, auch Pneumonie genannt, eine echte Volkskrankheit ist. Und diese Volkskrankheit geht bei etwa 13 Prozent der Fälle mit dem Tod einher. 13 Prozent von einer Volkskrankheit ist sehr viel. Und diese Todeszahl, die ist seit über 70 Jahren unverändert. Und das hat irgendwann zusammen mit anderen Überlegungen zu der Frage geführt, warum könnte das so sein, dass wir dort keinen Fortschritt haben? Sicher wird das verschiedene Ursachen haben, und eine davon könnte in den Modellen liegen. Und das hat in meinem speziellen Fall dazu geführt, dass ich mich mit meinem Freund Andreas Hocke immer wieder zusammengefunden habe und wir uns gefragt haben, woran könnte das liegen? Wir sind dann irgendwann dahin gekommen, dass wir begonnen haben, menschliche Lungenproben zu untersuchen. Und das ist bei der Lungenentzündung besonders wichtig, da die meisten dieser Entzündungen von Erregern ausgelöst werden, die sehr genau an den Wirt, in dem sie die Entzündung machen, angepasst sind. Und da lag es für uns nahe, entsprechende Modelle zu entwickeln.
Das heißt nicht, dass die Tierversuche in diesem Bereich unnütz wären oder so, in keinster Weise. Es ist völlig klar, dass die moderne Biomedizin weiterhin und auch auf lange Sicht auf Tierversuche angewiesen sein wird.
Stanislawski: Mein Eindruck ist, wir haben uns gesellschaftlich irgendwie darauf verständigt, dass wir Tierversuche eigentlich akzeptieren. Also da gibt's natürlich schon immer wieder auch Proteste, aber die Vorteile für den Menschen, die sind dann eben doch ein gutes Argument. Also Antibiotika, Impfstoffe, Organtransplantation, die meisten Medikamente, alles das wurde an Tieren ausprobiert und dadurch entwickelt. Das klingt doch erst mal nach 'ner Erfolgsgeschichte. Wieso haben Sie das Gefühl, wir müssen daran was ändern?
Hippenstiel: Ich habe ja nicht gesagt, dass Tierversuche unnütz sind oder so, sondern natürlich ist es so, dass viele unserer Erkenntnisse auf Tierversuchen beruhen. Und, wie ich schon sagte, das werden sie auch weiterhin tun. Es gibt Tierversuche, die uns auch in Zukunft leiten werden. Und es gibt auch Dinge, die, das kann man auch jedem erklären, die man auch in Zukunft den Tieren untersuchen muss. Denken Sie an bestimmte Verhaltensuntersuchungen oder Sie möchten eine neue, mitwachsende Herzklappe für ein Kind entwickeln. Und das werden Sie auch zukünftig in einem entsprechenden Tiermodell untersuchen müssen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Das heißt, hier Versuche haben in der Vergangenheit zum Erkenntnisgewinn wesentlich beigetragen, keine Frage. Und wie ich schon sagte, also für uns in der Medizin allemal werden sie auch in Zukunft in vielen Bereichen unerlässlich sein.
Stanislawski: Aber Sie haben ja das Gefühl, es gibt auch andere Möglichkeiten, vielleicht sogar besser geeignete Möglichkeiten.
Hippenstiel: Es kommt immer auf die Frage an. Es kommt immer darauf an, was man wissen will. Und das führt uns dahin, was ist eigentlich ein Modell. Wir in der Medizin würden ja am liebsten den Menschen selbst untersuchen, weil darum geht's uns ja, um Krankheiten, um Prävention, und das geht aber eben nicht immer. Manchmal aus ethischen Gründen, manchmal aus praktischen Gründen und so weiter. Das heißt, wir müssen uns etwas anderes überlegen. Und da kommen eben die Modelle der Biomedizin ins Spiel und da braucht man Vielfalt.
Stanislawski: Stichwort Modell, Sie haben uns ein Flugzeug mitgebracht. Ich glaube, Sie sind der erste Gast in dem Podcast, der uns ein Flugzeug mitgebracht hat. Auf dem Tisch, jetzt haben Sie es grad hochgehoben, liegt oder steht so ein Miniaturflugzeug. Wieso haben Sie das dabei?
Hippenstiel: Das ist so ein Bastelmodell, das werden viele kennen, was so Kinder bauen. Das sind ja so maßstabsgetreue Modelle. Und so eins von so einem Düsenpassagierflugzeug halte ich hier gerade in der Hand. Und wenn sich jetzt die Zuhörerinnen und Zuhörer das mal vorstellen, dann kann man sich vorstellen, dass man so ein Modell in einen Windkanal hält. Und dann kann man gucken, wie ist die Anströmung, wie ist der Luftwiderstand, entwickeln die Tragflächenauftrieb. Das kann man alles an diesem Modell schon untersuchen. Aber wir würden nie untersuchen können, ob die Koffer gut einzuladen sind, ob Sitze drin sind an der richtigen Stelle. Ob die Elektronik funktioniert. Und das führt dahin, dass man sich klarmachen muss, dass ein Modell immer für etwas geeignet ist, aber nie für alles. Und das bedeutet, man braucht immer das richtige Modell für die richtige Fragestellung und es bedeutet auch, dass wir in Zukunft einen Methodenmix brauchen. Und da gehören die Tierversuche sicherlich dazu. Gleichwohl, wie ich sagte, wir sind am Menschen interessiert, versuchen wir natürlich Modelle zu entwickeln, die auf menschlicher Basis beruhen und genau darum geht es bei uns.
Stanislawski: Dann lassen Sie es uns das mal anschauen am Beispiel der Lungenentzündung, das ist ja Ihr Ihr Spezialgebiet, und verläuft eben immer noch in zu vielen Fällen auf jeden Fall tödlich. Was für Modelle benutzen Sie da, vielleicht mehr Erkenntnisse zu gewinnen?
Hippenstiel: Also in unserem speziellen Fall ist es ja so, dass wir diese bakteriellen Erreger in dem Miteinander mit der menschlichen Lunge besser verstehen wollen. Und da ist es so, dass viele dieser Erreger, zum Beispiel der Haupterreger der Pneumonie, das sind die Pneumokokken Streptococcus pneumoniae, da ist der Hauptwirt der Mensch. Das heißt, die Erreger haben sich sehr stark an den Menschen angepasst. Bei anderen Erregern wie Influenzaviren wissen wir alle, die kommen vom Tier zu uns, das ist eine sogenannte Zoonose, und die können dann auf den Menschen überspringen. Da gibt's sogar einen Begriff für, der heißt nämlich die Wirtsbarriere. Und da war es doch sinnvoll zu überlegen, können wir nicht ein Modell bauen, an dem wir an menschlichen Proben diese Interaktion mit allen Limitationen und Einschränkungen untersuchen können? Und das ist genau das, was wir machen. Wir nehmen übriggebliebenes Lungengewebe von Menschen, das bei Operationen anfällt, ansonsten verworfen würde, und machen aus diesem, ja, man könnte fast sagen klinischen Abfall wissenschaftliches Gold und nutzen es, unsere Fragestellungen zu untersuchen.
Stanislawski: Ein Stichwort, das ich in der Vorbereitung gelesen hab, ist auch das Organoid. Wie hilft Ihnen das in der Forschung?
Hippenstiel: Organoide sind sicherlich eine, wir nennen das manchmal disruptive Technologie. Das ist also etwas, das wirklich etwas zu verändern vermag. Das sind so kleine Miniorgane, die man in einer Schale züchten kann. Und diese Miniorgane werden entweder aus Stammzellen hergestellt, die sozusagen pluripotent sind, oder von erwachsenen Stammzellen, die man aus solchen Lungenproben gewinnen kann. Je nachdem, wie man sie herstellt, haben sie unterschiedliche Vor- und Nachteile, wie das immer so ist mit Modellen. Aber sie helfen uns dabei, verschiedene Zellen eines Organs in einem natürlichen Gewebeverbund zu untersuchen. Und das Besondere ist eben, dass man sie auch von Patientinnen und Patienten herstellen kann, mit einer bestimmten monogenetischen Erkrankung oder so. Und dann kann ich also an menschlichen Proben, an menschlichen, organartigen Strukturen solche Untersuchungen machen.
Stanislawski: Es klingt total abgefahren, muss ich sagen. Ich kann mir das eigentlich gar nicht vorstellen. Das ist wirklich wie eine kleine Lunge, die Sie in Ihrem Fall dann zum Beispiel versuchen, dort herzustellen?
Hippenstiel: Ja, nee, nee, nee, nee, das ist genau das Problem. Also das ist natürlich noch viel Entwicklungsarbeit. Das sind Dinge, die nicht jetzt einer Lunge entsprechen, wie Sie sie gerade haben, während Sie mit mir sprechen und atmen, sondern das sind ja ganz kleine, sagen wir mal ein Millimeter oder zwei Millimeter große Strukturen. Und wir lernen gerade, wie man die genauso herstellen kann, dass sie immer gleich sind, dass sie möglichst einer menschlichen Lunge zum Beispiel ähneln oder bei anderen Organen, dem Darm oder so. Und da muss man bedenken, dass natürlich noch Dinge fehlen. Es fehlen zum Beispiel Immunzellen, die sind dort nicht drin und bei einer Lungenentzündung können Sie sich vielleicht vorstellen, die sind auch wichtig, ne. Es fehlt auch ein Blutgefäßsystem. Also da gibt es unheimlich viel zu tun und zu lernen. Also wenn wir das machen, wenn wir wissen wollen, wie ein Blutgefäß sich dort integriert, dann lernen wir etwas darüber, wie Blutgefäße entstehen und in einem Organ zur Ausprägung kommen. Das heißt, der Weg hin zu besseren dieser Miniorgane ist für uns ein sehr lehrreicher Weg.
Stanislawski: Aber es sind am Ende menschliche Miniorgane und deswegen sind die Erkenntnisse über Lungenentzündungen potenziell natürlich sehr viel mehr wert als das einer anderen Maus oder an einer Versuchsratte.
Hippenstiel: Ich würde mich dagegen weigern, den Begriff Wert zu nutzen, denn es kommt ja darauf an, was ich untersuchen will. In diesem Miniorgan kann ich bestimmte Dinge nicht untersuchen. Da können also Daten, bleiben wir bei Maus und Ratte, den häufigsten Versuchstieren, natürlich extrem wichtig sein. Wie ich schon sagte, ein Modell ist für etwas und für etwas anderes eben nicht geeignet. Was wir natürlich nicht haben bei unseren Proben, ist das Übertragungsproblem, also der Spezies. Wir haben die menschliche Vielfalt in unseren Proben und ja, es sind natürlich menschliche Proben und deswegen ist gerade bei Erkrankungen, wo speziesspezifische Sachen eine Rolle spielen wie bei solchen Entzündungen und Infektionen mit Viren und Bakterien, ist das natürlich von großem Vorteil – mit allen Limitationen, die die jeweiligen Modelle haben. Das muss man einfach betonen.
Stanislawski: Okay, wir halten schon mal fest, es gibt Alternativen zum Tierversuch, zum klassischen Tierversuch. Trotzdem, wir haben das mal nachgeschaut, im vergangenen Jahr wurden allein an der Charité fast 50.000 Versuchstiere gemeldet. Die allermeisten davon sind Mäuse, aber auch Ratten und Fische und Meerschweinchen, Kaninchen, Schafe und Schweine. Ein Teil von ihnen wird bei der Forschung nur in geringem oder im mittleren Maß belastet, wie ich gelesen hab. Mehr als die Hälfte von den Tieren wird aber auch getötet zu Forschungszwecken. Und Berlin, ich hab's in der Anmoderation angesprochen, wurde auch medial sogar mal als Hauptstadt der Tierversuche bezeichnet. Wenn's doch Alternativen gibt, wieso kommen wir so schwer los von den Tierversuchen?
Hippenstiel: Also zum einen muss man wissen, dass Berlin, und das ist auch gut so für uns, ein sehr, sehr biomedizinisch forschungsstarker Ort ist. Und die Charité als eine der größten Universitätskliniken Europas ist Gott sei Dank auch sehr renommiert und sehr stark in ihrer Forschung, was bedeutet, dass sehr viele Menschen dort Forschung betreiben, was notwendigerweise auch zu einer höheren Anzahl von Tierversuchen oder anderen Dingen in der Forschung führt. Das ist also ganz logisch. Und wie ich schon sagte, ein Modell ist immer nur für etwas geeignet. Und selbst wenn es ein bestimmtes Modell gibt wie unser Lungenmodell, dann heißt das nicht, dass wir andere Sachen untersuchen. Zum Beispiel atmet unsere Lunge ja nicht, sondern die ist unter Wasser. Und sie ist auch nicht von Blutgefäßen durchzogen, durch die Blut fließt. Das haben Sie in einem kompletten Tier. Wenn Sie also wissen wollen, wie sich der Blutfluss auf die Funktionen des Lungengewebes auswirkt, wäre unser Modell ungeeignet. Dafür mag es in anderen Bereichen Vorteile haben. Na, deswegen war mir das auch mit dem Flugzeug so wichtig. Man denkt immer, da gibt es doch eine Alternative, ein anderes Modell. Aber man muss es tatsächlich immer auf die konkrete Forschungsfrage beziehen.
Stanislawski: Sie sind Sprecher des Einstein-Zentrums 3R. Können Sie uns den Begriff einmal näherbringen?
Hippenstiel: 3R ist ein ethisches und praktisches Netzwerk oder Regelwerk, das praktische Handlungsanweisungen gibt zum Umgang mit Tierversuchen und letztlich auch Alternativen. Das ist entstanden schon vor vielen Jahren von zwei Herren, Russell und Burch, die haben das mal aufgebracht, haben ein Buch geschrieben dazu. Und da werden drei Begriffe genannt: Replacement heißt, ich ersetze einen Tierversuch; reduction heißt, ich reduziere die Anzahl der Tiere, die ich benötige, um eine bestimmte Erkenntnis zu gewinnen; und refinement heißt, wenn ich das nicht kann, dann versuche ich, den Tierversuch so tierschonend wie möglich zu machen. Dazu muss man wissen, dass diese historische Definition sich immer auf einen schon existierenden Tierversuch bezieht. Heute greifen wir das weiter. Wir sagen, wenn wir ein humanes Modell entwickeln, mit dem wir von vornherein verhindern, dass wir einen bestimmten Tierversuch machen, weil wir unsere Erkenntnis anders gewinnen, dann ist das auch im Sinne der drei R und genauso betrachten wir das auch in unserem Einstein-Zentrum 3R.
Stanislawski: Aber es geht Ihnen eben nicht in erster Linie ums Tierwohl, sondern es geht eben drum, das bestmögliche Modell zu finden, um für den Menschen ein Mehrgewinn zu erzielen. Haben Sie richtig verstanden?
Hippenstiel: Das ist erst mal die Aufgabe, die wir als Biomedizin mit Humanbezug haben, das ist völlig klar. Aber wir wollen das, und das ist das erklärte Ziel in dem Einstein-Zentrum, eben auch mit dem Tierwohl verbinden. Und wir haben uns dort einen Fokus genommen, eben diese kleinen Miniorgane, von denen wir eben schon gesprochen haben, weil wir sagen, die haben das Potenzial, das wissenschaftliche Potenzial, bestimmte Tierversuche womöglich in Zukunft ersetzbar zu machen. Deswegen genau machen wir das, weil sich dort wissenschaftliche Innovation mit dem Versuchstierschutzgedanken aufs Beste paart.
Stanislawski: Wie kann ich mir denn Ihre Arbeit an diesem Zentrum vorstellen? Wie gehen Sie vor, wenn Sie versuchen, alternative Modelle zu etablieren? Wie ist da Ihre Arbeit?
Hippenstiel: Ja, wir haben drei Bereiche in diesem Einstein-Zentrum. Der eine Bereich ist Ausbildung und Weiterbildung. Es ist ja total wichtig, dass die jungen Leute alle diese drei Rs kennenlernen, dass sie lernen, wie sie in ihrem spezifischen Bereich die zur Anwendung bringen können. Und da machen wir halt entsprechende Fort- und Ausbildungsveranstaltungen, die dazu dienen, den Nachwuchs zu ertüchtigen und das Wissen die drei R und die verfügbaren Methoden zu erweitern. Das Zweite ist, dass wir Öffentlichkeitsarbeit machen, nämlich genau das, was wir hier tun in diesem Podcast, dass wir da drüber sprechen, den Menschen erklären, wo sind Stärken und Schwächen der entsprechenden Methoden? Warum brauchen wir überhaupt noch 'n Tierversuch und was kann man tun, um das Tierwohl zu steigern? Was sind Alternativen für was? Wofür kann man sie anwenden? Also wir versuchen Aufklärung auf rein sachlicher Ebene zu betreiben. Und das Dritte ist, wir sind ein Einsteinzentrum, deswegen forschen wir natürlich auch und wir haben uns damals gesagt, na gut, was ist ein Innovationsbereich? Was hat 'n hohen Impact im Bereich der drei R und da sind wir auf diese Mini-Organe gekommen. Dann haben wir eine Ausschreibung gemacht, haben gesagt, okay, was sind die stärksten Gruppen in Berlin? Die können sich hier bewerben, die können gegeneinander antreten, und aus diesen haben wir dann in einem richtigen wissenschaftlichen Begutachtungsverfahren einige ausgewählt und die entwickeln nun in verschiedenen Bereichen solche Miniorgane.
Stanislawski: Jetzt ist es ja so, beim wissenschaftlichen Arbeiten, da geht's drum, dass man seine Ergebnisse am besten in Fachzeitschriften publiziert. Es geht aber auch immer darum, Fördergelder einzusammeln und zu bekommen. Ich kann mir vorstellen, dass in diesem wissenschaftlichen System, das sich ja über Jahre aufgebaut hat, dass Sie da vielleicht auch auf Kritik stoßen, wenn Sie versuchen, jetzt mit alternativen Modellen zu arbeiten.
Hippenstiel: Also das Erste ist, glaube ich, es ist sehr wichtig, dass ein Zentrum wie dieses Einstein-Zentrum rein wissenschaftlich und nicht ideologiegetrieben vorgeht. Und das Vertrauen der Wissenschaft kommt da zum Ausdruck, dass wir eben nicht gegen Tierversuche als solche argumentieren, sondern respektieren und akzeptieren, wie die Dinge sind. Und gleichzeitig ist es aber auch ein Impuls der Wissenschaft, Innovation zu schaffen. Und das ist natürlich ja kein Widerspruch zu guter Wissenschaft, sondern das ist ja gute Wissenschaft Modelle zu verbessern, zu überlegen, was können die denn. Und wie ich schon sagte, dabei gewinnen wir ja sehr interessante neue Erkenntnisse und das ist genau unsere Motivation. Wir wollen die Limitation dieser Modelle nicht hinnehmen, sondern wir sagen, wir erheben das Problem zur Fragestellung, wie mein Freund Andreas Hocke immer sagt. Wir drehen das einfach um. Wenn keine Blutgefäße da sind, dann müssen wir halt gucken, dass wir welche reinbekommen.
Stanislawski: Und trotzdem könnte ich mir vorstellen, wenn Sie einen Artikel veröffentlichen wollen, der ganz auf Tierversuche verzichtet?
Hippenstiel: Ja. Also gut, ich bin jetzt schon ein bisschen länger im Geschäft und in der Tat ist es so, dass es häufig so war und manchmal auch noch so ist, dass bestimmte Zeitschriften fordern, dass man etwas Bestimmtes im Tierversuch nochmal zeigt. Das ist die eine Variante. Mittlerweile ist es aber durchaus so, dass es auch Zeitungen, sehr renommierte Zeitschriften gibt, die sagen, na ja, ihr habt uns das jetzt in einem Tier gezeigt. Jetzt zeigt uns doch bitte mal an menschlichen Proben, dass dieser Mechanismus dort auch funktioniert. Zumindest soweit man es eben kann. Das heißt, da findet schon ein Wahrnehmungswechsel statt, der es auch leichter macht, heute solche Publikationen in höchstrangigen Journalen unterzubringen. Also ich glaube, das löst sich etwas.
Stanislawski: Was braucht es dann am dringendsten, würden Sie sagen, um 3R und auch eben neue Modelle besser zu stärken?
Hippenstiel: Ich glaube, das ist ein Prozess. Und da es schwierig ist, in einer Arbeitsgruppe die Modelle zu ändern, es ist ein Prozess, der auch Zeit braucht. Wenn ich meine ganze Karriere auf Modell A aufgebaut habe und sagen wir mal, das wäre jetzt ein Tiermodell, dann ist es naiv zu glauben, dass man nach 25 Jahren, wo man auch weltweit ausgewiesen ist, womöglich für dieses Modell, dass man dann einfach so wechseln kann. Das ist ein schwieriger Prozess. Und wir brauchen Unterstützung dabei, diesen Prozess zu vollziehen. Das heißt, wir brauchen junge Leute, Nachwuchs, den wir ausbilden können und dem wir auch eine berufliche Perspektive bilden können. Und das Zweite ist, das muss man auch ganz ehrlich sagen, das ist Cutting-Edge-Forschung und die ist auch teuer. Das heißt, wir brauchen auch die finanzielle Unterstützung, robust diese Modelle entwickeln zu können.
Und um Ihnen da mal so einen Gedanken zu geben: Die USA, die jetzt nicht so sehr die Mäuse, sage ich mal, im Fokus des Tierschutzes haben, die geben jetzt 380 Millionen Dollar aus, um solche Methoden voranzubringen. Und auch andere Länder investieren massiv in diesem Bereich und das tun die halt, weil sie dort Innovationspotenzial sehen. Und ich glaube, dass wir auch in Zukunft, also ganz moderne Tierversuche, die entwickeln sich ja auch immer weiter, die Leute bleiben ja nicht stehen, die werden auch immer besser, dass wir diese innovativen Tierversuche unbedingt brauchen, aber eben flankierend sollten wir davon in Deutschland auch profitieren, und auch allzumal in Berlin, von diesen humanen Ansätzen. Da können wir nur gewinnen.
Stanislawski: Ich versuch's mal zusammenzufassen. Es gibt durchaus Alternativen, die haben's vielleicht nicht immer leicht, weil auch noch die klassischen Tierversuche durchaus ihre Berechtigung haben oftmals, aber es liegt eben auch viel Innovationskraft drin, um Ihr Wort gerade aufzugreifen.
Hippenstiel: Ja, das würde ich schon sagen. Aber was ich nicht sagen möchte, definitiv, das ist da werden immer die Tierversuche sind tradiert, insofern, dass sie eine lange Tradition haben, während es diese Mini-Organe, sagen wir mal seit 15 Jahren kommen die jetzt langsam. Und das ist natürlich immer so, wenn etwas lange da ist, dann hat es auch gezeigt, dass es sehr nützlich ist. Und das wissen wir von den Tierversuchen und dann ist es immer schwierig, etwas Neues flankierend zu etablieren. Das muss man, glaube ich, verstehen. Das heißt nicht, dass Tierversuche unnütz sind oder so was, sondern sie haben ihre Berechtigung. Genauso wie eben die Alternativmethoden auch, und ich finde es schade, wenn das gegeneinander ausgespielt wird. Wir brauchen beides, bestmöglich.
Stanislawski: Trotzdem probiere ich's mal mit so einer Perspektivfrage zum Abschluss. Kommen wir irgendwann in der biomedizinischen Forschung komplett ohne Tierversuche aus und wann könnte das so weit sein?
Hippenstiel: Die Antwort ist für mich persönlich in einem Wort zu geben und das lautet nein. Es wird Dinge geben, oder es gibt Dinge, wo ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie man diese auch sehr wichtigen Tierversuche auf irgendwie absehbare Zeit ersetzen kann. Gleichwohl glaube ich, dass wir Bereiche sehen werden, in denen Menschen womöglich auf Tierversuche verzichten werden, weil sie eine andere Alternative haben, die ihnen als Modell zielführender erscheint. Aber das wird ein langer Prozess sein und die Gesellschaft muss sich darauf einstellen, ja, wir werden manche Tierversuche reduzieren. Ja, wir werden auf manche verzichten, aber andere werden wir eben auch weiter brauchen. Das ist, glaub ich, Teil der Wahrheit.
Stanislawski: Professor Stefan Hippenstiel von der Charité. Vielen Dank Ihnen für das Gespräch.
Hippenstiel: Danke Ihnen sehr für das anregende Gespräch.
Stanislawski: Wenn Ihnen der Podcast gefällt, dann freuen wir uns natürlich, wenn Sie ihn teilen und bewerten und wenn Sie ihm folgen, um die nächsten Folgen nicht zu verpassen. Mein Name ist Anton Stanislawski. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.
AskDifferent - der Podcast der Einstein Stiftung. Warum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anders fragen.